Patent- und Markenrecht

1 Ni 17/19 (EP)

Aktenzeichen  1 Ni 17/19 (EP)

Datum:
16.9.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:160921U1Ni17.19EP.0
Spruchkörper:
1. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

gegen


hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2021 durch den Richter Heimen als Vorsitzenden, sowie die Richter Dr.-Ing. Baumgart, Dr. Söchtig, die Richterin Dipl.-Ing. Univ. Peters und den Richter Dipl.-Ing. Univ. Sexlinger   für Recht erkannt:
I. Das Patent EP 1 862 615 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Nichtigerklärung des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 1 862 615 (DE 50 2007 010 173). Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des Streitpatents, das am 11. Mai 2007 unter Inanspruchnahme der österreichischen Priorität AT 9512006 vom 1. Juni 2006 beim europäischen Patentamt angemeldet wurde und dessen Erteilung am 11. Juli 2012 veröffentlicht worden ist. Das Streitpatent ist in Kraft und umfasst in der erteilten Fassung vier Ansprüche mit dem unabhängigen Patentanspruch 1 und den auf diesen unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Unteransprüchen 2 bis 4 und trägt die Bezeichnung „Schlüssel“.
2
Der Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung gemäß der EP 1 862 615 B1 hat folgenden Wortlaut:
3
„Schlüssel für Zylinderschlossschließanlage, wobei in den Schlüsselflachseiten (1) Längsnuten (2, 3) vorgesehen sind, deren Anordnung und Querschnitt zur Erzeugung von Schließvariationen variierbar sind und wobei wenigstens eine tiefe Variationsnut in der Form einer Längsnut (3) vorgesehen ist, deren Querschnittsform ein Basisdreieck definiert, dessen Basisseite in der Schlüsselflachseite liegt, von der sich die beiden anderen Seiten zu einer Kreuzungslinie erstrecken, oder wenigstens eine Längsnut vorgesehen ist, deren Querschnittsform ein halbiertes Basisdreieck definiert, dessen Basisseite in der Schlüsselflachseite liegt, von der sich die beiden anderen Seiten zu einer Kreuzungslinie (10) erstrecken und wobei eine der Seiten als Halbierende (11) der Basisseite des Basisdreiecks senkrecht auf die Mittellängsebene (12) liegt, dadurch gekennzeichnet, dass zumindest eine weitere Längsnut als seichte Variationsnut dadurch gebildet ist, dass ausgehend vom Basisdreieck mindestens eine der Nutenflanken (12, 13) entlang der Seitenhalbierenden (121, 131) einer der Seiten (9, 8) des Basisdreiecks verläuft, wobei die andere Nutenflanke (12, 13) entweder entlang der Seitenhalbierenden (131, 121) der anderen Seite (8, 9) des Basisdreiecks oder entlang der Seite (9, 8) des Basisdreiecks verläuft.“
4
Wegen des Wortlauts der zumindest mittelbar auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 4 wird auf die Streitpatentschrift (im Folgenden mit SPS kurzbezeichnet) verwiesen.
5
Die Klägerin stützt ihre Klage hinsichtlich des Hauptanspruches und der Weiterbildungen des Gegenstands des Streitpatents nach den Unteransprüchen 2 bis 4 auf den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit, insbesondere auf fehlende Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit, Art. II § 6, Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a. EPÜ, i.V.m. Art. 54, 56 EPÜ. Sie beruft sich u.a. auf folgende Unterlagen und Dokumente zum Stand der Technik (Benennung vom Senat angepasst):
6
K3 AT 371 879 B,
7
K4 AT 385 076 B,
8
K5 Zeichnung Schlüsselsystem „GPI”, Stand 12. November 2002,
9
K6 Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf I-15 U 23/18 vom 13. Dezember 2018,
10
K9 Katalogauszug „Börkey: Zylinder-, Kreuz- und Autoschlüsselkatalog, Gevelsberg, 1993“, Seiten 74, 99, 100, 112 und 132,
11
K12 Katalogauszug „ERREBI: Gesamtkatalog 2000“, Seiten 14 und 55,
12
K15 Katalogauszug „JMA: Catálogo General N°8, 2000“, Seiten 35, 53, 88 und 112,
13
K18 Katalogauszug „Raukamp: Schlüssel-Raukamp, 3/87″, Seiten 22 und 73,
14
K21 Katalogauszug „ERREBI: Gesamtkatalog 2000“, Seiten 10, 65 sowie 81,
15
K22 Farbig ergänzte Querschnittsvergrößerungen des Modells „Errebi AA18″, A – D,
16
K23 Farbig ergänzte Querschnittsvergrößerungen des Modells „Errebi LA56″, A – D,
17
K24 Farbig ergänzte Querschnittsvergrößerungen des Modells „Errebi GG8″, A – D,
18
K25 Urteil des Bundesgerichtshofs X ZR 9/06 vom 28. Juli 2009,
19
K26 Prüfungsbescheid des Europäischen Patentamts im Prüfungsverfahren mit der Anmeldungsnummer 07 009 462.8 vom 16. November 2009,
20
K27 Konvolut der Kataloge der Firmen Börkey, Errebi, Raukamp und JMA, vgl. Anlagen K9, K12, K15, K18 und K21,
21
K28 EP 1 452 673 A2 (D1),
22
K29 Kolorierte Fassung Figur 2a aus der Druckschrift EP 1 452 673 A2,
23
K30 Urteil des Bundesgerichtshofs X ZR 57/14 vom 10. Januar 2017,
24
K31 Farbig ergänzte Querschnittsvergrößerungen der Modelle „Börkey 1238“, „Errebi BAN1“ und „Errebi FAB15“ und
25
K32 Fertigungszeichnung „AQ193002-Patent 6“ vom 22. August 2017 mit der Benennung „Schlüsselprofil für EPS und EPS-SV, EPS und EPS-V“.
26
Ferner beruft sich die Klägerin auf mehrere vermeintlich neuheitsschädliche Vorbenutzungen, zu denen sie u.a. folgende Unterlagen vorlegt:
27
K10 Schlüsselmodell „Börkey 1238 für FAB Skoda Estelle”,
28
K11 Fotogrammetrische Aufnahme eines Querschnitts des Modells „Börkey 1238″ mit farblichen Ergänzungen,
29
K13 Schlüsselmodelle „Errebi BAN1″ sowie „Errebi F2R”,
30
K14 Fotogrammetrische Aufnahmen von Querschnitten der Modelle „Errebi BAN1″ sowie „Errebi F2R” mit farblichen Ergänzungen,
31
K16 Schlüsselmodell „UNION”, Variante „JMA UN-13D”,
32
K17 Fotogrammetrische Aufnahme eines Querschnitts des Modells „JMA UN-13D” mit farblichen Ergänzungen,
33
K19 Schlüsselmodelle „Errebi FAB15″ sowie „Errebi FAB19″ und
34
K20 Fotogrammetrische Aufnahmen von Querschnitten der Modelle „Errebi FAB15″ sowie „Errebi FAB19″ mit farblichen Ergänzungen.
35
Die Beklagte hat der Klage widersprochen.
36
Auf den qualifizierten Hinweis des Senates vom 22. April 2021, in dem unter anderen auf die Relevanz der aus dem europäischen Recherche- bzw. Prüfungsverfahren bekannten Druckschrift D1 (EP 1 452 673 A2, vgl. K28)
37
für die Beurteilung der Patentfähigkeit des Gegenstands nach dem erteilten Patentanspruch 1 hingewiesen wurde, hat die Beklagte zur hilfsweisen Verteidigung des Streitpatents die Hilfsanträge 1 bis 4 eingereicht.
38
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 der erteilten Fassung um das additionale Merkmal:
39
…und wobei an wenigstens drei Stellen die Kreuzungslinien (10) in der Mittellängsebene (112) des Profils oder auf der jeweils anderen Seite der Mittellängsebene (112) angeordnet sind, und an den beiden Schlüsselflachseiten (1) je zumindest eine Längsnut mit tiefen Variationsnuten (a, b, ab) angeordnet ist, um ein überlapptes Profil vorzusehen.
40
Dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 schließen sich die zumindest mittelbar darauf rückbezogenen Ansprüche 2 und 3 gemäß Hilfsantrag 1 an.
41
Der Hilfsantrag 2 ergänzt Patentanspruch 1 nach Hauptantrag um die Merkmale:
42
…und wobei an wenigstens drei Stellen die Kreuzungslinien (10) auf der jeweils anderen Seite der Mittellängsebene (112) angeordnet sind, und an den beiden Schlüsselflachseiten (1) je zumindest eine Längsnut mit tiefen Variationsnuten (a, b, ab) angeordnet ist, um ein überlapptes Profil vorzusehen, wobei die Kreuzungslinien (10) in Schnittstellenebenen (113) parallel zur Mittellängsebene (112) des Profils angeordnet sind.
43
Dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 schließt sich der unmittelbar darauf rückbezogene Anspruch 2 gemäß Hilfsantrag 2 an.
44
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 fügt dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 folgendes Merkmal hinzu:
45
…wobei die Abstände der Schnittstellenebenen (113) zur Mittellängsebene (112) auf beiden Seiten des Schlüssels im Wesentlichen gleich groß sind.
46
Dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 schließt sich der unmittelbar darauf rückbezogene Anspruch 2 gemäß Hilfsantrag 3 an.
47
Gemäß Hilfsantrag 4 enthält Patentanspruch 1 gegenüber Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 das zusätzliche Merkmal:
48
…wobei die Abstände der Schnittstellenebenen (113) zur Mittellängsebene (112) geringer als die Normalabstände benachbarter Variationsnuten (3) sind.
49
Dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 schließt sich der unmittelbar darauf rückbezogene Anspruch 2 gemäß Hilfsantrag 4 an.
50
Mit der durch den Senat vorgenommenen Gliederung lautet der Patentanspruch 1 mit den zusätzlichen Merkmalen der Hilfsanträge 1 bis 4 wie folgt:
51
M1 Schlüssel für Zylinderschlossschließanlage,
52
M2 wobei in den Schlüsselflachseiten (1) Längsnuten (2, 3) vorgesehen sind,
53
M2.1 deren Anordnung und Querschnitt zur Erzeugung von Schließvariationen variierbar sind und
54
M3a wobei wenigstens eine tiefe Variationsnut in der Form einer Längsnut (3) vorgesehen ist,
55
M3.1a deren Querschnittsform ein Basisdreieck definiert,
56
M3.2a dessen Basisseite in der Schlüsselflachseite liegt,
57
M3.3a von der sich die beiden anderen Seiten zu einer Kreuzungslinie erstrecken,
58
oder
59
M3b wenigstens eine Längsnut vorgesehen ist,
60
M3.1b deren Querschnittsform ein halbiertes Basisdreieck definiert,
61
M3.2b dessen Basisseite in der Schlüsselflachseite liegt,
62
M3.3b von der sich die beiden anderen Seiten zu einer Kreuzungslinie (10) erstrecken und
63
M3.4b wobei eine der Seiten als Halbierende (11) der Basisseite des Basisdreiecks senkrecht auf (die) der Mittellängsebene (12) liegt,
64
dadurch gekennzeichnet, dass
65
M4 zumindest eine weitere Längsnut als seichte Variationsnut dadurch gebildet ist, dass
66
M4.1  ausgehend vom Basisdreieck mindestens eine der Nutenflanken (12, 13) entlang der Seitenhalbierenden (121, 131) einer der Seiten (9, 8) des Basisdreiecks verläuft,
67
M4.2 wobei die andere Nutenflanke (12, 13) entweder
68
M4.2a entlang der Seitenhalbierenden (131, 121) der anderen Seite (8, 9) des Basisdreiecks
69
oder
70
M4.2b entlang der Seite (9, 8) des Basisdreiecks verläuft,
71
M5und wobei an wenigstens drei Stellen die Kreuzungslinien (10)
72
M5.1a in der Mittellängsebene (112) des Profils oder
73
M5.1b auf der jeweils anderen Seite der Mittellängsebene (112) angeordnet sind, und
74
M6an den beiden Schlüsselflachseiten (1) je zumindest eine Längsnut mit tiefen Variationsnuten (a, b, ab) angeordnet ist, um ein überlapptes Profil vorzusehen,
75
M5.2 wobei die Kreuzungslinien (10) in Schnittstellenebnen (113) parallel zur Mittellängsebene (112) des Profils angeordnet sind,
76
M5.2.1 wobei die Abstände der Schnittstellenebenen (113) zur Mittelängsebene (112) auf beiden Seiten des Schlüssels im Wesentlichen gleich groß sind,
77
M5.2.2 wobei die Abstände der Schnittstellenebenen (113) zur Mittellängsebene (112) geringer als die Normalabstände benachbarter Variationsnuten (3) sind.
78
Wegen des Wortlauts der vollständigen Anspruchsätze der Hilfsanträge 1 bis 4 wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 28. Juni 2021 verwiesen.
79
Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 aus dem Stand der Technik vorbekannt sei. Falls dieser die Ausgestaltungen der Unteransprüche nicht ebenso unmittelbar vorwegnehme, mangele es ihnen jedoch zumindest an erfinderischer Tätigkeit. Sie beruft sich dazu u.a. auf die Druckschriften K9, K12, K15, K18 und K21 jeweils betreffend Einzelschlüssel für Zylinderschlösser in unterschiedlichen Anwendungen sowie auf mehrere, ihrer Auffassung nach offenkundige Vorbenutzungen von Einzelschlüsseln (vgl. Anlagen K10, K13, K16 und K19), die Musterexemplare aus den zitierten Katalogauszügen (aus dem Konvolut der Herstellerkataloge K27 stammend) repräsentieren sollen. Deren Profilierung soll jeweils den mit geometrischen Figuren ergänzten Schnittdarstellungen der Anlagen K11, K14, K17 und K20 entsprechen. Zusätzlich hat die Klägerin weitere Schnittdarstellungen K22 bis K24 – ohne Beleg durch Baumuster – vorgelegt, die sich auf Schlüsselmodelle aus dem Katalogauszug der Anlage K21 bzw. dem entsprechenden Originalkatalog der Anlage K27 zurückführen lassen sollen.
80
Der aus der Druckschrift D1/K28, aus den genannten Katalogen, den (vergrößerten) Auszügen, den daran vorgenommenen Vermessungen und schließlich aus den auf den Herstellerkatalogen beruhenden Musterschlüsseln hervorgehende Stand der Technik zeige, bei einer nach Ansicht der Klägerin zutreffenden Auslegung, bereits die vom Streitpatent beanspruchten Schlüsselprofilvariationen, mithin sämtliche Merkmale des streitpatentgemäßen Gegenstandes. Dabei seien insbesondere auch die fachüblichen Fertigungstoleranzen zu berücksichtigen. Auch der Gegenstand des Streitpatents gemäß den geltenden Unteransprüchen sei nicht patentfähig.
81
Die Klägerin ist zu den Hilfsanträgen der Auffassung, dass diese teilweise über den Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hinausgehen (Art. 100 lit. c EPÜ) und daher unzulässig seien. Zudem stellt sie die Klarheit zumindest eines Teils der Hilfsanträge in Frage.
82
Jedenfalls seien die Gegenstände der für die Hilfsanträge geltenden Fassungen des Patentanspruchs 1 nicht patentfähig, weil die aufgenommenen Merkmale nicht neu seien, zumindest aber nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhten.
83
Der Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 1 sei nach ihrer Auffassung unzulässig erweitert, da sich eine hinreichende Offenbarung der Variation gemäß dem Merkmal M5H1-H4 nicht finde, wonach mindestens drei Variationsnuten in der durch die Merkmale M5.1aH1 oder M5.1bH1-H4 vorgegebenen Form ausgestaltet seien.
84
Die zusätzlich in den Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 aufgenommenen Merkmale seien überdies sowohl durch die Lehre der Druckschrift D1/K28 als auch durch die in den Anlagen K11, K14, K17, K20, K22, K23 und K24 sowie den zugehörigen Katalogauszügen präsentierten „Gestaltungen“ von Schlüsselprofilen vorweggenommen. Bei sich überlappenden Profilen handele es sich um eine seit langem bekannte Ausgestaltung, die nicht einmal in der Druckschrift K4 als neu dargestellt werde. Im Übrigen stelle der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 eine bloße Aggregation von Merkmalen dar, welche keine Beziehung zueinander aufwiesen.
85
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 sei bereits missverständlich und damit unklar formuliert, denn aus Sicht der Klägerin bestehe eine Diskrepanz zwischen der Anordnung von drei Kreuzungslinien in einer Schnittstellenebene auf der jeweils anderen Seite der Mittellängsebene und dem Merkmal M6H1-H4, nach dem an den Schlüsselflachseiten je zumindest eine tiefe Längsnut angeordnet sein soll. Im Übrigen sei das lediglich aggregierte Merkmal M5.2H2-H4 aus der Druckschrift K4 bekannt.
86
Hinsichtlich des Hilfsantrags 3 vertritt die Klägerin die Auffassung, dass das Merkmal M5.2.1H3,H4 nicht hinreichend offenbart sei. Des Weiteren fehle eine Offenbarung, welches Verständnis dem Begriff „im Wesentlichen gleich groß“ zugrunde zu legen sei, so dass es dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 an Klarheit mangele. Überdies gehe das ergänzte Merkmal M5.2.1H3,H4 aus der Druckschrift K4 hervor.
87
Der Hilfsantrag 4 sei bereits unzulässig, weil sich den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen eine Relation zwischen den Abständen der Schnittstellenebenen und den Normalabständen benachbarter Variationsnuten nicht entnehmen lasse. Auch sei der Begriff „Normalabstand“ dort nicht definiert und deshalb der Patenanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 unklar. Ferner zeige die Druckschrift K4 eine derartige Ausgestaltung eines Schlüssels.
88
Insgesamt sei zu beachten, dass die Patentansprüche in den verteidigten Fassungen auf die konkrete Ausgestaltung eines Schlüssels gerichtet seien, nicht aber ein Schlüsselsystem definieren.
89
Der Senat hat den Parteien in der mündlichen Verhandlung einen weiteren Hinweis erteilt.
90
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
91
das Patent EP 1 862 615 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
92
Die Beklagte beantragt,
93
die Klage abzuweisen,
94
hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 bis 4, eingereicht mit Schriftsatz vom 28. Juni 2021, erhält.
95
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen vorgebrachten Punkten entgegen und verteidigt das Patent vorrangig in der erteilten Fassung. Zur Verteidigung des Streitpatents nach Haupt- und Hilfsanträgen beruft sie sich unter anderen auf die folgenden Druckschriften und Unterlagen:
96
ropNi1 Fotogrammetrische Aufnahmen von Querschnitten der Modelle nach den Anlagen K11, K14 und K17 jeweils mit farbigen Ergänzungen, ropNi2 Gegenüberstellung von Querschnitten der Modelle „Börkey 1238″, „Errebi BAN1“ und „Errebi FAB15“ in den fotogrammetrischen Aufnahmen und den Darstellungen der Katalogauszüge,
97
ropNi3 Figuren der Druckschriften D1/K28 mit Ergänzungen und
98
ropNi4 farbig ergänzte Querschnittsvergrößerung des Modells „Errebi AA18“.
99
Die Beklagte bestreitet den Zeitpunkt der öffentlichen Zugänglichkeit sowohl hinsichtlich der Druckschriften K9, K12, K15, K18 und K21 als auch der vorgelegten Baumuster von Schlüsselprofilen K10, K13, K16 und K19, teilweise mit Nichtwissen.
100
Zur Auslegung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor, dass das Streitpatent – anders als z.B. die Druckschrift D1/K28 – als Basisdreieck für sämtliche Variationsnuten jeweils dasjenige Basisdreieck zugrunde lege, welches durch eine tiefe Variationsnut definiert werde, die sich an der betreffenden Stelle des betreffenden Schlüsselschaftes befinden würde. Bei einer technischen Auslegung des Merkmals Basisdreieck, die sich an der Aufgabenstellung und der Gesamtoffenbarung des Streitpatents orientiere, dürfte das Basisdreieck nicht beliebig gewählt werden, sondern es bestehe ein innerer Zusammenhang zwischen den Merkmalsgruppen 3.X und 4.X. Hinsichtlich ihrer Ausführungen zum Verständnis des Fachmanns zum Prioritätszeitpunkt bietet die Beklagte „Beweis durch Sachverständigengutachten“ an. Sie ist ferner der Auffassung, die von der Klägerin vorgelegten Skizzen und Vermessungen seien nicht geeignet, einen Stand der Technik aufzuzeigen, der der Patentfähigkeit des Streitpatents entgegenstehe. Die von der Klägerin willkürlich ausgesuchten Dreiecke seien nicht nur ungenau (vgl. Anlage ropNi2), sondern widersprächen teilweise auch der technischen Lehre der Druckschriften nach dem fachmännischen Verständnis, da sie u.a. keine technisch realisierbaren Schlüssel zeigten (vgl. Anlage ropNi1). Die fehlende Tauglichkeit dieser Schlüsselprofile für die Realisierung von Nutvariationen werde auch durch die in der Verhandlung überreichte, farbig ergänzte Querschnittsvergrößerung des Modells „Errebi AA18“ verdeutlicht (vgl. Anlage ropNi4). Keine der Entgegenhaltungen – insbesondere nicht die Druckschrift D1/K28 (vgl. Anlage ropNi3) – zeige eine technisch vergleichbare, auf einem streitpatentgemäßen Basisdreieck beruhende Anordnung der Nuten mit den entsprechenden Variationsmöglichkeiten. Insbesondere werde die im Streitpatent genannte Aufgabe, nämlich bestehende Schließanlagen mit weiteren Schlüsseln mit neuen Profilvariationen zu erweitern, nicht angesprochen.
101
Weiter ist sie der Ansicht, insbesondere der geltende Unteranspruch 4 in der Fassung des Hauptantrags enthalte einen eigenständig patentwürdigen Gegenstand.
102
Zu den Hilfsanträgen ist die Beklagte der Auffassung, dass diese ausführbar und zulässig, die Merkmale insbesondere ursprungsoffenbart seien.
103
Der Hilfsantrag 1 konkretisiere die Geometrie des Schlüsselprofils, im Stand der Technik gebe es kein naheliegendes Vorbild eines überlappten Profils mit Basisdreiecken, deren Kreuzungslinien an wenigstens drei Stellen die Mittellängsebene berühren oder überschreiten würden. Gemäß Hilfsantrag 2 werde das überlappte Profil dahingehend präzisiert, dass die Kreuzungslinien in Schnittstellenebenen parallel zur Mittellängsebene des Profils angeordnet seien. Hinweise auf dieses Merkmal fehlten im Stand der Technik, es sei auch nicht nahegelegt. Mit dem Hilfsantrag 3 erfolge eine weitere Konkretisierung des überlappten Profils als symmetrisch zur Mittellängsebene. Mit Hilfe der Merkmale des Hilfsantrags 4 werde eine ausreichende Materialstärke des Schlüsselprofils im Bereich der Längsnuten gewährleistet. Die Offenbarung dieser in den Patentansprüchen 1 nach den Hilfsanträgen 3 und 4 jeweils ergänzten Merkmale ergebe sich dem Fachmann aus der Figur 4 des Streitpatents. Diese seien im zitierten Stand der Technik weder vorweggenommen noch nahegelegt. Aus Sicht der Beklagten stellt die Druckschrift D1/K28 im Übrigen keinen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Streitpatents dar. Insbesondere mangele es an einem Anlass für die Kombination verschiedener Entgegenhaltungen.
104
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

105
Die zulässige Klage mit der die Nichtigkeitsgründe der fehlenden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ) und des Hinausgehens des Gegenstands des Streitpatents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. c) EPÜ) geltend gemacht werden, ist begründet.
106
Denn das Streitpatent erweist sich sowohl in der Fassung nach Hauptantrag als auch in den Fassungen der Hilfsanträge 1 bis 3 wegen mangelnder Patentfähigkeit als nicht rechtsbeständig, wobei es auf die von der Klägerin behaupteten „offenkundigen Vorbenutzungen“ nicht ankommt. Ferner weist der Unteranspruch 4 in seinem Rückbezug auf den Patentanspruch 1 nach Hauptantrag – entgegen der Geltendmachung durch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung – keinen eigenständigen erfinderischen Gehalt auf.
107
Das Streitpatent ist daher für nichtig zu erklären. Die Anspruchsfassung nach dem Hilfsantrag 4 führt bereits deshalb nicht zum Erfolg, weil der Gegenstand seines Patentanspruchs 1 gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung unzulässig erweitert ist.
I.
108
1. Zum Gegenstand des Streitpatents
109
Das Streitpatent betrifft gemäß Absatz [0001] der SPS einen Schlüssel für eine Zylinderschlossschließanlage.
110
Aus dem Stand der Technik seien bereits Schlüssel mit einer Längsprofilierung und dazu korrespondierenden Schlössern bekannt, deren Aufgabe in erster Linie darin bestehe, eine große Vielzahl von Variationsmöglichkeiten zu schaffen, sowie eine missbräuchliche Nachahmung zu erschweren. Trotz möglichst großer Variationsmöglichkeiten hinsichtlich der Nutquerschnitte für die Längsnuten sei es wünschenswert, die Unterschiede zwischen den einzelnen Variationen möglichst groß zu halten, um Fehlsperrungen infolge Materialabnutzung oder Herstellungsungenauigkeiten zu vermeiden (vgl. Absatz [0002] der SPS).
111
Vorliegend komme noch hinzu, dass es wünschenswert sein könne, bestehende Schließanlagen auszubauen, was für die neu hinzukommenden Profilelemente eine Kompatibilität mit den bestehenden Elementen erfordere.
112
Mithin stellt das Streitpatent den Bedarf an einem Schlüssel für eine Zylinderschlossschließanlage heraus, der einerseits eine große Variabilität aufweist, um ein unerlaubtes Anfertigen von Kopien zu verhindern, wobei die Unterschiede zwischen den einzelnen Varianten zur Vermeidung von Fehlsperrungen ausreichend groß sein sollen, andererseits soll er auch kompatibel zu bereits bestehenden Schlüsseln einer Schließanlage sein, um einen Austausch bzw. eine Erweiterung zu ermöglichen.
113
2. Fachmann
114
Bei dem Verständnis des Streitgegenstandes und der nachfolgenden Bewertung des Standes der Technik ist von einem Durchschnittsfachmann auszugehen, der als Meister oder Techniker für Feinwerktechnik bei einem Hersteller von Sicherheitstechnik mit der Entwicklung von Schließanlagen befasst ist und auf diesem Gebiet über mehrere Jahre Berufserfahrung verfügt.
115
3. Zum Hauptantrag
116
3.1 Zur Auslegung
117
Die Prüfung der Patentfähigkeit erfordert regelmäßig eine Auslegung des Patentanspruchs, bei der dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen sind (BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum I). Dazu ist zu ermitteln, was sich aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als unter Schutz gestellten technische Lehre ergibt (BGH GRUR 2007, 859 – Informationsübermittlungsverfahren).
118
Die Frage, ob eine bestimmte Anweisung zum Gegenstand eines Anspruchs des Patents gehört, entscheidet sich deshalb danach, ob sie in dem betreffenden Patentanspruch Ausdruck gefunden hat (vgl. BGH GRUR 2007, 778 – Ziehmaschinenzugeinheit I; BGH GRUR 2007, 959 – Pumpeinrichtung). So dürfen in der Patentschrift enthaltene Angaben zur Aufgabe der Erfindung – ebenso wie der übrige Inhalt der Patentschrift – weder zu einer sachlichen Einengung noch zu einer inhaltlichen Erweiterung des durch den Wortlaut des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen (vgl. BGH GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Allein aus Ausführungsbeispielen darf nicht auf ein engeres Verständnis des Patentanspruchs geschlossen werden, als es dessen Wortlaut für sich genommen nahelegt. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Auslegung des Patentanspruchs unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen ergibt, dass nur bei Befolgung einer solchen engeren technischen Lehre derjenige technische Erfolg erzielt wird, der erfindungsgemäß mit den im Anspruch bezeichneten Mitteln erreicht werden soll (BGH GRUR 2008, 779 – Mehrgangnabe). Das Verständnis des Fachmanns wird sich dabei entscheidend an dem in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck jedes Merkmals orientieren (vgl. BGH GRUR 2001, 232 – Brieflocher). Die Auslegung hat deshalb im Lichte der Gesamtoffenbarung der Patentschrift zu erfolgen (vgl. BGH GRUR 2015, 868 – Polymerschaum II), wobei maßgeblich ist, was der angesprochene Fachmann – auch unter Einbeziehung seines Vorverständnisses (vgl. BGH GRUR 2008, 878 – Momentanpol II) – danach bei unbefangener Betrachtung den Patentansprüchen als Erfindungsgegenstand entnimmt.
119
Begriffe in den Patentansprüchen sind daher so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift und Berücksichtigung der in ihr objektiv offenbarten Lösung bei unbefangener Erfassung der im Anspruch umschriebenen Lehre zum technischen Handeln versteht (vgl. BGH GRUR 2010, 585 – Crimpwerkzeug III; BGH GRUR 2006, 311 – Baumscheibenabdeckung; BGH GRUR 2004, 845 – Drehzahlermittlung). Patentschriften stellen im Hinblick auf die dort gebrauchten Begriffe somit gleichsam ihr eigenes Lexikon dar (vgl. BGH GRUR 1999, 909 – Spannschraube).
120
Nach diesen Leitlinien entnimmt der zuständige Fachmann dem Patentanspruch 1 gemäß Merkmal M1 einen Schlüssel für eine Zylinderschlossschließanlage in verschiedenen Ausführungsformen, mit Längsnuten, deren Gestaltung einem bestimmten Variationsschema folgt, dass auf einer Längsnut mit der Querschnittsform eines Dreiecks basiert. Die Schlüsselflachseiten des Schlüssels weisen nach Merkmal M2 Längsnuten auf, deren Anordnung und Querschnitte zur Erzeugung von Schließvariationen (Merkmal M2.1) individuell festzulegen sind. Mithin bilden die in den Merkmalen M1 und M2.1 enthaltenen Zweckangaben nur Geeignetheitskriterien und legen den Gegenstand von daher nicht auf die genannte Verwendung fest. So haben Zweckangaben in einem Sachanspruch im Nichtigkeitsverfahren wie im Verletzungsprozess regelmäßig die Aufgabe, den durch das Patent geschützten Gegenstand dahingehend zu definieren, dass er nicht nur die im Patentanspruch aufgeführten räumlich-körperlichen Merkmale erfüllt, sondern auch so ausgebildet sein muss, dass er für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar ist (vgl. BGH GRUR 2009, 837 – Bauschalungsstütze). Einem derartigen Schlüssel (M1) ist somit die Eignung für die Verwendung in einer vom Anspruchswortlaut nicht umfassten Zylinderschlossschließanlage zu unterstellen mit der Implikation zur Ausbildung von – hinsichtlich Anordnung und Querschnitt – variierbaren Längsnuten geeignet zu sein, wobei die weiteren Merkmale mögliche Gestaltvarianten näher definieren.
121
Abb. 1: Figur 4 der SPS mit Ergänzungen
122
Unter dem Begriff „Schlüsselflachseiten“ sind dabei die Flächen des Schlüsselschafts zu subsumieren, die sich zwischen dem Schlüsselrücken 6 und der Schlüsselbrust 4 des Schlüsselbarts erstrecken (vgl. Abb. 1).
123
Mit den Merkmalsgruppen M3a bis M3.3a und M3b bis M3.4b erfolgen jeweils Definitionen alternativer Querschnittsformen für wenigstens eine der benannten Längsnuten. Der – sich bei fachgemäßer Betrachtung jeweils senkrecht zur Nutlängsachse ergebende – Querschnitt einer tiefen Variationsnut bzw. Längsnut in seiner Ausprägung als Basisdreieck gemäß den Merkmalen M3a und M3.1a verfügt über eine Basisseite, die in der Schlüsselflachseite bzw. in der von ihr aufgespannten Ebene liegt (Merkmal M3.2a). Die beiden verbleibenden Seiten des Basisdreiecks erstrecken sich dabei zu einer Kreuzungslinie, die sich gemäß dem gebotenen Verständnis des Merkmals M3.3a – gestützt auf die Ausführungen in Absatz [0008] der Beschreibung – innerhalb des Schlüsselprofils ausdehnt. Darüber hinaus lässt der erteilte Patentanspruch 1 die Lage der Kreuzungslinie offen, die erst in den Unteransprüchen 2 und 3 näher definiert wird.
124
Mit der Lage der Kreuzungslinie bleibt auch die Tiefe der Längsnut unbestimmt, wobei die Tiefe der „tiefen“ Nut gemäß Merkmal M3a nur in Relation zur flachen bzw. „seichten“ Nut nach Merkmal M4 gesetzt wird. Die Länge der Längsnuten, deren jeweils zugeordnete Kreuzungslinien nur gemäß der Beschreibung entlang des gesamten Schlüsselschafts verlaufen (vgl. Abs. [0008]), legt der erteilte Patentanspruch 1 nicht fest.
125
Die alternative Querschnittsform für eine Längsnut (Merkmal M3b) stellt sich nach dem Merkmal M3.1b als halbiertes Basisdreieck dar, dessen Grundlinie in Analogie zu Merkmal M3.2a in der von der Schlüsselflachseite aufgespannten Ebene verortet ist (Merkmal M3.2b). Der Begriff „halbiert“ bedeutet dabei im Lichte des Absatzes [0001] eine flächenmäßige Teilung des Basisdreiecks in zwei gleich große Flächen. Gestützt wird diese Sichtweise durch das Merkmal M3.4b, das als eine Dreiecksseite der tiefen Nut die Seitenhalbierende der Basisseite vorsieht, die das Basisdreieck zwangsläufig in zwei gleich große Teilflächen trennt.
126
Hinsichtlich des Sinngehalts des Merkmals M3.3b wird auf die Auslegung des Merkmals M3.3a verwiesen.
127
Das Merkmal M4 fordert zumindest eine weitere Längsnut, bezeichnet als seichte Variationsnut, zusätzlich zur in Relation tiefen Variationsnut nach einer der Merkmalsgruppen M3.X.a oder M3.X.b. Nach dem gebotenen Verständnis des Merkmals M4.1 beruht auch die Querschnittsform der seichten Variationsnut auf dem Basisdreieck, mit der Einschränkung, dass eine der Nutenflanken – stellvertretend für eine Dreiecksseite – entlang der Seitenhalbierenden einer der Seiten des Basisdreiecks verläuft. Die andere Nutenflanke (Merkmal M4.2) erstreckt sich entweder nach dem Merkmal M4.2a entlang der Seitenhalbierenden der noch verbleibenden Seite des Basisdreiecks oder alternativ gemäß dem Merkmal M4.2b entlang der Seite des Basisdreiecks, die durch die im Merkmal M4.1 eingeführte Seitenhalbierende geteilt wird.
128
Die in den Merkmalsgruppen M3.X und M4.X i.V.m. dem Merkmal M2.1 postulierte Konstruktionsregel für die tiefe und seichte Variationsnut – dem streitpatentgemäßen Einzelschlüssel ist indes lediglich die Eignung zu deren Umsetzung in einer Variante zu unterstellen – basiert zwar stets auf demselben „Basisdreieck“, das allerdings ausschließlich durch eine in der Ebene der Schlüsselflachseite liegende Basisseite und eine Kreuzungslinie definiert ist, in der sich die beiden verbleibenden Dreiecksseiten (Schenkel) schneiden. Insofern schreibt der Patentanspruch 1 – im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin – eine Deckungsgleichheit des für die Konstruktion der beiden Variationsnuten jeweils heranzuziehenden Basisdreiecks nicht vor. Die geometrischen Abmessungen des „Basisdreiecks“ wie beispielhaft seine Höhe, d.h. der lotrechte Abstand der jeweiligen Kreuzungslinie von der Basisseite, können demnach für die seichte und tiefe Nut variieren. Auch der stets gleiche Innenwinkel des Basisdreiecks wird erst in Unteranspruch 4 angesprochen.
129
Darüber hinaus sind die Vorgaben der Merkmalsgruppe M4.X nur insoweit beachtlich, als diese am fertig ausgeführten Schlüssel auch in unterscheidbaren Ausgestaltungen Niederschlag finden. Die der Ausbildung der möglichen Querschnittsformen der Nuten zugrundeliegende Konstruktionsregel eines Variationsschemas für sich erweist sich hierbei als kein eigenständiges, den Gegenstand des Streitpatents in der geltenden Patentkategorie selbst kennzeichnendes technisches Merkmal. Denn im Streitpatent mag zwar – wie die Beklagte auch mehrfach herausgestellt hat – die Intention, den beanspruchten Schlüssel innerhalb von Schlüsselsystemen zu verwenden, verankert sein. Indes kennzeichnet der Patentanspruch 1, wie bereits ausgeführt, allein einen Einzelschlüssel für eine Zylinderschlossschließanlage, bei dem zwangsläufig nur eine konkrete Variante eines Schemas mit bis zu sechs Profilvariationen – in Form jeweils einer einzigen Abwandlung einer tiefen Variationsnut gemeinsam mit einer seichten Variationsnut – realisiert sein kann. Jedenfalls bedingt die beanspruchte Merkmalskombination auch im Lichte der Gesamtoffenbarung – gegensätzlich zum Vortrag der Beklagten – keine Ausgestaltung eines Einzelschlüssels, die aus Kompatibilitätsgründen zu einer bestehenden Schließanlage eine Möglichkeit zur Verwirklichung einer tiefen Variationsnut an der für die seichte Variationsnut vorgesehenen Position des Schlüsselschafts vorsieht.
130
Die dargelegte Sichtweise steht überdies auch im Einklang mit der im Berufungsverfahren über die Patentberühmung durch das Oberlandesgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 13. Dezember 2018 – Aktenzeichen I-15 U 23/18 (vgl. Anlage K6) – vorgenommenen Auslegung des Patentanspruchs 1, das hierzu festgestellt hat, „dass ein patentgemäßer Schlüssel bereits vorliegt, wenn jeweils nur eine tiefe und eine seichte Variationsnut im Schlüsselverlauf miteinander kombiniert werden“ (vgl. dort Seite 21, letzter Absatz), deren zugeordnete Basisdreiecke aber nicht zwingend identisch sein müssen (vgl. dort Seite 19, erster Absatz).
131
Die Aufzählung der verschiedenen Variationsnuten im erteilten Patentanspruch 1 ist zudem nicht abschließend zu verstehen, so dass neben diesen auch weitere Längsnuten vorhanden sein können, die aus Platzgründen den Vorgaben der Merkmalskomplexe M3.X und M4.X nicht entsprechen müssen (vgl. Absatz [0012]). Auch die Positionierung der jeweils wenigstens einen tiefen und einen seichten Variationsnut zusammen auf einer Schlüsselflachseite oder getrennt voneinander bzw. mit welchem Abstand zueinander stellt der Patentanspruch 1 in das Belieben des Fachmanns.
132
Von daher definiert der Patentanspruch 1 lediglich einen Schlüssel mit Längsnuten hinsichtlich bestimmter möglicher, als erfindungsgemäß herausgestellter Querschnittsformen zweier von ggf. weiteren zu unterscheidenden Nuten dahingehend näher, dass die umfassten Charakteristika zwar Ausfluss der Anwendung einer Konstruktionsregel sein sollen, die indes nicht selbst Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist.
133
3.2 Zur Patentfähigkeit
134
Die Neuheit eines Schlüssels entsprechend der technischen – mit seinem Sinngehalt gemäß vorstehender Auslegung in Kontext zu setzenden – Substanz des erteilten Patentanspruchs 1 ist zu verneinen.
135
Die Druckschrift D1/K28 betrifft einen Schlüssel 1 für eine Zylinderschlossschließanlage nach den Merkmalen M1 bis M2.1, dessen Schlüsselflachseiten, dort Schlüsselbreitseiten 6, Längsnuten 7 umfassen, deren Anordnung und Querschnitt zur Erzeugung von Schließvariationen variierbar sind (vgl. Ansprüche 1 und 12).
136
Zumindest eine dieser Längsnuten 7 weist entsprechend dem Verständnis der im Streitpatent so bezeichneten „tiefen“ Variationsnut (Merkmal M3a) einen Querschnitt in Gestalt eines rechtwinkligen und gegebenenfalls gleichschenkligen (Basis-)Dreiecks (Merkmal M3.1a) auf mit einer in der Ebene der Schlüsselflachseite 6 liegenden Basisseite, dort Durchmesser des Halbkreisbogens, (Merkmal M3.2a) und zwei weiteren – von der Basisseite ausgehenden – Katheten bzw. Dreiecksseiten (Merkmal M3.3a), die sich in einem auf einer Kreuzungslinie liegenden Punkt schneiden (vgl. Figuren 2 bis 5, Absatz [0010]).
137
Abb. 2: Figur 2a der Druckschrift D1/K28
138
Das Schlüsselprofil wird ergänzt durch mindestens eine weitere Längsnut 7, die einen Querschnitt in Form eines rechtwinkligen, aber nicht gleichschenkligen Dreiecks besitzt mit der Implikation einer gegenüber der tiefen Variationsnut geringeren Nuttiefe, die eine im Streitpatent als „seichte“ Variationsnut qualifizierte Nut (Merkmal M4) auszeichnet (vgl. Abb. 2).
139
Für den Fall, dass eine Kathete bzw. Dreiecksseite mit der Hypotenuse bzw. Basisseite des rechtwinkligen Dreiecks der „seichten“ Variationsnut einen Winkel von 30° einschließt, stellt sie zugleich auch die Seitenhalbierende eines über der Basisseite errichteten, gleichseitigen Dreiecks dar, das insoweit als Basisdreieck nach dem gebotenen Verständnis des Merkmals M4.1 fungiert. Die andere Nutenflanke verläuft dabei – wie in den Merkmalen M4.2 und M4.2b gefordert – entlang der Seite des Basisdreiecks.
140
Soweit die Beklagte in ihrer Beurteilung zur Neuheit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 bezüglich der Druckschrift D1/K28 zu einer hierzu konträren Einschätzung gelangt, beruht dies auf einer abweichenden Auslegung der Merkmale M3.1a und M4.1.
141
Die als Beleg für die vermeintliche Neuheit des Schlüssels nach dem Patentanspruch 1 von der Beklagten vorgelegte Anlage „ropNi3“ zeigt zweimal die jeweils mit farbigen Ergänzungen versehene Figur 2a der Druckschrift D1/K28. Nach den Einlassungen der Beklagten werde dabei in einer Zeichnung von deckungsgleichen Basisdreiecken für die tiefe und „seichte“ Variationsnut ausgegangen, während die andere Zeichnung für die „seichte“ Variationsnut ein von dem Basisdreieck der tiefen Längsnut (blau) „völlig anderes, willkürlich gezeichnetes Basisdreieck (rot) ohne jeden technischen Zusammenhang zur Lehre des Streitpatents“ darstelle.
142
Wie zur Feststellung des Sinngehalts der angesprochenen Merkmale unter Punkt I.3.1 bereits erläutert, definiert sich das Basisdreieck allein durch eine in der Schlüsselflachseite bzw. in der von ihr aufgespannten Ebene liegende Basisseite, von der sich die beiden verbleibenden Seiten zu einer innerhalb des Schlüsselprofils ausdehnenden Kreuzungslinie erstrecken. Ein in seinen Abmessungen kongruentes Basisdreieck für die tiefe und seichte Variationsnut fordert der geltende Patentanspruch 1 dagegen nicht, vielmehr kann es in seinen Ausprägungen für die tiefe und seichte Nut durchaus unterschiedliche Seitenlängen oder Innenwinkel aufweisen.
143
Insoweit verkennt die Beklagte, dass gerade das zweite Beispiel alle im Anspruch aufgeführten, einen erfindungsgemäßen Schlüssel qualifizierenden Merkmale erfüllt. Die in der Zeichnung links unten markierte Längsnut 7 mit gleichschenkligem Dreiecksprofil verkörpert dabei die tiefe Variationsnut nach dem Merkmalskomplex M3.X.a und die auf der rechten Seite in durchgezogener Linie dargestellte Längsnut mit rechtwinkligem Dreieckprofil die seichte Variationsnut gemäß den Merkmalen M4, M4.1, M4.2 und M4.2b. Die beiden Basisdreiecke für die tiefe und seichte Nut entsprechen sich nicht nur – wie es der Patentanspruch 1 vorgibt – in der Verortung ihrer jeweiligen Basisseite in der Schlüsselflachseite sowie in der Erstreckung ihrer beiden anderen Seiten zu jeweils einer Kreuzungslinie, sondern darüber hinaus auch in der Länge ihrer jeweiligen Basisseite.
144
Obwohl sich die in der Druckschrift D1/K28 offenbarte Konstruktionsregel von der unterscheidet, die das Streitpatent als Grundlage für die Ausgestaltungsvarianten eines Schlüssels entsprechend den im Patentanspruch 1 aufgeführten Merkmalen herausstellt, stimmt das Profil eines solchen streitpatentgemäßen Schlüssels mit dem eines nach den Vorgaben der Druckschrift D1/K28 erzeugten Schlüssels überein; vorliegend kommt es indes nur auf den Gegenstand des auf das Erzeugnis Schlüssel gerichteten Patentanspruchs und nicht auf die zugrundeliegende Konstruktionsregel als solche an. Mithin kann vorliegend die Anwendung einer bestimmten Konstruktionsregel für das Längsprofil eines Einzelschlüssels innerhalb der Patentkategorie „Vorrichtung“ – wie bereits zur Auslegung unter Punkt I.3.1 erläutert – dem Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 keine patentbegründende Bedeutung verleihen.
145
3.2.1 Mit dem Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags kann das Patent somit keinen Bestand haben. Dass in den rückbezogenen Patentansprüchen eigenständig erfinderische Gegenstände enthalten seien, hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nur für den gegenüber den Hilfsanträgen nachrangig zu prüfenden Unteranspruch 4 in Verbindung mit dem erteilten Patentanspruch 1 geltend gemacht.
146
3.2.1.1 Der Gegenstand nach dem auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteranspruch 4 in der Fassung nach Hauptantrag ist nicht schutzfähig.
147
Der Unteranspruch 4 nach Hauptantrag weist gegenüber dem Patentanspruch 1 mit der durch den Senat vorgenommenen Gliederung die folgenden weiteren Merkmale auf:
148
M7 das Profil ist konisch,
149
M8 wobei der Innenwinkel (14) des Basisdreiecks stets der gleiche ist und
150
M8.1 die Seitenlängen des Basisdreiecks sowie deren Seitenhalbier(ungen)enden jeweils von den Schlüsselflachseite(n) (1) gemessen sind.
151
Ein sogenanntes konisches Profil des beanspruchten Schlüssels gemäß dem Merkmal M7 zeichnet sich durch eine über zumindest einen Teil der Schlüsselhöhe schräg zur Mittellängsebene verlaufende Umhüllende des Profilquerschnitts aus (vgl. Figuren 4 und 5, Absatz [0014]). Vorliegend führt diese Maßnahme zu einer engeren Ausbildung des zugehörigen Schließkanals des Zylinderschlosses am Schlüsselbart bzw. zur Erreichung der bezeichneten Erfolge, missbräuchliches Sperren zu behindern und das Nachahmen des Schlüssels zu erschweren (vgl. Absatz [0014]).
152
Das Merkmal M8 sieht für das Basisdreieck der tiefen und seichten Variationsnut einen stets gleichen Innenwinkel vor, der ausweislich aller das Bezugszeichen 14 für den Innenwinkel aufweisenden Figuren 2 und 4 zwischen den beiden jeweils von der Basisseite ausgehenden Schenkeln des Basisdreiecks – also an der der Basisseite gegenüberliegenden Spitze – verortet ist. Diese Vorgabe impliziert zwingend unterschiedliche Innenwinkel jeweils am Nutgrund der realen, tiefen und seichten Variationsnut, denn mit dem Merkmal M4.1, wonach ausgehend vom Basisdreieck mindestens eine der Nutenflanken der seichten Variationsnut entlang der Seitenhalbierenden einer der Seiten des Basisdreiecks verläuft, kann der Innenwinkel des Nutquerschnitts der realen seichten Variationsnut – unter Beachtung der obligatorischen Innenwinkelsumme eines Dreiecks von 180° – nur größer als der Innenwinkel des Basisdreiecks selbst sein. Der hingegen entspricht dem Innenwinkel des Nutquerschnitts der realen tiefen Variationsnut.
153
Unter dem Verb „messen“ ist im Merkmal M8.1 nicht im Sinne der eigentlichen Wortbedeutung eine Anweisung für die Vermessung der Seitenlängen des Basisdreiecks und wohl der Seitenhalbierenden zu verstehen, vielmehr kommt diesem ein Verständnis im Sinne von „sich erstrecken“ zu. Insoweit fordert das Merkmal lediglich eine Erstreckung der Seitenlängen des Basisdreiecks sowie deren Seitenhalbierenden jeweils ausgehend von den Schlüsselflachseiten.
154
3.2.1.2 Der Gegenstand gemäß dem Unteranspruch 4 in der Fassung des Hauptantrags beruht gegenüber dem in den Anlagen K21, K22 und K27 sowie ropNi4 dokumentierten Modell „Errebi AA18“ eines Schlüssels für eine Zylinderschlossschließanlage nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
155
Für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit ist entscheidend, um welche Leistung die Erfindung den Stand der Technik im Ergebnis tatsächlich bereichert (vgl. BGH GRUR 2010, 607, Rn. 18 – Fettsäurezusammensetzung; BGH GRUR 2010, 602, Rn. 27 – Gelenkanordnung). Dabei können für die Beantwortung der Frage, ob die beanspruchte technische Lehre für den angesprochenen Fachmann im Zeitpunkt der Anmeldung bzw. im Prioritätszeitpunkt nahelag, nicht nur der sogenannte „nächstliegende“ Stand der Technik, sondern verschiedene Ausgangspunkte in Betracht zu ziehen sein (vgl. BGH GRUR 2009, 1039, Rn. 20 – Fischbissanzeiger; BGH GRUR 2009, 382 – Olanzapin; BGH GRUR 2004, 317 – Programmartmitteilung).
156
Ausgehend davon, bildet ein Schlüssel bzw. sein charakteristisches Querschnittsprofil gemäß der Anlage K22, der jedenfalls insofern öffentlich zugänglich war, als seine Publikation mit dem Gesamtkatalog der Firma „Errebi“ (Anlagen K21 und K27), dessen Drucklegung im Mai 2000 – also weit vor dem Prioritätszeitpunkt – erfolgte, einen für Art. 54 EPÜ, Abs. 2 maßgeblichen Stand der Technik. Denn bei den Druckschriften des Anlagenkonvoluts K27 handelt es sich um Firmendruckschriften zum Vertrieb von Einzelschlüsseln, die nach ihrem jeweiligen Aufbau und Layout wohl als Bestellvorlage und damit zum öffentlichen Verteilen zeitnah zum Druckdatum an interessierte Kreise und Kunden vorgesehen waren. Deren öffentliche Zugänglichkeit wurde von der Beklagten nach einer gewährten Einsichtnahme in die Gesamtkataloge im Verlauf des Nichtigkeitsverfahrens auch nicht mehr bestritten.
157
Abb. 3: Darstellung „A“ des Modells „Errebi AA18“ nach der Anlage K22
158
Allein durch die äußere Betrachtung des Modells „Errebi AA18“ für ein Schlüsselprofil gemäß den Anlagen K21, K22 (vgl. Abb. 3) und K27, erkennt der Fachmann bereits einen Schlüssel mit einem sich zum Schlüsselbart hin verschlankenden – insoweit konischen Profil (Merkmal M7) –, das in den Schlüsselflachseiten eingearbeitete Längsnuten nach dem Merkmal M2 umfasst. Die dem Schlüsselrücken am nächsten liegende Längsnut weist dabei eine größere Tiefe als die auf der gegenüberliegenden Schlüsselflachseite – mit etwas größerem Abstand zum Schlüsselrücken – ausgeformte Längsnut entsprechend dem Sinngehalt der Merkmale M3a und M4 auf. Gewiss lässt die spezielle Ausgestaltung eines Einzelschlüssels allein keine unmittelbaren Rückschlüsse etwa auf eine übergeordnete normierte Konstruktionsregel für die Profilierung der Schlüsselflachseiten zu, indes wird eine solche Möglichkeit sogar von Beklagtenseite auch nicht ausgeschlossen. Denn die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung hierzu, als Anlage ropNi4, eine vergrößerte Darstellung des Querschnittprofils eines Einzelschlüssels nach dem Modell „Errebi AA18“ – in Analogie zur Anlage K22 – mit von ihr vorgenommenen Ergänzungen eingereicht.
159
Abb. 4: Modell „Errebi AA18“ nach der Anlage ropNi4
160
Ausweislich der Darstellung (vgl. Abb. 4) hat sie der tiefen, dem Schlüsselrücken am nächsten liegenden Längs- bzw. Variationsnut ein farblich hervorgehobenes Basisdreieck zugeordnet, dessen Basisseite in der Schlüsselflachseite liegt, von der ausgehend sich die beiden anderen Dreiecksseiten zu einer Kreuzungslinie erstrecken. Zugleich fußt auch das Querschnittsprofil der seichten, auf der gegenüberliegenden Schlüsselflachseite, mit geringfügig größerem Abstand zum Schlüsselrücken angeordneten Längs- bzw. Variationsnut auf dem ebenso farblich herausgestellten Basisdreieck. Eine der Nutenflanken verläuft hierbei entlang einer Seitenhalbierenden eines Schenkels des Basisdreiecks und die andere Nutenflanke entlang dieses Schenkels. Mithin erstrecken sich die Seitenlängen bzw. die Schenkel des Basisdreiecks als auch deren Seitenhalbierende von den Schlüsselflachseiten aus.
161
Insoweit räumt die Beklagte selbst ein, dass das Modell „Errebi AA18“ nach den Anlagen K21, K22, K27 und ropNi4 das Ergebnis eines konstruktiven Prinzips nach dem gebotenen Verständnis der Merkmalsgruppe M3.Xa sowie der Merkmale M4.1, M4.2, M4.2b und M8.1 gemäß obiger Auslegung sein kann, auch wenn sie aufgrund ihrer davon abweichenden Sinngehaltsfeststellung zu einer anderen Schlussfolgerung gelangt. Auf eine eindeutige und unmittelbare Offenbarung dieser Merkmale durch die Anlagen K22/ropNi4 kommt es jedoch nicht an, da die Konstruktionsregel für sich nach der Definition dieser Merkmale nicht erfinderisch ist.
162
Vorliegend kann ebenso dahingestellt bleiben, ob bei dem vorbekannten Schlüssel mit einem Profil nach Anlage K22 – wie die Klägerin behauptet – die Querschnittsformen der tiefen und seichten Variationsnut auf deckungsgleichen, insbesondere optisch nicht sichtbaren Basisdreiecken mit identischen Innenwinkeln basieren, denn für die mit dem Merkmal M8 geforderte Ausgestaltung der Konstruktionsregel bedurfte es keiner expliziten Anregung.
163
Dem Fachmann stehen zur Festlegung des jeweiligen Innenwinkels des Basisdreiecks für die tiefe und seichte Variationsnut nur die Alternativen zur Verfügung, diese gleich oder unterschiedlich groß vorzusehen.
164
Auch im Streitpatent ist die stets gleiche Größe des Innenwinkels lediglich als eine Möglichkeit unter vielen wählbaren Konfigurationen aufgeführt. Ein relevanter Vorteil dieser Vorgabe für den Innenwinkel des Basisdreiecks im Sinne einer bisher unbekannten Eigenschaft, die unter Umständen eine erfinderische Tätigkeit mit Blick auf die daraus hervorgehenden realen Nutprofile begründen könnte, ist in Bezug auf das hier abgestellte Variationsspektrum für die tiefe und seichte Variationsnut nicht ersichtlich. Im Besonderen lehrt das Streitpatent nicht, dass die mit dem Merkmal M8 beanspruchte Gestaltung einer Konstruktionsregel die Variantenvielfalt für Profilquerschnitte von Längsnuten eines Einzelschlüssels vergrößert.
165
Bei der Festlegung stets gleicher Innenwinkel für das Basisdreieck der tiefen und seichten Variationsnut handelt es sich somit um eine beliebige Auswahl aus verschiedenen dem Fachmann zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, welche eine erfinderische Leistung nicht begründen kann (vgl. BGH GRUR 2004, 47-50 – Blasenfreie Gummibahn I).
166
An dieser Beurteilung ändert auch die mit den Merkmalen M1 und M2.1 weiterhin geforderte Eignung eines Schlüssels für den Einsatz in einer Zylinderschlossschließanlage mit in Anordnung und Querschnitt variierbaren Längsnuten zur Erzeugung von Schließvariationen nichts. Diese wird in den in Rede stehenden Anlagen zwar nicht angesprochen, allerdings ergibt sich hieraus auch keine gegenüber dem aus den Anlagen K21, K22, K27 und ropNi4 bekannten Schlüssel nach dem Modell „Errebi AA18“ folgende Besonderheit. Denn geeignet ist ein mit einer speziellen Nutenvariante ausgestatteter Schlüssel für die Verwendung in einer Zylinderschlossschließanlage bereits dann, wenn er auch nur ein Profilzylinderschloss einer beispielhaft hierarchisch strukturierten Schließanlage sperrt, wie es explizit links unten auf Seite 10 des Gesamtkatalogs der Firma Errebi gemäß den Anlagen K21 bzw. K27 skizzenhaft offenbart ist. So ist ohne weiteres und unmittelbar zu unterstellen, dass auch dieser Schlüssel die Eignung besitzt, in Zylinderschlossschließanlagen eingesetzt werden zu können. Insofern gelten die Restriktionen der Merkmale M1 und M2.1 als vollständig erfüllt, weil der Fachmann diese sich aufdrängenden Eignungen beiläufig mitliest.
II.
167
1. Zu den Hilfsanträgen 1 bis 4
168
Die Gegenstände der Patentansprüche 1 nach den Hilfsanträgen 1 bis 4 erweisen sich gegenüber dem Stand der Technik mangels erfinderischer Tätigkeit als nicht patentfähig. Zudem ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 4 gegenüber dem Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen unzulässig erweitert.
169
1.1 Zum Sinngehalt der bei den Patentansprüchen 1 nach den Hilfsanträgen 1 bis 4 teilweise ergänzten Merkmalsangaben im Kontext der Merkmale des Schlüssels nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag:
170
Zu den gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 unveränderten Merkmalen sowie den Auslegungsgrundsätzen wird auf die Ausführungen unter Abschnitt I.3.1 verwiesen.
171
Das Merkmal M5 gibt die Mindestanzahl der Längsnuten in den Schlüsselflachseiten eines anspruchsgemäßen Schlüssels vor. Diese müssen insoweit wenigstens drei Längsnuten aufweisen, die jeweils auf einem Basisdreieck basieren, dessen der Basisseite gegenüberliegende Spitze jeweils eine Kreuzungslinie festlegt.
172
Die Merkmale M5.1a und M5.1b fügen dem Merkmal M5 lediglich eine Konkretisierung der Lage der Kreuzungslinien entweder in der Mittellängsebene des Profils oder auf der jeweils anderen Seite der Mittellängsebene, d.h. ausweislich aller diesbezüglich in den Figuren 4 bis 6 dargestellten Ausführungsbeispiele auf der von der jeweiligen Basisseite des Basisdreiecks abgewandten Seite der Mittellängsebene hinzu. Als Mittellängsebene ist dabei diejenige Ebene zu betrachten, die entlang der Längsachse des Schlüsselschafts zwischen Schlüsselrücken und -brust orthogonal zur Schlüsselquererstreckung verläuft.
173
Auf diese Weise entsteht nach dem Merkmal M6 ein „überlapptes Profil“, das sich durch mindestens jeweils eine tiefe Variationsnut auf jeder Schlüsselflachseite auszeichnet, sodass mindestens zwei der wenigstens drei Längsnuten nach dem Merkmal M5 jeweils als tiefe Variationsnut ausgestaltet sein müssen. Die mindestens noch verbleibende dritte Längsnut verkörpert entweder eine weitere tiefe Variationsnut oder mit Blick auf die Merkmalsgruppe M4.X bereits die seichte Variationsnut mit jeweils einem Basisdreieck, dessen Spitze eine im Sinne der Merkmale M5.1a und M5.1b verortete Kreuzungslinie definiert.
174
Dieser Sinngehalt steht zwar nicht im Einklang mit einem ein überlappendes Profil in besonderer Ausgestaltung betreffenden Ausführungsbeispiel der Beschreibung, denn laut Absatz [0013] der SPS wäre ein „überlapptes Profil“ erst erreicht, wenn an wenigstens drei Stellen die Längsprofilnuten – und nicht die im Unteranspruch 2 angesprochenen Kreuzungslinien – bis an die Mittellängsebene heranreichen oder diese überschreiten. Vorliegend fordert das Merkmal M6 jedoch keine solche spezielle Anordnung von drei derartigen Längsnuten für die Bereitstellung eines „überlappten Profils“, wie sie im zitierten Beschreibungsabsatz offenbart ist, sondern unterstellt dieses bereits einer Anordnung von zumindest einer tiefen Nut je Schlüsselflachseite, weshalb den Merkmalen M5, M5.1a und M5.1b keine andere als jeweils die dem Wortlaut folgende Bedeutung zukommt. Schließlich darf die Beschreibung nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie sich als Erläuterung des Patentanspruchs lesen lässt. Bei Wiedersprüchen zwischen den Patentansprüchen und der Beschreibung werden diejenigen Bestandteile der Beschreibung, die in den Patentansprüchen keinen Niederschlag gefunden haben, grundsätzlich nicht zur Bestimmung des Gegenstands des Patents herangezogen (vgl. BGH, GRUR 2015, 972 – Kreuzgestänge).
175
Der Abschnitt „je zumindest eine Längsnut mit tiefen Variationsnuten (a, b, ab) angeordnet ist“ des Merkmals M6 zielt dabei nicht – wie seiner sinnfälligen Lesart zu unterstellen wäre – auf je eine mehrteilige Längsnut mit mehreren tiefen Variationsnuten ab, sondern legt je eine als tiefe Variationsnut ausgeführte Längsnut mit einem bestimmten Profil (a, b, ab) fest.
176
Während die Merkmale M3.3a und M3.3b den Verlauf der Kreuzungslinien noch offenlassen, bestimmt das Merkmal M5.2 parallel zur Mittellängsebene positionierte, sogenannte Schnittstellenebenen, in denen die Kreuzungslinien angeordnet sind. Der eigentlichen Bedeutung des Begriffs „Schnittstelle“ werden diese Ebenen nur für den Fall gerecht, als mehrere Kreuzungslinien gemeinsam in einer Schnittstellenebene verortet sind. Allerdings schließt es das Merkmal M5.2 aufgrund der Formulierung im Plural – eben Schnittstellenebenen – auch nicht aus, dass sich jede Kreuzungslinie in einer eigenen befindet. Die Abstände zwischen der Mittellängsebene und den beidseits hierzu angeordneten, einzelnen Schnittstellenebenen sind gemäß dem Merkmal M5.2.1 im Wesentlichen gleich. Diesem Merkmal kommt somit das Verständnis zu, jedes Basisdreieck sowohl der tiefen als auch der seichten Variationsnut auf jeder Schlüsselflachseite mit im Wesentlichen identischer Höhe über der Basisseite auszuführen. Das Merkmal M5.2.2 stellt „Normalabstände“ benachbarter Variationsnuten in Relation zu den Abständen der Schnittstellenebenen zur Mittellängsebene, wobei diese geringer als die Normalabstände zwischen den Variationsnuten zu bemessen sind. Im Sinne der eigentlichen Wortbedeutung versteht der Fachmann unter dem Begriff „Normalabstand“ die kürzeste Distanz zwischen zwei Variationsnuten, die sich aus der Länge des Lots zwischen räumlich-körperlichen Bestandteilen zweier benachbarter Variationsnuten ergibt.
177
1.2 Zur Ausführbarkeit bzw. Klarheit, Zulässigkeit und Patentfähigkeit der Gegenstände in den verteidigten Fassungen der Hilfsanträge 1 bis 3.
178
1.2.1 Für den Fachmann mit seinem ihm zu unterstellenden Wissen und Können ist der beanspruchte Schlüssel im Umfang der Hilfsanträge 1 bis 3 unter Berücksichtigung der Gesamtoffenbarung des Streitpatents nacharbeitbar.
179
Die Klägerin macht in ihrem Schriftsatz vom 28. Juli 2021 fehlende Ausführbarkeit bzw. mangelnde Klarheit/Verständlichkeit hinsichtlich des Merkmals M5 in Verbindung mit den Merkmalen M5.2 und M6 sowie des Merkmals M5.2.1 geltend. Ihrer Auffassung nach führe die Kombination der Merkmale M5, M5.2 und M6 zu einem Missverständnis, denn der beanspruchte Schlüssel umfasse gemäß dem Merkmal M5 drei Stellen mit jeweils einer Kreuzungslinie als Kennzeichen einer tiefen Variationsnut, von denen auf jeder Schlüsselseite wenigstens eine angeordnet sei (Merkmal M6). Dies sei allerdings widersprüchlich zu Merkmal M5.2, das eine Anordnung der Kreuzungslinien in einer „einzigen“ Schnittstellenebene fordere, was voraussetze, dass die drei tiefen Variationsnuten auf einer Seite verortet sind. Diese Einschätzung beruht jedoch auf einem den Aussagegehalt verkennenden Verständnis des Merkmals M5.2, denn eine Lage der drei Kreuzungslinien zusammen in einer Schnittstellenebene wird nicht beansprucht, vielmehr lehrt das in Rede stehende Merkmal lediglich eine Anordnung der wenigstens drei Kreuzungslinien in mehr als einer Schnittstellenebene, wie die Verwendung dieses Begriffs im Plural auch explizit verdeutlicht.
180
Soweit die Klägerin die Angabe „im Wesentlichen gleich groß“ als unklar bzw. unbestimmt und daher das Merkmal M5.2.1 insgesamt als nicht ausführbar erachtet, kann ihr nicht gefolgt werden. Bei der Relativierung mit dem vorangestellten Ausdruck „im Wesentlichen“ handelt es sich lediglich um eine Angabe, die dem Fachmann kommuniziert, dass die nachfolgende Maßgabe nur mit einer gewissen Ungenauigkeit verifiziert werden kann. Im Grunde kann die mit dem Merkmal M5.2.1 beanspruchte Bauweise sogar nur so d.h. im Rahmen von technisch bedingten Toleranzen gegenüber der geometrisch exakten Definition umgesetzt werden (vgl. Schulte PatG, 10. Auflage, § 34 Rn. 136).
181
1.2.2 Die Merkmale der Patentansprüche 1 in den jeweils verteidigten Fassungen der Hilfsanträge 1 bis 3 sind in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbart und beschränken jeweils den Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1; sie sind daher zulässig.
182
Die Anordnung von Kreuzungslinien in der Mittellängsebene des Profils oder auf der jeweils anderen Seite der Mittellängsebene sowie die Verortung je zumindest einer Längsnut mit tiefen Variationsnuten an den beiden Schlüsselflachseiten, gemäß den Merkmalen M5.1a, M5.1b und M6 des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 1 sind wortgleich dem Unteranspruch 2 der Offenlegungsschrift EP1 862 615 A1 (im Folgenden mit OS kurzbezeichnet) sowie der SPS zu entnehmen. Die Mindestvorgabe „an wenigstens drei Stellen“ ergibt sich bereits aus der einfachen Addition der im Merkmal M6 geforderten je einen tiefen Längsnut auf den beiden Schlüsselflachseiten und der mindestens einen seichten Variationsnut nach dem Merkmal M4, mit der Implikation, dass die Kreuzungslinie der seichten Variationsnut in diesem Fall ebenso in oder auf der der Basisseite des Basisdreiecks gegenüberliegenden Seite der Mittelängsebene liegt. Eine ursprüngliche Offenbarung für sowohl eine derartige Kombination aus zwei tiefen Variationsnuten und einer entsprechend konfigurierten, seichten Variationsnut als auch drei tiefe Längsnuten an den wenigstens drei Stellen findet sich unter anderen in der Figur 5 der OS bzw. SPS.
183
Nach den Angaben der Beklagten geht das dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 hinzugefügte Merkmal M5.2.1 auf die Figur 4 der OS bzw. der SPS zurück. Grundsätzlich sind Patentansprüche, Beschreibung und Zeichnungen der Anmeldeunterlagen als gleichwertige Offenbarungsmittel anzusehen (BGH, GRUR 2007, 578, 580 – Rückspülbare Filterkerze). Für die Übernahme von Merkmalen aus Zeichnungen sind daher nach ständiger Rechtsprechung dieselben Grundsätze anzuwenden, die auch für die Übernahme von Merkmalen aus der Beschreibung gelten, Dabei reicht es aus, dass die merkmalsgemäße Ausgestaltung in der Anmeldung als mögliche Ausführungsform der Erfindung dargestellt wird (vgl. BGH, GRUR 2010, 599, 600 – Formteil). Maßgebend ist danach, ob das nur aus einer Zeichnung in den Patentanspruch übernommene Merkmal für den Fachmann eindeutig und unmittelbar als zur erfindungsgemäßen Lehre gehörend zu erkennen ist (vgl. BGH, GRUR 1990, 432-434 – Spleißkammer).
184
In den Absätzen [0011] und [0012] der OS wird der erfindungsgemäße Schlüssel anhand eines Ausführungsbeispiels erläutert, wobei hier unter anderem ausdrücklich auf die Figur 4 verwiesen wird. Bei Kenntnisnahme der in diesen vorstehend genannten Absätzen beschriebenen Ausgestaltung des Schlüssels mit einem überlappten Profil, unterstellt der Fachmann der zeichnerischen Darstellung beiläufig, dass nach dem gebotenen Verständnis des Merkmals M5.2.1 die auf beiden Seiten der Mittelängsebene eingezeichnete je eine Schnittstellenebene von dieser im Rahmen der üblichen Fertigungstoleranzen gleich beabstandet ist.
185
Sonstige der Zulässigkeit der Patentansprüche 1 in den Fassungen der Hilfsanträge 1 bis 3 entgegenstehende Aspekte sind weder ersichtlich noch geltend gemacht.
186
1.2.3 Ein Schlüssel in einer die Merkmale nach dem Patentanspruch 1 in der Fassung gemäß Hilfsantrag 3 umfassenden Ausführung, der gegenüber der Fassung nach Hauptantrag um die Merkmale M5, M5.1b, M5.2, M5.2.1 und M6 insgesamt ergänzt ist, beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Insoweit gelten die Ausführungen zur Patentfähigkeit auch sinngemäß für die Hauptansprüche in ihren jeweiligen Fassungen nach den Hilfsanträgen 1 – jedenfalls in der Ausgestaltungsvariante mit dem Merkmal M5.1b – und 2, die gegenüber der Fassung des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 lediglich Teilmengen der vorstehend bezeichneten Merkmale enthalten. Aber auch der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 in der Ausgestaltungsvariante mit dem Merkmal M5.1a ist nicht bestandsfähig.
187
Wie bereits unter Punkt I.3.2.1.2 ausgeführt, ist gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit auf die eine beanspruchte Lösung beruht, diejenige Leistung zugrunde zu legen, welche die Erfindung gegenüber dem Stand der Technik tatsächlich erbracht hat. Demzufolge orientiert sich auch die Formulierung der objektiven Aufgabe an solchen Problemen, die durch die Erfindung gegenüber dem Stand der Technik tatsächlich gelöst werden (vgl. BGH, a.a.O. – Fettsäurezusammensetzung; BGH GRUR 2010, 814 – Fugenglätter; BGH GRUR 2003, 693 – Hochdruckreiniger); im vorliegenden Fall lässt sich daraus als objektive Aufgabe des Fachmanns die Bereitstellung eines Schlüssels mit einer Längsprofilierung ableiten, die einem übergeordneten Konstruktionsprinzip entspringt und eine missbräuchliche Nachahmung des Schlüssels erschwert.
188
Ausgangspunkt seiner Überlegungen für eine mögliche Problemlösung bildet hierbei der Stand der Technik, dessen Kategorisierung und daraus resultierende Einordnung eines bestimmten Ausgangspunkts als – aus ex-post Betrachtung – nächstkommender Stand der Technik weder ausreichend (vgl. BGH GRUR 2017, 498 – Gestricktes Schuhoberteil; BGH GRUR 2009, 382, Rn. 51 – Olanzapin) noch erforderlich ist (vgl. BGH GRUR 2009, 1039 – Fischbissanzeiger). Die Bestimmung des Ausgangspunkts bedarf deshalb der Rechtfertigung, die in der Regel in dem Bemühen des Fachmanns liegt, für einen bestimmten Zweck eine bessere oder andere Lösung zu finden, als sie der Stand der Technik zur Verfügung stellt (BGH GRUR 2009, 382 – Olanzapin; BGH GRUR 2017, 148 – Opto-Bauelement).
189
Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob sich die Druckschriften K3 und K4 – wie von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen – für den Fachmann nicht eher als jeweils geeigneter Ausgangspunkt erweisen. Denn die Lösung des bereits angesprochenen Kernproblems der Schaffung eines Längsprofils mittels einer normierten Konstruktionsregel lag für den Fachmann jedenfalls ausgehend von der Druckschrift D1/K28 auf der Hand.
190
Vorgestellt wird dort, wie unter Punkt I.3.2. dargelegt, ein Schlüssel für eine Zylinderschlossschließanlage (Merkmal M1) mit Längsnuten 7 gemäß den Merkmalskomplexen M3.X und M4.X nach Hauptantrag. Darüber hinaus sind die Anordnung und der Querschnitt der in den Schlüsselflachseiten des bekannten Schlüssels vorgesehenen Längsnuten 7 nach den Merkmalen M2 und M2.1 zur Erzeugung von Schließvariationen variierbar (vgl. Ansprüche 1 und 12).
191
Das der Druckschrift D1/K28 zugrundeliegende Variationsschema nutzt hierfür unterschiedliche Neigungen der Nutflanken einer oder mehrerer dreiecksförmiger Variationsnuten in den Schlüsselflachseiten. Das spezifische Querschnittsprofil jeder sogenannten tiefen Variationsnut basiert dabei auf einem Thaleskreis mit einer in der Schlüsselflachseite 6 liegenden Basisseite und einem der halben Schlüsselbreite entsprechenden Radius (vgl. Figuren 1 bis 5). Insofern tangiert der Halbkreisbogen B dieses Thaleskreises, mithin auch die Spitze bzw. Kreuzungslinie eines auf dem Thaleskreis liegenden, beispielhaft gleichschenkligen Dreiecks (Merkmal M5.1a), zwangläufig die Mittellängsebene x-x des Schlüssels (vgl. Absatz [0011]). Ausweislich der Figur 2a (vgl. Abb. 2) kann ein Schlüsselschaft gemäß der Druckschrift D1/K28 sogar zwei derartige Variationen einer tiefen Variationsnut je Schlüsselflachseite im Sinne des Merkmals M5 aufweisen, die auf diese Weise ein überlapptes Profil nach dem gebotenen Verständnis des Merkmals M6 ausbilden.
192
Somit sind die zusätzlichen Merkmale M5, M5.1a und M6 des Gegenstands nach Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 1 aus der Druckschrift D1/K28 vorbekannt.
193
Zur Erhöhung der Schließsicherheit gegenüber Nachbildungen wird in der Druckschrift D1/K28 ferner die Ausbildung eines parazentrischen bzw. überlappten Schlüsselprofils vorgeschlagen, das die Erstellung eines übergeordneten – folglich mehrere Zylinderschlösser sperrenden – Schlüssels 1 durch Abfeilen einer Schlüsselflachseite 6 verhindern soll.
194
Die durch die Druckschrift D1/K28 vorgegebene überlappte Profilform besteht hierfür gemäß Anspruch 3 aus zumindest zwei sich gegenüberliegenden Variationsnuten, deren Halbkreisbögen B sich parazentrisch überlappende Radien umfassen.
195
Abb. 5: Figur 5b der Druckschrift D1/K28
196
Eine entsprechende zeichnerische Darstellung findet sich in der Figur 5b (vgl. Abb. 5), die insoweit eine Variationsnut mit einem Thaleskreis zeigt, dessen Basisseite ausgehend von der Schlüsselflachseite 6 nach innen versetzt ist (vgl. Absatz [0018]), sodass die Spitze eines beispielhaft gleichschenkligen Dreiecks bzw. dessen Kreuzungslinie auf der von der Basisseite abgewandten Seite der Mittellängsebene x-x zu liegen kommt. Anstelle eines Versatzes des Thaleskreises für eine Variationsnut zieht der Fachmann beiläufig auch eine Änderung des Durchmessers des Thaleskreises in Erwägung (vgl. Absatz [0006], Spalte 2, Zeilen 26 bis 29) mit einer Basisseite, die in der Schlüsselflachseite verbleibt.
197
Eine Festlegung auf wenigstens drei Stellen, an denen die Kreuzungslinien auf der jeweils anderen Seite der Mittellängsebene angeordnet sind, offenbart die Druckschrift D1/K28 zwar nicht wörtlich, sie schließt eine solche konstruktive Ausbildung aber auch nicht aus. Vielmehr belässt die Lehre der Druckschrift D1/K28 die genaue Anzahl dieser Stellen bzw. derartiger Längsnuten im Belieben des Fachmanns, insofern sie darlegt, dass eine zur Schlüsselbreitseitenebene bzw. Mittellängsebene parallel verlaufende Ebene von zumindest zwei sich gegenüberliegenden Nuten 7 geschnitten wird (vgl. Absatz [0018], Spalte 6, Zeilen 30 bis 35).
198
Bei einseitig offenen Bereichsangaben sieht der Fachmann zwar nicht per se jeden Wert als offenbart an, allerdings präsentieren einseitig offene Bereichsangaben dem Fachmann stillschweigend auch nicht ausdrücklich genannte Werte, solange diese für ihn innerhalb der üblichen Bandbreite liegen (vgl. Schulte, PatG, 10. Auflage, § 3, Rn. 123). Dies trifft bei der Nennung von „mindestens zwei sich gegenüberliegenden Nuten“ auf eine Anzahl von wenigstens drei Stellen, an denen die Kreuzungslinien auf der jeweils anderen Seite der Mittellängsebene angeordnet sind (Merkmal M5.1b), allemal zu. Dies umso mehr, als auch die Kreuzungslinie eines beispielhaft gleichseitigen Basisdreiecks der seichten Variationsnut nach den Merkmalen M4, M4.1, M4.2, M4.2b – in der Figur 5b links unten – jenseits der Mittellängsebene verortet wäre.
199
Die Positionierung der Kreuzungslinien in Schnittstellenebenen parallel zur Mittellängsebene des Schlüsselprofils gemäß Merkmal M5.2 führt gemäß obiger Auslegung dabei zu keinem von der Lehre der Druckschrift D1/K28 abweichenden Nutenprofil des beanspruchten Schlüssels.
200
Somit wird auch die Merkmalskombination des Schlüssels gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 durch die Druckschrift D1/K28 vorweggenommen.
201
Die Ausbildung eines Schlüsselprofils bei dem die Abstände der Schnittstellenebenen zur Mittellängsebene auf beiden Seiten des Schlüssels im Wesentlichen gleich groß sind, ist in der Druckschrift D1/K28 hingegen nicht offenbart.
202
Der vorliegend beanspruchte Schlüssel unterscheidet sich deshalb zumindest im Merkmal M5.2.1 von dem der Druckschrift D1/K28 entnehmbaren Schlüssel, das jedoch keine erfinderische Tätigkeit begründen kann.
203
So waren dem vorstehend definierten Fachmann am Anmeldetag des vorliegenden Streitpatents neben den aus der Druckschrift D1/K28 hervorgehenden Ausführungen von tiefen und seichten Variationsnuten im Rahmen seines Fachwissens weitere äquivalente Anordnungen von Variationsnuten in den Schlüsselflachseiten bekannt, mit denen sich ebenfalls ein überlapptes Schlüsselprofil erreichen ließ. Ein solch bekanntes äquivalentes Profil entsteht durch das Vorsehen von mindestens zwei tiefen dreiecksförmigen Variationsnuten auf jeder Schlüsselflachseite, deren Spitzen bzw. Kreuzungslinien in jeweils einer gemeinsamen Schnittstellenebene auf der jeweils anderen Seite der Mittellängsebene zu liegen kommen.
204
Abb. 6: Figur 1 der Druckschrift K4
205
Deren Bekanntheit belegt die Druckschrift K4, die in Figur 1 (vgl. Abb. 6) den Querschnitt eines derartig profilierten Schlüsselschafts zeigt. Die beiden eingezeichneten, jeweils die Spitzen bzw. Kreuzungslinien der auf einer Schlüsselflachseite, dort Umhüllende 60, 61, angeordneten tiefen Variationsnuten 67, 69, 70 aufnehmenden Schnittstellenebenen befinden sich hierzu jeweils seitlich beabstandet zur Mittelängsebene 65, ohne jedoch dem Fachmann einen eindeutigen und unmittelbaren Hinweis zu geben, wie sich die Abstände der beiden Schnittstellenebenen zur Mittellängsebene zueinander verhalten. Im Lichte der Beschreibung eignet sich das Schlüsselsystem gemäß der Druckschrift K4 auch für die Herstellung von Wendeschlüsseln (vgl. Seite 8, Zeilen 3 bis 5), die sich durch symmetrisch ausgebildete Schlüsselschmalseiten (vgl. Seite 8, Zeilen 18 u. 19) und damit implizit – rein schon aus funktionellen Gründen – auch durch symmetrisch ausgebildete Schlüsselflachseiten auszeichnen. Unter dieser Prämisse weisen auch die der Figur 1 zu entnehmenden Schnittstellenebenen zur Mittellängsebene jeweils den im Wesentlichen gleichen Abstand auf, wie es das Merkmal M5.2.1 fordert.
206
Dem Fachmann haben am Anmeldetag des Streitpatents somit verschiedene Möglichkeiten für die Ausführung von Variationsnuten an einem Schlüsselschaft zur Verfügung gestanden, mittels denen er ein parazentrisch bzw. überlappt gestaltetes Schlüsselprofil erreichen konnte. Die Wahl oder Kombination der einzelnen Ausführungsformen von tiefen und seichten Variationsnuten für das jeweils gewählte Schlüsselprofil ist dabei willkürlich und beliebig möglich, denn das Vorsehen von mindestens einer oder mehreren, gleich oder unterschiedlich tiefen Längsnuten auf jeder Schlüsselflachseite hat im Hinblick auf die Ausbildung eines parazentrischen oder überlappten Schlüsselprofils den gleichen – bereits in der Druckschrift D1/K28 aufgezeigten – technischen Effekt. Insofern kann die Ausführung der tiefen und seichten Variationsnuten, wie sie mit den im Wesentlichen gleich großen Abständen der ihnen zugeordneten Schnittstellenebenen auf beiden Seiten des Schlüssels zur Mittellängsebene nach dem Merkmal M5.2.1 vorgegeben ist, eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen (vgl. BGH, GRUR 2008, 56 – Injizierbarer Mikroschaum).
207
In diesem Zusammenhang stellt die Möglichkeit den Durchmesser eines einer seichten Nut zugrundliegenden Thaleskreises gemäß der Druckschrift D1/K28 so zu bemessen, dass die Kreuzungslinie eines nach dem Merkmalskomplex M4.X imaginär ergänzten Basisdreiecks zusätzlich zu den jeweils einer tiefen Variationsnut einer Schlüsselflachseite 6 zugeordneten Kreuzungslinien in einer gemeinsamen Schnittstellenebene zu liegen kommen, eine dem Fachmann im Rahmen einer einfachen Dimensionierung in Anpassung an den praktischen Bedarfsfall gleichsam präsente Alternative dar. Bei ihrer, sich aus dem Merkmal M5.2.1 ergebenden Festlegung handelt es sich somit um eine beliebige Auswahl aus verschiedenen dem Fachmann zur Verfügung stehenden Optionen, die eine erfinderische Tätigkeit ebenso nicht belegen kann (vgl. BGH, a.a.O. – Blasenfreie Gummibahn I).
208
1.3 Zur Ausführbarkeit bzw. Klarheit, Zulässigkeit und Patentfähigkeit des Gegenstands in der verteidigten Fassung des Hilfsantrags 4.
209
1.3.1 Die Lehre des Patentanspruchs 1 nach dem Hilfsantrag 4 ist so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
210
Im Hinblick auf das Merkmal M5.2.2 ist der Klägerin zwar zuzugestehen, dass die SPS den Begriff „Normalabstand“ nicht enthält, allerdings stellen vorliegend die fehlenden Angaben zur Methodik für die Bestimmung der Normalabstände zwischen benachbarten Variationsnuten nicht die Ausführbarkeit, sondern vielmehr ausschließlich die Unterscheidbarkeit streitpatentgemäßer Schlüsselprofile von sich überlappenden Schlüsselprofilen aus dem Stand der Technik und damit die Anspruchsbreite in Frage. Aus der breiten, quasi aufgabenhaften Formulierung des Merkmals M5.2.2 kann jedoch nicht der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit hergeleitet werden. Wie die Beklagte mit der von ihr ergänzten Figur 4 aus der SPS im Schriftsatz vom 28. Juni 2021 (vgl. dort Seite 14) dargelegt hat, erschließt sich aus dem Streitpatent bereits eine Möglichkeit, wie die Normalabstände zwischen benachbarten Variationsnuten bzw. Schnittstellenebenen zu bemessen sind. Nach Überzeugung des Senats wird dem fachkundigen Leser die erforderliche technische Information jedenfalls insoweit vermittelt, um mit seinem Wissen und Können die streitpatentgemäße Lehre nacharbeiten zu können (vgl. BGH GRUR 2010, 916 – Klammernahtgerät).
211
Hinsichtlich der übrigen Klarheitseinwände der Klägerin wird auf die dem Abschnitt II.1.2.1 zu entnehmenden Schlussfolgerungen verwiesen.
212
1.3.2 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach dem Hilfsantrag 4 – der noch um das Merkmal M5.2.2 gegenüber dem Patentanspruch 1 in der Fassung nach dem Hilfsantrag 3 ergänzt ist – geht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus und ist damit unzulässig erweitert.
213
Nach ständiger Rechtsprechung ist für den Inhalt einer Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung maßgebend, was der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik den ursprünglichen Unterlagen unmittelbar und eindeutig als zu der zum Patent angemeldeten Erfindung gehörend entnehmen kann (vgl. BGH GRUR 2015, 249 – Schleifprodukt; BGH GRUR 2014, 542 – Kommunikationskanal; BGH GRUR 2016, 50 – teilreflektierende Folie).
214
Eine unzulässige Erweiterung des Inhalts einer Anmeldung liegt dann vor, wenn der Gegenstand des Patents sich für den Fachmann erst aufgrund eigener, von seinem Fachwissen getragener Überlegungen ergibt, nachdem er die ursprünglichen Unterlagen zur Kenntnis genommen hat, so wenn die Hinzufügung einen technischen Aspekt betrifft, der den ursprünglich eingereichten Unterlagen in seiner konkreten Ausgestaltung oder wenigstens in abstrakter Form nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (vgl. BGH GRUR 2013, 809 – Verschlüsselungsverfahren).
215
Die Beklagte macht in Bezug auf das strittige Merkmal M5.2.2 geltend, dass auf diese Weise eine ausreichende Materialstärke des Schlüsselprofils im Bereich der Längsnuten gewährleistet sei, dementsprechend die praktische Brauchbarkeit des Schlüsselprofils sichergestellt werden könne.
216
Dahingehende ausdrücklich die verbleibende Materialstärke zwischen benachbarten Variationsnuten und die Abstände der Schnittstellenebenen zu der Mittellängsebene in Verhältnis setzende Offenbarungen sind weder im Wortlaut der ursprünglich eingereichten Ansprüche noch der Beschreibung enthalten. Lediglich in der Figur 4 weisen benachbart dargestellte Variationsnuten Normalabstände auf, die gegenüber den Abständen der beiden eingezeichneten Schnittstellenebenen jeweils zur Mittellängsebene größer sind. Die Notwendigkeit von gegenüber den Normalabständen benachbarter Variationsnuten geringeren Abständen der Schnittstellenebenen zur Mittellängsebene entsprechend Merkmal M5.2.2 geht in dieser allgemeinen Form jedoch weder aus der OS noch aus der SPS ursprünglich hervor.
217
Dass diese Abstandsrelation für die erfindungsgemäße Lösung im Sinne der ständigen Rechtsprechung (vgl. BGH, GRUR 2010, 599, 600 – Formteil) grundsätzliche Relevanz besitzt, ist weder aus der Zeichnung für sich noch der zugehörigen Beschreibung ersichtlich – auch nicht im Rahmen einer weitergehenden Erkenntnis, zu der der Fachmann erst aufgrund seines allgemeinen Wissens oder durch Abwandlung der offenbarten Lösung gelangen kann, was im Übrigen erst recht gegen eine ursprüngliche Offenbarung spräche (vgl. BGH, GRUR 2010, 910 – Fälschungssicheres Dokument).
218
Vielmehr betrifft das Merkmal M5.2.2 eine Vorschrift zur näheren Definition einer Anordnung, die aus einer willkürlich im Rahmen des konstruktiven Ermessens zu treffenden Festlegung für einen stabilen Schlüssel mit mehreren Längsnuten folgen mag, insofern allerdings in dieser abstrakten Form als nicht zur Erfindung gehörig angesehen werden kann.
219
1.3.3 Zudem wäre der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 4 nicht patentfähig, da die beanspruchte Lehre für den angesprochenen Fachmann zum Zeitpunkt der Anmeldung durch den Stand der Technik nahegelegt war.
220
Wie bereits bei der Beurteilung der Patentfähigkeit des Gegenstands gemäß dem unmittelbar vorrangigen Hilfsantrag 3 dargelegt, beruht der Schlüssel mit den dort jeweils beanspruchten Merkmalen auf keiner erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Lehren der Druckschriften D1/K28 und K4; die entsprechenden Ausführungen hierzu gelten auch im Übrigen hier.
221
Entgegen der Auffassung der Beklagten existiert nach Überzeugung des Senats keine Korrelation der notwendigen Materialstärke des Schlüsselprofils zwischen den Längsnuten mit dem nicht näher konkretisierten Abstand der – notabene durch die Lage imaginärer Kreuzungslinien von Basisdreiecken definierten – Schnittstellenebenen zur Mittellängsebene. Da auch das Streitpatent keine besonderen Vorteile oder Wirkungen bezüglich der sich aus dem Merkmal M5.2.2 ergebenden Restriktionen für die Normalabstände benachbarter Variationsnuten gegenüber den Abständen der Schnittstellenebenen zur Mittellängsebene nennt und solche für den Fachmann auch unter Berücksichtigung seines Fachwissens eben nicht zu erkennen sind, wird er die beanspruchte Relation insoweit lediglich als eine innerhalb der durch die jeweiligen Randbedingungen – wie beispielsweise die erforderliche Stabilität des Schlüssels bei einer bestimmten Werkstofffestigkeit – gesetzten Grenzen nach Belieben getroffene Auswahl sehen. Letztlich stellt diese eine von einem bestimmten Zweck oder Ergebnis losgelöste Selektion eines konkreten Bereichs aus einer Bandbreite möglicher Abstandsverhältnisse dar, die für sich betrachtet grundsätzlich nicht geeignet ist, eine erfinderische Tätigkeit zu begründen. Insoweit kommt es notwendigerweise schon aufgrund der Beliebigkeit der Maßnahme nicht darauf an, ob der Fachmann Anlass hatte, diese vorzunehmen (vgl. BGH – Blasenfreie Gummibahn I, a.a.O.).
222
Darüber hinaus besitzt der in Figur 1 der Druckschrift K4 im Querschnitt dargestellte Schlüsselschaft an keiner Stelle eine Materialstärke zwischen den Variationsnuten 66-70, die geringer als der Abstand der Schnittstellenebenen zu der Mittelängsebene 65 wäre. Insoweit erfüllt der Schlüssel nach der Lehre der Druckschrift K4 ohnehin die Vorgaben des Merkmals M5.2.2.
223
2. Einer Beurteilung der weiteren jeweils abhängigen Patentansprüche – ergänzend zu vorstehenden Ausführungen im Abschnitt I.3.2.1 zu dem Anspruch 4 des Streitpatents – der für die einzelnen Hilfsanträge zugrunde zu legenden Anspruchssätze bedurfte es nicht, zumal die Beklagte mit der Stellung dieser weiteren Anträge zu erkennen gegeben hat, die auf den Patentanspruch 1 jeweils mittelbar oder unmittelbar rückbezogenen Ansprüche nicht selbstständig zu verteidigen. Auch im Übrigen hat die Beklagte über den Anspruch 4 in seinem Rückbezug auf den Anspruch 1 in der Fassung des Streitpatents hinaus nicht geltend gemacht – noch ist ersichtlich –, dass die Ausgestaltungen nach den jeweiligen Unteransprüchen in der Fassung der Hilfsanträge zu einer anderen Beurteilung der Patentfähigkeit führen könnten (vgl. BGH GRUR 2012, 149 – Sensoranordnung; BGH GRUR 2007, 862 – Informationsübermittlungsverfahren II; BGH GRUR 2017, 57 – Datengenerator).
224
3. Der Senat konnte auch in der Sache entscheiden, ohne – wie von der Beklagten angeregt – ein Sachverständigengutachten zur Klärung des Verständnisses des Fachmanns zum Prioritätszeitpunkt einzuholen.
225
Nach allgemeiner Rechtsprechung ist es originär richterliche Aufgabe, den objektiven Sinngehalt der mit dem jeweiligen Schutzrecht unter Schutz gestellten Lehre eigenständig durch Auslegung der Patentansprüche – gegebenenfalls unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen – zu ermitteln (vgl. BGH GRUR 2010, 314, Rn. 25ff – Kettenradanordnung II).
226
So auch im vorliegenden Fall, in dem es maßgeblich auf die Sinngehaltsfeststellung des Inhalts der SPS, der Anlagen K21, K22, K27 und ropNi4 als auch der Druckschriften D1/K28 und K4 sowie die durch diese vermittelten Lehren ankommt.
227
Ein Sachverständigenbeweis dient dazu, dem Gericht Fachwissen zur Beurteilung von Tatsachen zu vermitteln oder entscheidungserhebliche Tatsachen festzustellen, soweit hierzu besondere Sachkunde erforderlich ist. Hierzu bleibt jedoch festzustellen, dass das Gericht trotz einer entsprechenden Anregung nicht gezwungen ist, sich eines Sachverständigengutachtens zu bedienen, wenn es die erforderlichen Sachkenntnisse selbst besitzt oder sich diese etwa durch Studium der Fachliteratur selbst beschaffen kann. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen konnte der Senat aber ausgehen, da ihm technische Mitglieder angehören, die aufgrund ihrer Fachkenntnisse, der zur Verfügung stehenden Fachliteratur und sonstigen Druckschriften sowie der entscheidungserheblichen Patentliteratur in der Lage sind, den gegebenen Sachverhalt umfassend zu erkennen und zu würdigen (vgl. Benkard, Patentgesetz, 11.Aufl. § 88, Rn.6; § 139 Rn. 125).
228
Im Übrigen hat der Senat auch das Ergebnis der vom Oberlandesgericht Düsseldorf im Berufungsverfahren über die Patentberühmung getroffenen Auslegung berücksichtigt (vgl. BGH GRUR 2010, 950 – Walzenformgebungsmaschine).
229
4. Im Ergebnis hat aus den genannten Gründen das Streitpatent mangels Patentfähigkeit ausgehend von der Druckschrift D1/K28 oder von dem in den Anlagen K21, K22, K27 und ropNi4 dokumentierten Schlüsselmodell „Errebi AA18“ in keiner der Fassungen, mit denen es die Beklagte verteidigt, Bestand.
230
Vor diesem Hintergrund kommt es auf den Nachweis der Vorbenutzungen durch öffentliches Inverkehrbringen der Schlüssel gemäß dem Anlagen K10, K11, K13, K14, K16, K17, K19 und K20 nicht an.
III.
231
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO.
232
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG in Verbindung mit § 709 ZPO.


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