Patent- und Markenrecht

25 W (pat) 19/21

Aktenzeichen  25 W (pat) 19/21

Datum:
28.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2022:280122B25Wpat19.21.0
Spruchkörper:
25. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 1 061 960
(hier: Löschungsverfahren S 175/19)
hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 28. Januar 2022 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Kortbein, des Richters Dr. Nielsen und der Richterin k. A. Fehlhammer
beschlossen:
Die Beschwerde der Löschungsantragstellerin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die am 4. August 1983 angemeldete Wortmarke
2
Schulkreide
3
ist am 5. April 1984 unter der Nummer 1 061 960 für nachfolgende Waren der Klasse 30 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Register eingetragen worden:
4
Zuckerwaren, insbesondere Lakritzen.
5
Mit dem am 21. Oktober 2019 eingegangenen Löschungsantrag hat die Löschungsantragstellerin gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt die Löschung der Eintragung der Marke gemäß § 50 Abs. 1 MarkenG i. V. m. § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG und § 8 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 MarkenG beantragt. Der Löschungsantrag wurde der Markeninhaberin am 21. November 2019 zugestellt. Sie hat der Löschung mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2019 widersprochen, vorab per Telefax eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am 10. Dezember 2019.
6
Die Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss vom 17. Dezember 2020 den Löschungsantrag zurückgewiesen und der Löschungsantragstellerin die Kosten des Löschungsverfahrens auferlegt. Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Eintragung der mit dem Löschungsantrag angegriffenen Wortmarke kein Schutzhindernis im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegengestehe. Der insoweit zulässige Löschungsantrag sei nicht begründet. Denn das Wort „Schulkreide“ beschreibe zwar einen konkreten Gegenstand, der zudem in der Regel eine ganz bestimmte Form aufweise, die ein charakteristisches Merkmal im Sinne von § 3 Abs. 2 MarkenG n. F. sein könne. Soweit jedoch für die Gestaltung der vorliegend beanspruchten Waren die Form von Schulkreide gewählt werde, geschehe dies nicht zur Erreichung einer technischen Wirkung. Die Form der Ware vermittle allein optische oder haptische Sinneseindrücke, weshalb ihre Wirkung nicht auf technischem Gebiet liegen könne. Soweit der Löschungsantrag auf die Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 MarkenG gestützt werde, sei er gemäß § 50 Abs. 2 Satz 3 MarkenG bereits unzulässig, da er nach dem Ablauf der Frist von 10 Jahren seit dem Tag der Eintragung der angegriffenen Marke gestellt worden sei. Die Ausschlussfrist nach § 50 Abs. 2 Satz 3 MarkenG verstoße entgegen der Auffassung der Löschungsantragstellerin nicht gegen europäisches Recht. Die Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (MarkenrechtsRL) räume dem nationalen Gesetzgeber im Hinblick auf das Verfahrensrecht einen gewissen Gestaltungsspielraum ein, wobei es sich auch bei der Ausschlussfrist nach § 50 Abs. 2 Satz 3 MarkenG um eine verfahrensrechtliche Regelung handele.
7
Hiergegen wendet sich die Löschungsantragstellerin mit ihrer Beschwerde. Sie ist der Ansicht, dass die Ausschlussfrist nach § 50 Abs. 2 Satz 3 MarkenG nicht mit dem harmonisierten Unionsmarkenrecht vereinbar sei. Weiterhin sei das lexikalisch als Wort der deutschen Sprache nachweisbare Zeichen „Schulkreide“ im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren eine unmittelbar beschreibende Angabe im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG. Denn es beschreibe die Form der so gekennzeichneten Waren, wobei es für die Bejahung des Schutzhindernisses bereits ausreichend sei, dass das Zeichen zur Beschreibung der Waren geeignet sei. Sofern der erkennende Senat von einer Anwendbarkeit der Ausschlussfrist nach § 50 Abs. 2 Satz 3 MarkenG ausgehe, werde die Zulassung der Rechtsbeschwerde angeregt. Weiterhin sei entgegen der Auffassung der Markenabteilung vorliegend auch ein Schutzhindernis nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG n. F. zu bejahen. Da der Löschungsantrag nach dem 14. Januar 2019 gestellt worden sei, müsse das Schutzhindernis in der nach diesem Zeitpunkt geltenden Fassung geprüft werden. Im Übrigen benutze die Löschungsantragsgegnerin das Zeichen „Schulkreide“ nicht markenmäßig. Auf ihren Internetseiten seien verschiedene Waren abgebildet, bei denen ein anderes Zeichen in den Vordergrund gerückt werde, nämlich die Marke „Red Band“.
8
Die Löschungsantragstellerin beantragt,
9
den Beschluss der Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 17. Dezember 2020 aufzuheben und die Löschung der Eintragung der Marke 1 061 960 anzuordnen.
10
Der Markeninhaberin beantragt,
11
die Beschwerde zurückzuweisen.
12
Sie ist der Auffassung, dass der angefochtene Beschluss der Markenabteilung nicht zu beanstanden sei. Der Antrag auf Löschung der Eintragung der angegriffenen Marke wegen § 8 Abs. 2 Nr. 2 bzw. Nr. 3 MarkenG sei gemäß § 50 Abs. 2 Satz 3 MarkenG nach Ablauf von 10 Jahren seit ihrer Eintragung in das Markenregister unzulässig, zumindest jedoch unbegründet. Der Gesetzgeber habe die Frist von 10 Jahren eingeführt, weil nach längerem Zeitablauf meist keine zuverlässigen Feststellungen mehr über die Schutzfähigkeit der Marke im Zeitpunkt ihrer Anmeldung getroffen werden könnten, worauf es jedoch entscheidungserheblich ankomme. Der Umstand, dass eine Marke mehr als 10 Jahre unangefochten benutzt werde, weise zudem darauf hin, dass das Interesse der Mitbewerber an der freien Verwendbarkeit des betreffenden Zeichens nur gering ausgeprägt sei. Die Markenabteilung habe weiterhin zutreffend festgestellt, dass die Ausschlussfrist nach § 50 Abs. 2 Satz 3 Marken das Verfahrensrecht und damit den nicht harmonisierten Teil des Markenrechts betreffe. Im Übrigen könne vorliegend auch der Sache nach ein Schutzhindernis im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG nicht bejaht werden. Bei dem Wort „Schulkreide“ handele es sich nicht um ein gebräuchliches Wort der deutschen Sprache, sondern um ein Kunstwort. Die Kreidestifte, die zum Beschreiben von Schultafeln bestimmt seien, würden als „Tafelkreide“ bezeichnet. Bei der Marke „Schulkreide“ handele es sich in Verbindung mit „Zuckerwaren, insbesondere Lakritzen“ um eine phantasievolle Bezeichnung mit eigenschöpferischem Gehalt. Soweit die Löschungsantragstellerin der angegriffenen Marke eine technische Wirkung im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG zuschreibe, sei der diesbezügliche Vortrag nicht nachvollziehbar.
13
Der Senat hat die Verfahrensbeteiligten mit schriftlichem Hinweis vom 20. September 2021 darauf hingewiesen, dass die angegriffene Marke noch unter der Geltung des Warenzeichengesetzes (WZG) in die später in das Markenregister überführte Warenzeichenrolle eingetragen worden sei. Deswegen setze eine Löschung der Eintragung der Marke wegen absoluter Schutzhindernisse die Feststellung voraus, dass das betreffende Schutzhindernis, gemessen am Maßstab des WZG, bereits im Zeitpunkt der Eintragung bestanden habe. Die Löschung einer Altmarke sei nach § 156 MarkenG nur zulässig, wenn deren Schutzunfähigkeit sowohl nach früherem als auch nach geltendem Recht feststehe. Nur für diesen Fall könne es auf die Frage ankommen, ob die Ausschlussfrist nach § 50 Abs. 2 Satz 3 MarkenG mit dem teilharmonisierten Unionsmarkenrecht vereinbar sei. Weiterhin sei ein Schutzhindernis nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG vorliegend nicht zu bejahen, weil die angegriffene Wortmarke vor dem 14. Januar 2019 eingetragen worden sei. Damit sei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs für das vorliegende Löschungsverfahren § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG in seiner bis zum 14. Januar 2019 geltenden Fassung anwendbar. Das Schutzhindernis nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG a. F. betreffe jedoch nur Warenformmarken.
14
Auf den Hinweis des Senats hat die Löschungsantragstellerin ausgeführt, dass die Übergangsvorschrift nach § 156 Satz 1 MarkenG nicht anwendbar sei, da sie nach ihrem eindeutigen Wortlaut voraussetze, dass der Antrag auf Löschung wegen absoluter Schutzhindernisse vor dem 1. Januar 1995 gestellt worden sei. Im Übrigen sei die Rechtsprechung, dass die Eintragung einer Marke wegen absoluter Schutzhindernisse nur dann gelöscht werden könne, wenn das Schutzhindernis sowohl im Zeitpunkt der Anmeldung der Marke als auch im Entscheidungszeitpunkt bestehe, veraltet und nicht mit der MarkenrechtsRL vereinbar. Denn in ihr sei nicht geregelt, dass „die beschreibende Art des Produkts bereits zum Zeitpunkt der Anmeldung gegeben sein müsse“. Es komme allein auf die Frage an, ob das betreffende Zeichen eine beschreibende Angabe im Sinne von Art. 4 MarkenrechtsRL sei. In diesem Zusammenhang sei auch von Bedeutung, dass die MarkenrechtsRL bereits am 12. Januar 2016 in Kraft getreten sei und die Umsetzungsfrist am 14. Januar 2019 geendet habe, wobei der vorliegende Löschungsantrag erst nach diesem Zeitpunkt gestellt worden sei. Nach der MarkenrechtsRL sei lediglich vorgesehen, dass die Schutzhindernisse gemäß § 8 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 MarkenG im Nichtigkeitsverfahren nur dann keine Anwendung finden könnten, wenn sich die angegriffene Bezeichnung bis zum Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit in Folge ihrer Benutzung für die Waren, für die sie eingetragen worden sei, im Verkehr durchgesetzt habe. Weitere Voraussetzungen seien in der abschließenden Aufzählung in Art. 4 MarkenrechtsRL nicht enthalten. Deswegen komme es nicht darauf an, ob ein Schutzhindernis bereits im Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke bestanden habe. Sofern der erkennende Senat an seiner gegenteiligen Rechtsauffassung festhalten wolle, sei entweder das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen oder die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Unabhängig hiervon habe ein Schutzhindernis schon im Zeitpunkt der Markenanmeldung und unter Geltung von § 4 Abs. 2 Nr. 1 WZG bestanden. Nach dieser Vorschrift seien Kennzeichen von der Eintragung ausgeschlossen, die keine Unterscheidungskraft aufweisen würden. Nach der einschlägigen Kommentierung des WZG hätten solche Zeichen keine Unterscheidungskraft, die das Aussehen, die äußere Ausstattung, die Form oder die Verpackung der beanspruchten Waren beschrieben. Vor diesem Hintergrund sei das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft auch nach dem WZG ohne Weiteres zu bejahen.
15
Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat zum Hinweis des Senats ausgeführt, dass das Zeichen „Schulkreide“ in Verbindung mit den beanspruchten Waren auch unter Zugrundelegung von § 4 Abs. 2 Nr. 1 WZG schutzfähig gewesen sei. Im maßgeblichen Eintragungszeitpunkt sei die Unterscheidungskraft eines Zeichens in der Regel verneint worden, wenn es Angaben beschreibender Art aufgewiesen habe. Im Gegensatz zur heutigen Eintragungspraxis sei dagegen ein enger beschreibender Bezug zur Bejahung eines Schutzhindernisses nicht ausreichend gewesen. Zeichen, die gedankliche Schlussfolgerungen verlangten oder lediglich im übertragenen Sinne auf Merkmale der Waren hinwiesen, seien in warenzeichenrechtlicher Hinsicht sogar als sehr geeignet beurteilt worden. Im Übrigen sei die angegriffene Marke seinerzeit ohne Beanstandungen eingetragen worden. Lediglich der Inhaber einer Kreidefabrik sei damals gegen die Eintragung vorgegangen, weil er die Marke für täuschungsgeeignet gehalten habe.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss der Markenabteilung, die Schriftsätze der Beteiligten, den Hinweis des Senats vom 20. September 2021 sowie auf den übrigen Akteninhalt verwiesen.
II.
17
Die nach § 66 Abs. 1 Satz 1 MarkenG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Löschungsantragstellerin bleibt in der Sache ohne Erfolg.
18
1. Die Markenabteilung 3.4 hat zu Recht mit Beschluss vom 17. Dezember 2020 den Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit und Löschung der Eintragung der Wortmarke 1 061 960 zurückgewiesen.
19
a) Gemäß § 54 Abs. 2 Satz 3 MarkenG in der bis zum 30. April 2020 geltenden Fassung (MarkenG a. F.) war ein Löschungsverfahren durchzuführen, da die Markeninhaberin der Löschung mit dem am 10. Dezember 2019 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangenen Schriftsatz innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 MarkenG a. F. widersprochen hat.
20
b) Die Eintragung einer Marke ist auf Antrag gemäß § 50 Abs. 1 MarkenG auch wegen der vorliegend geltend gemachten absoluten Schutzhindernisse nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sowie § 8 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 MarkenG zu löschen, wenn die Marke sowohl zum Zeitpunkt der Anmeldung – dahingehend wird der Wortlaut des § 50 Abs. 1 MarkenG vom Bundesgerichtshof im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ausgelegt (vgl. BGH GRUR 2013, 1143 Rn. 15 – Aus Akten werden Fakten; GRUR 2014, 565 Rn. 10 – smartbook) – als auch zum Zeitpunkt der hier getroffenen Entscheidung über die Beschwerde gegen den Beschluss der Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 17. Dezember 2020 schutzunfähig war.
21
Die Ausführungen der Löschungsantragstellerin zu Art. 4 MarkenrechtsRL geben insoweit zu keiner anderen Entscheidung Anlass. Der Gedanke, aus der besagten Vorschrift sei zu schlussfolgern, dass die Schutzfähigkeit einer eingetragenen Marke im Rahmen eines Löschungsverfahrens wegen absoluter Schutzhindernisse ausschließlich anhand der im Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechtslage zu beurteilen sei, vermag nicht zu überzeugen. Weder die einschlägigen Erwägungsgründe (14) noch der Wortlaut des Art. 4 der MarkenrechtsRL legen eine solche Auslegung nahe. Insoweit verkennt die Löschungsantragstellerin den Regelungszweck der MarkenrechtsRL. Zudem ist die diesbezügliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entgegen der Auffassung der Löschungsantragstellerin keineswegs „veraltet“. Der Europäische Gerichtshof hat vielmehr auch unter Bezugnahme auf die MarkenrechtsRL festgestellt, dass nach ständiger Rechtsprechung die materiell-rechtlichen Unionsvorschriften zwecks Gewährleistung von Rechtssicherheit und Vertrauensschutz so auszulegen seien, dass sie für Sachverhalte vor ihrem Inkrafttreten nur gälten, soweit aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgehe, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen sei (vgl. EuGH GRUR 2019, 513 Rn. 30 – Textilis/Svensk Tenn). Der Europäische Gerichtshof hat damit die von der Löschungsantragstellerin diskutierte Frage mit Blick auf die MarkenrechtsRL bereits eindeutig beantwortet, wenn auch nicht in ihrem Sinne. Eine Vorlage des Verfahrens an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV ist schon deswegen nicht veranlasst.
22
c) Vorliegend kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass der Eintragung der angegriffenen Marke bereits am Tag ihrer Anmeldung am 4. August 1983 ein Schutzhindernis entgegenstand.
23
(1) Da die Marke 1 061 960 vor dem 1. Januar 1995 in die Warenzeichenrolle eingetragen worden ist, die ab dem besagten Zeitpunkt als Markenregister fortgeführt wurde, ist die Löschung ihrer Eintragung nach § 156 Satz 2 MarkenG nur zulässig, wenn ihre Schutzunfähigkeit sowohl nach früherem als auch nach geltendem Recht feststeht (vgl. auch Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Auflage, § 156 Rn. 3 bis 5). Die von der Löschungsantragstellerin unter Verweis auf den Wortlaut des § 156 Satz 1 MarkenG vertretene Auffassung, dass § 156 MarkenG nur auf solche Verfahren anwendbar sei, bei denen der Löschungsantrag vor dem 1. Januar 1995 gestellt wurde, widerspricht dem Wortlaut des § 156 Satz 2 MarkenG. Aus letztgenannter Vorschrift ist eindeutig zu entnehmen, dass die Schutzfähigkeit einer vor dem 1. Januar 1995 eingetragenen Marke im Rahmen eines nach dem 1. Januar 1995 eingeleiteten Löschungsverfahrens wegen absoluter Schutzhindernisse sowohl nach dem Warenzeichengesetz als auch nach dem Markengesetz zu beurteilen ist.
24
(2) Gegen das Bestehen von Schutzhindernissen im Zeitpunkt der Markenanmeldung am 4. August 1983 spricht bereits der Umstand, dass die angegriffene Marke ohne jede Beanstandung seitens des (damals so bezeichneten) Patentamts in die Warenzeichenrolle eingetragen wurde. Lediglich auf die Eingabe eines Herstellers von Kreide vom 28. Dezember 1983 wurde geprüft, ob gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 4 WZG das Schutzhindernis der Täuschungsgefahr bestehe. Zur Begründung führte der damalige Eingabeführer an, dass es „unvorstellbar“ sei, dass ein interessierter Kunde in der Süßwarenabteilung eines Kaufhauses nach „Schulkreide“ fragen könne. Man werde den betreffenden Kunden mit Sicherheit auslachen. Das Zeichen „Schulkreide“ beschreibe deswegen Eigenschaften, die die betreffende Ware tatsächlich gar nicht aufweise, so dass Täuschungsgefahr gegeben sei. Die Eingabe vom 28. Dezember 1983 wurde vom Patentamt mit Schreiben vom 24. Januar 1984 mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Warenname „Schulkreide“ in keinem Zusammenhang mit den beanspruchten Waren stehe. Das Warenzeichen sei deswegen nicht geeignet, den Kaufentschluss des Verkehrs zu beeinflussen. Damit sei auch eine Täuschungsgefahr ausgeschlossen. Diese Umstände sprechen nach Auffassung des Senats sehr deutlich für die Annahme, dass die angegriffene Marke im Zeitpunkt ihrer Anmeldung schutzfähig war.
25
(3) Über den Umstand der beanstandungsfreien Eintragung der angegriffenen Marke hinausgehend verbietet es sich, aus der Normierung des Schutzhindernisses der fehlenden Unterscheidungskraft oder des an unmittelbar beschreibenden Angaben bestehenden Freihaltebedürfnisses in § 4 Abs. 2 Nr. 1 WZG den Schluss zu ziehen, dass für eine Markenanmeldung aus dem Jahr 1983 die heute geltenden Beurteilungskriterien anwendbar sein könnten. Tatsächlich hat sich die Dogmatik zur Anwendbarkeit des besagten Schutzhindernisses, insbesondere im Hinblick auf die Unterscheidungskraft mit der Einführung des Markengesetzes erheblich gewandelt. Die Markeninhaberin weist deshalb zutreffend darauf hin, dass jedenfalls die Feststellung eines irgendwie gearteten beschreibenden Bezugs des zu prüfenden Zeichens zu den beanspruchten Waren und/oder Dienstleistungen zur Bejahung eines Schutzhindernisses nach den Maßgaben des WZG nicht ausgereicht hätte. Auch insoweit spricht vieles dafür, dass der Eintragung der Bezeichnung „Schulkreide“ als Marke für Zuckerwaren zum damaligen Zeitpunkt kein Schutzhindernis entgegenstand.
26
(4) Jedenfalls lassen sich heute, mehr als 38 Jahre nach dem Anmeldetag, zum damaligen Verkehrsverständnis keine sicheren Feststellungen mehr treffen, die nahelegen könnten, dass der angesprochene Verkehr das Zeichen „Schulkreide“ im Zusammenhang mit „Zuckerwaren, insbesondere Lakritzen“ in irgendeiner Art und Weise als sachbeschreibenden Hinweis auf die Form oder die Farbe der so bezeichneten Waren verstanden hätte.
27
(5) Ausgehend von der fehlenden Feststellbarkeit eines Schutzhindernisses zum Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke kommt es nicht entscheidungserheblich auf die Frage an, ob der Löschungsantrag wegen der zehnjährigen Ausschlussfrist nach § 50 Abs. 2 Satz 3 MarkenG unzulässig ist. Insofern kann auch dahingestellt bleiben, ob die Ausschlussfrist mit dem teilharmonisierten Unionsmarkenrecht vereinbar ist. Auch insoweit ist abweichend von der Sichtweise der Löschungsantragstellerin eine Vorlage des Verfahrens nach Art. 267 AEUV nicht veranlasst. Mit Auslegungsfragen, die für die Entscheidung des nationalen Gerichts ohne entscheidungserhebliche Bedeutung sind, muss sich der Europäische Gerichtshof nämlich nicht befassen.
28
d) Ein Schutzhindernis nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG kann vorliegend noch nicht einmal zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde gegen die Entscheidung der Markenabteilung bejaht werden.
29
Die absoluten Schutzhindernisse nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 MarkenG wurden mit Wirkung zum 14. Januar 2019 dahingehend geändert, dass sie nicht mehr nur auf Warenformmarken anwendbar sind, sondern auch auf solche Zeichen, die ausschließlich „aus anderen charakteristischen Merkmalen [als der Warenform]“ bestehen. Da zu der Frage der Anwendbarkeit von § 3 Abs. 2 MarkenG auf Zeichen, die vor dem 14. Januar 2019 insbesondere durch Eintragung in das Register Markenschutz erlangt haben, keine Übergangsregelung besteht, könnte nach allgemeinen Grundsätzen davon auszugehen sein, dass die Norm unabhängig vom Zeitpunkt der Entstehung des Markenschutzes in ihrer aktuell geltenden Fassung anzuwenden ist. Jedoch gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs auch ohne eine ausdrückliche Übergangsvorschrift der Grundsatz des Vertrauensschutzes. Danach sind Marken, die vor dem 14. Januar 2019 markenrechtlichen Schutz erlangt haben, im Löschungsverfahren nach den Maßgaben des § 3 Abs. 2 MarkenG in der vor dem 14. Januar 2019 geltenden Fassung (MarkenG a. F.) zu prüfen (vgl. EuGH GRUR 2019, 513 Rn. 33 – Textilis/Svensk Tenn; BGH GRUR 2021, 1199 Rn. 23 bis 26 – Goldhase III; Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 3 Rn. 157). § 3 Abs. 2 MarkenG a. F. ist jedoch nur auf Warenformmarken anwendbar, so dass ein entsprechendes Schutzhindernis im Hinblick auf die hier in Rede stehende Wortmarke offenkundig nicht bejaht werden kann. Auf die Frage, ob § 3 Abs. 2 MarkenG a. F. auch auf Marken anwendbar ist, die vor dem 1. Januar 1995 angemeldet und eingetragen worden sind, kommt es somit nicht mehr entscheidungserheblich an. Allerdings ist unter Zugrundelegung des oben angesprochenen Vertrauensgrundsatzes davon auszugehen, dass mangels einer entsprechenden Vorschrift im Warenzeichengesetz auch § 3 Abs. 2 MarkenG a. F. nicht auf vor dem vor dem 1. Januar 1995 angemeldete und eingetragene Marken Anwendung findet. Damit bedarf es keiner Erörterung, ob „Schulkreide“ gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG zur Erreichung einer technischen Wirkung in Verbindung mit „Zuckerwaren, insbesondere Lakritzen“ erforderlich ist.
30
2. Soweit die Löschungsantragstellerin vorträgt, dass die angegriffene Marke nicht markenmäßig benutzt werde, hat dieser Vortrag im Nichtigkeitsverfahren nach § 50 Abs. 1 MarkenG wegen absoluter Schutzhindernisse keine Relevanz.
31
3. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen. Der Bundesgerichtshof hat die von der Löschungsantragstellerin aufgeworfenen Fragen zur Anwendbarkeit von § 3 Abs. 2 MarkenG auf Marken, die vor dem 14. Januar 2019 eingetragen wurden oder in anderer Weise Schutz erlangt haben, auch unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die MarkenrechtsRL ausführlich und abschließend beantwortet (vgl. BGH GRUR 2021, 1199 Rn. 23 bis 26 – Goldhase III). Der Umstand, dass die Löschungsantragstellerin insoweit eine andere Rechtsauffassung vertritt als der Bundesgerichtshof, rechtfertigt keine Zulassung der Rechtsbeschwerde.
32
4. Über die Beschwerde konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, nachdem ein Antrag auf Durchführung einer solchen von keiner Beteiligten gestellt worden ist (§ 69 Nr. 1 MarkenG) und sie auch nach Einschätzung des Senats nicht sachdienlich war (§ 69 Nr. 3 MarkenG).

Verwandte Themen: , , , , ,

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben