Medizinrecht

Zuständigkeit der Prothetikausschüsse bei der vertragszahnärztlichen Versorgung

Aktenzeichen  S 38 KA 5128/17

Datum:
28.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 10689
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BMV-Z § 23 Abs. 1 S. 2
SGB V § 55 Abs. 2 S. 1, § 56 Abs. 2, § 87 Abs. 1a

 

Leitsatz

Die Zuständigkeit der Prothetikausschüsse erstreckt sich auf Planungs-und/oder Ausführungsmängel bei der Regelversorgung (§ 4 Abs. 1 der Anlage 12 zum BMV-Z) sowie auf die Feststellung eines sonstigen Schadens im Zusammenhang mit der Regelversorgung (§ 23 Abs. 1 S. 2 BMV-Z). Dagegen sind die Ausschüsse nur in begründeten Einzelfällen für Prothetikmängel bei der andersartigen Versorgung zuständig, überhaupt nicht aber für die Feststellung eines sonstigen Schadens bei der andersartigen Versorgung (vgl. Protokollnotiz zu § 4 Abs. 1 der Anlage 12 zum BMV-Z, § 3 Ziff. 3 der Anlage 4b zu § 11 Gesamtvertrag Zahnärzte-Bayern). (Rn. 20)

Tenor

I. Der Beigeladene zu 2 wird verurteilt, den Festzuschuss in Höhe von 2.887,46 Euro zuzüglich 103,10 Euro (Gutachterkosten) an die Klägerin zu zahlen (Hilfsantrag vom 19.07.2018, in der heutigen Sitzung berichtigt).
Im Übrigen (Hauptantrag) wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben. Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist bezüglich des Hauptantrages zwar zulässig, aber unbegründet, hinsichtlich des Hilfsantrages zulässig und begründet.
Die Klägerin begehrt im Hauptantrag von dem Beklagten eine Entscheidung in der Sache, was voraussetzt, dass die Zuständigkeit der Ausschüsse eröffnet ist. Nach § 23 Abs. 1 S. 2 BMV-Z sind die Prüfungseinrichtungen auch für die Feststellung des sonstigen Schadens einer Kasse infolge schuldhafter Verletzung kassenzahnärztlicher Pflichten durch den Vertragszahnarzt zuständig. Nach dem HKP war eine andersartige Versorgung vorgesehen. Damit die Prüfungseinrichtungen ihrerseits zuständigkeitshalber tätig werden können, müsste es sich bei der andersartigen Versorgung um eine vertragszahnärztliche Versorgung handeln.
Den Regelungen in §§ 87 Abs. 1a SGB V, 55 Abs. 2 S. 1 HS 2, 56 Abs. 2 SGB V ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber zwischen der Regelversorgung einerseits und gleichartigen und andersartigen Versorgungen andererseits unterscheidet. Der Versicherte hat grundsätzlich nach § 56 Abs. 2 SGB V Anspruch auf die Regelversorgung, nicht aber auf eine andersartige Versorgung. Die in § 55 Abs. 2 S. 1 2. HS SGB V genannten Voraussetzungen für eine Zuschussgewährung auch bei dieser Art von Versorgung führen nicht dazu, die andersartige Versorgung als vertragszahnärztliche Versorgung anzusehen. Dies bedeutet, wenn es sich um keine vertragszahnärztliche Versorgung handelt, dann ist auch keine Zuständigkeit der Prüfungsgremien zur Feststellung eines sonstigen Schadens nach § 23 Abs. 1 S. 2 BMV-Z eröffnet.
Auf die Einstufung der andersartigen Versorgung als vertragszahnärztliche Versorgung kommt es jedoch nicht an. Denn unabhängig davon weist die Protokollnotiz zu § 4 Abs. 1 der Anlage 12 zum BMV-Z darauf hin, dass das Gutachterverfahren, beginnend mit einer Antragstellung der Krankenkasse nur für die Regelversorgung vorgesehen ist. Denn in der Protokollnotiz ist festgehalten, es bestehe zwischen der KZBV und den Spitzenverbänden der Krankenkassen Konsens, dass die Krankenkasse in begründeten Einzelfällen bei andersartigen Versorgungen und sogenannten Mischfällen (Nr. 7b) der Anlage 3 BMVZ/Anlage 4 EKVZ ausgeführte prothetische Leistungen innerhalb von 36 Monaten nach der definitiven Eingliederung bei vermuteten Planungs-und/oder Ausführungsmängeln überprüfen lassen kann. Daraus ergibt sich, dass nur in Ausnahmefällen Planungs-und/oder Ausführungsmängel durch die Ausschüsse überprüft werden können. Für sonstige Schäden bei einer andersartigen Versorgung finden sich für die Zuständigkeit der Ausschüsse dagegen keinerlei Hinweise. Zu Recht hat der Beklagte deshalb ausgeführt, es bestehe eine Sonderstellung für Mangelverfahren bei andersartiger Versorgung, zumal ein formelles Mängelgutachten nach dessen § 4 der Anlage 12 zum BMV-Z nicht erstellt wird.
Für diese Rechtsauffassung spricht auch § 3 Ziff. 3 der Anlage 4b zu § 11 Gesamtvertrag Zahnärzte-Bayern. Darin ist folgendes geregelt: „Eine Zuständigkeit der Prothetikausschüsse bei andersartigen Versorgungen besteht nicht.“
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass sich die Zuständigkeit der Prothetikausschüsse auf Planungs-und/oder Ausführungsmängel bei der Regelversorgung (§ 4 Abs. 1 der Anlage 12 zum BMV-Z) erstreckt, aber auch auf die Feststellung eines sonstigen Schadens im Zusammenhang mit der Regelversorgung (§ 23 Abs. 1 S. 2 BMV-Z). Dagegen sind die Ausschüsse nur in begründeten Einzelfällen für Prothetikmängel bei der andersartigen Versorgung zuständig, überhaupt nicht aber für die Feststellung eines sonstigen Schadens bei der andersartigen Versorgung.
Aus den genannten Gründen war die Klage im Hauptantrag als unbegründet abzuweisen.
Was den hilfsweise gestellten Antrag betrifft, handelt es sich um einen Antrag auf Zahlung einer Geldsumme und somit um eine allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG.
Voraussetzung ist, dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Abgrenzung zu einer zivilrechtlichen Streitigkeit vorliegt. Nach der Zuordnungstheorie kommt es darauf an, ob ein Rechtsverhältnis seine Grundlage im öffentlichen Recht oder im privaten Recht hat (Kopp/Schenke, Komment zur VwGO, Rn 11 zu § 40).
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es zwischen der Klägerin und den Beigeladenen zu 2 keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen gibt. Zwischen der Patientin und der Klägerin bestehen öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen, aus denen auch die Gewährung des Festzuschusses für andersartige Leistungen erwächst. Die Beziehung zwischen der Patientin und dem Beigeladenen zu 2 ist dadurch gekennzeichnet, dass zwischen den Genannten ein Behandlungsvertrag abgeschlossen wurde, der rein zivilrechtlicher Natur ist. Während eine Rückforderung des Festzuschusses durch die Kasse, gerichtet an die Patientin öffentlich-rechtlicher Natur wäre, wie sich aus § 50 Abs. 1,2 SGB X ergibt, sind wechselseitige Ansprüche zwischen der Patientin und dem Beigeladenen zu 2 rein zivilrechtlicher Natur. Die mit der Abtretungserklärung vom 2.5.2014 erfolgte Abtretung bewirkt, dass der Anspruch der Patientin an den Beigeladenen zu 2 gemäß § 398 BGB auf die Klägerin übergeht. Nachdem der Anspruch der Patientin aus dem Behandlungsvertrag zivilrechtlicher Natur ist, gilt dies grundsätzlich auch für den abgetretenen Anspruch. Leistungsstörungen sind grundsätzlich nur in den jeweiligen Rechtsverhältnissen abzuwickeln. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Anspruch der Klägerin seinen Ursprung in den Vorschriften des SGB V hat, es sich um einen konkreten Anspruch handelt, der der Höhe des von der Klägerin gewährten Festzuschusses entspricht zuzüglich der verauslagten Gutachterkosten und der Rückforderungsanspruch als „actus contrarius“ zur Gewährung des gewährten Festzuschusses anzusehen ist. In diesem Falle wäre es mit dem System des SGB V nicht zu vereinbaren, die Klägerin auf den Zivilrechtsweg zu verweisen, nur weil es sich um eine andersartige Versorgung handelt und die Zuständigkeit der Prüfungsgremien nicht gegeben ist.
Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nach § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO ist deshalb nicht geöffnet, da sich diese Vorschrift wegen dem Zusammenhang mit Ansprüchen aus Amtspflichtverletzung nur auf Ansprüche des Bürgers gegen öffentliche-rechtliche Institutionen bezieht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Komment. zum SGG Rn 10 zu § 51).
Der Hilfsantrag richtet sich nicht gegen den Beklagten, sondern gegen den Beigeladenen zu 2. Somit liegt eine Klageänderung (Wechsel des Beklagten) vor, die nur unter den in § 99 SGG genannten Voraussetzungen zulässig ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Komment. zum SGG Rn 6 zu § 99). Erforderlich sind entweder eine Einwilligung der Beteiligten, oder, dass das Gericht seinerseits die Klageänderung für sachdienlich hält. Eine Einwilligung ist zwar nicht ausdrücklich erfolgt, sie ist jedoch auch stillschweigend dadurch möglich, dass sich die Beteiligten auf den hilfsweise gestellten Antrag eingelassen haben. Der Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen zu 2 hat zwar die Zuständigkeit des Sozialgerichts München, betreffend den hilfsweise gestellten Antrag, verneint, aber der Klageänderung selbst nicht widersprochen. Unabhängig davon hält das Gericht die Klageänderung auch für sachdienlich, weshalb diese als zulässig anzusehen ist.
Der hilfsweise gestellte Antrag erweist sich als begründet.
Anspruchsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist § 280 Abs. 1 BGB. Danach kann ein Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen, wenn der Schuldner seine Pflicht aus dem Schuldverhältnis schuldhaft verletzt. Die Vorschrift gilt für alle Verträge, gegenseitig und nicht gegenseitig, entgeltlich und unentgeltlich (Palandt, Komment. zum BGB, 78, Auflage 2019, Rn 5 zu § 280).
Unstrittig dürfte sein, dass es sich bei der vom Beigeladenen zu 2 vorgenommenen prothetischen Versorgung im Oberkiefer und Unterkiefer um ein „aliud“ zum Heil- und Kostenplan handelt. Denn statt der definitiven prothetischen Versorgung wurde eine langzeitprovisorische Versorgung eingegliedert. Dagegen kann nicht eingewandt werden, es sei etwas anderes als im Heil- und Kostenplan festgelegt, vereinbart worden. Der Beigeladene zu 2 lässt hier auf einen Karteikarteneintrag hinweisen, wonach die Patientin eine möglichst billige Versorgung gewünscht habe. Denn dies bedeutet nicht zwingend, dass statt einer definitiven prothetischen Versorgung eine langzeitprovisorische Versorgung vereinbart wurde. Vielmehr spricht der HKP dafür, dass eben die darin festgehaltene Versorgung mit der Patientin vereinbart wurde und nichts anderes. Der Behandlungsvertrag beinhaltet eine definitive prothetische Versorgung und nicht eine langzeitprovisorische Versorgung. Davon ist auch das Landgericht München I (Az 10 O …/xx) laut dem Protokoll (Seite 3) ausgegangen.
Deshalb steht für das Gericht fest, dass eine Pflichtverletzung des Beigeladenen zu 2 dadurch vorliegt, indem zwar eine endgültige Versorgung im HKP beantragt, jedoch ein Langzeitprovisorium angefertigt wurde. Weitere Pflichtverletzungen sind darin zu sehen, dass der Beigeladene zu 2 bestätigte, er habe den Zahnersatz in der beantragten Form eingegliedert, sich die Rechnungsstellung auf die definitive Versorgung bezog, selbst auf Nachfrage der Klägerin bestätigt wurde, es sei eine definitive Versorgung eingegliedert worden und die falsche Laborrechnung korrigiert wurde und schließlich gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen wurde (Langzeitprovisorium, obwohl es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine definitive Versorgung zum Zeitpunkt der Eingliederung nicht möglich war). Zu Recht hat die Klägerin auf diese Pflichtverletzungen hingewiesen.
Das Gericht hat auch keine Zweifel, dass der Beigeladene zu 2 diese Pflichtverletzungen verschuldet hat. Die Umstände, dass von der im HKP niedergelegten Versorgung abgewichen wird und eine Versorgung bestätigt wurde, die nicht eingegliedert wurde, deuten darauf hin, dass dies nicht nur versehentlich geschah, sondern die Pflichtverletzungen vielmehr über die bloße Fahrlässigkeit hinausgehen.
Der hilfsweise gestellte Antrag ist daher als begründet anzusehen. Im Übrigen (Hauptantrag) war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO.


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