Aktenzeichen 32 W 288/18 WEG
RVG § 32 Abs. 2 S.1
WEG § 48 Abs. 2 S. 2
HausratsVO § 44, § 45, § 46, § 47, § 48, § 49, § 50
Leitsatz
1. Streitwertbestimmung der Klage einer Wohnungseigentümergemeinschaft gegen einen Teileigentümer und gegen dessen Pächter auf Unterlassung der Nutzung einer als Restaurant genutzten Einheit.
2. Der Streitwert richtet sich nach der Wertminderung der übrigen Sondereigentumseinheiten, die durch das Verhalten der Beklagten herbeigeführt wird, dessen Unterlassen begehrt wird. (Rn. 16 – 18)
3. Der Mietwert der betroffenen Einheit spielt keine Rolle bei der Bemessung des Streitwertes.” (Rn. 15)
Verfahrensgang
1 S 1407/17 WEG 2018-01-15 Bes LGMUENCHENI LG München I
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 15.01.2018, Az. 1 S 1407/17 WEG, abgeändert:
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren und für den Vergleich auf € 150.000,00 festgesetzt.
2. Die Streitwertfestsetzung des Amtsgerichts, Az. 484 C 8649/16 WEG, wird von Amts wegen dahin abgeändert, dass der Streitwert auf € 150.000,00 festgesetzt wird.
Gründe
I.
Mit der Klage vom 22.04.2016 begehrt die Wohnungseigentümergemeinschaft die Verurteilung zur Unterlassung der Nutzung einer als Restaurant genutzten Einheit montags bis samstags nach 20.00 Uhr und sonn- und feiertags vollständig. Die Klage richtet sich gegen den Eigentümer der Einheit, gegen den Mit – Nießbrauchsberechtigten und gegen die Pächterin der Einheit und Betreiberin des Restaurants. In dem Innenhof der angrenzenden Wohnungseigentümergemeinschaft wird noch in weiteren Einheiten Gastronomie betrieben.
In der Klage hat die Klägerin ihr Interesse mit € 30.000,00 und das Interesse der Gegenseite mit € 500.000,00 bewertet.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 22.12.2016, mit dem die Beklagten vollumfänglich verurteilt worden waren, legten die Beklagten Berufung ein. In dem Urteil hat das Amtsgericht den Streitwert auf € 10.000,00 festgesetzt. Zur Begründung hat es auf den Beschluss vom 17.06.206 verwiesen, mit dem der Streitwert vorläufig festgesetzt worden war. Danach sei bei einer Unterlassungsklage das einfache Interesse der Klagepartei maßgebend.
Gegen die Festsetzung des Streitwertes legte die Bevollmächtigte der Beklagten zu 1 und 2 in deren Namen mit Schriftsatz vom 16.01.2017 Beschwerde ein.
Das Landgericht stellte mit Beschluss vom 14.12.2017 das Zustandekommen eines bedingten Vergleiches fest. Nach Genehmigung des Vergleiches in der Eigentümerversammlung der Wohnungseigentümergemeinschaft hat das Landgericht mit dem Beschluss vom 15.01.2018 über die Kosten des Rechtsstreits entschieden und zugleich den Streitwert für das Berufungsverfahren und – von Amts wegen – für die erste Instanz auf € 50.000,00 festgesetzt.
Auf Seite 10 des ausführlich begründeten Beschlusses führt das Landgericht aus, das Interesse der Klägerin bestimme sich nach einer etwaigen mit der zweckbestimmungswidrigen Nutzung der gegenständlichen Einheit verbundenen Wertminderung der übrigen Sondereigentumseinheiten. Im Hinblick auf die gastronomische Nutzung des Innenhofs der benachbarten Wohnungseigentümergemeinschaft werde das Interesse auf € 10.000,00 geschätzt. Das Interesse der Beklagten richte sich nach den zu erwartenden Verlusten bzw. Schadensersatzansprüchen und sei mit den Angaben der Beklagten auf € 430.000,00 zu bemessen. Nach § 49a Abs. 1 Satz 2 GKG sei der Streitwert auf das Fünffache des Wertes des Interesses der Klägerin begrenzt und sei daher auf € 50.000,00 zu bemessen.
Mit Schriftsatz vom 08.02.2016 hat die Bevollmächtigte der Beklagten zu 1 und 2 unter Bezugnahme auf die Beschwerde vom 16.01.2017 Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwertes durch das Amtsgericht im Beschluss vom 17.06.2016 und durch das Landgericht im Beschluss vom 15.01.2018 eingelegt. Sie beantragt, den Streitwert auf € 150.000,00, hilfsweise auf € 203.812,00 festzusetzen.
Das Landgericht hat der Beschwerde in dem Beschluss vom 20.02.2018 nicht abgeholfen.
II.
1. Die Beschwerde ist nach interessengerechter Auslegung durch den Senat zulässig.
Nach § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG kann der Rechtsanwalt aus eigenem Recht gegen die Festsetzung des für die Gerichtsgebühren maßgebenden Werts Rechtsmittel einlegen. Statthaftes Rechtsmittel ist die Beschwerde, § 32 Abs. 2 RVG iVm § 68 Abs. 1, 66 Abs. 2 bis 6 GKG (Mayer/Kroiß/Kießling, RVG, 6. Aufl., § 32 Rn. 100 ff). Der Senat legt die Beschwerde vom 08.02.2018 dahin aus, dass sie im Namen der Bevollmächtigten der Beklagten zu 1 und 2 erhoben wurde. Zwar nimmt die Bevollmächtigte Bezug auf ihre Streitwertbeschwerde vom 16.01.2017, die sie ausdrücklich im Namen der Beklagten zu 1 und 2 erhoben hat. Im Hinblick darauf, dass eine Beschwerde der Beklagten zu 1 und 2, denen in dem angegriffenen Beschluss die Kosten auferlegt wurden, gegen die Festsetzung des Streitwertes mit dem Ziel, diesen erheblich heraufzusetzen, mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig wäre (BGH WuM 2012, 114), und im Hinblick auf den Wortlaut der Beschwerde vom 08.02.2018 („ich beantrage“) kann davon ausgegangen werden, dass die Beschwerde von der Bevollmächtigten im eigenen Namen erhoben werden sollte.
2. Die Beschwerde ist in ihrem Hauptantrag auch begründet. Der Streitwert ist für das Berufungsverfahren gemäß der §§ 47, 48, 49a GKG auf € 150.000,00 festzusetzen.
Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers, § 47 Satz 1 GKG. Da die Beklagten durch das Amtsgericht antragsgemäß verurteilt wurden und sich mit der Berufung insgesamt gegen die Verurteilung gewendet haben, entspricht der Streitwert für das Berufungsverfahren dem Streitwert des erstinstanzlichen Verfahrens. Nach § 49a Abs. 1 GKG ist der Streitwert auf 50 Prozent des Interesses der Parteien und aller Beigeladenen an der Entscheidung festzusetzen. Er darf das Interesse des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen an der Entscheidung nicht unterschreiten und das Fünffache des Wertes ihres Interesses nicht überschreiten, § 49a Abs. 1 Satz 2 GKG. Weitere – hier nicht relevante – Begrenzungen ergeben sich aus § 49a Abs. 1 Satz 3 GKG und aus § 49a Abs. 2 GKG.
Das Landgericht hat das Interesse der Beklagten zutreffend mit € 430.000,00 bewertet. Abweichend vom Landgericht ist jedoch das Interesse der Klägerin entsprechend ihren Angaben mit € 30.000,00 zu bewerten. 50 Prozent des Interesses der Parteien beträgt € 230.000,00.
Gemäß § 49a Abs. 1 Satz 2 GKG ist der Streitwert jedoch auf das Fünffache des Interesses der Klägerin, mithin auf € 150.000,00 beschränkt.
a) Anders als die Beschwerdeführerin meint, ist dabei jedoch nicht auf den Mietwert der betroffenen Einheiten oder einer möglichen Minderung im Verfahrenszeitraum abzustellen. Allerdings ist die Berücksichtigung des Mietwertes für die Bemessung des Geschäftswertes dem wohnungseigentumsrechtlichen Verfahren nicht fremd. So sollte nach § 48 Abs. 2 Satz 2 WEG in der Regel als Geschäftswert der vierteljährliche Mietwert der Gebäude – und Grundstücksteile angenommen werden, sofern nicht ausnahmeweise das Interesse der Beteiligten erheblich höher oder niedriger zu bewerten war. In der Begründung des Gesetzesentwurfs wurde für die Vorschriften §§ 44 – 50 nur auf die HausratsVO verwiesen, der die Verfahrensvorschriften nachgebildet worden seien (BR-Drs. 75/51 S. 66). Nach § 21 Abs. 2 HausrVO (RGBl I 1944, 256) bestimmte sich der von Amts wegen festzusetzende Geschäftswert, soweit der Streit die Wohnung betrifft, nach dem einjährigen Mietwert und nach dem Interesse der Beteiligten, wenn der Streit nur die Benutzung des Hausrats betrifft. Die inhaltliche Vorgabe für die Bemessung des Geschäftswerts in § 48 Abs. 2 Satz 2 WEG entfiel aufgrund des Gesetzes vom 30.07.1973 (BGBl I 310). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der jährliche Mietwert als Regelwert nicht sachgerecht sei und zu einem unzumutbaren Kostenrisiko führen könne (BT-Drs. 7/714). Bei der Reform des WEG, die zur Einfügung des § 49a in das GKG führte, wurde der Mietwert der Wohnungen im Rahmen der Erörterungen der Regelung der Bemessung des Streitwertes auch nicht mehr berücksichtigt (vgl. BT-Drs. 16/887 S. 41, 53 und 76).
b) Wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, richtet sich das Interesse der Klägerin nach der Wertminderung der übrigen Sondereigentumseinheiten.
aa) Dabei ist nicht auf das Interesse der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft selbst abzustellen. Durch einen sog. Vorschaltbeschluss haben die Eigentümer die Ausübungsbefugnis bezüglich ihrer ihnen selbst zustehenden Unterlassungsansprüche auf die Gemeinschaft übertragen (vgl. BGH NJW 2015, 1020). Grundlage dieser Ansprüche bleibt aber die Beeinträchtigung des Eigentums der einzelnen Eigentümer.
bb) Der Wert einer Beseitigungsklage wird allgemein durch das Interesse des Klägers an der Beseitigung bestimmt. Bei der Störung von Grundeigentum bemisst sich das Interesse grundsätzlich nach dem Wertverlust, den die Sache durch die Störung erleidet (BGH, Beschluss vom 08. März 2012 – V ZB 247/11; BGH, Beschluss vom 17. Mai 2006 – VIII ZB 31/05 -, Rn. 8).
cc) Das damit maßgebende Interesse kann frei geschätzt werden (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 02. September 1993 – 2Z BR 63/93 -, Rn. 28, juris; vgl. auch zum Interesse des auf Unterlassung in Anspruch Genommenen BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017 – V ZR 100/16 -, Rn. 7, juris). Dabei ist zwischen dem Ermessen bezüglich des Verfahrens der Wertfestsetzung und bezüglich der Festsetzung selbst zu unterscheiden (MüKo-ZPO/Wöstmann, 5. Aufl., § 3 Rn. 3).
Das dem Gericht bezüglich des Verfahrens eingeräumte Ermessen ist außerordentlich weit (MüKo-ZPO/Wöstmann, 5. Aufl., § 3 Rn. 15). Der Senat hält eine Abschätzung durch einen Sachverständigen gemäß § 64 GKG nicht für erforderlich. Eine Abschätzung durch Sachverständige ist nur dann geboten, wenn dem Gericht jeder Anhalt zur Ermittlung des ungefähren Wertes fehlt oder wenn die Angaben der Parteien offensichtlich zu niedrig sind und sie keine weiteren Angaben gemacht haben (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 16. Februar 1998 – 10 WF 129/97 -, Rn. 6, juris). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Abweichend vom Landgericht sind der Schätzung im vorliegenden Fall jedoch die Angaben der Parteien zugrunde zu legen. Die Klägerin hat das Interesse der in ihr verbundenen Wohnungseigentümer an einer Unterlassung der zweckbestimmungswidrigen Nutzung durch die Beklagten in der Klage vom 22.02.2016 mit € 30.000,00 beziffert. Dieser Wert wurde von Seiten der Beklagten und der Beschwerdeführerin weder erstinstanzlich noch im Beschwerdeverfahren in Zweifel gezogen.
Allerdings ist das Gericht an übereinstimmende Angaben der Parteien zur Höhe des Streitwerts nicht gebunden. Solchen Angaben kommt jedoch, wenn sie nicht offensichtlich unzutreffend sind, erhebliches Gewicht zu, insbesondere wenn sie im erstinstanzlichen Verfahren und damit zu einem Zeitpunkt, in dem die spätere Kostentragungspflicht noch offen ist, abgegeben werden. Von Angaben, die zu diesem Zeitpunkt gemacht werden, ist größere Objektivität zu erwarten, als von einer späteren Einschätzung, die erfolgt, wenn die Kostentragungspflicht bereits feststeht. Die übereinstimmenden Angaben bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens sind deshalb ein – widerlegbares – Indiz für die Richtigkeit des festgesetzten Streitwerts (BGH, Beschluss vom 08. Oktober 2012 – X ZR 110/11 -, Rn. 4, juris).
Nach Auffassung des Senates folgt auch aus dem vom Landgericht herangezogenen Umstand, dass sich in der benachbarten Wohnungseigentümergemeinschaft, die mit der Klägerin über einen gemeinsamen Innenhof verbunden ist, ebenfalls Gastronomiebetriebe befinden, kein Anhaltspunkt dafür, dass die übereinstimmenden Angaben der Parteien zu der Höhe des Wertverlustes der Eigentumseinheiten der übrigen Eigentümer übersetzt seien. Insoweit zu Recht verweist die Beschwerdeführerin darauf, dass es sich um ca. 80 Sondereigentumseinheiten handelt. Der angesetzte Wertverlust von € 30.000,00 beliefe sich damit nur auf € 375,00 pro Einheit. Zwar ist die Beeinträchtigung durch den abendlichen und nächtlichen Betrieb einer Gaststätte in den einzelnen Wohnungen unterschiedlich. Im Rahmen der Schätzung des Streitwertes bedarf es aber keiner genaueren Unterscheidung. Denn die geringere Belastung der weiter entfernten Wohnungen wird durch die größere Belastung der unmittelbar angrenzenden Wohnungen ausgeglichen.
3. Zugleich war von Amts wegen die Festsetzung des Streitwertes durch das Amtsgericht in den Beschlüssen vom 22.12.2016 und vom 17.06.2016, Az. 484 C 8649/16 WEG, zu ändern, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
4. Das Verfahren ist gebührenfrei; eine Kostenerstattung findet nicht statt, § 68 Abs. 3 GKG.