Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Stimmrecht nach Wegfall des geplanten Wohnungseigentums; Nutzungsuntersagung durch Mehrheitsbeschluss

Aktenzeichen  30 C 4520/14 WEG

Datum:
12.5.2016
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
WEG WEG § 22 Abs. 4, § 25, § 28 Abs. 3, Abs. 5

 

Leitsatz

1 Eine Jahresabrechnung muss eine Gesamtabrechnung sowie die Darstellung der Konten und deren Entwicklung enthalten. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Umstand, dass ursprünglich geplante Wohnungen nicht mehr gebaut werden, führt nicht zum Erlöschen der Stimmberechtigung der betroffenen Wohnungseigentümer. Allenfalls ergibt sich daraus ein Grund für eine Abänderung der Teilungserklärung; solange diese nicht vollzogen ist, bleibt es beim Stimmrecht. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Verpflichtung zur Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflicht befugt die Wohnungseigentümer im Falle eines baufälligen Gebäudes auch zur dauerhaften Nutzungsuntersagung durch Mehrheitsbeschluss. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der in der Eigentümerversammlung vom 30.09.2014 unter Tagesordnungspunkt 3.1. gefasste Beschluss wird für ungültig erklärt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2.Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerinnen als Gesamtschuldner 80 % und die Beklagte 20 % zu tragen.
3.Das Urteil ist für beide Seiten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss Der Streitwert wird auf 51.000,00 € festgesetzt.  
(TOP 3.1.: 10.000 €, TOP 3.2.: 6.500 €, TOP 4.3,: 2.500 €, TOP 6: 1.000 €, TOP 12: 20.000 €, TOP 13: 500 €, TOP 15: 500 €, TOP 11 v. 15.10.2013: 10.000 €)

Gründe

Die zulässige Klage ist nur hinsichtlich des Tagesordnungspunktes 3.1. (Jahresabrechnung 2013) begründet.
Die Jahresabrechnung 2013 ist für ungültig zu erklären, weil keine Gesamtabrechnung vorliegt sondern nur Einzelabrechnungen. Dass die Gesamtkosten daraus ersichtlich sind, ist nicht ausreichend. Auch fehlt es an der Darstellung der Konten und deren Entwicklung. Es ist nicht ausreichend, dass diese Daten irgendwo vorliegen. Sie hätten vielmehr zwingend in die Abrechnung aufgenommen werden müssen. Nur dann wären sie nämlich Gegenstand der Beschlussfassung geworden. Das Erfordernis einer Gesamtabrechnung beruht darauf, dass die Abrechnung vor allem auch der Kontrolle der Verwaltung dient. Ohne Gesamtabrechnung fehlt es an einer Abrechnung im eigentlichen Sinne. Einzelabrechnungen alleine sind dafür nicht ausreichend. Deshalb war auch dem Beweisangebot der Beklagtenseite, nämlich Einvernahme der Zeugin … zum Vorliegen dieser Daten, nicht nachzukommen. Die Abrechnung leidet daher unter 2 erheblichen Mängeln mit der Folge, dass der Beschluss für ungültig zu erklären ist.
Hinsichtlich der übrigen angefochtenen Beschlüsse ist die Klage abzuweisen.
Diese Beschlüsse sind nicht deshalb aufzuheben, weil ein Nichtberechtigter zur Eigentümerversammlung eingeladen hat. Die Verwaltung wurde in der Versammlung vom 29.07.2014 bestellt und war deshalb bei Einladung zur streitgegenständlichen Versammlung die Berechtigte. Die Anfechtung des Beschlusses vom 29.07.2014 ist unerheblich.
Der von den Klägern sogenannte Vorratseigentümer ist stimmberechtigt. Die Tatsache, dass die ursprünglich geplanten Wohnungen nicht mehr gebaut werden, führt nicht automatisch dazu, dass die Stimmberechtigung erlischt. Allenfalls ergibt sich daraus ein Grund für eine Abänderung der Teilungserklärung. Solange diese aber nicht vollzogen ist, bleibt es beim Stimmrecht.
Beim Wirtschaftsplan dagegen handelt es sich nur um die Grundlage für die Feststellung der voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben des betreffenden Jahres. Es ist daher ausreichend, dass diese ersichtlich sind, was hier gerade noch der Fall ist.
Die Ablehnung der Begutachtung des Parkhauses ist kein Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung, Die Eigentümer sind berechtigt, sich auf das Gutachten des Dipl.-Ing. … zu verlassen, wonach ein Neubau in etwa genausoviel kostet wie die Sanierung, woraus geschlossen werden kann, dass das Parkhaus zu mindestens der Hälfte seines Werts zerstört ist. Es ist durchaus möglich, dazu weitere Gutachten zu erholen. Die Eigentümer haben jedoch einen Ermessensspielraum, sich auf das bereits vorhandene Gutachten zu verlassen, zumal die Erholung von Gutachten mit erheblichen Kosten verbunden ist. Das Protokoll weist hier einen Betrag von 20.000 € aus. Es widerspricht daher nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn hier nicht erneut Geld für ein Gutachten ausgegeben ist, bei Vorliegen eines Gutachtens eines Fachmannes. Auch wurde unter TOP 4.1. bestandskräftig beschlossen, dass das Parkhaus nicht saniert wird. Das Gutachten würde daher ins Leere gehen. Der Beschluss unter 4.1. ist nicht nichtig, da im Hinblick auf § 22 Abs. 4 WEG ein Anspruch auf Sanierung nicht besteht.
Der Beschluss über die Beauftragung von Rechtsanwalt … verstößt ebenfalls nicht gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung. Er ist auszulegen, wobei auch auf die Kenntnis der Eigentümer über die Gesamtsituation der WEG abzustellen ist. Das Parkhaus der WEG ist, wie allgemein, nicht nur unter den Eigentümern, bekannt, seit Jahren in vielerlei Hinsicht Gegenstand von Streitigkeiten, Presseberichterstattungen und Planungen der Stadt Augsburg. Die einzelnen Eigentümer haben teilweise unterschiedliche, ja gegenläufige Interessen. Der Vortrag der Klägerseite, es sei nicht klar, wofür ein Rechtsanwalt gebraucht werde, ist daher nicht nachvollziehbar. Die getroffene Honorarvereinbarung ist nicht zu beanstanden. Dass Rechtsanwalt … bereits einzelne Eigentümer vertreten hat, ist für die Vertretung der WEG außerhalb gerichtlicher Streitigkeiten unerheblich.
Die Anfechtung des Beschlusses unter TOP 13 ist klägerseits nicht begründet worden. Ohne konkrete Rüge innerhalb der Kiagebegründungsfrist des § 46 WEG ist die Klage abzuweisen. Eine Überprüfung von Amts wegen kommt nicht in Betracht.
Der unter TOP 11 in der Eigentümerversammlung vom 15.10.2013 gefasste Beschluss über die Ablehnung der Nutzung des Parkhauses ist nicht nichtig. Die Eigentümerversammlung hatten Beschlusskompetenz. Es handelt sich hier um einen Beschluss zum Zweck der Verkehrssicherungpflicht. Die Eigentümer haben hierfür eine geborene Wahrnehmungsbefugnis (vgl. Bärmann, Wohnungseigentumsgesetz, 13. Auflage, § 10, Rdnr. 259). Die Verpflichtung zur Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflicht befugt die Eigentümer im Falle eines baufälligen Gebäudes auch zur dauerhaften Nutzungsuntersagung. Dies ergibt sich bereits aus § 22 Abs. 4 WEG. Wenn nämlich bei Vorliegen von dessen Voraussetzungen und verbunden mit Baufälligkeit die Eigentümer nicht berechtigt wären, die Nutzung dauerhaft zu untersagen liefe die Regelung des § 22 Abs. 4 WEG, wonach eine Instandsetzung dann nicht mehr verlangt werden kann, ins Leere. Zur Vermeidung der Tatsache, dass der Nutzungsausschluss, der aus Gründen der Verkehrssicherheit beschlossen werden muss, dauerhaft ist, müsste dann nämlich immer saniert werden. Der klägerseits genannte Kernbereich des Eigentums, nämlich dessen Nutzbarkeit, ist dann faktisch nicht mehr vorhanden, wenn eine Nutzung mit Gefahren für Leib und Leben verbunden ist. Nach dem vorliegenden Gutachten des Sachverständigen B. ist das Parkhaus zu mehr als der Hälfte zerstört, da die Instandsetzung genau soviel kosten würde wie der Neubau. Nach diesem Gutachten ist das Gebäude auch nicht mehr als sicher anzusehen. Somit ist der Kernbereich des Eigentums untergegangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 a, 92, 269 Abs. 3 ZPO.
Soweit übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, waren die Kosten der Klägerseite aufzuerlegen, da sie voraussichtlich insoweit unterlegen wäre. Bei dem für erledigt erklärten Beschluss TOP 12 handelte es sich um einen Zweitbeschluss zur Bestellung der Verwaltung. Das erledigende Ereignis besteht darin, dass der Erstbeschluss bestandskräftig geworden ist durch Rechtskraft des die Anfechtung abweisenden Urteils. Daraus ist bereits ersichtlich, dass die Klägerseite unterlegen wäre.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.


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