Aktenzeichen 14 T 20267/16
Leitsatz
1 Die Erinnerung ist zulässig und begründet, da eine qualifizierte Klausel nach § 726 Abs. 1 ZPO notwendig für die Vollstreckung eines Vergleichs mit Zug um Zug-Vereinbarung ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 § 726 Abs. 2 ZPO findet keine Anwendung auf Vergleiche, so dass zum Nachweis der Erfüllung der Räumungsverpflichtung Klage auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel nach § 731 ZPO hätte erhoben werden müssen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Zwangsvollstreckung aus der den Beklagten erteilten Vollstreckungsklausel aus dem gerichtlichen Vergleich des Amtsgerichts vom (…), Az. (…), wird für unzulässig erklärt.
2. Die Zwangsvollstreckung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts vom (…), Az. (…), wird ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt.
3. Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
4. Der Beschwerdewert wird auf 6.000,00 € festgesetzt.
5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung nach § 724 ZPO.
Die Beklagten hatten bei der Klägerin zwei Wohnungen in Anwesen H.-Straße München, 4. OG mittig und rechts gemietet. Mit Schreiben vom 30.07.2015 kündigte die Klägerin den Beklagten wegen Eigenbedarfs und erhob letztlich mit Schriftsatz vom 04.04.2016 Klage auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnungen. Im Laufe des streitigen Verfahrens teilten die Parteien dem Gericht mit, dass sich die Parteien mittels Vergleichsschluss am 23.06.2016 geeinigt haben. Am 27.06.2016 erließ das Amtsgericht München einen Beschluss, in dem der Vergleichsabschluss gerichtlich festgestellt wurde. Im Vergleich verpflichteten sich die Beklagten in Ziffer 1, die streitgegenständlichen Wohnungen bis spätestens 15.07.2016 zu räumen und an die Klägerin herauszugeben. In Ziffer 3 sind die genauen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Räumung aufgezählt. Ziffer 4 des Vergleichs lautet wörtlich:
„Die Klägerin verpflichtet sich Zug um Zug gegen rechtzeitige Räumung und Herausgabe der Wohnung zur Bezahlung einer Umzugsbeihilfe in Höhe von EUR 6.000,00 an die Beklagten zu bezahlen.“
Mit Schriftsatz vom 18.07.2016 teilten die Beklagten mit, dass die Wohnung zum 15.07.2016 geräumt und mit allen Schlüsseln an die Klägerin herausgegeben worden sei. Zugleich beantragte er eine vollstreckbare Ausfertigung mit Vollstreckungsklausel zu Ziffer 4 des Vergleichs.
Mit Schriftsatz vom 18.08.2016 trug die Klägerin vor, dass die Wohnung nicht am 15.07.2015 in der nach Ziffer 3 vereinbarten Form geräumt an die Klägerin herausgegeben worden sei. Zudem sei ein Schlüssel erst am Tage dieses Schriftsatzes zurückgegeben worden. Die Umzugsbeihilfe sei daher nicht fällig geworden, entsprechende Anträge der Beklagtenseite auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung sollten dementsprechend zurückgewiesen werden. Insoweit vertritt der Klägervertreter die Rechtsansicht, dass im vorliegenden Fall allenfalls eine qualifizierte Klausel nach § 726 Abs. 1 ZPO erteilt werden dürfe, dies hier aber wegen mangelnder Erfüllung der vergleichsgemäß geschuldeten Räumung nicht in Betracht komme. Für das Vollstreckungsgericht greife § 765 ZPO.
Mit Schriftsatz vom 15.09.2016 teilte die Klägerin mit, dass der Beklagtenseite eine vollstreckbare Ausfertigung des Beschlusses vom 27.06.2016 erteilt worden sei, und dies in einfacher Form. Insoweit verwies die Klägerin nochmals auf seine Rechtsansicht, dass nur eine qualifizierte Klausel hätte erteilt werden dürfen, hierfür aber mangels ordnungsgemäßer Räumung die Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Umzugsbeihilfe sei für die Beklagten also nicht entstanden. Da die Beklagten mittels dieser Klausel die Zwangsvollstreckung beim Amtsgericht Wolfratshausen betreiben würden und diesen auch zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erteilt worden sei, erhob der Klägervertreter Erinnerung gegen die Erteilung der Klausel nach § 732 ZPO und beantragte die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung.
Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 22.09.2016 wurde der Erinnerung nicht abgeholfen, da die einfache Klausel nach § 724 ZPO zu Recht erteilt worden sei. Somit sei weder ein Beweis der Befriedigung der Klägerin noch ihre Anhörung erforderlich gewesen. Mit weiterem Beschluss vom 07.10.2016 wurde die Erinnerung vom 27.06.2016 zurückgewiesen. Auch der hiergegen erhobenen sofortige Beschwerde der Klägerin vom 25.10.2016 wurde mit Beschluss vom 01.12.2016 nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landgericht München I zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde der Klägerin hat Erfolg. Die Erinnerung nach § 732 Abs. 2 ZPO ist zulässig und begründet.
1. Die Erinnerung nach § 732 Abs. 2 ZPO ist zulässig.
a) Die Erinnerung nach § 732 Abs. 2 ZPO ist statthaft. Nach § 732 ZPO kann der Vollstreckungsschuldner die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung beanstanden, wenn die Zwangsvollstreckung eine titelergänzende Klausel nach § 726 ZPO und deren Zustellung nach § 750 Abs. 2 ZPO erfordern würde, aber nur eine (nicht zugestellte) einfache Klausel nach § 724 ZPO vorhanden ist (Zöller/Stöber, 31. Aufl. 2016, § 732 Rn. 3). Ebenso kann über § 732 ZPO gerügt werden, dass die besonderen Voraussetzungen für die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung nach § 726 Abs. 1 ZPO nicht gegeben seien (Zöller/Stöber, 31. Aufl. 2016, § 732 Rn. 12). Da die Klägerin hier die Ansicht vertritt, es hätte keine einfache, sondern allenfalls eine (zuzustellende) qualifizierte Vollstreckungsklausel erteilt werden dürfen und darüber hinaus auch die für eine solche Erteilung erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, erhebt die Klägerin als Vollstreckungsschuldnerin gegen die erteilte Klausel Einwendungen, welche deren Zulässigkeit betreffen, § 732 Abs. 1 ZPO.
Macht die Schuldnerseite, wie hier, geltend, der Urkundsbeamte habe die Klausel nach §§ 724, 725 ZPO zu Unrecht ohne die gem. § 726 I ZPO erforderlichen Nachweise erteilt, so betrifft dieser Einwand die Beurteilung der materiellen Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungsklausel im Einzelfall, wofür (allein) das Verfahren nach § 732 ZPO vorgesehen ist (BGH, NJW-RR 2012, 1146, 1148). Da zudem die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragt wurde, ist die Erinnerung nach § 732 Abs. 2 ZPO statthaft.
b) Das Rechtsschutzbedürfnis für das Verfahren nach § 732 ZPO ist gegeben. Die Klausel ist hier bereits erteilt, aber die Zwangsvollstreckung noch nicht beendet. Zudem sind eine in Rechtskraft erwachsene stattgebende Entscheidung nach § 731 ZPO oder eine rechtskräftig abweisende Entscheidung nach § 768 ZPO nicht ersichtlich. (vgl. Putzo/Seiler, 37. Aufl. 2016, § 732 Rn. 5 f.).
2. Die Erinnerung ist auch begründet, da der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hier zu Unrecht eine einfache Klausel nach §§ 724, 725 ZPO erteilt hat und darin eine fehlerhafte Ausübung der ihm nach dem Gesetz übertragenen Aufgaben liegt (vgl. Putzo/Seiler, 37. Aufl. 2016, § 732 Rn. 8a). Im vorliegenden Fall hätte eine qualifizierte Klausel nach § 726 Abs. 1 ZPO erteilt werden müssen.
a) § 726 Abs. 1 ZPO stellt eine Ausnahme vom vollstreckungsrechtlichen Grundsatz dar, dass eine materiell-rechtliche Prüfung im Klauselerteilungsverfahren nicht stattfindet: Hängt die Vollstreckung nach dem Inhalt des Titels von einem materiell-rechtlichen Tatsache ab, darf die Vollstreckungsklausel nur dann erteilt werden, wenn dieser Nachweis nach Maßgabe des § 726 ZPO geführt wird, weshalb insoweit von einer „titelergänzenden Klauselfunktion“ gesprochen wird (hierzu Putzo/Seiler, 37. Aufl. 2016, § 726 Rn. 1; BGH, NJW 2011, 2803). § 726 Abs. 1 ZPO greift grundsätzlich bei allen Titeln, deren Vollstreckung von dem durch den Gläubiger zu beweisenden Eintritt einer Tatsache abhängt und ist deshalb auch auf Vergleiche anwendbar (vgl. Putzo/Seiler, 37. Aufl. 2016, § 726 Rn. 1 i. V. m. § 724 Rn. 4, Vor § 704 Rn. 15 m. w. N.). Laut des geschlossenen Vergleichs hängt die Fälligkeit der Umzugsbeihilfe hier von der vorherigen, in ihrem Umfang im Vergleich genauer bestimmten Räumung der streitgegenständlichen Wohnung ab, womit ein Fall des § 726 Abs. 1 ZPO vorliegt.
b) Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts und der Beklagtenseite ist das Eingreifen des § 726 Abs. 1 ZPO hier auch nicht über die Ausnahmevorschrift des § 726 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, obwohl die Zahlung der Umzugsbeihilfe laut Vergleichstext Zug um Zug gegen die vorherige Räumung geschuldet ist.
aa) Zwar bestimmt § 726 Abs. 2 ZPO, dass für den Fall, dass die Vollstreckung von einer Zug um Zug zu bewirkenden Leistung des Gläubigers (hier der Beklagten) gegen den Schuldner (hier der Klägerin) abhängt, der Beweis, dass der Schuldner befriedigt wurde oder sich im Verzug der Annahme befindet, nur dann erforderlich ist, wenn die dem Schuldner obliegende Leistung in der Abgabe einer Willenserklärung besteht. § 726 Abs. 2 ZPO trifft also für den Fall, dass die Vollstreckung von einer Zug um Zug zu bewirkenden Leistung des Gläubigers an den Schuldner abhängig ist, in Abweichung von § 726 Abs. 1 ZPO eine Sonderregelung dahin, dass eine qualifizierte Klausel grundsätzlich entbehrlich und vom Urkundsbeamten sofort eine einfache Klausel ohne Nachweis der Gegenleistung zu erteilen ist (vgl. Wolfsteiner, in: MüKo ZPO, 5. Aufl. 2016, § 726 Rn. 19; BeckOK ZPO/Ulrici, 22. Edition 2016, § 726 Rn. 7 jew. m. w. N.). Dies liegt daran, dass in diesen Fällen § 756 ZPO greift und die Prüfung demnach dem Vollstreckungsorgan obliegt (Wolfsteiner, in: MüKo ZPO, 5. Aufl. 2016, § 726 Rn. 19 m. w. N.).
bb) Allerdings findet § 726 Abs. 2 ZPO nach h.M. gerade keine Anwendung auf Vergleiche (Putzo/Seiler, 37. Aufl. 2016, § 726 Rn. 4; Wolfsteiner, in: MüKo ZPO, 5. Aufl. 2016, § 726 Rn. 20; Musielak/Voit/Lackmann, 13. Aufl. 2016, ZPO § 726 Rn. 7 jew. m. w. N.; BeckOK ZPO/Ulrici, 22. Edition 2016, § 726 Rn. 9.2). Dies ist dem Umstand geschuldet, dass – wie auch im vorliegenden Fall – gerichtliche Vergleiche anders als Urteile auf Leistung nach Empfang einer Gegenleistung grundsätzlich keine Feststellung enthalten, dass sich der Schuldner bereits im Annahmeverzug befinde, womit die §§ 322 Abs. 2; 274 Abs. 2 BGB; §§ 756; 765 ZPO keine Anwendung finden (Wolfsteiner, in: MüKo ZPO, 5. Aufl. 2016, § 726 Rn. 20). Aus diesem Grund bedarf es zur Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung in derartigen Fällen des Nachweises der Erbringung der Gegenleistung oder des Annahmeverzugs durch den Vollstreckungsgläubiger (Wolfsteiner, in: MüKo ZPO, 5. Aufl. 2016, § 726 Rn. 20). Die Erteilung einer bloß einfachen Klausel nach §§ 724; 725 ZPO ist somit in einer solchen Konstellation unzulässig.
c) Angewendet auf den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes: Wird ein Vergleich unter einer Bedingung – wie hier der Erfüllung einer Räumungsverpflichtung – abgeschlossen, hat der Vollstreckungsgläubiger, sprich der Mieter, der eine Vollstreckungsklausel hinsichtlich der in Aussicht gestellten Umzugsbeihilfe erhalten möchte, den Eintritt der Bedingung im Klauselerteilungsverfahren mit den nach § 726 Abs. 1 ZPO zugelassenen Beweismitteln zu erbringen. (Fleindl, ZMR 2016, 8, 13). Da ein Nachweis der Erfüllung der Räumungsverpflichtung über öffentliche Urkunden in aller Regel nicht möglich sein wird, hätte die Beklagtenseite Klage auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel nach § 731 ZPO erheben müssen (Fleindl, ZMR 2016, 8, 13). Da dies vorliegend nicht der Fall war und von Seiten der Beklagten auch anderweitig der Nachweis über die ordnungsgemäße Erfüllung der Räumungsverpflichtung nicht geführt oder der Annahmeverzug der Klägerin nachgewiesen wurde, durfte den Beklagten keine – vor allem keine einfache – Vollstreckungsklausel erteilt werden.
Die Erinnerung der Klägerin gegen die Erteilung der einfachen Vollstreckungsklausel gemäß § 732 ZPO ist damit entgegen der Ansicht des Amtsgerichts begründet.
3. Die Anordnung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung folgt gemäß dem entsprechenden Klägerantrag aus § 732 Abs. 2 ZPO.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 788 ZPO.
IV.
Die Festsetzung des Beschwerdewerts bemisst sich nach dem Interesse der Beschwerdeführerin an der Durchsetzung ihres Beschwerdeziels. Da hier die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung in Höhe von 6.000 € begehrt wird, war der Beschwerdewert hieran zu orientieren.
V.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, da Zulassungsgründe nach § 574 Abs. 2 ZPO nicht ersichtlich sind.