Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Formelle Unwirksamkeit der im Prozess zu Protokoll erklärten Kündigung eines Wohnungsmietvertrages

Aktenzeichen  453 C 26721/15

Datum:
15.4.2016
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 546, § 568, § 985
BayBO BayBO Art. 46 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Mietverhältnisse über Wohnraum im Sinne des § 568 BGB sind solche Mietverhältnisse über Räume, die zu Wohnzwecken vermietet werden. Maßgeblich sind hierbei die zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen. Unerheblich ist, ob die Räumlichkeiten als Wohnung geeignet sind. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die mündlich erklärte Kündigung eines Wohnungsmietvertrages ist unwirksam. Dies gilt auch dann, wenn sie in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt wird, weil § 127a BGB nur für den gerichtlichen Vergleich gilt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig.
Es liegt insbesondere das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis vor. Denn der Vollstreckung der Räumung aus dem Versäumnisurteil vom 11.06.1997 steht Verwirkung entgegen.
Verwirkung liegt vor, wenn der Berechtigte ein Recht über längere Zeit nicht geltend macht, der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach den gesamten Umständen darauf einrichten durfte, dass das Recht auch in der Zukunft nicht mehr geltend gemacht wird (BGH NJW 2006, 219). Auch ein titulierter Räumungsanspruch unterliegt der Verwirkung, wenn der Vermieter hiervon längere Zeit keinen Gebraucht macht (Bub/Treier, 4. Auflage, 2014, VI Rn. 204 m.w.N.). Das erforderliche Umstandsmoment liegt vor, wenn der Mieter aufgrund konkreter Umstände darauf vertrauen darf, dass der Vermieter von dem Titel keinen Gebrauch machen wird. Beruht der Titel auf einer Kündigung wegen Zahlungsverzug, so kann hiervon etwa ausgegangen werden, wenn der Mieter regelmäßig Miete zahlt und der Vermieter die Zahlungen jahrelang entgegen genommen hat (vgl. Schmidt-Futterer-Blank, 12. Auflage, 2015, § 545, Rn. 35, OLG Hamm WuM 1981, 257).
Das erforderliche Zeitmoment hier liegt im Hinblick auf den fast 20 Jahre alten Titel unproblematisch vor. Der Beklagte durfte sich zudem auch nach den gesamten Umständen nach Auffassung des Gerichts bereits vor dem Jahr 2014 darauf einrichten, dass der Kläger von dem Titel keinen Gebrauch mehr machen würde. Der Kläger hat in den Jahren 2002 bis 2014 keinerlei Versuche unternommen, Besitz- oder sonstige Ansprüche hinsichtlich der Wohnräume geltend zu machen.
II.
Die Klage ist unbegründet, da kein Herausgabeanspruch des Klägers besteht, §§ 546, 985 BGB.
1. Es bestand unstreitig ein im Jahr 1996 zwischen den Parteien jedenfalls mündlich oder konkludent geschlossenes Mietverhältnis. Der Kläger trägt zwar vor, dass der Beklagte die Unterschrift unter dem schriftlichen Mietvertrag durch Urkundenfälschung erlangt hätte. Er geht jedoch trotzdem selbsti davon aus, dass dennoch zunächst ein wirksames Mietverhältnis bestand, so dass dieser Tatsachenvortrag unerheblich ist und nicht weiter aufgeklärt werden musste.
2. Das Mietverhältnis wurde bislang nicht wirksam beendet.
a. Konkreter Sachvortrag, der zur Beendigung des Mietverhältnisses im Jahr 1996/1997 geführt hätte und der dem Versäumnisurteil des Amtsgerichts München vom 11.06.1997 zugrunde lag, fehlt. Das rechtskräftige Versäumnisurteil beinhaltet nur einen rechtskräftigen Räumungstitel und keine rechtskräftigen Feststellung, dass das Mietverhältnis beendet ist. Aus den Schriftsätzen des Klägers ergibt sich zwar, dass es sich wohl um eine Kündigung wegen Zahlungsverzuges handelt, weiterer konkreter Vortrag liegt hierzu aber nicht vor. Überdies hat der Beklagte die Wirksamkeit der Kündigung im Hinblick auf eine geschlossene Zusatzvereinbarung bzw. wegen erheblicher Mängel bestritten.
b. Auf den Hinweis des Gerichts in der mündlichen Verhandlung vom 16.02.2016, dass bislang kein ausreichender Vortrag zur Beendigung des ursprünglich abgeschlossenen Mietverhältnisses vorläge, erklärte der Klägervertreter zwar höchst vorsorglich fristlose Kündigung im Hinblick auf die unstreitigen Rückstände aus dem Jahr 2014. Die Kündigung vom 16.02.2016 ist aber formell nach § 568 BGB unwirksam und konnte deshalb das Mietverhältnis nicht wirksam beenden.
aa. § 568 BGB ist anwendbar, da ein Mietverhältnis über Wohnraum gegeben ist.
Voraussetzung ist – entgegen der Auffassung der Klagepartei – nicht, dass eine Wohnung im Sinn des Art. 46 III BayBO vorliegt. Mietverhältnisse über Wohnraum sind vielmehr solche Mietverhältnisse über Räume, die zu Wohnzwecken vermietet werden. Maßgeblich sind hierbei die zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen. Wohnraummiete liegt vor, wenn die Räume dem Mieter vertragsgemäß zur Befriedigung seiner eigenen Wohnbedürfnisse und/oder der Wohnbedürfnisse seiner Familie dienen sollen. Unerheblich ist, ob die Räumlichkeiten als Wohnung geeignet sind. Ein zu Wohnzwecken vermieteter, hierzu nicht geeigneter Raum entspricht zwar nicht den vertraglichen Vereinbarungen, gleichwohl liegt aber ein Wohnraummietverhältnis vor (Schmidt-Futterer-Blank, a.a.O., vor § 535, Rn. 94 und 97).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze handelt es sich vorliegend um Wohnraum. Denn entscheidend ist, dass die Räume ursprünglich als Wohnraum genutzt werden sollten. Deshalb stehen weder die Tatsache, dass der Beklagte möglicherweise die Räume zwischendrin als Lager genutzt hat noch die etwaigen Mängel der Räume der Einordnung als Wohnraum entgegen.
bb. Eine mündlich erklärte Kündigung ist unwirksam. Dies gilt auch dann, wenn sie in der mündlichen Verhandlung wie hier zu Protokoll erklärt wird, weil § 127 a BGB nur für den gerichtlichen Vergleich gilt (Schmidt-Futterer-Blank, a.a.O., § 568, Rn. 17). Überdies dürfte der materiellen Wirksamkeit der Kündigung § 314 Abs. 3 BGB entgegenstehen.
3. Schließlich läge unter Berücksichtigung der Gesamtumstände ein neu begründetes Mietverhältnis vor, das auch nicht durch die in der mündlichen Verhandlung erklärte Kündigung wirksam beendet wurde, siehe oben unter bb. Denn eine Verwirkung, von der die Parteien überstimmend ausgehen und die auch nach Auffassung des Gerichts vorliegt, ist ohne neue vertragliche Bindung nicht möglich (Schmidt-Futterer-Blank, a.a.O. § 545, Rn. 35).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergbit sich aus §§ 709 Nr. 11, 711 ZPO.


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