Aktenzeichen M 22 K 16.3540
Leitsatz
1 Im Rahmen eines Verfahrens auf Bewilligung von Wohngeld ist es Sache des Wohngeldantragstellers, das maßgebliche Gesamteinkommen darzulegen und im Zweifel auch nachzuweisen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Angaben zu Einkommens- und Vermögensverhältnissen sind nicht allein deshalb unplausibel, weil der nachgewiesene Verbrauch den sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) unterschreiten würde. Die Bestimmung einer pauschalen Einkommensuntergrenze verbietet sich (ebenso BVerwG BeckRS 2013, 51249). (Rn. 18 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom … März 2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheids der Regierung von Unterfranken vom … Juni 2016 wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Wohngeld in Höhe von 233,- Euro pro Monat für den Zeitraum vom … Januar 2016 bis … Dezember 2016 zu bewilligen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage hat Erfolg.
Der ablehnende Wohngeldbescheid vom … März 2016, in der Gestalt des Widerspruchbescheids der … … … vom … Juni 2016, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist das erkennende Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin ihre Einkommensverhältnisse im Bewilligungsverfahren vollständig dargestellt und die Beklagte den Wohngeldanspruch deshalb zu Unrecht mangels Plausibilität nach den allgemeinen Grundsätzen der materiellen Beweislast abgelehnt hat.
Eine Bewilligung von Wohngeld setzt voraus, dass vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu den Einkommensverhältnissen gemacht werden, denn das Wohngeld wird gem. § 4 Wohngeldgesetz (WoGG) in Abhängigkeit von der Höhe des Einkommens gewährt. Im Rahmen des Bewilligungsverfahrens ist in diesem Zusammenhang unter anderem zu prüfen, ob die angegebenen Einnahmen im Verhältnis zu den nach Aktenlage erkennbaren Aufwendungen zur Bestreitung des Lebensunterhalts plausibel sind. Dementsprechend ist es Sache eines Wohngeldantragstellers, das maßgebliche Gesamteinkommen darzulegen und im Zweifel auch nachzuweisen. Ergeben sich auf Grund von Plausibilitätsüberlegungen (Diskrepanz zwischen angegebenen Einnahmen unter Hinzurechnung eines fiktiv berechneten Wohngeldes und objektivem Bedarf zum Lebensunterhalt) Zweifel an den Angaben eines Wohngeldantragsstellers, so ist der Antrag nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast vollständig abzulehnen, wenn diese Zweifel trotz der jeweils gebotenen Ermittlungsbemühungen der Behörde und der Mitwirkung des Wohngeldantragsstellers verbleiben und keine genügenden Anhaltspunkte für ein bestimmtes Einkommen bestehen.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Insbesondere sind die Angaben der Klägerin nicht schon deshalb unplausibel, weil der tatsächliche Vermögensverbrauch der Klägerin im Jahr 2015 hinter den von ihr selbst zur Plausibilisierung ihres Antrags für das Jahr 2016 angegebenen Entnahmen vom Spar- und Girokonto zurückbleiben würde. Diese (unzutreffende) Annahme der Beklagten fußt im Wesentlichen darauf, dass die Beklagte nicht alle Giro-Kontoauszüge für das Kalenderjahr 2015 von der Klägerin angefordert und in ihre Berechnungen mit einbezogen hat. Berücksichtigt man auch die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren nicht angeforderten, von der Klägerin jedoch in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Kontoauszüge für die Monate April und Mai 2015 sowie August bis Oktober 2015 zeigt sich, dass die Klägerin von ihrem Girokonto über das Jahr 2015 hinweg insgesamt 1.750,- Euro und nicht, wie von der Beklagten anhand der ihr vorliegenden Belege errechnet, lediglich 900,- Euro zur Deckung ihrer Lebenshaltungskosten entnommen hat. Berücksichtigt man ferner ihre Entnahmen vom Sparbuch, die sich im Mittel auf 75,- Euro pro Monat belaufen (Entnahme von 400,- Euro am *.1.2015, von 300,- Euro am …09.2015 und von 200,- Euro am *.12.2015), standen der Klägerin 2015 tatsächlich durchschnittlich 220,83 Euro pro Monat für ihre persönliche Lebensführung (Ernährung, Bekleidung, Gesundheitspflege, Haushaltsgegenstände, Freizeit, u.s.w.) zur Verfügung und damit in etwa der von der Klägerin im Formblatt Nr. 6 angegebene Betrag von durchschnittlich 240,- Euro pro Monat.
Die Angaben der Klägerin zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen erscheinen dabei auch nicht deshalb unplausibel, weil dieser von ihr nachgewiesene Verbrauch seit 2013 den sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) unterschreiten würde. Zwar ist der Beklagten darin zuzustimmen, dass der für 2015 durch Kontobewegungen nachgewiesene Verbrauch der Klägerin in Höhe von monatlich insgesamt 793,03 Euro (495,40 Euro Miete, 33,5 Euro Strom, 19,- Euro Telefon, 17,5 Euro GEZ, 6,80 Euro Kontoführung, 75,- Euro Sparbuchentnahme, 145,83 Euro Abhebung vom Girokonto) tatsächlich hinter dem für den klägerischen Haushalt nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen berechneten Gesamtbedarf für 2015 in Höhe von 932,90 Euro (420,- Euro Regelbedarf nach SGB XII, 455,40 Euro Miete, 40,- Euro Heizung, 17,50 Euro Rundfunkgebühren) zurückbleibt und selbst der sich bei – wegen sparsamer Lebensführung – nur zu 80 Prozent angesetztem Sozialhilfebedarf ergebende Gesamtbedarf in Höhe von 848,90 Euro noch unterschritten wird.
Doch ergibt sich für den streitbefangenen Bewilligungszeitraum 2016 bei Gegenüberstellung des sozialhilferechtlichen Bedarfs mit dem Einkommen unter Hinzurechnung eines – im Vergleich zu 2015 erhöhten – fiktiven Wohngeldes in Höhe von 233,- Euro monatlich (vgl. insoweit die zutreffende Berechnung auf den Seiten 7 und 8 des Widerspruchsbescheids der … … … vom …06.2016) angesichts eines für 2016 zu erwartenden monatlichen Einkommens der Klägerin in Höhe von 606,62 Euro (518,50 Euro Altersrente, zzgl. 59,90 Zusatzrente, zzgl. 28,22 Euro Kapitaleinkünften), also eines monatlichen Einkommens inklusive Wohngeld in Höhe von 839,62 Euro, zum einen eine im Vergleich zu 2015 spürbar geringere monatliche Deckungslücke in Höhe von 98,30 Euro (937,90 Euro – 839,62 Euro) bzw. 13,30 Euro (852,90 Euro – 839,62 Euro). Zum anderen ist es für das Gericht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung glaubhaft, dass die Klägerin durch eine auf das zum Lebensunterhalt unerlässliche beschränkte Lebensführung tatsächlich mit weniger als dem (reduzierten) Regelbedarfssatz auskommt. So hat die … Jahre alte Klägerin in der mündlichen Verhandlung für das Gericht durchaus nachvollziehbar und auch glaubhaft ausgeführt, dass ihre Ausgaben für Bekleidung und Schuhe sowie Einrichtungs- und Haushaltsgegenstände – wie von ihr schon im Verwaltungsverfahren vorgetragen – deutlich unter den dafür im Regelsatz veranschlagten 60,- Euro liegen, da sie insoweit weitgehend aus dem Bestand und insgesamt sehr sparsam lebe. Dies zeigen auch die nachgewiesenen Ausgaben für ihren Telefonanschluss, die mit 19,- Euro um 18,53 Euro unter dem dafür im Regelsatz für eine alleinstehende Person vorgesehenen Regelbedarfsanteil liegen, wie auch ihre Ausgaben für den öffentlichen Nahverkehr, den die nach dem äußeren Eindruck sehr rüstige Klägerin nach ihren Angaben kaum nutzt. Sie erledige ihre Besorgungen zu Fuß, weshalb ihr monatlich nur Unkosten in der Größenordnung von ca. 4,- Euro anfallen würden – mithin 22,78 Euro weniger als im Hartz IV-Regelsatz für den öffentlichen Nahverkehr vorgesehen. Anhaltspunkte, die diese Ausführungen in Frage stellen könnten, sind nicht ersichtlich. Dies gilt auch für die Angabe der Klägerin, für Arztbesuche und Medikamente bislang keine nennenswerten Aufwendungen zu haben. Selbst ihre vegane und teils biologische Ernährung schlage laut Klägerin mit 150,- Euro mit nicht nennenswert mehr als dem dafür veranschlagten Regelbedarfsanteil von 145,- Euro zu Buche, da sie auf Angebote in Bio-Discountern zurückgreife. Auch dies erscheint dem Gericht mit Blick auf den altersbedingt reduzierten Energiebedarf der zierlichen Klägerin und diverse Internetforen, die eine vegane Ernährung zu Hartz VI-Sätzen bei Rückgriff auf gesunde Basics für durchaus möglich erachten, hinreichend glaubhaft.
Soweit Nr. 15.01 Abs. 1 Satz 2 WoGVwV demgegenüber vorsieht, dass Angaben von wohngeldberechtigten Personen (nur) glaubhaft sein können, wenn die hiernach zur Verfügung stehenden Einnahmen zzgl. eines zu leistenden Wohngeldes 80 Prozent des Hartz IV-Bedarfs nach dem SGB XII erreichen, findet diese Regelung im Wohngeldgesetz, wie das VG … in seinem Urteil vom … August 2016 – 1 K 2645/14 – zutreffend ausführt, keine Stütze und kann der Klägerin angesichts ihrer glaubhaften Angaben auch nicht entgegengehalten werden:
„Der Wohngeldanspruch besteht in Abhängigkeit zum monatlichen Gesamteinkommen (vgl. § 13 Abs. 2 WoGG). Ab einem bestimmten Einkommensbetrag wird in Abhängigkeit zur berücksichtigenden Miete oder monatlichen Belastung und zur Zahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder kein Wohngeld mehr gewährt. Das Wohngeldgesetz sieht indes kein “Mindesteinkommen„für die Gewährung von Wohngeld vor. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend, dass ein Überleben in Deutschland ausgeschlossen ist, wenn ein Einkommen unterhalb von 80% des Regelsatzes nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch unterschritten wird. Hierzu müsste ein entsprechend jedermann zugänglicher Satz, der nach der allgemeinen Erfahrung unzweifelhaft gilt und durch keine Ausnahme durchbrochen wird, vorliegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.03.1983, BVerwGE 67, 83, 84 m.w.N.). Einen solchen ausnahmslosen Erfahrungssatz gibt es indes nicht“ (VG …, a.a.O., Rdn. 20).
Dementsprechend verbietet sich die Bestimmung einer pauschalen Einkommensuntergrenze (vgl. hierzu auch BVerwG, Urt. v. 18.04.2013 – 5 C-21/12 –, juris Rdn. 14), jenseits derer Einkommensangaben ohne weiteres als unglaubhaft anzusehen wären, wenn gleich der Beklagten darin zuzustimmen ist, dass die Tatsache, dass die bekannten Einnahmen eines Wohngeldantragstellers nach einer entsprechenden Bereinigung nicht einmal 80 Prozent des sozialhilferechtlichen Regelbedarfssatzes decken, regelmäßig zumindest die Vermutung begründet, dass tatsächlich höheres, den Mindestbedarf deckendes Einkommen verschwiegen wird (vgl. auch VG …, U.v. 22.1.2015 – W 3 E 14.1264 – und VG …, U.v. 17.9.2014 – B 4 K 13.826 – beide in juris). Dann ist es – wie es die Klägerin vorliegend zur Überzeugung des Gerichts hinreichend getan hat – Sache des Wohngeldantragstellers, nachvollziehbar und schlüssig darzulegen, wie er mit dem an sich zu geringen Einkommen auskommt.
Da die Klägerin auch nicht über erhebliches, die Inanspruchnahme von Wohngeld ausschließendes Vermögen im Sinne des § 21 Nr. 3 WoGG verfügt, hat sie folglich Anspruch auf Wohngeld, dessen Höhe die Regierung von … im Widerspruchsbescheid vom … Juni 2016 mit 233,- Euro monatlich zutreffend berechnet hat. Auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid wird insoweit verwiesen.
Dem Klageantrag auf Zahlung von Wohngeld war folglich für den Bewilligungszeitraum … Januar 2016 bis … Dezember 2016 mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO vollumfänglich stattzugeben.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.