Patent- und Markenrecht

26 W (pat) 524/17

Aktenzeichen  26 W (pat) 524/17

Datum:
19.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:190421B26Wpat524.17.0
Spruchkörper:
26. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2014 071 466.3
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 19. April 2021 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richter Kätker und Schödel
beschlossen:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag der Widersprechenden, dem Inhaber der angegriffenen Marke die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Wortmarke
2
ist am 18. November 2014 angemeldet und am 27. Februar 2015 unter der Nummer 30 2014 071 466 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden für Waren der
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Klasse 32: Alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke; Fruchtsäfte; Sirupe;
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Klasse 33: alkoholische Getränke, vorwiegend Weine.
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Gegen die Eintragung dieser Marke, die am 2. April 2015 veröffentlicht worden ist, hat die Beschwerdeführerin Widerspruch erhoben aus der auf der schweizerischen Basisanmeldung vom 22. Juli 2005 beruhenden und am 10. Januar 2006 international unter der Nummer 874 840 registrierten Marke
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AURUM
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deren Schutz für die Waren und Dienstleistungen der
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Klasse 33: Vins, notamment d’Espagne;
9
Klasse 35: Mise à jour de documentation publicitaire; création des réseaux commerciaux pour fournisseurs et partenaires; agences d’import-export, vente au détail par le biais de réseaux globaux d’ordinateurs (Internet); services de e-commerce, à savoir publicité sous la forme de données, de textes, d’images, de sons, seuls ou en combinaison, par le biais de réseaux d’ordinateurs, pour la vente de marchandises et de services de tous types; services de commerce électronique (e-commerce), à savoir la mise à disposition d’informations sur des produits par réseaux de télécommunication à des fins de publicité et de vente; vente au détail; publicité télévisée; diffusion de catalogues de marchandises et vente par correspondance; marketing; publicité en ligne sur un réseau informatique; mise à disposition en ligne par le biais de réseaux d’ordinateurs globaux des informations de sélection de marchandises; organisation d’exposition et de foires à buts commerciaux ou de publicité; mise en place, lancement et administration de programmes d’incitation à l’achat, de fidélisation et de publicité; présentation de produits sur tout moyen de communication pour la vente au détail; publicité radiophonique; publicité par correspondance; diffusion de matériel publicitaire (tracts, prospectus, imprimés, échantillons); publicité
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nach Maßgabe des Protokolls zum Madrider Abkommen (PMMA) auf Deutschland erstreckt worden ist.
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Mit Schriftsatz vom 7. März 2016, beim DPMA eingegangen am 8. März 2016, hat der Inhaber der angegriffenen Marke bestritten, dass die ältere Marke seit ihrer Eintragung im Jahr 2006 jemals für Weißweine benutzt worden sei. Dieses Bestreiten hat sie im Schriftsatz vom 9. September 2016, beim DPMA eingegangen am 14. September 2016, wiederholt.
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Mit Beschluss vom 7. März 2017 hat die Markenstelle für Klasse 33 des DPMA durch eine Beamtin des gehobenen Dienstes eine Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen sowie Kosten weder auferlegt noch erstattet. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass die Vergleichswaren der Klasse 33 hochgradig ähnlich seien. Zu den angegriffenen Produkten der Klasse 32 bestehe Ähnlichkeit ohne besondere Warennähe. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei normal. Beide Marken unterschieden sich in jeder Hinsicht ausreichend. Bei Zugrundelegung aller Formen der Schreibweise der älteren Marke werde der schriftbildliche Unterschied in der zweiten Worthälfte von den angesprochenen Verkehrskreisen bei diesen kurzen Einwortmarken wahrgenommen. Noch gravierender zeigten sich die Unterschiede im klanglichen Vergleich. Die Vokalfolge der angegriffenen Marke bestehe aus den Buchstaben „a-u-e-a“, während die Widerspruchsmarke die Vokale „a-u-u“ aufweise. In der jüngeren Marke werde die zweite und dritte Silbe mit ihren klanghellen Vokalen „e“ und „a“ viel stärker betont als die zweite Silbe der Widerspruchsmarke, die durch den Vokal „u“ dunkel klinge. Eine begriffliche Verwechslungsgefahr scheide ebenfalls aus. Zwar sei die ältere Marke der lateinische Begriff für „Gold“ und der Wortbestandteil der jüngeren Marke das dazugehörige Adjektiv „golden“. Für dieses Verständnis würden aber mehr als grundlegende Kenntnisse der lateinischen Sprache verlangt, die vom angesprochenen Publikum nicht erwartet werden könnten. Diese vermuteten in der angegriffenen Marke eher einen weiblichen Vornamen oder einen Fantasiebegriff. Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage habe kein Anlass für eine Kostenauferlegung gemäß § 63 Abs. 1 Satz MarkenG bzw. für eine Kostenerstattung nach § 63 Abs. 2 MarkenG bestanden.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie ist der Ansicht, die beiderseitigen Waren der Klasse 33 seien identisch und zu den angegriffenen Waren der Klasse 32 bestehe hochgradige Ähnlichkeit. Die Vergleichswaren würden typischerweise über dieselben Verkaufsstätten vertrieben und dienten demselben Zweck, nämlich dem Löschen von Durst und dem geschmacklichen Genuss. Weine und alkoholfreie Getränke würden häufig nebeneinander konsumiert. Traubensäfte würden wie Wein von Winzern hergestellt und als alkoholfreie Alternative bei Weinverkostungen und in der Gastronomie angeboten. Die breite Öffentlichkeit begegne diesen Produkten mit durchschnittlicher Aufmerksamkeit. Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke sei normal. Der lateinische Begriff für „Gold“ entstamme einer toten Sprache und werde von den angesprochenen Verkehrskreisen trotz Aufnahme in den Duden weder erfasst noch als Hinweis auf die Farbe des Weins oder als Prämierungsattribut im Sinne einer exklusiven Linie erkannt. Auch in der Weinkunde sei Latein keine typischerweise verwendete Sprache. Soweit „AURUM“ für Weine verwendet werde, geschehe dies stets in markenmäßiger Weise. Dies zeige auch die übersandte Recherche des Senats. Die Vergleichsmarken seien bei einer Wiedergabe der älteren Wortmarke in Kleinbuchstaben schriftbildlich hochgradig ähnlich. Beide Einwortmarken bestünden aus fünf Buchstaben, von denen die drei Schriftzeichen am stärker beachteten Wortanfang identisch seien. In klanglicher Hinsicht seien die Vergleichsmarken zweisilbig, verfügten in der Anfangssilbe über zwei identische Vokale in identischer Reihenfolge und bei beiden folge der Konsonant „r“ nach. Beide Kollisionsmarken könnten auf der ersten Silbe betont werden. Selbst bei einer Betonung der jüngeren Marke auf der zweiten Silbe sei ein mittlerer phonetischer Ähnlichkeitsgrad gegeben. Da „aurea“ das Adjektiv zum Begriff „aurum“ darstelle, sei infolge des gemeinsamen Wortstammes von hochgradiger begrifflicher Ähnlichkeit auszugehen.
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Die Widersprechende beantragt sinngemäß,
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1. den Beschluss der Markenstelle für Klasse 33 des DPMA vom 7. März 2017 aufzuheben und das DPMA anzuweisen, die angegriffene Marke wegen des Widerspruchs aus der international registrierten Marke 874 840zu löschen,
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2. dem Beschwerdegegner und Widerspruchsgegner vor dem DPMA die Verfahrenskosten aufzuerlegen.
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Der Inhaber der angegriffenen Marke beantragt sinngemäß,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert. Im Amtsverfahren hat er die Auffassung vertreten, weder Warenidentität noch Warenähnlichkeit lägen vor, weil Weine nach Farbe, Sorte und Herkunftsland geordnet präsentiert würden. Die angegriffene Marke werde nur für Weißwein der Rebsorte Riesling aus dem Anbaugebiet Mosel verwendet, während unter der Widerspruchsmarke nur spanische Rotweine angeboten würden. In Verbindung mit den auf dem Etikett dargestellten Kulturmerkmalen der Stadt Trier aus der Römerzeit symbolisiere die jüngere Marke den engen Zusammenhang zwischen dem goldenen Zeitalter der römischen Metropole und dem „goldenen“ Moselwein. Die Vergleichsmarken wichen optisch und klanglich erheblich voneinander ab. Die Widerspruchsmarke weise zwei Silben auf, von denen die erste betont werde. Die angegriffene Marke sei hingegen dreisilbig mit Betonung auf der zweiten Silbe.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 18. Juni 2018 unter Beifügung von Recherchebelegen (Anlagen 1 – 5, Bl. 40 – 59 GA) sind die Verfahrensbeteiligten darauf hingewiesen worden, dass eine Verwechslungsgefahr zu verneinen sei.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
22
Die nach §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
23
Zwischen der angegriffenen Wort-/Bildmarke und der international registrierten Widerspruchswortmarke „AURUM“ besteht nicht die Gefahr von Verwechslungen gemäß §§ 119 Abs. 1, 124, 107, 114, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG.
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1. Da es sich vorliegend um ein Verfahren über einen Widerspruch handelt, der nach dem 1. Oktober 2009, aber vor dem 14. Januar 2019 erhoben worden ist, ist die Bestimmung des § 42 Absatz 1 und 2 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (§ 158 Abs. 3 MarkenG). In Bezug auf die erhobene Nichtbenutzungseinrede sind gemäß § 158 Abs. 5 MarkenG die Vorschriften der §§ 26, 43 Abs. 1 MarkenG ebenfalls in ihrer bis dahin geltenden Fassung anzuwenden.
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2. Am 8. März 2016 hat der Inhaber der angegriffenen Marke die rechtserhaltende Benutzung der international registrierten Widerspruchsmarke seit ihrer Eintragung im Jahr 2006 für die Waren „Weißweine“ bestritten.
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a) Da die Einrede der auf diese Produkte beschränkten Nichtbenutzung somit undifferenziert erhoben wurde, ist davon auszugehen, dass sie beide Zeiträume des § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG umfassen soll (BGH GRUR 1998, 938 – DRAGON; lngerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl., § 43 Rdnr. 12; Ströbele in: Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 12. Aufl., § 43 Rdnr. 26; Fezer/Grabrucker, Handbuch der Markenpraxis, 3. Aufl., Rdnr. 560).
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b) Die Einrede ist wirksam erhoben worden, weil die Benutzungsschonfrist der international registrierten Widerspruchsmarke zum Zeitpunkt der Erhebung der beschränkten Nichtbenutzungseinrede am 8. März 2016 bereits abgelaufen war.
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aa) Um dem Markeninhaber die Benutzungsaufnahme solange nicht zuzumuten, wie eine Schutzverweigerung für Deutschland noch möglich ist, tritt nach §§ 119 Abs. 1, 124, 116 Abs. 1, 115 Abs. 2, 43 Abs. 1 MarkenG bei einer international registrierten Marke für den Beginn der Benutzungsschonfrist an die Stelle der Eintragung ins Register entweder der Tag, an dem die Mitteilung über die Schutzbewilligung gemäß Regel 18ter Abs. 2 der Gemeinsamen Ausführungsverordnung zum MMA/PMMA (GAusfO MMA/PMMA) dem Internationalen Büro der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) zugegangen ist, oder der Tag an dem die einjährige Ausschlussfrist des Art. 5 Abs. 2 des Madrider Markenabkommens (MMA) bzw. Art. 5 Abs. 2 lit. a des Protokolls zum Madrider Markenabkommen (PMMA) abgelaufen ist, sofern zu diesem Zeitpunkt weder die Mitteilung über die Schutzbewilligung noch eine Mitteilung über die vorläufige Schutzverweigerung zugegangen ist. Für die Berechnung der vorgenannten Jahresfrist ist das Datum der sog. Notification (Date of recording/Date of notification/Date de l‘inscription) gemäß Regel 18ter Abs. 1 lit. a) Nr. iii GAusfO MMA/PMMA, also der Tag der tatsächlichen Eintragung im internationalen Register maßgeblich (BPatG GRUR 2006, 868, 870 – go seven; BPATGE 48, 91, 95 – LOKMAUS), der dem Datum der Versendung der Mitteilung über die internationale Registrierung entspricht.
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bb) Da im vorliegenden Fall keine Mitteilung über die Schutzbewilligung oder eine vorläufige Schutzverweigerung bei der WIPO eingegangen ist, hat die fünfjährige Benutzungsschonfrist erst ein Jahr nach dem dort eingetragenen „Date de l‘inscription“, dem 23. Februar 2006, und damit erst am 23. Februar 2007 zu laufen begonnen und ist am 23. Februar 2012 beendet gewesen.
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c) Die Einrede ist nach § 43 Abs. 1 Satz 1 MarkenG zulässig, weil die Benutzungsschonfrist der international registrierten Widerspruchsmarke bereits vor der am 2. April 2015 erfolgten Veröffentlichung der Eintragung der jüngeren Marke abgelaufen war, so dass eine rechtserhaltende Benutzung der älteren Marke für Weißweine in den letzten fünf Jahren vor der Veröffentlichung der angegriffenen Marke glaubhaft gemacht werden muss.
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c) Da die Einrede auch nach § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG zulässig ist, ist eine rechtserhaltende Benutzung der älteren Marke für Weißweine innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren vor der Entscheidung über den Widerspruch glaubhaft zu machen.
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d) Es oblag somit der Widersprechenden, eine rechtserhaltende Benutzung ihrer IR-Marke für die Waren „Weißweine“ sowohl für den Zeitraum von April 2010 bis April 2015 als auch für den Zeitraum von April 2016 bis April 2021 nach Art, Zeit, Ort und Umfang glaubhaft zu machen. Dies hat die Widersprechende jedoch nicht getan.
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e) Selbst wenn aber zugunsten der Widersprechenden eine rechtserhaltende Benutzung ihrer IR-Marke für „Weißweine“ in den beiden Benutzungszeiträumen nach Art, Zeit, Ort und Umfang unterstellt wird, ist eine Verwechslungsgefahr zu verneinen.
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2. Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.: EuGH GRUR 2020, 52 Rdnr. 41 – 43 – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 45 f. – Les Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2019, 1058 Rdnr. 17 – KNEIPP; GRUR 2018, 79 Rdnr. 9 – OXFORD/Oxford Club m. w. N.).
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a) Ausgehend von der Registerlage einschließlich der zugunsten der Widersprechenden zu berücksichtigenden „Weißweine“ sind die Vergleichswaren teilweise identisch, teilweise weit überdurchschnittlich und teilweise normal ähnlich.
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aa) Eine Ähnlichkeit ist grundsätzlich anzunehmen, wenn die sich gegenüberstehenden Waren und/oder Dienstleistungen unter Berücksichtigung aller für die Frage der Verwechslungsgefahr erheblicher Faktoren wie insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsart, ihres Verwendungszwecks und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung sowie ihrer Eigenart als miteinander konkurrierender oder einander ergänzender Produkte oder Leistungen so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben Unternehmen oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 65 – Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2014, 488 Rdnr. 12 – DESPERADOS/DESPERADO; GRUR 2015, 176, 177 Rdnr. 16 – ZOOM). Von einer absoluten Warenunähnlichkeit kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Annahme einer Verwechslungsgefahr trotz (unterstellter) Identität der Marken wegen des Abstands der Waren von vornherein ausgeschlossen ist (BGH a. a. O. – DESPERADOS/DESPERADO; a. a. O. Rdnr. 17 – ZOOM). Das stärkste Gewicht kommt im Hinblick auf die Herkunftsfunktion der Marke der regelmäßigen betrieblichen Herkunft, also dem gemeinsamen betrieblichen Verantwortungsbereich für die Qualität der Waren und/oder Dienstleistungen zu, während der regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsstätte ein geringeres Gewicht zugemessen wird.
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bb) Die Widerspruchswaren der Klasse 33 „Vins, notamment d’Espagne“ [übersetzt: „Weine, insbesondere aus Spanien“] sind teilweise identisch mit den angegriffenen Produkten derselben Klasse, weil der dort aufgeführte Oberbegriff „alkoholische Getränke, vorwiegend Weine“ die Widerspruchswaren vollständig umfasst.
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cc) Mit anderen alkoholischen Getränken, wie z. B. Spirituosen, weisen die für die Widerspruchsmarke geschützten „Weine“ eine weit überdurchschnittliche Ähnlichkeit auf, weil sie in ihrer stofflichen Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebsart und ihrem Verwendungszweck übereinstimmen. Denn Weinbrände und Liköre werden auch von Winzereibetrieben hergestellt und angeboten. Zum Sortiment von Weinbaubetrieben gehören alle auf der Grundlage von Weintrauben erzeugten Getränke, insbesondere aber auch Weintraubenliköre (vgl. BPatG 26 W (pat) 120/95 – DEUCE/CHAMPAGNE DEUTZ).
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dd) Eine nur durchschnittliche Ähnlichkeit besteht zu den angegriffenen Waren in Klasse 32 „Alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke; Fruchtsäfte; Sirupe“. Die Vergleichswaren können gemeinsame Produktions- und Vertriebsstätten haben und bei Fruchtgrundlage in der stofflichen Beschaffenheit übereinstimmen. So besteht Sangria u. a. aus Rotwein und Fruchtsaft (s. Anlage 1 zum gerichtlichen Hinweis). Weine und manche Fruchtsäfte werden aus Trauben hergestellt. Auch bei sogenannten Fruchtweinen wird für das Publikum der grundsätzliche Unterschied zwischen Weinen einerseits und Fruchtsäften und Fruchtgetränken andererseits verwischt. Weinbaubetriebe können neben Weinen auch Traubensäfte herstellen (BPatG 26 W (pat) 211/95 – Flora/FLORA) sowie alkoholfreie Getränke anbieten (BPatG 26 W (pat) 248/93 – TRESCH/Weingut Erbhof Tesch). Die Kollisionsprodukte dienen dem gleichen Bestimmungszweck (BPatG a. a. O. – Flora/FLORA), ergänzen sich durch Vermischung, werden gemeinsam konsumiert und sind in der Darreichungsform ähnlich (BGH GRUR 2001, 507, 508 – EVIAN/REVIAN; BPatG 26 W (pat) 520/14 – Finca del Toro). Gegen eine weitergehende Ähnlichkeit spricht vor allem, dass sich die Verarbeitungsvorgänge zur Herstellung von Weinen und alkoholfreien Getränken deutlich voneinander unterscheiden und selbst in Getränkemärkten und Discountern „Alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke; Fruchtsäfte; Sirupe“ räumlich getrennt von Weinen präsentiert werden (BPatG 26 W (pat) 531/10 – Jetter/JESTER; a. a. O. – TRESCH/Weingut Erbhof Tesch)
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ee) Die für die ältere IR-Marke registrierten Dienstleistungen der Klasse 35 weisen keine Ähnlichkeit zu den angegriffenen Waren der Klassen 32 und 33 auf.
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b) Die im Identitäts- und Ähnlichkeitsbereich liegenden Vergleichswaren der Klassen 32 und 33 richten sich an breite Verkehrskreise, nämlich sowohl an den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher (EuGH GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; GRUR 1999, 723 Rdnr. 29 – Windsurfing Chiemsee) als auch an den Getränkefachhandel und den Gastronomiefachverkehr. Die Aufmerksamkeit des Publikums bei der Auswahl alkoholischer und alkoholfreier Getränke wird abhängig von der Preisklasse und dem Qualitätsniveau entweder bei alltäglichen Massenartikeln gering oder bei Luxusartikeln erhöht sein. Es kann daher insgesamt von keinem höheren als einem normalen Aufmerksamkeitsgrad ausgegangen werden (BPatG a. a. O. – Finca del Toro).
42
c) Der international registrierten Widerspruchsmarke „AURUM“ kommt von Haus aus eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft zu.
43
aa) Die originäre Kennzeichnungskraft wird bestimmt durch die Eignung der Marke, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. EuGH GRUR 2010, 1096 Rdnr. 31 – BORCO/HABM [Buchstabe a]; BGH a. a. O. Rdnr. 41 – INJEKT/INJEX). Dabei ist auf die Eigenart der Marke in Klang, Bild und Bedeutung abzustellen. Marken, die über einen für die jeweiligen Waren oder Dienstleistungen erkennbar beschreibenden Anklang verfügen, haben regelmäßig nur geringe originäre Kennzeichnungskraft (BGH WRP 2015, 1358 Rdnr. 10 – ISET/ISETsolar; GRUR 2012, 1040 Rdnr. 29 – pjur/pure). Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die für eine hohe oder geringe Kennzeichnungskraft sprechen, ist von normaler Kennzeichnungskraft auszugehen (BGH a. a. O. – INJEKT/INJEX).
44
bb) Das aus dem Lateinischen stammende Substantiv „aurum“ ist mit „Gold“ zu übersetzen und hat in dieser Bedeutung sogar Aufnahme in den Duden gefunden (s. Anlage 2 zum gerichtlichen Hinweis). Die Farbe von Weißweinen wird häufig mit „golden“ beschrieben (s. Anlage 3 zum gerichtlichen Hinweis). Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass ein erheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise diesen Bedeutungsgehalt der Widerspruchsmarke erfasst. Wörter toter Sprachen wie Latein oder Altgriechisch sind nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich ungeeignet zur unmittelbaren Produktbeschreibung, sofern sie nicht mit identischer Bedeutung in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen sind oder die entsprechende tote Sprache auf dem entsprechenden Sektor als Fachsprache verwendet wird, wie z. B. in der Medizin oder Botanik (EuGH GRUR 2010, 534 Rdnr. 25 – 31 – PRANAHAUS; BPatG 25 W (pat) 87/14 – Universum; 30 W (pat) 539/10 – CANTUS VERLAG; GRUR 1998, 58 – JURIS LIBRI;). Die Widerspruchsmarke wird daher überwiegend als Fantasiebezeichnung wahrgenommen.
45
cc) Anhaltspunkte für eine gesteigerte Kennzeichnungskraft sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
46
d) Der bei identischen bis durchschnittlich ähnlichen Vergleichswaren, normaler Kennzeichnungskraft der älteren IR-Marke und durchschnittlicher Aufmerksamkeit erforderliche deutliche Abstand wird wegen geringer Markenähnlichkeit noch eingehalten.
47
aa) Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (EuGH GRUR 2013, 922 Rdnr. 35 – Specsavers/Asda; BGH a. a. O. Rdnr. 58 – INJEKT/INJEX), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Das schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 28 f. – THOMSON LIFE; BGH a. a. O. Rdnr. 37 – OXFORD/Oxford Club m. w. N.; GRUR 2012, 64 Rdnr. 14 – Maalox/Melox-GRY). Voraussetzung hierfür ist, dass die anderen Bestandteile weitgehend in den Hintergrund treten und den Gesamteindruck der Marke nicht mitbestimmen. Die Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift-)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können (EuGH GRUR Int. 2010, 129 Rdnr. 60 – Aceites del Sur-Coosur [La Espagnola/Carbonelle]; BGH GRUR 2016, 382 Rdnr. 37 – BioGourmet). Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche (EuGH GRUR 2007, 700 Rdnr. 35 – HABM/Shaker [Limoncello/LIMONCHELO]; BGH a. a. O. – INJEKT/INJEX).
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bb) In der Gesamtheit stehen sich die Vergleichsmarken und „AURUM“ gegenüber, die sich schriftbildlich deutlich voneinander unterscheiden. Dabei kommt es beim Zeichenvergleich ausschließlich auf die im Register eingetragene Form der (Wort-)Marke an (BGH GRUR 2015, 1114 Rdnr. 20 – Springender Pudel m. w. N.). Soweit die Widersprechende zur Begründung ihrer Ansicht, dass Wortmarken nicht auf eine bestimmte Darstellungsform festgelegt seien, auf die Kommentierung im BeckOK Markenrecht Bezug nimmt, gründet sich diese auf inzwischen überholte BPatG-Entscheidungen sowie auf den hier nicht vorliegenden Fall einer Markenidentität (BeckOK Markenrecht, Kur/v. Bomhard/Albrecht/Onken, 24. Edition, Stand: 1.1.2021. § 14 Rdnr. 360 – 362). Da die angegriffene Wort-/Bildmarke ausschließlich in Kleinbuchstaben dargestellt wird und die ältere Marke in ihrer eingetragenen Form nur aus Großbuchstaben besteht, heben sich die Majuskel mit ihrer Versalhöhe im Schriftbild erheblich von der jüngeren Marke in Mittelhöhe ab. Dem offenen und rundlichen Anfangsbuchstaben der angegriffenen Marke steht das geschlossene „A“ der Widerspruchsmarke mit geraden Schenkeln und geradem Querbalken gegenüber. Die Endung „UM“ der älteren Marke besteht aus einer Vielzahl senkrechter und zueinander paralleler Linien, während die beiden in der Umrisscharakteristik auffälligen Endbuchstaben der jüngeren Marke eine geschwungene, eher kreisförmige Linienführung aufweisen und sich zueinander an einem zwischen ihnen angeordneten Mittelpunkt punktsymmetrisch verhalten. Zudem ist bei der Beurteilung der schriftbildlichen Ähnlichkeit zu berücksichtigen, dass das Schriftbild von Marken – anders als dies beim schnell verklingenden Wort der Fall ist – erfahrungsgemäß eine genauere und in der Regel wiederholte Wahrnehmung der Bezeichnungen gestattet, so dass das Schriftbild einer Marke dem Betrachter sehr viel besser in Erinnerung bleibt als das gesprochene Wort (vgl. BPatG 25 W (pat) 2/17 – KIEFFER/KAEFER; 30 W (pat) 42/14 – VIVADIA/VIVANDA; 24 W (pat) 34/14 – Erovital/Gelovital).
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cc) In klanglicher Hinsicht ist die Markenähnlichkeit ebenfalls unterdurchschnittlich.
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aaa) Bei der Feststellung des klanglichen Gesamteindrucks einer Wort-/Bildmarke ist von dem in ständiger Rechtsprechung anerkannten Erfahrungssatz auszugehen, dass der Wortbestandteil den Gesamteindruck prägt, weil er die einfachste Möglichkeit bietet, die Marke zu benennen (vgl. BGH a. a. O. Rdnr. 30 – OTTO CAP). Daher ist bei der jüngeren Wort-/Bildmarke davon auszugehen, dass sie „aurea“ ausgesprochen wird.
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bbb) Die Markenwörter „aurea“ und „AURUM“ stimmen zwar im grundsätzlich stärker beachteten Wortanfang, nämlich in der ersten Anfangssilbe mit dem dunklen Diphthong „au“, überein, unterscheiden sich aber in Silbenzahl, Vokalfolge, Betonung und Sprechrhythmus erheblich.
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(1) Dem dreisilbigen Wortbestandteil der jüngeren Marke steht die nur zweisilbige Widerspruchsmarke gegenüber.
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(2) Dem übereinstimmenden Diphthong „au“ folgt in der Widerspruchsmarke der dunkel klingende Vokal „U“, während die angegriffene Marke über die in der deutschen Sprache sehr ungewöhnliche Vokalfolge „ea“, bestehend aus einem hellen und einem dunklen Selbstlaut, verfügt. Ausweislich der rückläufigen Wörterbücher (Mater, Rückläufiges Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, 4. Aufl. 1983; Rückläufiges deutsches Wörterbuch, 3. Aufl. 2001, S. 68) gibt es kein einziges normales Wort im Deutschen, das auf „ea“ endet. Bei den dort genannten Wörtern, wie „Alinea, Guinea, Neuguinea, Ochrea, Chorea, Korea, Nordkorea, Südkorea; Trachea; Erythea; Kea; Aechmea; Cosmea; Dulzinea; Nausea; Zea; Elodea; Trachea; Cochlea; Ilea; Bougainvillea; Olea; Kornea; Hevea; Howea; Rosazea“ und „Cobaea“ handelt es sich überwiegend um Länder-, Pflanzen- Tier- oder sonstige Namen sowie um naturwissenschaftliche Spezialbegriffe (BPatG 26 W (pat) 92/13 – CARIB/CARIBEA; 26 W (pat) 563/18 – nea/Réa).
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(3) Da die angesprochenen Verkehrskreise beide Marken als Fantasiebegriffe auffassen, sind die nach den allgemeinen Sprachgepflogenheiten wahrscheinlichen Möglichkeiten der Aussprache zugrunde zu legen (vgl. BGH GRUR 1976, 356, Juris-Tz. 19 – Boxin; GRUR 1962, 241, 242 – Lutin; BPatG 30 W (pat) 502/17 – Jooby/OBI; 28 W (pat) 536/16 – cangoo bikes/KANGAROO BIKE; a. a. O. – DIMESO/dynexan; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2001, 49, 51 – combit/ComIT).
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(3.1) „aurea“ ist die weibliche Form des lateinischen Adjektivs „aureus“ mit den Bedeutungen „golden, herrlich, stattlich, wunderbar“ (https://www.frag-caesar.de/lateinwoerterbuch/aurea-uebersetzung-2.html
https://www.frag-caesar.de/lateinwoerterbuch/aurea-uebersetzung-2.html). Als lateinisches https://www.frag-caesar.de/lateinwoerterbuch/aurea-uebersetzung-2.html). Als lateinisches Substantiv hat es die Bedeutung „Pferdezaumzeug“ (https://www.frag-caesar.de/lateinwoerterbuch/aurea-uebersetzung-1.html). Mit Akzent auf dem ersten Buchstaben „áurea“ existiert das Wort in der spanischen und portugiesischen Sprache und ohne Akzent auch in der italienischen Sprache, jeweils als Adjektiv mit der Bedeutung „golden“ (s. Anlage 5 zum gerichtlichen Hinweis). Dem überwiegenden Teil der angesprochenen Verkehrskreisen sind aber weder die lateinischen Begriffe bekannt, noch sind ihnen das mangels Akzent einzig vergleichbare italienische Wort und dessen Aussprache geläufig.
56
(3.2) Im Hinblick darauf, dass bei deutschen Grundwörtern der Wortakzent meistens auf der ersten Silbe liegt (vgl. BPatG 26 W (pat) 62/14 – KANANA/NANA), wird die ältere Marke „AURUM“ wie „Amrum“, „Zentrum“, „Monstrum“ oder „Forum“ auf der ersten Silbe betont.
57
(3.3) Die Betonung der jüngeren Marke „aurea“ wird vom Verkehr auf der zweiten Silbe vorgenommen. Denn in der deutschen Sprache werden die meisten dreisilbigen Wörter auf der Mittelsilbe betont, insbesondere wenn sie – wie hier – mit einem Vokal enden (vgl. BGH GRUR 1993, 972, Juris Tz. 29 – Sana/Schosana; BPatG 25 W (pat) 46/09 – Panero/Panerie; 27 W (pat) 218/00 – HABIBA/BiBA; BPatGE 37, 30, 35 – INTECTA/tecta; BPatG Mitt. 1977, 212 – DIMESO/dynexan).
58
(3.4) Die unterschiedliche Betonung erzeugt auch einen abweichenden Sprechrhythmus.
59
dd) Eine begriffliche Verwechslungsgefahr kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil der überwiegende Teil der angesprochenen Verkehrskreise den Markenwörtern keinen Bedeutungsgehalt zumisst.
60
c) Aus den vorgenannten Gründen ist eine unmittelbare Verwechslungsgefahr in jeder Hinsicht ausgeschlossen.
61
3. Auch eine Verwechslungsgefahr durch gedankliche Verbindung ist zu verneinen.
62
a) Eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne kann gegeben sein, wenn der Verkehr zwar die Unterschiede zwischen den Zeichen erkennt, wegen ihrer teilweisen Übereinstimmung aber von wirtschaftlichen oder organisatorischen Zusammenhängen zwischen den Zeicheninhabern ausgeht. Eine solche Verwechslungsgefahr kann nur bei Vorliegen besonderer Umstände angenommen werden (BGH GRUR 2013, 1239 Rdnr. 45 – Volkswagen/Volks.Inspektion; BGH GRUR 2013, 833 Rdnr. 69 – Culinaria/Villa Culinaria). So ist nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs nicht ausgeschlossen, dass ein Zeichen, das als Bestandteil in eine zusammengesetzte Marke oder eine komplexe Kennzeichnung aufgenommen wird, eine selbständig kennzeichnende Stellung behält, ohne dass es das Erscheinungsbild der zusammengesetzten Marke oder komplexen Kennzeichnung dominiert oder prägt (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 30 – THOMSON LIFE; BGH, Beschl. v. 23. Oktober 2014 – I ZR 37/14, Rdnr. 11; GRUR 2004, 865, 866 – Mustang; GRUR 2012, 930 Rdnr. 45 – Bogner B/Barbie B; GRUR 2014, 1101 Rdnr. 54 – Gelbe Wörterbücher).
63
b) Die Widerspruchsmarke „AURUM“ wird weder in die jüngere Marke vollständig aufgenommen, noch nehmen die angesprochenen Verkehrskreise die identische Anfangssilbe „aur“ als eigenständig kennzeichnend wahr, weil sie zusammen mit „ea“ eine gesamtbegriffliche Einheit bildet.
64
c) Eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne wird auch angenommen, wenn ein mit der älteren Marke übereinstimmender Bestandteil identisch oder ähnlich in eine komplexe Marke aufgenommen wird, in der er neben einem Unternehmenskennzeichen oder Serienzeichen des Inhabers der jüngeren Marke eine selbständig kennzeichnende Stellung behält, und wenn wegen der Übereinstimmung dieses Bestandteils mit der älteren Marke bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck hervorgerufen wird, dass die fraglichen Waren oder Dienstleistungen aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 31 – THOMSON LIFE; GRUR 2010, 933 Rdnr. 34 – Barbara Becker; BGH GRUR 2010, 646 Rdnr. 15 – OFFROAD; BGH GRUR 2006, 859 – Malteserkreuz).
65
d) Das ist hier ebenfalls nicht der Fall, weil „ea“ kein Unternehmenskennzeichen oder Serienzeichen des Inhabers der jüngeren Marke ist.
III.
66
1. Der Antrag der Widersprechenden, dem Beschwerdegegner und Widerspruchsgegner vor dem DPMA die Verfahrenskosten aufzuerlegen, kann im Hinblick darauf, dass der Inhaber der angegriffenen Marke auch in seiner Funktion vor dem Amt angesprochen wird und von Verfahrenskosten und nicht nur von den Kosten des Beschwerdeverfahrens die Rede ist, nur dahingehend ausgelegt werden, dass die Widersprechende mit ihrer Beschwerde auch die Kostenentscheidung des DPMA angreift.
67
2. Die Kostentscheidung des DPMA, wonach Kosten nicht auferlegt werden, ist jedoch nicht zu beanstanden. Es entspricht nicht der Billigkeit, die Kosten des patentamtlichen Widerspruchsverfahrens dem Inhaber der angegriffenen Marke aufzuerlegen.
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a) Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Kostenentscheidung im patentamtlichen Verfahren ist § 63 Abs. 1 Satz 1 MarkenG, wonach das DPMA die Kosten des Verfahrens einem Beteiligten ganz oder teilweise auferlegen kann, wenn dies der Billigkeit entspricht.
69
b) § 63 Abs. 1 Satz 3 MarkenG geht im Grundsatz davon aus, dass jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt. Für ein Abweichen von diesem Grundsatz bedarf es stets besonderer Umstände (BGH GRUR 1972, 600, 601 – Lewapur; GRUR 1996, 399, 401 – Schutzverkleidung). Solche Umstände sind insbesondere dann gegeben, wenn ein Verhalten vorliegt, das mit der prozessualen Sorgfalt nicht zu vereinbaren ist. Davon ist auszugehen, wenn ein Verfahrensbeteiligter in einer nach anerkannten Beurteilungsgesichtspunkten aussichtslosen oder zumindest kaum Aussicht auf Erfolg versprechenden Situation sein Interesse am Erhalt oder Erlöschen des Markenschutzes durchzusetzen versucht und dadurch dem Verfahrensgegner vermeidbare Kosten aufbürdet (vgl. BGH a. a. O. – Lewapur; BPatG 29 W (pat) 504/15 – Vital You!®/VITAL/VITAL regional; 27 W (pat) 14/13 – SOLITUDE REVIVAL; 27 W (pat) 40/12 – mcpeople/McDonald′s; BPatGE 12, 238, 240 – Valsette/Garsette). Dabei ist stets ein strenger Maßstab anzulegen, der dem Umstand Rechnung trägt, dass die Kostentragung aus Billigkeitsgründen nur ausnahmsweise bei einem sorgfaltswidrigen Verhalten in Betracht kommt. Demnach ist auch der Verfahrensausgang in der Hauptsache für sich genommen kein Grund, einem Beteiligten Kosten aufzuerlegen (BGH a. a. O. – Lewapur; a. a. O. – Schutzverkleidung). Besondere Umstände sind im Widerspruchsverfahren beispielsweise gegeben, wenn trotz ersichtlich fehlender Ähnlichkeit der Marken oder der Waren und Dienstleistungen Widerspruch erhoben wird (BPatGE 23, 224, 227).
70
c) Derartige besondere Umstände liegen hier jedoch nicht vor. Es gab genügend Gründe für den Inhaber der angegriffenen Marke, sich gegen den Widerspruch zu verteidigen. Denn die Vergleichsmarken waren, wie hier festgestellt worden ist, nur unterdurchschnittlich ähnlich, und die Widersprechende hat die von ihr ausdrücklich zweimal bestrittene rechtserhaltende Benutzung ihrer IR-Marke für „Weißweine“ weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.
71
2. Auch der Antrag der Widersprechenden, dem Inhaber der jüngeren Marke die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen, hat keinen Erfolg.
72
a) Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG gilt der Grundsatz, dass jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt. Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG kann das Bundespatentgericht die Kosten des Verfahrens einem Beteiligten ganz oder teilweise auferlegen, wenn dies der Billigkeit entspricht. Hierzu bedarf es stets besonderer Umstände, wie dies bei § 63 MarkenG für das Verfahren vor dem DPMA bereits eingehend dargestellt worden ist.
73
b) Solche besonderen Umstände sind auch im Beschwerdeverfahren nicht gegeben. Abgesehen davon, dass sich der Inhaber der angegriffenen Marke im Beschwerdeverfahren nicht mehr geäußert und damit auch keine Stellungnahme der Gegenseite ausgelöst hat, haben die Gründe für seine Rechtsverteidigung im patentamtlichen Widerspruchsverfahren auch im Beschwerdeverfahren vorgelegen.
74
3. Gründe für eine Kostenauferlegung zu Lasten der Widersprechenden aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG sind ebenfalls nicht gegeben.
75
a) Zwar wird ein prozessualer Sorgfaltsverstoß grundsätzlich angenommen, wenn der Widerspruch auf eine zulässige Nichtbenutzungseinrede ohne ernsthaften Versuch der erforderlichen Glaubhaftmachung weiterverfolgt wird (BPatG 25 W (pat) 62/17 – iX/iX/iX; 25 W (pat) 561/17 – AQM/AQS/AQI/AQC; GRUR 1996, 981, 982 – ESTAVITAL; BPatGE 22, 211, 212 f.). Aber vorliegend ist von einem Ausnahmefall auszugehen.
76
b) Denn auf das Vorliegen einer (beschränkten) Nichtbenutzungseinrede des Inhabers der jüngeren Marke und die fehlende Glaubhaftmachung durch die Widersprechende ist weder das DPMA im angefochtenen Beschluss eingegangen, noch wurden diese Umstände im gerichtlichen Hinweisschreiben vom 18. Juni 2018 erwähnt. Eines weiteren gerichtlichen Hinweises hat es nur deshalb nicht bedurft, weil die rechtserhaltende Benutzung der älteren Marke für „Weißweine“ zugunsten der Widersprechenden unterstellt worden ist. Vor diesem Hintergrund erscheint es unbillig, die Widersprechende mit den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu belasten.


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