Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Leistungsbescheid für Pfändungs- und Überweisungsbeschluss

Aktenzeichen  10 C 19.2343

Datum:
6.4.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9451
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1, ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
VwZVG Art. 19, Art. 23, Art. 26 Abs. 5, Abs. 7 S. 3, Art. 32, Art. 36 Abs. 4
BGB § 133, § 157

 

Leitsatz

1. In der Androhung der Ersatzvornahme mit Kostenvoranschlag liegt kein Leistungsbescheid nach Art. 23 Abs. 1 VwZVG. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Liegt bezüglich einer zu vollstreckenden Geldforderung kein Leistungsbescheid vor, fehlt es an der Vollstreckungsvoraussetzung für einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 K 18.356 2019-10-29 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

In Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 29. Oktober 2019 wird der Antragstellerin Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren B 1 K 18.356 bewilligt.

Gründe

I.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Klägerin den in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für ihre gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Beklagten vom 26. März 2018 bezüglich Kosten der Ersatzvornahme einer Felssicherungsmaßnahme auf dem Grundstück Fl.Nr. 959, Gemarkung G., in Höhe von 13.314,79 Euro (zuzüglich Mahngebühren in Höhe von 40,– Euro) gerichtete Klage weiter.
Mit dem nach Abweisung ihrer hiergegen gerichteten Klage bestandskräftig gewordenen Bescheid des Beklagten vom 10. März 2015 wurde die Klägerin verpflichtet, das absturzgefährdete Felsobjekt auf dem Grundstück Fl.Nr. 959, Gemarkung G., durch die im Gutachten des Landesamtes für Umwelt vom 20. Juni 2014 vorgeschlagene Sicherungsmaßnahme der Vernetzung bzw. Übernetzung der betroffenen Felsen bis spätestens zum Ablauf des 31. Mai 2015 durch eine geeignete Fachfirma durchführen zu lassen, für den Fall der nicht rechtzeitigen Erfüllung dieser Verpflichtung die Ersatzvornahme angedroht und hierfür ein vorläufiger Kostenbetrag in Höhe von 13.050,14 Euro veranschlagt.
Nach der durch eine beauftragte Fachfirma erfolgten Felssicherungsmaßnahme teilte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 10. Oktober 2017 unter dem Betreff „Abrechnung Kosten“ zur inzwischen durchgeführten Ersatzvornahme unter anderem Folgendes mit: „Mit Bescheid vom 10.03.2015 wurde der veranschlagte Kostenvorschuss in Höhe von 13.050,14 Euro eingefordert. Nun werden Ihnen die tatsächlich entstandenen Kosten für die oben genannte Felssicherungsmaßnahme berechnet. … (Es folgt eine Aufstellung der Kosten der beauftragten Fachfirma sowie des Gutachters mit einem Gesamtbetrag von 13.314,79 Euro). Wir bitten Sie, den übersteigenden Rechnungsbetrag in Höhe von 264,65 Euro bis zum 31.10.2017 auf ein u.g. Konto der Gemeindekasse zu überweisen.“
Mit Schreiben („Mahnung nach Art. 23 VwZVG“) vom 7. November 2017 wurde die Klägerin zur Zahlung eines Gesamtbetrags in Höhe von 279,65 (Kosten Abrechnung Felssicherungsmaßnahme mit Schreiben vom 10.10.2017 in Höhe von 264,65 Euro und Mahngebühr in Höhe von 15,– Euro) innerhalb einer Woche aufgefordert.
Nach zwischenzeitlicher Niederschlagung der Forderung (Gemeinderatsbeschluss vom 22.2.2018) erstellte der Beklagte am 26. März 2018 ein Ausstandsverzeichnis nach Art. 24 VwZVG mit einem zu vollstreckenden Betrag (einschließlich Mahngebühren in Höhe von 40,– Euro) in Höhe von 13.354,79 Euro und erließ gegenüber der Klägerin einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in gleicher Höhe.
Den für die gegen diesen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss am 9. April 2018 erhobene Klage gestellten Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin hat das Verwaltungsgericht mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Klage abgelehnt. Über die vorgetragenen Einwendungen bezüglich des zu vollstreckenden Verwaltungsakts habe das Verwaltungsgericht bereits im Verfahren B 1 K 15.198 (den Ausgangsbescheid des Beklagten vom 10.3.2015 betreffend) rechtskräftig entschieden und die Einwände als nicht stichhaltig zurückgewiesen. Die gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gemäß Art. 26 Abs. 7 Satz 3 VwZVG zulässige Klage sei unbegründet. Der Beklagte könne gemäß Art. 26 Abs. 5 VwZVG Geldforderungen selbst pfänden und einziehen. Die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19 und Art. 23 VwZVG seien erfüllt. Die Klägerin habe ihre Zahlungsverpflichtung aus dem Leistungsbescheid vom 10. Oktober 2017 nicht rechtzeitig erfüllt; die fällige Forderung sei auch angemahnt worden. Im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss sei die betreffende Forderung genau bezeichnet und beziffert worden. Es sei auch davon auszugehen, dass die weiteren Voraussetzungen der gemäß Art. 26 Abs. 7 VwZVG anzuwendenden Vorschriften des 8. Buchs der ZPO, insbesondere §§ 828 ff. ZPO, eingehalten worden seien.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) für das Klageverfahren B 1 K 18.356 sind erfüllt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung zum für die Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe maßgeblichen Zeitpunkt hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Für die Beurteilung hinreichender Erfolgsaussichten bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt es auf die Auffassung des verständigen, unbemittelten Rechtsuchenden im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags und damit auf eine ex-ante-Betrachtung an (stRspr, vgl. zuletzt BVerfG, B.v. 22.8.2018 – 2 BvR 2647/17 – NVwZ-RR 2018, 873 Rn. 18). Das Gericht hat die Erfolgsaussicht nicht nur anhand der Begründung des Prozesskostenhilfeantrags, sondern vielmehr umfassend auf der Grundlage des dargestellten Streitverhältnisses selbst zu prüfen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 31 m.w.N.).
Zwar hat das Verwaltungsgericht bezüglich der die sicherheitsbehördliche Felssicherungsmaßnahme und die gemäß Art. 32, Art. 36 VwZVG erfolgte Androhung der Ersatzvornahme betreffenden Einwendungen der Klägerin zu Recht auf die Bestandskraft des Ausgangsbescheid des Beklagten vom 10. März 2015 und seine diesbezüglichen Ausführungen im rechtskräftig gewordenen Urteil vom 10. Juni 2016 (im Verfahren B 1 K 15.198) verwiesen (UA Bl. 6 – 9) und damit zutreffend klargestellt, dass eine nochmalige Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieses Ausgangsverwaltungsaktes im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich nicht stattfindet.
Bezüglich der gemäß Art. 26 Abs. 7 Satz 3 VwZVG gegen Vollstreckungsmaßnahmen des Beklagten (hier: Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nach Art. 26 Abs. 5 VwZVG) zulässigen Klage ist es jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass die allgemeinen (Art. 19 VwZVG) und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen (Art. 23 ff. VwZVG) vorliegen und sich der angefochtene Pfändungs- und Überweisungsbeschluss daher voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird. Die dieser Einschätzung zugrunde liegende Annahme, es liege bezüglich der zu vollstreckenden Geldforderung des Beklagten ein nach Art. 19 VwZVG vollstreckungsfähiger „Leistungsbescheid vom 10. Oktober 2017“ und damit ein Verwaltungsakt vor, mit dem die entsprechende öffentlich-rechtliche Geldleistung gefordert wird (Leistungsbescheid i.S.d. Art. 23 Abs. 1 VwZVG), hält einer eingehenderen rechtlichen Prüfung nicht stand. Dies ergibt sich aus folgenden Gründen:
Der Beklagte ist offensichtlich – von Anfang an – rechtsirrig davon ausgegangen, dass die in seinem bestandskräftigen (Ausgangs-)Bescheid vom 10. März 2015 mit Kostenvoranschlag erfolgte Androhung der Ersatzvornahme selbst bereits ein Leistungsbescheid nach Art. 23 Abs. 1 VwZVG ist (vgl. dazu Harrer, Kugele, Kugele, Thum, Tegethoff, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Bd. 1, Stand März 2020, 20.32 VwZVG Art. 32 Erl. 7 c); Linhart, Schreiben, Bescheide und Vorschriften in der Verwaltung, Stand Oktober 2019, § 18 Rn. 193; Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand November 2019, VwZVG Art. 32 Nr. 3. a) und 4. a), wobei Letztere in der Androhung der Ersatzvornahme mit der – vorliegend nicht erfolgten – Fälligkeitserklärung des veranschlagten Kostenbetrags nach Art. 36 Abs. 4 Satz 2 VwZVG zugleich einen Leistungsbescheid nach Art. 23 Abs. 1 VwZVG sehen). Demgemäß hat der Beklagte den im Ausgangsbescheid „veranschlagten Kostenvorschuss“ auch mit Schreiben vom 18. April 2017 unter Fristsetzung eingefordert, mit Formularschreiben vom 28. Juni 2017 eine entsprechende Mahnung nach Art. 23 VwZVG versandt und schließlich mit Formularschreiben vom 26. Juli 2017 hinsichtlich dieses „Kostenvorschusses“ die Zwangsvollstreckung angekündigt. Auch im Schreiben vom 10. Oktober 2017 zur Abrechnung der Kosten nach der inzwischen durchgeführten Ersatzvornahme verweist der Beklagte darauf, dass mit Bescheid vom 10. März 2015 der „veranschlagte Kostenvorschuss in Höhe von 13.050,14 Euro eingefordert“ wurde. Dementsprechend ist nach Aufstellung der für die Ersatzvornahme der Felssicherungsmaßnahme tatsächlich entstandenen Kosten auch nicht etwa der Gesamtbetrag in Höhe von 13.314,79 Euro, sondern nur der (den vermeintlichen „Kostenvorschuss“) übersteigende Rechnungsbetrag in Höhe von 264,65 Euro in Rechnung gestellt worden und nachfolgend mit Formularschreiben vom 7. November 2017 auch nur in dieser Höhe (zuzüglich einer Mahngebühr in Höhe von 15,– Euro) eine Mahnung nach Art. 23 VwZVG erfolgt.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände stellt das Schreiben des Beklagten vom 10. Oktober 2017 aber weder nach seiner äußeren Form noch nach dem gemäß §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermittelnden Erklärungsgehalt einen Leistungsbescheid im Sinne von Art. 23 Abs. 1 VwZVG, d. h. eine verbindliche hoheitliche Zahlungsverpflichtung, über den Gesamtbetrag in Höhe von 13.314,79 Euro dar. Liegt bezüglich der zu vollstreckenden Geldforderung des Beklagten somit schon kein wirksamer Leistungsbescheid im Sinne von Art. 23 Abs. 1 VwZVG vor, fehlt es bereits an der grundlegenden Voraussetzung für die nach Art. 24 und Art. 26 Abs. 5 VwZVG mit einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss betriebene Vollstreckung.
Ob etwa in dem Schreiben des Beklagten vom 18. April 2017, mit dem der im Ausgangsbescheid vom 10. März 2015 „veranschlagte Kostenvorschuss in Höhe von 13.050,14 Euro“ unter Fristsetzung eingefordert wird und das in dem in der Anlage zum Pfändungs- und Überweisungsbeschluss beigefügten Ausstandsverzeichnis als Grundlage dieser Forderung aufgeführt ist, ein entsprechender Leistungsbescheid im Sinne von Art. 23 Abs. 1 VwZVG gesehen werden kann, ist vom Verwaltungsgericht bisher nicht erörtert worden und bedürfte noch näherer Prüfung im Hauptsacheverfahren.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil nach § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) Gerichtskosten nur bei der Zurückweisung oder Verwerfung der Beschwerde anfallen und eine Kostenerstattung ausgeschlossen ist (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Da Gerichtskosten nicht erhoben werden können, ist auch eine Streitwertfestsetzung entbehrlich.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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