Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Die Bedeutung der Angabe “voll erschlossen” in einem Grundstückskaufvertrag

Aktenzeichen  24 O 1068/15

Datum:
14.7.2016
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Amberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG BayKAG Art. 5 Abs. 1
BGB BGB § 123 Abs. 2, § 278, § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 281, § 444, § 437 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Zum Schadensersatzanspruch wegen fehlenden Anschlusses an den öffentlichen Schmutzwasserkanal bei Ausschluss der Mängelrechte im Notarvertrag.
2. Zur Bedeutung der Angabe „voll erschlossen“ in diesem Zusammenhang. (Rn. 59)
3. Die Angabe „voll erschlossen“ meint nur, dass die Anschlüsse an der Straße bzw. am Grundstück liegen, nicht aber, dass das Grundstück selbst auch hieran angeschlossen ist. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 10.448,21 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Es besteht kein Anspruch der Kläger gegen die Beklagten auf Zahlung der begehrten 10.448,21 € wegen des fehlenden Anschlusses an die Abwasseranlage.
A.
Die Kläger haben gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 10.448,21 € gem. §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB.
Ob der fehlende Anschluss an den öffentlichen Schmutzwasserkanal einen Sachmangel darstellt, kann offen bleiben, da die Mängelrechte in Ziffer VI. 2. des Notarvertrages jedenfalls wirksam ausgeschlossen wurden.
Es ist den Beklagten als Verkäufern auch nicht gem. § 444 BGB verwehrt, sich auf diese Ausschlussvereinbarung zu berufen, da weder ein arglistiges Verschweigen vorliegt noch eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen wurde.
I.
Der Käufer ist für die Tatsachen, aus denen sich das arglistige Verschweigen ergibt, nämlich Kenntnis des Mangels zum Zeitpunkt der Vereinbarung und fehlende Offenbarung, beweisbelastet. Der Käufer muss auch die Tatsachen beweisen, welche die Garantie der Beschaffenheit ausmachen (Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., 2016, § 444 Rn. 4).
Das Verschweigen des Mangels muss arglistig geschehen und setzt voraus, dass der Verkäufer den Mangel kennt oder für möglich hält, ebenso, wenn sich dem Verkäufer das Vorliegen von Tatsachen hätte aufdrängen müssen, die einen Mangel begründen. Fahrlässige Unkenntnis genügt nicht (Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., 2016, § 444 Rn. 11).
Für die garantierte Beschaffenheit ist eine Garantie notwendig; diese liegt regelmäßig in der Zusicherung einer bestimmten Eigenschaft. Es kommt darauf an, dass sie der Verkäufer garantiert hat (Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., 2016, § 444 Rn. 12).
II.
All dies konnte vorliegend nicht festgestellt werden. 
1. Das Gericht konnte sich nicht vom Vorliegen einer arglistigen Täuschung überzeugen.
a) Zunächst liegt keine arglistige Täuschung durch die Beklagten selbst vor.
Die Beklagten haben vorgetragen, vom fehlenden Anschluss nichts gewusst zu haben. Die Kläger haben für die positive Kenntnis der Beklagten keinen Beweis angeboten.
Das Gericht hat in Anbetracht des Sachvortrages auch keine Veranlassung, hier davon auszugehen, dass die Beklagten den fehlenden Anschluss zumindest für möglich gehalten hätten oder dass sich dies den Beklagten hätte aufdrängen müssen. Die Beklagten sind allesamt etliche Jahre vor Begründung des Anschluss- und Benutzungszwangs und vor Fertigstellung der Mischwasserentwässerungsanlage für … aus dem Anwesen ausgezogen. Es gab unstreitig keinen Kontakt mehr zu … Die Beklagte zu 1) hat bestritten, gemeindliche Schreiben diesbezüglich erhalten zu haben; Beweis wurde nicht angeboten. Das Gericht hat damit keinen fassbaren Anknüpfungspunkt für ein Fürmöglichhalten der Beklagten.
Daran ändert auch nichts das Vorliegen eines Anschluss- und Benutzungszwangs. Zwar geht man unter dieser Prämisse tatsächlich davon aus, dass bei dieser Sachlage ein Anschluss an den öffentlichen Kanal besteht. Dies gilt aber gleichfalls für die nicht mehr in Anwesen wohnhaften Beklagten.
Fahrlässige Unkenntnis reicht gerade nicht aus. 
b) Auch liegt keine arglistige Täuschung durch den Zeugen … vor. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dieser Kenntnis vom fehlenden Anschluss gehabt hätte oder dies für möglich gehalten hätte oder sich dies dem Zeugen … hätte aufdrängen müssen. Ob eine Zurechnung erfolgen könnte, kann damit offenbleiben.
c) Schließlich liegt auch keine arglistige Täuschung durch Unterlassen eines Hinweises darauf vor, dass die Beklagten lange nicht mehr im Anwesen gewesen seien und ihnen nicht bekannt sei, ob nach 1995 der Anschluss an die öffentliche Entwässerungsanlage hergestellt wurde.
Das Verschweigen von Tatsachen stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich der verschwiegenen Tatsachen eine Aufklärungspflicht besteht. Entscheidend ist, ob der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung erwarten durfte. Grundsätzlich ist es Sache jeder Partei, ihre Interessen selbst wahrzunehmen. Es besteht daher keine allgemeine Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entschließung des anderen Teils von Bedeutung sein können (zum Ganzen: Palandt/Ellenberger, BGB, 75. Aufl., 2016, § 123 Rn. 5).
Bei der Tatsache, wann die Beklagten ausgezogen bzw. das letzte Mal im Anwesen gewesen sind, handelt es sich nicht um einen besonders wichtigen Umstand, der für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung war und damit ungefragt offenbart werden müsste. Wie die Kläger in der informatorischen Befragung mitteilten, hatten sie mit den Beklagten vor dem Notartermin gar keinen Kontakt. Folglich kann es für sie auch nicht so wichtig gewesen sein, wann die Beklagten das letzte Mal im Haus gewesen waren.
Es besteht auch keine Pflicht, ungefragt darauf hinzuweisen, was einem alles nicht bekannt ist. Die Aufklärungspflicht besteht bei Kenntnis besonders wichtiger Umstände, nicht aber dann, wenn die betreffenden Personen hierzu selbst nicht über überlegenes Wissen verfügen, wie es vorliegend der Fall war.
2. Weiterhin liegt keine Garantie für die Beschaffenheit der Sache vor, nämlich keine Garantie für das Vorhandensein eines Anschlusses des Grundstücks an den öffentlichen Kanal.
a) Im Exposé der Sparkasse, welches unstreitig auf den Angaben der Beklagten beruht, ist von einem derartigen Anschluss keine Rede. Allein auf Grund der Angabe im Expose’, dass 2 x Küche, 2 x Bad und 2 x separates WC vorhanden sind, wird nicht garantiert, dass ein Anschluss an den öffentlichen Kanal vorhanden ist. Eine Bewirtschaftung der Küche, Bäder und Wc’s ist auch anderweitig (wie hier durch … geschehen) möglich. Garantiert wird damit nur das Vorhandensein dieser Räume und deren Nutzungsmöglichkeit im angegebenen Sinne. Nach dem klägerischen Vortrag war nicht davon die Rede, dass eine Benutzung des Bades nicht möglich war; vielmehr sei es so gewesen, dass die Rohrleitungen nach einigen Metern offen endeten, so dass das abfließende Wasser in den Untergrund versickert sei. Auch war im Expose’ keine Rede davon, dass das Anwesen bewohnt wäre; vielmehr findet sich dort bei „aktueller Nutzung:“ die Angabe „frei“ und bei „Beschreibung:“ die Angabe “…sofort frei …”.
b) Auch die Angaben des Zeugen … begründen keine Beschaffenheitsgarantie. Es kann daher offenbleiben, ob diese Angaben des Zeugen … den Beklagten zuzurechnen wären.
Der Zeuge … gab an, dass es Thema gewesen sei, dass das Grundstück voll erschlossen sei. Dies habe er gegenüber den Käufern auch so kommuniziert. Damit meine er, dass Straße, Wasser und Kanal am Grundstück seien. Er habe dies nicht näher ausgeführt, nur gesagt, das Grundstück sei voll erschlossen. Die Kläger hätten diesbezüglich auch nicht näher nachgefragt. Die Erschließung und der Anschluss seien dann kein Thema mehr gewesen. Auf Frage, ob er gesagt habe, dass alles angeschlossen ist, gab er an, dass man davon ja ausgehe, aber dass er nicht denke, dass er das so gesagt habe. Es könne sein, dass in den Zusammenhang, wo er gesagt habe, dass alles voll erschlossen ist, das gefallen sei, dass keine weiteren Kosten wegen dem Kanal zu erwarten seien. Das bedeute ja auch eigentlich, dass es voll erschlossen sei, aber es könne auch sein, dass man den Kanal mal neu machen müsse.
Die Angabe „voll erschlossen“ meint nur, dass die Anschlüsse an der Straße bzw. am Grundstück liegen, nicht aber, dass das Grundstück selbst auch hieran angeschlossen ist. Diese Bedeutung ergibt sich nach der Auslegung nach dem objektivem Empfängerhorizont. Die Angabe voll erschlossen in diesem Sinne ist üblich und wird im Allgemeinen so verstanden und verwendet. Wie der Zeuge … mitteilte, hat er darüber hinausgehend den von ihm verwendeten Terminus „voll erschlossen“ nicht weitergehend erläutert; auch sei, wie der Zeuge angab, hier keine weitere Nachfrage seitens der Käufer erfolgt.
Auch bekundete er, dass er nicht denke, dass er gesagt habe, dass alles angeschlossen ist. Auch wenn er insofern eine gewisse Unsicherheit mit der Angabe, dass er dies nicht denke, kundgab, kann das Gericht dennoch nicht davon ausgehen, dass er dies entgegen seiner Aussage gesagt hätte. Hierfür liegen keine weiteren Anhaltspunkte vor.
Letztlich ist in diesem Kontext auch die Angabe, dass er möglicherweise gesagt habe, dass keine weiteren Kosten wegen dem Kanal zu erwarten seien, zu sehen. Zum einen teilte er dies nicht positiv bejahend mit, sondern zog dies nur als Möglichkeit in Erwägung. Zum anderen aber setzte er diese Aussage wiederum in den Zusammenhang mit seiner Angabe, dass alles voll erschlossen sei. Er erläuterte dies auch näher auf die Vollerschließung bezogen, indem er angab, dass dies ja auch die Bedeutung von voll erschlossen sei, es aber auch sein könne, dass man den Kanal mal neu machen müsse. Insofern bezieht sich die mögliche Angabe des Zeugen … hier -vom objektiven Empfängerhorizont ausgehend-jedenfalls auf die Kosten des Kanalanschlusses ans Grundstück liegend und nicht auf die Kosten des Anschlusses des Grundstücks selbst an den bestehenden Kanal.
c) Auch die Vereinbarungen in Ziffer V. des Notarvertrages stellen keine garantierte Beschaffenheit dar.
Dort geht es ausschließlich um die Kostentragung; aus der Verwendung dieser -üblichen- Formulierung kann nicht geschlussfolgert werden, dass das Grundstück an den Kanal angeschlossen ist und schon gar nicht, dass es sich hierbei um eine garantierte Beschaffenheit handeln soll.
Insofern wäre zudem auch gar nicht der Regelungsbereich der Ziffer V. betroffen, da es dort ausschließlich um Bescheide der Gemeinde geht. Dies betrifft die Kosten dafür, dass der Kanal am Grundstück liegt. Für den Anschluss des Grundstücks selbst an den Kanal ist der Eigentümer verantwortlich, nicht die Gemeinde. Hierfür werden seitens der Gemeinde keine Kosten oder Beiträge erhoben. Die Beiträge werden gem. Art. 5 Abs. 1 KAG für die Möglichkeit der Inanspruchnahme erhoben, also die Möglichkeit, das Grundstück an den Kanal anzuschließen (sprich für die Verlegung der Kanalleitungen bis an das Grundstück heran).
d) Der Sachvortrag der Klagepartei im Schriftsatz vom 07.07.2016 erfolgte nach Schluss der mündlichen Verhandlung und war deshalb nicht mehr zu berücksichtigen, § 296a ZPO. Ein Grund für die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht gegeben, § 156 ZPO.
Der Zeuge … teilte in der mündlichen Verhandlung nicht mit, dass der Maklerauftrag noch vom verstorbenen … erteilt worden war. Auch war bisher keine Rede davon, dass der verstorbene … das Exposé erstellen lies. Dieser Sachvortrag ist damit nunmehr neu.
Deswegen kommt es nicht mehr darauf an, ob etwaige Angaben des verstorbenen … den Beklagten zuzurechnen wären.
Ohnehin wäre nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage eine solche Zurechnung erfolgen sollte.
Entsprechend § 123 Abs. 2 BGB wäre … als Dritter zu betrachten, der am Geschäft (also am Kaufvertragsschluss) selbst nicht beteiligt ist und dessen Verhalten sich die Beklagten auch nicht zurechnen lassen müssen.
… ist nicht Verkäufer, damit nicht Beteiligter. Er ist auch kein Erfüllungsgehilfe der Beklagten gem. § 278 BGB, da der Todeseintritt hier eine zeitliche Zäsur schafft. Es ist nicht vorgetragen, dass der Verkauf auch bereits zugunsten der Beklagten beabsichtigt gewesen wäre, zumal kein Kontakt bestanden hat. wurde nicht im Rechts- und Pflichtenkreis der Beklagten tätig. Zum Zeitpunkt des Tätigwerden handelte es sich um sein (Allein-)Eigen-tum.
Weiterhin war er auch kein Verrichtungsgehilfe der Beklagten.
Entsprechend § 123 Abs. 2 BGB kommt es damit auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen der Täuschung durch die Beklagten an. Dies ist, wie ausgeführt, nicht der Fall. Insbesondere scheidet auch ein Kennenmüssen aus, da dieser Fakt (Anschluss an den Kanal) nicht im Expose’ erwähnt ist und auch keine anderweitigen Umstände dargetan sind, welche darauf hinweisen würden, dass die Beklagten die Täuschung erkennen müssten, noch dazu sie vorliegend durch Verschweigen erfolgte.
Schließlich handelt es sich bei § 1922 BGB nicht um eine Zurechnungsvorschrift für Verschulden, sondern die Rechtsnachfolge in das Vermögen des Erblassers.
B.
Die Kläger haben daher auch keinen Anspruch auf Zahlung von Zinsen oder außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
C.
Die Kosten des Verfahrens bestimmen sich nach § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit basiert auf § 709 S. 1, 2 ZPO.


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