Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Verpflichtung zur Befriedigung von Mietschulden im Wege der einstweiligen Anordnung

Aktenzeichen  S 5 AS 541/20 ER

Datum:
5.1.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 610
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 22 Abs. 8
BGB § 563

 

Leitsatz

1. Drohende Wohnungslosigkeit bedeutet den drohenden Verlust der bewohnten, kostenangemessenen Wohnung bei fehlender Möglichkeit, ebenfalls angemessenen Ersatzwohnraum zu erhalten. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II erfüllt, verbleibt dem Antragsgegner bei Ausübung seines Ermessens kein Spielraum. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 563 Abs. 2 S. 1 BGB gewährt eng mit dem verstorbenen Mieter verbundenen Personen, die mit dem Mieter einen gemeinsamen Haushalt geführt haben, ohne selbst Mietvertragspartei zu sein, besonderen Schutz, der den bisherigen Lebensmittelpunkt der Hausgenossen des Mieters sichert.  (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Verpflichtung des Antragsgegners zur darlehensweisen Übernahme von Mietschulden vorbehaltlich des Ausgangs des zivilrechtlichen Verfahrens die Wohnungskündigung betreffend beansprucht den Antragsgegner nur in dem Maße, wie das zur Verhinderung von Obdachlosigkeit auch tatsächlich erforderlich wird. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, sich gegenüber dem A… zur Befriedigung der Mietschulden des Antragstellers zu verpflichten, deren Begleichung das Amtsgericht Passau im Verfahren 18 C 1074/20 bei Weiterbestehen des Mietverhältnisses für das Unwirksamwerden der vom Vermieter am 06.11.2020 ausgesprochenen Kündigung für erforderlich ausspricht.
2. Im Falle eines vom Amtsgericht Passau festgestellten weiteren Bestehens des Mietverhältnisses durch Nachholung der ausstehenden Mietzahlungen wird der Antragsgegner vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller die vom Amtsgericht bezifferten Mietschulden darlehensweise zu gewähren.
3. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 3/4 zu erstatten.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im vorliegenden Antragsverfahren die vorläufige Übernahme der Mietschulden beim A… zur Sicherung seines Wohnraumes.
Der Antragsteller steht seit 2016 im laufenden Leistungsbezug beim Antragsgegner. Er bewohnte seit dem Jahr 2014 bis zum Tod seiner Mutter am 16.06.2020 mit dieser gemeinsam eine 46 qm große 2-Zimmer-Wohnung in einer Seniorenwohnanlage in der … Straße in … zu einer Kaltmiete in Höhe von 239,20 € zuzüglich 73,60 € Nebenkosten- und 73,60 € Heizkostenvorauszahlung. Ausweislich des Mietvertrages vom 08.10.2014 war die Mutter des Antragstellers Mieterin der Wohnung. Der Antragsteller lebte mietfrei im Haushalt seiner Mutter. Es handelt sich um preisgebundenen Wohnraum des sozialen Wohnungsbaus, für welchen ein gültiger Wohnberechtigungsschein erforderlich ist.
Nach dem Tod der Mutter des Antragstellers kündigte der Vermieter gegenüber dem Kläger das Mietverhältnis und drohte an, die Schlösser auszuwechseln. Mit Beschluss vom 29.06.2020 untersagte das Amtsgericht Passau dem A…, den Besitz des Antragstellers an der Wohnung zu beeinträchtigen, insbesondere Schlösser auszutauschen oder ihn am Betreten der Wohnung zu behindern.
Am 29.06.2020 bat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers den Bezirksverband um Bestätigung, dass der Antragsteller gemäß § 563 Abs. 2 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 4 Abs. 7 Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) in den Mietvertrag vom 08.10.2014 eingetreten sei. Anderenfalls würde der Bestand des Mietverhältnisses gerichtlich festgestellt werden müssen.
Mit Schriftsatz vom 03.07.2020 sprach der Bevollmächtigte des A… gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers die außerordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Termin aus. Eine Fortsetzung des Mietverhältnisses sei bereits nicht möglich, weil kein Wohnberechtigungsschein vorliege. Außerdem bestünde mit der Fortsetzung kein Einverständnis, nachdem bereits in der Vergangenheit Abmahnungen erfolgt seien, weil sich der Antragsteller ohne Erlaubnis in den Räumlichkeiten der Mutter aufgehalten habe. Einer stillschweigenden Fortsetzung des Mietverhältnisses werde widersprochen.
Mit Schreiben vom 15.07.2020 erklärte der A… dass keine Zugehörigkeit des Antragstellers zum Haushalt seiner Mutter im Sinne des § 563 BGB vorgelegen habe, das bloße Zusammenleben keine gemeinsame Haushaltsführung impliziere. Wiederholt wurde die außerordentliche Kündigung ausgesprochen.
Am 14.07.2020 wurde dem Antragsteller ein Wohnberechtigungsschein ausgestellt und dem Vermieter in der Folge übermittelt.
Im Verfahren vor dem Amtsgericht Passau, Az: 18 C 1074/20, auf Erteilung einer Mietbescheinigung, erklärte der A… als Beklagter und Widerkläger am 06.11.2020 die außerordentliche, sowie hilfsweise die ordentliche, Kündigung zum nächstmöglichen Termin. Der Antragsteller sei seiner Zahlungspflicht nicht nachgekommen, es bestehe ein aushaftender Saldo Stand 12.10.2020 in Höhe von 4.781,67 €. Beigefügt wurde eine Debitorenliste, wonach in der Zeit vom 01.01.2016 bis 01.01.2018 Mietschulden der Mutter des Antragstellers in Höhe von insgesamt 3.622,47 € und nach deren Tod in Höhe von 1.159,20 € für die drei Monatsmieten August bis Oktober 2020 angefallen seien.
Mit Änderungsbescheid des Antragsgegners vom 12.11.2020 wurden dem Antragsteller für die Zeit vom 01.08.2020 bis 28.02.2021 Leistungen in Höhe von 818,40 € monatlich unter Berücksichtigung der Regelleistung und der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft gewährt. Die Nachzahlungen für Kosten der Unterkunft wurden für die Zeit ab August 2020, wie auch die laufenden monatlichen Kosten, direkt an den Vermieter überwiesen.
Am 11.11.2020 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die Übernahme der Mietschulden beim Antragsgegner. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 23.11.2020 abgelehnt. Der Antragsteller sei nicht Mietvertragspartner, es handele sich nicht um seine Verbindlichkeiten, sondern um offene Forderungen gegenüber der Mutter.
Außerdem könne die Wohnung durch Übernahme der Schulden nicht dauerhaft gesichert werden, weil der … das Mietverhältnis nicht fortsetzen wolle und der Ansicht sei, dass sich der Antragsteller unrechtmäßig in der Wohnung aufhalte.
Dagegen legte der Prozessbevollmächtigte am 01.12.2020 Widerspruch ein. Der Antragsteller sei nach dem Tod der Mutter selbst gemäß § 563 Abs. 2 S. 1 BGB Mietvertragspartei geworden, womit die Verbindlichkeiten der Mutter zu seinen Verbindlichkeiten geworden seien. Die Versuche des Vermieters, das Mietverhältnis zu beenden, seien rechtswidrig.
Am 16.12.2020 stellte der Prozessbevollmächtigte den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Landshut und beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, zur Sicherung des Wohnraumes nach § 22 Abs. 8 S. 1, 2 SGB II Mietschulden des Antragstellers bei der A… in Höhe von 3.622,47 € zu übernehmen,
hilfsweise, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sich gegenüber der Vermieterin des Antragstellers, der A…, zur Befriedigung hinsichtlich derjenigen Mietschulden zu verpflichten, die das Zivilgericht gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB (Nachholungsrecht des Mieters) als für das Unwirksamwerden der von der Vermieterin unter dem 06.11.2020 ausgesprochenen Schriftsatzkündigung erforderlich ansieht.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Mit Schreiben vom 14.12.2020 teilte das Amtsgericht Passau/Abteilung für Nachlasssachen mit, dass die Ermittlung von Erben der verstorbenen Mutter des Antragstellers von Amts wegen unterblieben sei, weil ein die Beerdigungskosten übersteigender Nachlass nicht vorhanden sei.
Nach Auskunft der Antragstellerseite hat die Verstorbene sechs weitere Kinder.
Mit Bescheid vom 17.12.2020 wurde der Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 23.11.2020 zurückgewiesen. Es handele sich bei den geltend gemachten 3.622,47 € schon nicht um Mietschulden, sondern um Nachlassverbindlichkeiten. Vertrete man die Ansicht, es handele sich um Mietschulden, so sei auch dann eine Übernahme nicht gerechtfertigt, weil es sich um Schulden der Mutter handele, welche sich nicht im Sozialleistungsbezug befunden habe. Der Antragsteller sei nicht verpflichtet gewesen, in das Mietverhältnis einzutreten, § 563 Abs. 3 BGB. Gemäß § 563 b Abs. 1 S. 1 BGB haften die Personen, die gemäß § 563 BGB in das Mietverhältnis eingetreten sind neben den Erben für die bis zum Tod des Mieters entstandenen Verbindlichkeiten als Gesamtschuldner. Die sechs Geschwister hafteten deshalb mit dem Antragteller als Gesamtschuldner. Die Übernahme eines Siebtels der Schulden würde den Wohnungsverlust allerdings nicht verhindern. Der Antragsteller habe die Schuldübernahme vermeiden können, indem er die Fortsetzung des Mietverhältnisses verweigert hätte. Aufgrund der Bestrebungen des Vermieters das Mietverhältnis zu beenden, könne die Wohnung im Übrigen nicht dauerhaft erhalten werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang, sowie auf die gerichtliche Verfahrensakte Bezug genommen.
II.
1. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist im tenorierten Umfang begründet.
Das Gericht kann nach § 86 b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsgrundes (also die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen werden, wobei hiervon nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Ausnahmen zu machen sind, wenn drohende schwere Grundrechtsverletzungen zu verhindern sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.02.2009 – 1 BvR 120/09, Rn. 17, juris).
a) Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Grundlage für einen Anspruch auf die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur darlehensweisen Übernahme von Mietschulden ist § 22 Abs. 8 S. 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II). Danach sollen Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt und notwendig ist, weil sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.
§ 22 Abs. 8 SGB II schützt nach seinem Wortlaut die Wohnung dann, wenn ihr Erhalt durch die Übernahme von Schulden gerechtfertigt ist. Grundsätzlich wird für eine Übernahme der Schulden zu fordern sein, dass die laufenden Kosten für die Unterkunft abstrakt angemessen i.S. des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sind. Der mit der Übernahme der Schulden bezweckte langfristige Erhalt einer Wohnung erscheint nur dann gerechtfertigt, wenn die (künftigen) laufenden Kosten dem entsprechen, was innerhalb des nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in Bezug zu nehmenden Vergleichsraumes von dem Träger der Grundsicherung zu übernehmen ist (BSG, Urteil vom 17.06.2010, Az: B 14 AS 58/09 R, Rn. 26 in juris). Die vom Antragsteller bewohnte Wohnung ist angemessen. Die Stadt … ist der Mietenstufe 1 zugeordnet, für die gemäß der Tabelle zu § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) eine Bruttokaltmiete für einen 1-Personen-Haushalt zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10 % in Höhe von 371,80 € als angemessen gilt. Die Kosten für Bruttokaltmiete belaufen sich auf 312,60 €.
Drohende Wohnungslosigkeit bedeutet den drohenden Verlust der bewohnten, kostenangemessenen Wohnung bei fehlender Möglichkeit ebenfalls angemessenen Ersatzwohnraum zu erhalten. Eine den Angemessenheitskriterien entsprechende Wohnung muss dabei konkret für den Hilfebedürftigen anmietbar sein. Ersatzwohnungen stehen beispielsweise dann zur Verfügung, wenn der Träger der Grundsicherung auf ein sog „geschütztes Marktsegment“ zurückgreifen kann und dem Hilfebedürftigen eine Ersatzwohnung anbietet bzw. vermittelt (BSG a.a.O., Rn. 30 in juris). Offensichtlich konnte bisher keine Ersatzwohnung beschafft werden. Die Räumung der Wohnung und damit Wohnungslosigkeit droht unmittelbar, sofern das Amtsgericht Passau die Wirksamkeit der Kündigung des Vermieters vom 06.11.2020 feststellen sollte und diese nicht gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB unwirksam wird.
Die Feststellung, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II gegeben sind, bedeutet, dass dem Antragsgegner für die Ausübung seines Ermessens kein Spielraum verbleibt. Die Übernahme der Schulden ist im Regelfall gerechtfertigt und notwendig. Es ist regelmäßig keine andere Entscheidung als die Übernahme der Schulden denkbar, um den Anspruch des Hilfebedürftigen auf eine angemessene Unterkunft zu sichern. Den Interessen der Allgemeinheit an der zweckentsprechenden Verwendung von Steuergeldern ist dadurch Rechnung getragen, dass die Übernahme von Schulden im Regelfall nur darlehensweise erfolgt.
Es liegt keine Ausnahme von diesem Regelfall vor. Vor dem Hintergrund, dass das Amtsgericht die Kündigungen vom 03.07.2020 und 15.07.2020 möglicherweise für unwirksam, hingegen die Kündigung vom 06.11.2020 für wirksam erachten sollte, kommt es für den Erhalt der Wohnung maßgeblich darauf an, ob der Antragsteller innerhalb der Zweimonatsfrist die Zahlung der fälligen Miete nachgeholt hat bzw. sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet.
Nach Würdigung des Vorbringens der Beteiligten und des bekannten Sachverhaltes ist es deshalb gerechtfertigt, den Antragsgegner, für den Fall, dass das Amtsgericht Passau im Mietrechtsstreit feststellt, dass der Antragsteller Mietschulden aus den Jahren 2016 bis 2018 zur Abwendung der ausgesprochenen Kündigung zu begleichen hat, vorläufig zu verpflichten, sich gegenüber dem Vermieter zu deren Befriedigung zu verpflichten. Sollte dieser Fall eintreten, wären die Mietschulden gemäß § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II dem Antragteller darlehensweise zu gewähren.
Vorbehaltlich der Entscheidung durch das Amtsgericht Passau muss zunächst davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller nach dem Tod seiner Mutter als Mieterin gemäß § 563 Abs. 2 S. 1 BGB in das Mietverhältnis eingetreten ist. Diese Vorschrift gewährt eng mit dem verstorbenen Mieter verbundenen Personen, die mit dem Mieter bislang einen gemeinsamen Haushalt geführt haben, ohne selbst Mietvertragspartei zu sein, einen besonderen Schutz. Diese Personen treten unabhängig von der Erbfolge in das Mietverhältnis ein. Der Tod des Mieters berührt grundsätzlich nicht das Mietverhältnis, Mietverträge gehen nicht vorranging gemäß § 1922 BGB auf den Erben, sondern auf die gemäß § 563 BGB Eintrittsberechtigten über. Damit soll insbesondere der bisherige Lebensmittelpunkt der Hausgenossen des Mieters gesichert werden. Der Antragsteller hat gemeinsam mit seiner Mutter auf engem Raum gelebt. Es liegt nahe, dass eine gemeinsame Wirtschaftsführung in einem einheitlichen Haushalt erfolgte. Die Mutter hat den Antragsteller mietfrei bei sich wohnen lassen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass der Antragsteller in der Wohnung der Mutter einen eigenen Haushalt geführt hat. Der gemeinsame Haushalt war auf Dauer angelegt. Die Wohnung bildete den gemeinsamen Lebensmittelpunkt.
Ob tatsächlich ein Eintritt in das Mietverhältnis erfolgt ist und ob die vom Vermieter gemäß § 563 Abs. 4 BGB bzw. § 564 S. 2 BGB ausgesprochenen Kündigungen wirksam sind, kann letztlich dahinstehen und ist endgültig durch das Amtsgericht Passau zu entscheiden. Sollte entgegen der obigen Ausführungen bereits kein Eintritt in das Mietverhältnis erfolgt oder eine der beiden Kündigungen aus Juli 2020 rechtmäßig sein, so käme es auf die am 06.11.2020 ausgesprochene Kündigung gemäß §§ 543, 569 BGB aufgrund des bestehenden Zahlungsverzuges gar nicht mehr an. In diesem Falle wäre der Antragsgegner mangels entsprechender Feststellung durch das Amtsgericht Passau auch nicht zur darlehensweisen Übernahme etwaiger Mietschulden verpflichtet.
Wiederholt sei festgehalten, dass nur wenn das Amtsgericht Passau also feststellen sollte, dass der Antragsteller in das Mietverhältnis eingetreten ist, die Kündigungen vom 03.07.2020 und 15.07.2020 unwirksam sind, es erforderlich ist, dass der Antragsteller durch fristgerechte Zahlung bzw. Vorlage einer Verpflichtungserklärung durch eine öffentliche Stelle gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB die Folgen der Kündigung vom 06.11.2020 abwenden kann. Sollte das Amtsgericht Passau auch die Kündigung vom 06.11.2020 für unwirksam halten, wäre der Antragsgegner ebenso nicht verpflichtet, ein Darlehen zu gewähren.
Die Verpflichtung des Antragsgegners beansprucht diesen deshalb nur in dem Maße, wie dies zur Verhinderung von Obdachlosigkeit auch tatsächlich erforderlich wird. Aus diesem Grund erfolgte nicht, wie beantragt, die bedingungslose Verpflichtung zur vorläufigen, darlehensweisen Übernahme der Mietschulden, sondern faktisch allein die Verpflichtung zur Übernahme, sofern das Amtsgericht diese für den Erhalt der Wohnung notwendig hält und sämtliche weiteren mietrechtlichen Fragen geklärt sind.
Der vorliegenden Entscheidung steht auch nicht entgegen, dass der Vermieter mit Schriftsatz vom 06.11.2020 hilfsweise die ordentliche Kündigung erklärt hat. Zwar besteht die Möglichkeit der Abwendung einer ausgesprochenen Kündigung gemäß § 569 Abs. 3 BGB nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nicht im Falle einer ordentlichen Kündigung gemäß § 573 Abs. 1 S. 1 BGB (so etwa BGH, Urteil vom 01.07.2015 – VIII ZR 278/13, in juris). Deshalb würde die Befriedigung des Vermieters innerhalb der Frist gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ggf. nicht zur nachhaltigen Sicherung der Unterkunft führen. Im vorliegenden Fall sprechen jedoch gewichtige Gründe dafür, dass diese hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung rechtsunwirksam ist. Denn problematisch ist bereits, ob dem Antragsteller aufgrund der bestehenden, Altmietschulden eine schuldhafte Verletzung seiner vertraglichen Pflichten vorgeworfen werden kann. Auch diese Frage wird letztendlich im Mietrechtsverfahren vor dem Amtsgericht zu klären sein, bevor zulasten des Antragsgegners festgestellt werden könnte, dass zur Abwendung der Kündigungsfolgen und zum Erhalt des Wohnraumes die Befriedigung der alten Mietschulden erforderlich ist.
Die bestehenden Mietschulden stellen sowohl Schulden aus dem Mietverhältnis, als auch Nachlassverbindlichkeiten dar. Bisher ist davon auszugehen, dass die gesetzliche Erbfolge eingetreten ist und die Mutter von ihren sieben Kindern beerbt wurde. Es ist nicht bekannt, dass ein Testament vorliegt oder ob die Erben ihr Erbe fristgerecht ausgeschlagen haben. Der Nachlass hat laut Auskunft des Nachlassgerichts die Beerdigungskosten nicht überstiegen. Neben einer möglichen Haftung des Antragstellers aus dem Mietverhältnis besteht damit ggf. eine Erbenhaftung hinsichtlich der Mietverbindlichkeiten der Mutter.
Im Außenverhältnis zum Vermieter ordnet § 563 b Abs. 1 S. 1 BGB eine gesamtschuldnerische Haftung des gemäß § 563 BGB Eingetretenen mit den Erben an. Der Vermieter kann damit frei wählen, ob er den Erben oder den Sonderrechtsnachfolger oder alle zusammen in Anspruch nimmt, § 421 BGB.
Der A… hat, soweit bekannt, bisher nur den Antragsteller, indirekt durch die außerordentliche Kündigung, in Anspruch genommen. Für eine Entscheidung, ob der Antragsteller sich im Innenverhältnis gegenüber den Miterben schadlos halten kann bzw. muss, bleibt zeitlich aufgrund der drohenden Räumung der Wohnung kein Raum. Aufgrund der drohenden Grundrechtsverletzung durch Wohnungslosigkeit und der wohl am 11.01.2020 ablaufenden Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ist deshalb im Rahmen der Folgenabwägung zugunsten des Antragstellers eine Regelung zu treffen, die ihm die Möglichkeit des Erhalts der Wohnung bietet, sofern es für die Fortsetzung des Mietverhältnisses tatsächlich auf die Übernahme der Altschulden ankommt. Ob der Antragsteller später ggf. die Miterben im Innenverhältnis in Anspruch nehmen muss, kann vom Antragsgegner mit den ihm zur Verfügung stehenden Instrumentarien durchzusetzen versucht werden. Möglicherweise kann auch bei Darlehensgewährung eine entsprechende Regelung getroffen werden, dass der Antragsteller die ihm durch die Miterben erstatteten Beträge zur Tilgung des Darlehens zu verwenden hat.
Dem Antragsteller kann weiter auch nicht vorgeworfen werden, dass er eigenverantwortlich die Mietschulden durch Eintreten in das Mietverhältnis übernommen hat. Zum einen wäre er allein durch seine Erbenstellung Schuldner geworden. Zum anderen ist es verständlich, dass der Antragsteller in seiner unselbständigen finanziellen Situation und aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen, sich darum bemüht hat, in dem ihm zur Verfügung stehenden und kostenmäßig angemessenen Wohnraum zu verbleiben. Offensichtlich hat dies auch der Antragsgegner anerkannt und gewährt dem Antragsteller seit August 2020 die laufenden monatlichen Kosten. Dass nunmehr im Rahmen des Zivilrechtsverfahrens erst im November 2020 eine Schuldenproblematik bekannt wird, kann dem Antragsteller nicht angelastet werden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Fristen für eine Ausschlagung des Erbes bzw. für ein Sonderkündigungsrecht bereits abgelaufen. Eine gezielte Herbeiführung der Mietrückstände kann ihm keinesfalls vorgeworfen werden.
Die Höhe der Leistung bemisst sich an dem Betrag, der notwendig ist, um die Wohnungslosigkeit des Leistungsempfängers zu vermeiden. Das ist bei Mietrückständen der Betrag, durch den die außerordentliche Kündigung obsolet wird. Das Argument des Antragsgegners, dass die Mietschulden von etwa 3.600,00 € außerhalb der Angemessenheitsgrenze lägen, ist deshalb unbeachtlich. Es kommt darauf an, dass die Wohnung als solche angemessen ist. Eine Begrenzung der Höhe von zu übernehmenden Mietschulden ist gesetzlich nicht vorgesehen.
b) Der Anordnungsgrund ergibt sich aus dem unmittelbar bevorstehenden Fristablauf gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB, weil davon ausgegangen werden darf, dass die Frist erst mit Zugang der am 06.11.2020 ausgesprochenen Kündigung zu laufen beginnt. Sollte dies vom Amtsgericht Passau anders beurteilt werden, würde auch dies wieder zugunsten des Antragsgegners ausfallen, weil sodann keine fristgerechte Übernahme von Mietschulden mehr zur Abwendung der Kündigungsfolgen erforderlich würde.
Nach alledem bleibt festzuhalten, dass mit der hier tenorierten Verpflichtung des Antragsgegners zugunsten des Antragstellers im Falle einer vom Amtsgericht festgestellten notwendigen Zahlung der Mietschulden rechtzeitig eine Verpflichtungserklärung gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 2. Alt. BGB vorliegt. Auf der anderen Seite wird dabei der Antragsgegner nicht übermäßig, unberechtigt oder unwiederbringlich beansprucht. Denn trotz dieser Verpflichtung zur Abgabe der Willenserklärung wird die Übernahme der Mietschulden tatsächlich nur dann relevant, wenn dies für den Erhalt der Wohnung erforderlich sein sollte und dann auch nur in der maßgeblichen vom Amtsgericht festgestellten Höhe.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Kostenquote beruht auf dem Umstand, dass die ggf. zu erfolgende Schuldenübemahme nur darlehensweise und nicht wie beantragt durch Zuschuss zu erfolgen hat.


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