Patent- und Markenrecht

25 W (pat) 22/20

Aktenzeichen  25 W (pat) 22/20

Datum:
17.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2022:170122B25Wpat22.20.0
Spruchkörper:
25. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2017 002 280
hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 17. Januar 2022 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Kortbein, der Richterin Kriener sowie des Richters Dr. Nielsen
beschlossen:
Die Beschwerde der Markeninhaberin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Das am 26. Januar 2017 angemeldete Zeichen
2
Neurovan
3
ist am 7. März 2017 unter der Nummer 30 2017 002 280 für folgende Waren als Wortmarke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Markenregister eingetragen worden:
4
Klasse 3:
5
Mittel für Körper- und Schönheitspflege;
6
Klasse 5:
7
Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke; Nahrungsergänzungsmittel für medizinische Zwecke; Nahrungsergänzungsmittel für medizinische Zwecke auf der Basis von Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen unter Zugabe von Stoffen tierischen und pflanzlichen Ursprungs, soweit in Klasse 5 enthalten.
8
Gegen die Eintragung der am 7. April 2017 veröffentlichten Marke hat die Widersprechende aus ihrer seit dem 20. Mai 2015 angemeldete und dem 6. Februar 2017 unter der Registernummer 014 103 311 eingetragenen Unionsmarke
  
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9
am 4. Juli 2017 Widerspruch erhoben. Sie ist für folgende Waren und Dienstleistungen eingetragen:
10
Klasse 3:
11
Mittel zur Körper- und Schönheitspflege; Reinigungs- und Duftpräparate; Tierpflegemittel; Ätherische Öle und aromatische Extrakte; Körperreinigungs- und Körperpflegepräparate; Parfümeriewaren und Duftstoffe; Präparate für die Mundhygiene; Aloe Vera-Mittel für kosmetische Zwecke; Fette für kosmetische Zwecke; Kosmetika; Klebstoffe für kosmetische Zwecke; Salben für kosmetische Zwecke; Pflegeprodukte für Babys, nicht für medizinische Zwecke; Kosmetiknecessaires [gefüllt]; Aloe Vera -Mittel für kosmetische Zwecke; Seifen;
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Klasse 5:
13
Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse; Hygienepräparate für medizinische Zwecke; Diätetische Lebensmittel und Erzeugnisse für medizinische oder veterinärmedizinische Zwecke, Babykost; Nahrungsergänzungsmittel für Menschen und Tiere; Pflaster, Verbandmaterial; Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Desinfektionsmittel; Mittel zur Vertilgung von schädlichen Tieren; Fungizide, Herbizide; Veterinärmedizinische Präparate; Pharmazeutische Präparate;
14
Klasse 44:
15
Hygiene- und Schönheitspflege für den Menschen; Medizinische Dienstleistungen; Veterinärmedizinische Dienstleistungen; Gesundheits- und Schönheitspflege für Menschen und Tiere.
16
Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss einer Beamtin des gehobenen Dienstes vom 13. Juli 2018 den Widerspruch mangels Vorliegens einer Verwechslungsgefahr zurückgewiesen. Mit dem darauf ergangenen Erinnerungsbeschluss vom 13. März 2020 wurde er aufgehoben und die Löschung der Eintragung der angegriffenen Marke angeordnet, weil Verwechslungsgefahr im Sinne des § 42 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 MarkenG in der bis einschließlich 13. Januar 2019 geltenden Fassung (= MarkenG a. F.) i. V. m. §§ 9 Abs. 1 Nr. 2 und 125b Nr. 1 MarkenG zwischen den sich gegenüberstehenden Marken bestehe.
17
Der Erinnerungsprüfer hat zur Begründung ausgeführt, bei einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und vorliegender Warenidentität sei der dann zu fordernde große Zeichenabstand der Vergleichszeichen nicht eingehalten. Denn jedenfalls in klanglicher Hinsicht sei eine zumindest unterdurchschnittliche Markenähnlichkeit gegeben. Die jeweils eingliedrigen Marken bzw. Markenbestandteile „Neurovan“ und „Neurexan“ würden beiderseits aus acht Buchstaben und drei Silben bestehen, wobei die erste Silbe sowie die ersten vier Buchstaben der beiderseitigen Marken identisch seien. Zwar sei angesichts der abweichenden Vokalfolge mit „-eu-o-a-“ bei der angegriffenen Marke bzw. „-eu-e-a-“ bei der Widerspruchsmarke durch den dunklen Vokal „o“ und den hellen Vokal „e“ keine hochgradige Ähnlichkeit gegeben. Doch seien die Marken durch die Übereinstimmung in dem erfahrungsgemäß stärker beachteten Wortanfang und durch die zumindest ähnlich klingende dritte Wortsilbe mit dem identischen Schlusslaut „an“ ohne weiteres überdurchschnittlich ähnlich. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass es sich bei dem auf Nerven hinweisenden Präfix „Neuro-“ bzw. „Neur-“ um eine Bestimmungsangabe bzw. den Verwendungszweck beschreibende und damit kennzeichnungsschwache Angabe handele, die relevanten Teilen des allgemeinen Verkehrs angesichts der Begriffe Neurologie, Neurologin oder Neurologe bekannt sei und aus Rechtsgründen zu einer Ähnlichkeitsminderung führe. Diese sei aber nicht so ausgeprägt, dass die Vergleichsmarken deswegen aus dem Bereich einer zumindest unterdurchschnittlich ausgeprägten Ähnlichkeit fielen. Zudem wiesen die sich gegenüberstehenden Marken in ihren Schlusssilben „-van“ bzw. „-xan“ trotz der abweichenden und unterschiedlich klangstarken Konsonanten „v“ bzw. „x“ eine phonetisch signifikante Gemeinsamkeit auf.
18
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Markeninhaberin. Sie ist der Auffassung, dass der Widerspruch aus den Gründen des Beschlusses der Erstprüferin vom 13. Juli 2018 zurückzuweisen sei. Denn aus ihrer Sicht sei bei normaler Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und identischen bzw. ähnlichen Waren eine Zeichenähnlichkeit zu verneinen. Eine hinreichende klangliche Ähnlichkeit sei bei den wie „Neu-ro-wan“ und „Neu-reks-an“ ausgesprochenen Marken nicht gegeben. Denn den am Wortanfang stehenden Präfixen „Neuro-“ bzw. „Neure-“ würde eine geringere Bedeutung zukommen, da sie einen deutlichen Bezug zum Nervensystem aufwiesen. Im Bereich der Pharmazeutika würden die Produktkennzeichen häufig die Angabe des Wirkstoffs oder Ableitungen davon enthalten und zusätzlich mit den Herstellerbezeichnungen kombiniert sein, so dass sie in der Regel eher lang und komplex seien. Die Vergleichsmarken seien demgegenüber eher kurz. Die klanglichen Unterschiede in ihrer Wortmitte würden daher ausreichen, um ein Verwechseln auszuschließen. Gerade der helle Vokal „e“, gefolgt von dem harten Konsonanten „x“ verleihe der Widerspruchsmarke „ Neurexan “ ein gegenüber dem weichen und durch die Endung „-ovan“ geprägten Klangbild der jüngeren Marke „Neurovan“ deutlich abweichendes Gepräge. Dies gewährleiste ein Auseinanderhalten der Marken selbst unter ungünstigen Übertragungsbedingungen, zumal der Grad der Aufmerksamkeit der angesprochenen Verkehrskreise beim Erwerb von Waren im Bereich der Gesundheitspflege gesteigert sei.
19
Die Markeninhaberin beantragt sinngemäß,
20
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 13. März 2020 aufzuheben und den Widerspruch aus der Unionsmarke 014 103 311 zurückzuweisen.
21
Die Widersprechende hat sinngemäß beantragt,
22
die Beschwerde der Markeninhaberin zurückzuweisen.
23
Sie meint, vorliegend sei von Identität der Vergleichswaren, einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und schriftbildlicher wie auch klanglicher Ähnlichkeit der zueinander ins Verhältnis zu setzenden Marken auszugehen. Den bildlichen Elementen der Widerspruchsmarke komme eine nur verzierende Funktion zu, so dass diese von den angesprochenen Verkehrskreisen zum Teil bereits nicht wahrgenommen würden. Die sich gegenüberstehenden Wortelemente seien im Schriftbild sowie in klanglicher Hinsicht angesichts weitgehend identischer Buchstaben ausgesprochen ähnlich. Die nicht als beschreibend anzusehenden Präfixe „Neuro-“ und „Neure-“ müssten Berücksichtigung finden und könnten nicht etwa „abgespalten“ werden. Sie würden visuell und klanglich zur Verwechslungsgefahr beitragen, so dass eine Reduzierung des Markenvergleichs allein unter Zugrundelegung der Wortendungen „-ovan“ und „-rexan“ nicht gerechtfertigt sei. Bei den Endungen „-van“ und „-xan“ handele es sich ebenfalls um phonetisch sehr ähnliche Lautfolgen. Zudem seien die zu vergleichenden Markenwörter auch konzeptionell jedenfalls durchschnittlich ähnlich. Eine Verwechslungsgefahr der Marken sei somit gegeben.
24
Mit dem Hinweis vom 1. Juli 2021 hat der Senat zu den Erfolgsaussichten der Beschwerde ausgeführt. Die Markeninhaberin hat daraufhin den (hilfsweise) gestellten Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 20. Juli 2021 zurückgenommen.
25
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
26
Die gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 MarkenG statthafte und auch ansonsten zulässige Beschwerde der Markeninhaberin bleibt in der Sache ohne Erfolg. Denn ausgehend von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und identischen Vergleichswaren hält die angegriffene Marke den erforderlichen Abstand jedenfalls in klanglicher Hinsicht nicht mehr ein. Damit besteht Verwechslungsgefahr gemäß §§ 9 Abs. 1 Nr. 2 und 125b Nr. 1 MarkenG i. V. m. § 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG a. F., so dass die Markenstelle für Klasse 5 im Rahmen des Erinnerungsverfahrens zu Recht die Löschung der Eintragung der jüngeren Marke angeordnet hat.
27
1. Im Laufe des Widerspruchsverfahrens haben sich die Vorschriften des Markengesetzes mit Wirkung zum 14. Januar 2019 geändert. Eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Änderung der Rechtslage folgt daraus nicht. Da die angegriffene Marke am 26. Januar 2017 und somit zwischen dem 1. Oktober 2009 und dem 14. Januar 2019 angemeldet worden ist, ist gemäß § 158 Abs. 3 MarkenG auf den gegen ihre Eintragung erhobenen Widerspruch § 42 Abs. 1 und Abs. 2 MarkenG in der bis einschließlich 13. Januar 2019 jeweils geltenden Fassung anzuwenden (vgl. auch Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 13. Auflage, § 158, Rn. 7).
28
2. Das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für das Publikum ist nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. hierzu z. B. EuGH GRUR 2010, 933 Rn. 32 – BARBARA BECKER; GRUR 2010, 1098 Rn. 44 – Calvin Klein/HABM; BGH GRUR 2012, 64 Rn. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2012, 1040 Rn. 25 – pjur/pure; GRUR 2013, 833 Rn. 30 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2016, 382 Rn. 19 – BioGourmet; GRUR 2018, 79 Rn. 9 – Oxford/Oxford Club). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit insbesondere die Identität oder Ähnlichkeit der relevanten Vergleichsprodukte (Waren und/oder Dienstleistungen), die Identität oder Ähnlichkeit der Marken sowie die Kennzeichnungskraft und der daraus folgende Schutzumfang der Widerspruchsmarke. Diese einzelnen Faktoren sind zwar für sich gesehen voneinander unabhängig, bestimmen aber in ihrer Wechselwirkung den Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr (vgl. dazu EuGH GRUR 2008, 343 Rn. 48 – Il Ponte Finanziaria Spa/HABM; BGH GRUR 2020, 1202 Rn. 19 – YOOFOOD/YO; GRUR 2020, 870 Rn. 25 – INJEKT/INJEX; GRUR 2019 1058 Rn. 17 – KNEIPP; GRUR 2019, 173 Rn. 17 – combit/Commit; GRUR 2018, 79 Rn. 7 – OXFORD/Oxford Club; GRUR 2012, 64 Rn. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2012, 1040 Rn. 25 – pjur/pure; siehe auch Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 9 Rn. 43 ff. m. w. N.). Darüber hinaus können sich für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr weitere Faktoren entscheidungserheblich auswirken, wie u. a. etwa die Art der Ware, die im Einzelfall angesprochenen Verkehrskreise und die daraus folgende Aufmerksamkeit sowie das zu erwartende Differenzierungsvermögen dieser Verkehrskreise bei der Wahrnehmung der Kennzeichen.
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Nach diesen Grundsätzen besteht zwischen der angegriffenen Wortmarke „Neurovan“ und der widersprechenden Unionsmarke
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die Gefahr von Verwechslungen.
30
 a) Die Widerspruchsmarke 014 103 311 verfügt über durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Konkrete Anhaltspunkte für deren Erhöhung oder Minderung liegen nicht vor. Der Markenteil „Neur-“ wird zwar mit „Nerven“ bzw. dem „Nervensystem“ in Verbindung gebracht. Dieser Umstand allein führt jedoch nicht zu einem verminderten Schutzumfang der Widerspruchsmarke, nachdem sich die Gesamtbezeichnung „ Neurexan “ mangels weiterer sinnvoller sachlicher Bezüge für die hauptsächlich angesprochenen Verkehrskreise der Endverbraucher als eine Phantasiebezeichnung erweist.
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b) Die Vergleichsmarken können sich nach der maßgeblichen Registerlage im Bereich identischer Waren begegnen. Die Waren „Mittel für Körper- und Schönheitspflege“ finden sich wortgleich in der Klasse 3 beider Marken.
32
Die Waren der jüngeren Marke
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„Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke; Nahrungsergänzungsmittel für medizinische Zwecke; Nahrungsergänzungsmittel für medizinische Zwecke auf der Basis von Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen unter Zugabe von Stoffen tierischen und pflanzlichen Ursprungs, soweit in Klasse 5 enthalten“
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entsprechen den Waren der Widerspruchsmarke in Klasse 5
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„Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse; Hygienepräparate für medizinische Zwecke; Diätetische Lebensmittel und Erzeugnisse für medizinische oder veterinärmedizinische Zwecke; Nahrungsergänzungsmittel für Menschen und Tiere“.
36
c) Die Ähnlichkeit von Kollisionszeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die von ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können. Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche. Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist auf den durch die Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind. Abzustellen ist dabei auf die Wahrnehmung der angesprochenen Verkehrskreise, die eine Marke regelmäßig in ihrer Gesamtheit erfassen und nicht auf die verschiedenen Einzelheiten achten (so z. B. BGH GRUR 2016, 283 Rn. 37 – BioGourmet m. w. N.).
37
(1) Soweit die einander gegenüberstehenden Marken in ihrer Gesamtheit, d. h. unter gleichmäßiger Berücksichtigung sämtlicher Bestandteile verglichen werden, weichen sie aufgrund der nur in der älteren Unionsmarke enthaltenen grafischen Komponenten in Form einer roten Linie jeweils über- und unterhalb des Wortelements „Neurexan“, der blauen Schrift sowie der blau-weißen Farbgestaltung im unteren Bereich ausreichend deutlich voneinander ab.
38
(2) Allerdings ist zu berücksichtigen, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile eines komplexen Zeichens für den Gesamteindruck prägend sein können, den das Kennzeichen im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorruft (vgl. BGH GRUR 2021, 482, Rn 31 – RETROLYMPICS; GRUR 2019, 1316, Rn. 38 – KNEIPP). Der Gesamteindruck einer zusammengesetzten Marke wird durch einen oder mehrere Bestandteile geprägt, wenn aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise alle anderen Markenelemente weitgehend in den Hintergrund treten und daher vernachlässigt werden können (vgl. EuGH GRUR 2007, 700 Rn. 42 – HABM/Shaker [Limoncello/LIMONCHELO]; GRUR 2016, 80 Rn. 37 – BGW [BGW/BGW Bundesverband der deutschen Gesundheitswirtschaft]; BGH GRUR 2012, 64 Rn. 15 – Maalox/Melox-GRY). Die konkrete Gestaltung der aus Wort- und Bildbestandteilen zusammengesetzten Widerspruchsmarke legt es vorliegend ausgesprochen nahe, dass sich die angesprochenen Verbraucher jedenfalls bei der klanglichen Wiedergabe vornehmlich an dem Wortteil „Neurexan“ orientieren und die Marke mit ihm als der einfachsten und kürzesten Bezeichnungsform wiedergeben werden. Demgegenüber eignen sich die Bildelemente der Widerspruchsmarke nicht für eine griffige und einfache Benennung der Marke (vgl. BGH GRUR 2008, 258, 260 Rn. 23 – INTERCONNECT/T-InterConnect; GRUR 2009, 1055, 1057 Rn. 28 – airdsl).
39
Klanglich stehen sich somit die Begriffe „Neurovan“ und „Neurexan“ gegenüber. Sie weisen nicht nur die identischen Wortanfänge „Neur-“, sondern auch die übereinstimmenden Wortendungen „-an“ auf. Lediglich die fünften und sechsten Buchstaben „ov“ und „ex“ weichen jeweils voneinander ab. Die Unterschiede zwischen dem dunkel klingenden Vokal „o“ und dem hell klingenden Vokal „e“ als auch zwischen dem weich ausgesprochenen Konsonanten „v“ [w] und dem hart ausgesprochenen Konsonanten „x“ [ks] sind auch auffällig. Allerdings reicht diese Abweichung gegenüber den überwiegenden Übereinstimmungen gerade in den stärker beachteten Wortanfängen auch angesichts der Einbindung in ansonsten identische Lautfolgen nicht aus, um insbesondere in Verbindung mit identischen Waren ein verwechslungsfreies Nebeneinanderbestehen der Marken zu gewährleisten.
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Dieses Verwechslungsrisiko wird nicht durch den von der Markeninhaberin angesprochenen Umstand, wonach die Anfangskomponenten „Neur-“ und „Neuro-“ beschreibend auf einen Zusammenhang zwischen den Waren der Klasse 5 und dem Nervensystem hinweisen können, entscheidungserheblich gemindert. Die besagten Elemente dürfen bei der Prüfung der Markenähnlichkeit nicht von vornherein außer Betracht bleiben. Vielmehr sind die sich gegenüberstehenden Marken jeweils als Ganzes miteinander zu vergleichen, so dass auch etwaige beschreibende Bestandteile in die Betrachtung mit einzubeziehen sind (vgl. BGH GRUR 2020, 870 Rn. 71 – INJEKT/INJEX). Selbst wenn von einer etwas erhöhten Aufmerksamkeit der angesprochenen Verkehrskreise im Bereich der einschlägigen Waren auszugehen ist (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 9 Rn. 268), so ist angesichts der Übereinstimmung in sechs von insgesamt acht Buchstaben zumindest noch von einer unterdurchschnittlichen klanglichen Ähnlichkeit auszugehen.
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d) Unter Berücksichtigung der Identität der sich gegenüberstehenden Waren, der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und der unterdurchschnittlichen Ähnlichkeit der beiderseitigen Marken hält die Jüngere den zu fordernden Abstand zur Älteren nicht mehr ein.
42
Die Beschwerde der Markeninhaberin war daher zurückzuweisen.
43
3. Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bietet der Streitfall keinen Anlass, so dass es bei der Regelung, dass jede Beteiligte die ihr erwachsenen Kosten selbst trägt, verbleibt (§ 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG).
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4. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die Markeninhaberin hat mit Schriftsatz vom 20. Juli 2021 nach dem Hinweis des Senats zu den Erfolgsaussichten der Beschwerde ihren zunächst hilfsweise gestellten Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen (§ 69 Nr. 1 MarkenG). Auch hat der Senat eine solche nicht für sachdienlich erachtet (§ 69 Nr. 3 MarkenG).


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