Patent- und Markenrecht

4 Ni 36/19 (EP)

Aktenzeichen  4 Ni 36/19 (EP)

Datum:
18.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:180521U4Ni36.19EP.0
Spruchkörper:
4. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2021 durch die Vorsitzende Richterin Grote- Bittner und die Richter Dr.-Ing. Krüger, Dipl.-Ing. Univ. Richter, Dr. Söchtig sowie die Richterin Dipl.-Ing. Univ. Schenk
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 2 096 340 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass der eine verbleibende Anspruch des Patents unter Wegfall der übrigen Ansprüche folgende Fassung erhält:
I. (0) Verwendung des nachfolgend definierten Ventils in einem Fahrzeug, insbesondere Reisemobil oder Wohnwagen, mit einer Gasflasche und einer Fluidleitung, um beim Auftreten einer Beschleunigungskraft, die einen vorgegebenen Grenzwert überschreitet, beispielsweise bei einem Unfall, die Gasflasche und die Fluidleitung sicher zu verschließen, wobei
(1) das Ventil aufweist:
(2) ein Gehäuse (7);
(3) einen Einströmkanal (14) zum Einströmen eines Fluids (F);
(4) einen Ausströmkanal (15) zum Ausströmen des Fluids (F);
(5) wobei im Gehäuse (7) an der tiefstgelegenen Stelle eine konkave Vertiefung ausgespart ist, in deren Mittelpunkt sich eine Sitzfläche (2) befindet;
(6) einen Trägheitskörper (1), dessen jeweilige Stellung einen jeweiligen Betriebszustand definiert, wobei der eine Betriebszustand ein Normalzustand ist, in dem der Trägheitskörper (1) in einer definierten Ruheposition auf der Sitzfläche (2) angeordnet ist, und der andere Betriebszustand ein Sicherheitszustand, in dem der Trägheitskörper aufgrund einer Wirkung einer Beschleunigungskraft, deren Betrag einen vordefinierten Grenzwert überschreitet, aus der Ruheposition ausgelenkt ist;
(7) eine Verschlusseinheit (11), die zwischen einer Offenstellung, in welcher weder der Einströmkanal (14) noch der Ausströmkanal (15) durch die Verschlusseinheit (11) verschlossen ist, und einer Schließstellung, in welcher der Einströmkanal (14) und/oder der Ausströmkanal (15) durch die Verschlusseinheit (11) verschlossen ist, bewegbar ist;
(8) eine Bewegungseinrichtung zum Bewegen der Verschlusseinheit (11) zwischen der Offenstellung und der Schließstellung; und
(9) eine Energiespeichereinrichtung zum Speichern einer mechanischen Energie; wobei im Normalzustand die Energiespeichereinrichtung die Energie speichert und die Verschlusseinheit (11) in der Offenstellung steht, und wobei im Sicherheitszustand die Verschlusseinheit (11) durch die Bewegungseinrichtung mit Hilfe der Energie aus der Energiespeichereinrichtung aus der Offenstellung in die Schließstellung bewegt wird.
(10) wobei eine Sperreinrichtung vorgesehen ist, welche im Normalzustand ein Abgeben der Energie durch die Energiespeichereinrichtung verhindert und welche im Sicherheitszustand das Abgeben der Energie durch die Energiespeichereinrichtung zulässt,
(12) wobei die Energiespeichereinrichtung eine Federeinrichtung (12) aufweist, welche im Normalzustand vorgespannt ist und welche sich im Sicherheitszustand wenigstens teilweise entspannt,
(13) wobei eine Rückstelleinrichtung (24) zum Rückstellen der Verschlusseinheit (11) in die Offenstellung durch einen Bediener vorgesehen ist, und
(14) wobei beim Rückstellen die Energie in der Energiespeichereinrichtung durch ein Vorspannen der Federeinrichtung (12) gespeichert wird,
(15) wobei die Federeinrichtung eine Druckfeder (12) aufweist, die sich an
der Verschlusseinheit abstützt und diese permanent in die
Schließstellung beaufschlagt,
(16) wobei die Verschlusseinheit (11) ein tellerförmiger Absperrkörper ist.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 25 % und die Beklagte 75 % zu tragen.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Nichtigerklärung des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 096 340 (im Folgenden: Streitpatent). Die Beklagte ist Inhaberin des Streitpatents mit der Bezeichnung „Ventil mit Sicherheitsvorrichtung“, das am 28. Februar 2008 angemeldet und dessen Erteilung am 7. Juli 2010 veröffentlicht worden ist. Das Streitpatent wird vom Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 50 2008 000 901.9 geführt.
2
Das Streitpatent hat in seiner erteilten Fassung 23 Ansprüche mit dem unabhängigen Anspruch 1 sowie den hierauf rückbezogenen Unteransprüchen 2 bis 23 umfasst und verfügt in der geltenden Fassung nach Durchführung eines Beschränkungsverfahrens gemäß Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 18. Februar 2019, der am 29. Mai 2019 veröffentlicht worden ist, noch über 10 Patentansprüche.
3
Die Klägerin, die mit der Nichtigkeitsklage vom 13. Februar 2019 zunächst noch das erteilte Streitpatent wegen mangelnder Patentfähigkeit und unzureichender Offenbarung angegriffen hat, begehrt nunmehr die Nichtigerklärung des Streitpatents in der geltenden Fassung jedenfalls wegen fehlender Patentfähigkeit. Die Beklagte verteidigt das Streitpatent in geänderten Fassungen mit nur einem Patentanspruch nach Hauptantrag – zuletzt gemäß Fassung vom 15. Januar 2021 – sowie mit fünf Hilfsanträgen.
4
Der Patentanspruch 1 lautet in gegliederter Form in der für das Hoheitsgebiet Deutschland geltenden Fassung gemäß der DE 50 2008 000 901 C9 (Ergänzungen gegenüber dem erteilten Streitpatent (EP 2 096 340 B1) sind durch Unterstreichungen kenntlich gemacht) wie folgt:
5
(1) Ventil mit
6
(2) einem Gehäuse (7);
7
(3) einem Einströmkanal (14) zum Einströmen eines Fluids (F);
8
(4) einem Ausströmkanal (15) zum Ausströmen des Fluids (F);
9
(5) wobei im Gehäuse (7) an der tiefstgelegenen Stelle eine konkave Vertiefung ausgespart ist, in deren Mittelpunkt sich eine Sitzfläche (2) befindet;
10
(6) einem Trägheitskörper (1), dessen jeweilige Stellung einen jeweiligen Betriebszustand definiert, wobei der eine Betriebszustand ein Normalzustand ist, in dem der Trägheitskörper (1) in einer definierten Ruheposition auf der Sitzfläche (2) angeordnet ist, und der andere Betriebszustand ein Sicherheitszustand, in dem der Trägheitskörper aufgrund einer Wirkung einer Beschleunigungskraft, deren Betrag einen vordefinierten Grenzwert überschreitet, aus der Ruheposition ausgelenkt ist;
11
(7) einer Verschlusseinheit (11), die zwischen einer Offenstellung, in welcher weder der Einströmkanal (14) noch der Ausströmkanal (15) durch die Verschlusseinheit (11) verschlossen ist, und einer Schließstellung, in welcher der Einströmkanal (14) und/oder der Ausströmkanal (15) durch die Verschlusseinheit (11) verschlossen ist, bewegbar ist;
12
(8) einer Bewegungseinrichtung zum Bewegen der Verschlusseinheit (11) zwischen der Offenstellung und der Schließstellung; und mit
13
(9) einer Energiespeichereinrichtung zum Speichern einer mechanischen und/oder magnetischen Energie; wobei im Normalzustand die Energiespeichereinrichtung die Energie speichert und die Verschlusseinheit (11) in der Offenstellung steht, und wobei im Sicherheitszustand die Verschlusseinheit (11) durch die Bewegungseinrichtung mit Hilfe der Energie aus der Energiespeichereinrichtung aus der Offenstellung in die Schließstellung bewegt wird.
14
Der Patentanspruch 1 lautet in der Fassung nach Hauptantrag (Ergänzungen und Streichungen gegenüber dem geltenden Streitpatent (DE 50 2008 000 901 C9) sind durch Unter- und Durchstreichungen kenntlich gemacht), wie folgt:
15
(0)
Verwendung des nachfolgend definierten Ventils in einem Fahrzeug, insbesondere Reisemobil oder Wohnwagen, mit einer Gasflasche und einer Fluidleitung, um beim Auftreten einer Beschleunigungskraft, die einen vorgegebenen Grenzwert überschreitet, beispielsweise bei einem Unfall, die Gasflasche und die Fluidleitung sicher zu verschließen, wobei
16
(1) das Ventil aufweist:
17
(2) ein Gehäuse (7);
18
(3) einen Einströmkanal (14) zum Einströmen eines Fluids (F);
19
(4) einen Ausströmkanal (15) zum Ausströmen des Fluids (F);
20
(5) wobei im Gehäuse (7) an der tiefstgelegenen Stelle eine konkave Vertiefung ausgespart ist, in deren Mittelpunkt sich eine Sitzfläche (2) befindet;
21
(6) einen Trägheitskörper (1), dessen jeweilige Stellung einen jeweiligen Betriebszustand definiert, wobei der eine Betriebszustand ein Normalzustand ist, in dem der Trägheitskörper (1) in einer definierten Ruheposition auf der Sitzfläche (2) angeordnet ist, und der andere Betriebszustand ein Sicherheitszustand, in dem der Trägheitskörper aufgrund einer Wirkung einer Beschleunigungskraft, deren Betrag einen vordefinierten Grenzwert überschreitet, aus der Ruheposition ausgelenkt ist;
22
(7) eine Verschlusseinheit (11), die zwischen einer Offenstellung, in welcher weder der Einströmkanal (14) noch der Ausströmkanal (15) durch die Verschlusseinheit (11) verschlossen ist, und einer Schließstellung, in welcher der Einströmkanal (14) und/oder der Ausströmkanal (15) durch die Verschlusseinheit (11) verschlossen ist, bewegbar ist;
23
(8) eine Bewegungseinrichtung zum Bewegen der Verschlusseinheit (11) zwischen der Offenstellung und der Schließstellung; und
24
(9) eine Energiespeichereinrichtung zum Speichern einer mechanischen und/oder magnetischen Energie; wobei im Normalzustand die Energiespeichereinrichtung die Energie speichert und die Verschlusseinheit (11) in der Offenstellung steht, und wobei im Sicherheitszustand die Verschlusseinheit (11) durch die Bewegungseinrichtung mit Hilfe der Energie aus der Energiespeichereinrichtung aus der Offenstellung in die Schließstellung bewegt wird.
25
(10) wobei eine Sperreinrichtung vorgesehen ist, welche im Normalzustand ein Abgeben der Energie durch die Energiespeichereinrichtung verhindert und welche im Sicherheitszustand das Abgeben der Energie durch die Energiespeichereinrichtung zulässt,
26
(12) wobei die Energiespeichereinrichtung eine Federeinrichtung (12) aufweist, welche im Normalzustand vorgespannt ist und welche sich im Sicherheitszustand wenigstens teilweise entspannt,
27
(13) wobei eine Rückstelleinrichtung (24) zum Rückstellen der Verschlusseinheit (11) in die Offenstellung durch einen Bediener vorgesehen ist, und
28
(14) wobei beim Rückstellen die Energie in der Energiespeichereinrichtung durch ein Vorspannen der Federeinrichtung (12) gespeichert wird.
29
In der Fassung nach Hilfsantrag
1 wird dem Anspruch 1 noch folgende Merkmalsgruppe hinzugefügt:
30
(15) wobei die Federeinrichtung eine Druckfeder (12) aufweist, die sich an der Verschlusseinheit (11) abstützt und diese permanent in die Schließstellung beaufschlagt.
31
In der Fassung nach Hilfsantrag 2 wird dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 noch
32
folgendes Merkmal hinzugefügt:
33
(16) wobei die Verschlusseinheit (11) ein tellerförmiger Absperrkörper ist.
34
Wegen des Wortlauts der Hilfsanträge 3 bis 5 wird auf die Anlagen zu den Schriftsätzen der Beklagten vom 15. März 2021 sowie vom 10. Mai 2021 verwiesen.
35
Die Klägerin hält die Verteidigung des Streitpatents nach dem Hauptantrag für unzulässig, weil die Beklagte zum einen in unzulässiger Weise einen Kategorie Wechsel von einem Erzeugnisanspruch zu einem Verwendungsanspruch vornehme, zum anderen durch die bereits in der geltenden Fassung nach der C9-Schrift erfolgte Aufnahme des Merkmals 5 in den Patentanspruch eine unzulässige Erweiterung vorliege. Der Fachmann entnehme den ursprünglichen Anmeldeunterlagen sowohl im Hinblick auf die ausdrückliche Beschreibung wie auch aufgrund der technischen Funktionsweise, dass der Kniehebel das wesentliche und entscheidende Kernelement des Mechanismus von Fig. 4a und 4b bilde, auf die das Streitpatent eingeschränkt wurde, und mit der in Merkmal 5 beanspruchten konkaven Vertiefung in einem untrennbaren Zusammenhang stehe. Für die isolierte Aufnahme der Ausgestaltung nach Merkmal 5 ohne einen solchen Kniehebel finde sich in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen bzw. dem erteilten Streitpatent nach der B1-Schrift hingegen keine Offenbarung.
36
Im Hinblick auf die geltend gemachte fehlende Patentfähigkeit stützt sich die Klägerin auf die folgenden Dokumente:
37
E1 US 4 799 505 A
38
E2 US 4 960 145 A
39
E3 EP 1 298 392 A1
40
E4 WO 97/21050 A1
41
E5 US 4 336 818 A
42
E6 US 6 213 142 B1
43
E7 JP S57-76374 A
44
E7′ Maschinenübersetzung der E7
45
E8 JP S58-72777 A
46
E8′ Maschinenübersetzung der E8
47
E9 US 6 279 596 B1
48
E10 DE 2 232 957 A1
49
E11 GB 1 241 070 A
50
E12 DE 1 750 139 B1
51
E13 GB 1 314 009 A
52
E14 GB 2 430 478 A
53
E15 US 2 632 519 A
54
E16 EP 1 693 623 A1
55
E17 JP S56-14665 A
56
E18 DE 10 2005 040 024 A1
57
E19 US 4 856 547 A
58
E20 US 5 411 056 A
59
E21 US 5 588 464 A
60
E22 DE 199 08 595 A1
61
E 23-1 bis E 23-4 Gas-Kippschutzventil G1/4LH-ÜM x G1/4LH-KN, 2005
62
E24 JP S55-155975 A
63
E24‘ Maschinenübersetzung der E24
64
E25 EP 1 473 494 A1
65
E26 Internetausdruck zum Lehrgang „Basiswissen Flüssiggas“ der Deutschen Flüssiggas Akademie, Druckvermerk 7.10.2020
66
E27 JP S51-3026 A
67
E27‘ englischsprachige Übersetzung der E27
68
E28 JP S51-3027 A
69
E28‘ englischsprachige Übersetzung der E28
70
und meint, das Streitpatent in der Fassung nach dem Hauptantrag vom 15. Januar 2021 beruhe ausgehend von der E1 in Verbindung mit dem Fachwissen, der E2, der E25 oder auch in Anbetracht der E10 bis E14 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Gleiches gelte auch, wenn von E2, E11, E12, E13, E18, E24, E25, E27 oder E28 ausgegangen werde.
71
Von wesentlicher Bedeutung sei hierbei, dass der zweite Teil des Merkmals 5 „in deren Mittelpunkt sich eine Sitzfläche befindet“ dahingehend auszulegen sei, dass der Trägheitskörper auf einer Sitzfläche aufsitzen müsse, die sich genau im Mittelpunkt der gewölbten Vertiefung befinde. Ein solches Verständnis ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Beschreibung, wie etwa den Absätzen 46 und 47 der Berichtigung der geänderten Patentschrift (C9-Schrift). Auch die Figuren 1, 3 und 4 der Streitpatentschrift legten ein solches Verständnis des Merkmals nahe.
72
Insbesondere sei der Gegenstand des einzigen Anspruchs in der Zusammenschau von der E1 mit der E25 nahegelegt. Der wesentliche Unterschied zum streitgegenständlichen Ventil liege darin, dass das Gehäuse 1 des Ventils der E25 keine konkave Vertiefung an der tiefstgelegenen Stelle aufweise, in deren Mittelpunkt sich eine Sitzfläche befinde. In Anbetracht der E1 sei das Vorsehen einer konkaven Vertiefung im Gehäuse, in welcher sich ein kugelförmiger Trägheitskörper, der gleichzeitig auch die Sperreinrichtung bilde, für den Fachmann eine gleichwertige und naheliegende Alternative.
73
Selbst wenn man dem Patentanspruch die Auslegung zugrunde lege, dass der Trägheitskörper und die Sperreinrichtung unterschiedliche Elemente seien, fehle es an einer erfinderischen Tätigkeit unter Berücksichtigung der E27, da es sich hier bei dem Trägheitskörper und der Sperreinrichtung um unterschiedliche Elemente handele. In dieser Druckschrift seien die Merkmale 1 bis 10 und 12 bis 14 offenbart und die Verwendung nach Merkmal 0 zumindest naheliegend, da das Ventil der E27 bereits sowohl zur Unterbrechung der Kraftstoffzufuhr im Falle eines Unfalls als auch zur Abschaltung einer Gaszufuhr verwendet werden könne.
74
Hinsichtlich des Hilfsantrags 1 könne das Merkmal 15 in seiner eigenständig beanspruchten Ausgestaltung weder den ursprünglichen Anmeldeunterlagen noch der C9-Schrift entnommen werden, so dass der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 unzulässig erweitert sei. Darüber hinaus sei er auch nicht patentfähig, was sich aus der Druckschrift E1 (Druckfeder 38), E27 (Druckfeder 25), E13 (Druckfeder 46) und E24 (Druckfeder 10) ergebe.
75
Hinsichtlich des Hilfsantrags 2 habe es nahegelegen, einen Ventilteller zu verwenden. Gerade in Verbindung mit Gasventilen sei die Verwendung eines Ventiltellers eine vollkommen übliche Gestaltung gewesen. Der Fachmann würde daher auch in Betracht ziehen, den Verschlussmechanismus der E 27 mit einem federbelasteten Ventilteller zu versehen, wie es auch in vielen gängigen Ventilen, z.B. nach der E8, E1, E3, E23 oder E25 der Fall sei. Eine solche Gestaltung sei insofern bereits im Hinblick auf das allgemeine Fachwissen naheliegend. Insbesondere begründe auch die Kombination der E27 mit der E8 die fehlende Patentfähigkeit.
76
Die Hilfsanträge 3 und 4 seien ebenfalls unzulässig, da sie unklar und die Merkmale auch nicht ursprünglich offenbart seien. Hinsichtlich des Hilfsantrags 5 rügt sie Verspätung. Jedenfalls sei das Streitpatent in den Fassungen nach den Hilfsanträgen 3 bis 5 ebenfalls nicht patentfähig.
77
Der Senat hat den Parteien einen qualifizierten Hinweis vom 21. Oktober 2020 mit einer Frist zur abschließenden Stellungnahme bis zum 15. März 2021 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2021 einen weiteren rechtlichen Hinweis erteilt.
78
Die Klägerin beantragt,
79
das europäische Patent 2 096 340 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
80
Die Beklagte beantragt,
81
die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung des Hauptantrags gemäß Schriftsatz vom 15. Januar 2021 erhält;
82
hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 bis 5, eingereicht mit den Schriftsätzen vom 15. Januar 2021, 15. März 2021 und vom 10. Mai 2021, erhält.
83
Sie tritt der Auffassung der Klägerin in allen Punkten entgegen, soweit sie das Streitpatent in der Fassung nach Hauptantrag sowie in den jeweiligen Fassungen nach den Hilfsanträgen 1 bis 5 verteidigt, die sie sämtlich für zulässig hält.
84
Eine unzulässige Erweiterung der Fassung nach Hauptantrag liege nicht vor, weil sich in Bezug auf die Merkmale 5 und 6 die Gesamtoffenbarung des Streitpatents nicht auf die Figuren 4a und 4b beschränke. In der Beschreibungseinleitung enthalte das Streitpatent eine sehr viel umfassendere Offenbarung über die Wirkungsmechanismen, konkret über die Sitzfläche, die Funktion des Trägheitskörpers beim Überführen des Ventils in den Sicherheitszustand und das Rückkehren des Trägheitskörpers in die Ruheposition. Dabei sei der zweite Teil des Merkmals 5 „in deren Mittelpunkt sich eine Sitzfläche befindet“ dahingehend auszulegen, dass es für die Verwirklichung dieses Merkmals auch ausreichend sei, dass der Trägheitskörper auf der Kante einer zum Mittelpunkt einer Vertiefung konzentrischen Sitzfläche aufsitze.
85
Entgegen der Auffassung der Klägerin sei der Gegenstand des Patentanspruchs nach Hauptantrag patentfähig, er beruhe insbesondere auf erfinderischer Tätigkeit. So sei der beanspruchte Gegenstand gegenüber der E1 bereits neu, weil das Ventil gemäß E1 zum Absperren einer Gasversorgung in Gebäuden für den Fall eines Erdbebens vorgesehen sei und nicht für eine Verwendung in Kraftfahrzeugen.
86
Das Ventil der E2 habe keine Sitzfläche im Mittelpunkt einer Vertiefung, die an der tiefstgelegenen Stelle des Gehäuses ausgespart sei (Merkmal 5). Es verfüge auch nicht über eine Rückstelleinrichtung im Sinne der Merkmale 13 und 14 wie auch nicht die E3, bei der das Ventil außerdem nicht zur Verwendung in einem Fahrzeug vorgesehen sei, sondern zur Verwendung in Gasheizvorrichtungen („Heizpilzen“), wie sie in Bars, Restaurants, Hotels etc. verwendet würden.
87
Das Streitpatent in den Fassungen nach Hauptantrag und Hilfsanträgen beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit.
88
Die Druckschrift E2 sei als nächstliegender Stand der Technik anzusehen. Der Unterschied zwischen dem Ventil gemäß Dokument E2 und der im Anspruch des Streitpatents definierten Verwendung bestehe darin, dass das Ventil gemäß Dokument E2 nicht zum Absperren einer Gasanlage vorgesehen sei und nicht mittels einer Rückstelleinrichtung in den Normalzustand zurückgestellt werden könne, nachdem es bei einem Unfall ausgelöst habe. Der Stand der Technik lege die Verwendung eines Ventils mit den strukturellen Merkmalen gemäß dem nunmehr verteidigten Anspruch des Streitpatents daher nicht nahe.
89
Dieser sei auch nicht durch eine Kombination der Druckschrift E2 mit E1 nahegelegt. Selbst wenn ein Fachmann die unterschiedlichen Anwendungsbereiche der Ventile gemäß E1 und E2 sowie des streitgegenständlichen Ventils außer Acht ließe, sei nicht erkennbar, wie er zu einem Ventil mit den strukturellen Merkmalen gelangen könnte, wie sie im Anspruch des Streitpatents definiert seien.
90
Entsprechend verhalte es sich mit einer Kombination von Dokument E2 mit Dokument E24. Dokument E24 zeige ein Ventil, das dafür vorgesehen sei, in Gebäuden verwendet zu werden, um dort im Falle eines Erdbebens die Gaszufuhr zu unterbrechen. Ein Fachmann würde das Ventil gemäß Dokument E24 aufgrund seiner Funktionsweise nicht in Betracht ziehen, da dieses schlichtweg nicht kompatibel sei mit der Verwendung in einem Kraftfahrzeug.
91
Die im Anspruch des Streitpatents definierte Verwendung sei auch nicht durch eine Kombination der Druckschrift E2 mit den Dokumenten E3/E23 nahegelegt. Das Dokument E3 (oder Dokument E23) liefere schon keinen Hinweis in Richtung der nunmehr beanspruchten technischen Lehre. Die E3 zeige einen Gewichtskörper, der frei auf einem Ventilstößel liege und keine Rückstelleinrichtung vorsehe.
92
Anspruch 1 nach Hauptantrag erweise sich auch im Hinblick auf die Druckschrift E25 als erfinderisch. Würde das Ventil gemäß E25 in einem Fahrzeug eingesetzt, würde die Pendelmasse bei jeder Kurve oder Bremsung ausgelenkt werden, was für die im Streitpatent vorgesehene Verwendung technisch keinen Sinn mache.
93
Auch die Kombination der Druckschrift E1 in Verbindung mit dem Fachwissen oder der Druckschrift E25 stünden der erfinderischen Tätigkeit nicht entgegen. Es sei nämlich nicht erkennbar, aus welchen Gründen ein Fachmann das Dokument E1 mit dem Dokument E25 hätte kombinieren sollen. Die Ventile der Dokumente E1 und E25 hätten abgesehen davon, dass sie einen Durchfluss sperrten, nichts miteinander gemeinsam.
94
Der Gegenstand des Anspruchs gemäß Hauptantrag beruhe auch hinsichtlich der Druckschrift E27 auf einer erfinderischen Tätigkeit. Es habe nämlich nicht nahegelegen, das Ventil von Dokument E27 dazu zu verwenden, die Gasflasche und die Fluidleitung in einem Fahrzeug beim Auftreten einer Beschleunigungskraft, die oberhalb eines vorgegebenen Grenzwerts liege, sicher zu verschließen. Es fehle insoweit bereits an einem zuverlässigen Auslöseverhalten. Zum einen erkenne der Fachmann, dass der Aufnahmeraum für den Trägheitskörper im Gehäuse sehr eng sei, so dass das Risiko bestehe, dass er im Falle eines Unfalls an der Seitenwand des Gehäuses anschlage und von der Feder und dem Stößel wieder zurück auf die Sitzfläche gedrückt werde, bevor das Verschlusselement die Fluidleitung verschließen könne. Auch die Art und Weise, wie die auf das Verschlusselement wirkende Kraft der Feder abgestützt werde, werde vom Fachmann unmittelbar als technisch völlig unzureichende Lösung erkannt werden. In Verbindung mit dem Eingreifen des Sperrblechs in die Nut des Verschlusselements käme es nämlich zu einem Verklemmen, das zu nicht hinnehmbaren Toleranzen bei der Auslösung führe. Auch fehle es an einer generellen Eignung des Ventils für Gasleitungen. Dass jedenfalls Gasleitungen in Kraftfahrzeugen vom Fachmann nicht in Betracht gezogen worden seien, sei in der E27 selbst zum Ausdruck gebracht worden, indem dort Kraftfahrzeuge (mit Kraftstoffleitungen) als ein Einsatzbereich und das Absperren von Gasleitungen bei Erdbeben als ein anderer Einsatzbereich genannt würden. Das Ventil müsse, um in einem Fahrzeug eingesetzt zu werden und die im Jahr 2008 geltenden Vorschriften zu erfüllen, über eine Temperaturspanne von -20°C bis +50°C funktionsfähig sein. Es sei für den Fachmann jedoch offensichtlich, dass eine Gasdichtigkeit mit einer solchen Konstruktion wie der E27 nicht für derart unterschiedliche Einsatztemperaturen möglich sei.
95
Der Hilfsantrag 1 sei zulässig. Das hinzugefügte Merkmal 15, also das Vorhandensein und die Wirkung der Druckfeder 12, sei in den Figuren 1, 2 und 4 offenbart. Entsprechende Ausführungen fänden sich auch in der C9-Schrift. Durch die Aufnahme des zusätzlichen Merkmals erfolge eine Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik, bei dem das Verschlusselement frei bewegbar sei, wie dies beispielsweise bei den Entgegenhaltungen E10, E12 oder E13 der Fall sei.
96
Der Hilfsantrag 2 definiere in Merkmal 16, dass die Verschlusseinheit ein tellerförmiger Absperrkörper sei, also ein Ventilteller. Das Merkmal des Ventiltellers sei nicht kompatibel mit dem Dokument E27. Es sei nicht naheliegend, beim Ventil von Dokument E27 zwei Ventilteller als Verschlusseinheit zu verwenden. Zum einen müsste das Ventil von der E27 völlig umkonstruiert werden, um die Ventilteller unterzubringen und auch den Gasfluss zu ermöglichen, was nicht kompatibel sei mit dem „einfachen Aufbau“, der in der E27 als vorteilhaft herausgestellt werde, und auch nicht mit der Anordnung von miteinander fluchtenden Zufuhr- und Abfuhröffnungen. Zum anderen sei es konstruktiv auch nicht umsetzbar, die beiden Fluidleitungen 15, 16 gleichzeitig mit jeweils einem Ventilteller dicht zu verschließen, da bereits geringe Positionstoleranzen dazu führen würden, dass der eine Ventilteller schon am zugeordneten Ventilsitz dicht aufliege, während der andere sich noch in einem geringfügigen Abstand vom Ventilsitz befinde und daher die entsprechende Leitung nicht zuverlässig geschlossen wäre. Es sei auch nicht naheliegend, das Ventil gemäß E13 so umzubauen, dass der Gegenstand des Hilfsantrags 2 erhalten werde. Es sei dabei konstruktiv nicht möglich, eine Druckfeder vorzusehen, die sich an der Verschlusseinheit abstütze und diese permanent in der Schließstellung beaufschlage, da sich in dem hierfür erforderlichen Bauraum bereits die Kugel befinde.
97
Auch die weiteren Hilfsanträge 3 bis 5 seien zulässig und deren Gegenstände patentfähig.
98
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und den weiteren Inhalt der Akte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

99
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
100
Soweit das Streitpatent vorliegend in einer zulässigerweise eingeschränkten Fassung verteidigt worden ist, war es in dem Umfang, in dem es durch die Patentinhaberin nicht mehr verteidigt worden ist, ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären (st. Rspr., vgl. etwa BGH GRUR 2007, 404, Rn. 15 – Carvedilol II; GRUR 2011, 707, Rn. 8 – Dentalgerätesatz; Urteil vom 21. März 2017, X ZR 19/15, Rn. 19 – juris).
101
Die Klage hat auch Erfolg, soweit das Streitpatent in der Fassung nach dem Hauptantrag sowie in der geänderten Fassung gemäß dem Hilfsantrag 1 verteidigt wird, weil sich das Streitpatent insoweit als nicht patentfähig erweist.
102
Soweit das Streitpatent in der eingeschränkten Fassung nach Hilfsantrag 2 mit den zusätzlichen Merkmalen 15 und 16 in zulässiger Weise verteidigt wird, ist die Klage unbegründet. Denn das Streitpatent erweist sich in dieser Fassung als patentfähig. Auf die weiteren Hilfsanträge kommt es daher nicht mehr an.
103
Der ursprünglich geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der unzureichenden Offenbarung war darauf gestützt, dass der in Absatz [0026] der B1-Schrift beschriebene Freifallraum nicht so ausreichend offenbart sei, dass der Fachmann diesen ausführen könne. Durch Streichung dieses Absatzes in der geltenden Streitpatentschrift ist diesem Nichtigkeitsgrund allerdings die Grundlage entzogen worden und war damit nicht mehr zu berücksichtigen.
I.
104
1. Die Erfindung betrifft ein Ventil mit Sicherheitsvorrichtung gemäß dem Patentanspruch 1 (siehe Abs. [0001] der geänderten Patentschrift DE 50 2008 000 901 C9, nachfolgend als SPS bezeichnet).
105
Ventile mit Sicherheitsvorrichtungen seien bereits aus den Dokumenten US 4,856,547 und US 4,799,505 bekannt (vgl. Abs. [0002] SPS).
106
Nach Absatz [0003] SPS sei es bei der Verwendung und beim Transport von flüssigen oder gasförmigen Stoffen, die eine Gefahr für Mensch oder Umwelt darstellen können, in einem Fahrzeug oder einem sonstigen bewegten System notwendig, im Falle eines Unfalls ein unkontrolliertes Austreten des Stoffs zu verhindern. So sei beispielsweise in Reisemobilen und Wohnwagen nur dann der Betrieb einer Gasheizung während der Fahrt erlaubt, wenn das Fahrzeug mit einer Sicherheitseinrichtung ausgestattet sei, welche bei einem Leitungsabriss nach einem Unfall das Ausströmen von Gas auf der gesamten Leitungsstrecke vom Flaschenkasten bis zum Heizgerät verhindere.
107
In den Absätzen [0005] bis [0007] SPS werden verschiedene Arten von Sicherheitsvorrichtungen beschrieben, die auf unterschiedlichen physikalischen Prinzipien beruhen.
108
2. Davon ausgehend wird in Absatz [0008] SPS als Aufgabe angegeben, ein Ventil mit einer Sicherheitsvorrichtung anzugeben, welches durch ein vereinfachtes Wirkprinzip ein sicheres Verschließen einer Gasflasche und einer Fluidleitung oder eines mit einem Gefahrgut beladenen Behälters beim Auftreten einer Beschleunigungskraft, die einen vorgegebenen Grenzwert überschreitet, gewährleistet. Weiterhin sei es Aufgabe der Erfindung, ein Ventil mit Sicherheitsvorrichtung anzugeben, welches kostengünstig in der Herstellung, im Einbau und im Betrieb sei und welches eine kostengünstige Nachrüstung ermögliche.
109
3. Diese Aufgabe werde durch ein Ventil nach Patentanspruch 1 gelöst (siehe Abs. [0009] SPS), wobei dieses Ventil in einem Fahrzeug, insbesondere Reisemobil oder Wohnwagen, mit einer Gasflasche und einer Fluidleitung verwendet wird, um die Gasflasche und die Fluidleitung bei Auftreten einer Beschleunigungskraft, beispielsweise bei einem Unfall, sicher zu verschließen (vgl. Abs. [0003], [0019] und [0020] SPS).
110
4. Als maßgeblichen Fachmann erachtet der Senat einen Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung und Konstruktion von Ventilen, insbesondere von Ventilen mit Sicherheitsvorrichtungen für Anwendungen in Fahrzeugen.
111
5. Dieser Fachmann wird den Merkmalen des Anspruchs 1 nachfolgendes Verständnis zugrunde legen. Dabei wird bei der Auslegung insbesondere auf die einzige als erfindungsgemäß bezeichnete Ausführungsform nach den Figuren 4a und 4b verwiesen; diese darf allerdings nicht beschränkend gesehen werden, da ggf. noch andere vorteilhafte Weiterbildungen vorgesehen werden könnten, die zwar als zur Erfindung gehörig offenbart, jedoch nicht im Ausführungsbeispiel vorhanden sind:
112
Mit dem Merkmal 0 wird die Verwendung eines entsprechend den Merkmalen 1 bis 14 ausgebildeten Ventils zum Schließen einer in einem Fahrzeug befindlichen Gasflasche und der Fluidleitung beansprucht. Das Schließen der Gasflasche und das Absperren der Fluidleitung soll bei Auftreten einer Beschleunigungskraft, die einen vorgegebenen Grenzwert überschreitet, wie dies z.B. bei einem Unfall der Fall ist, erfolgen (vgl. Absätze [0003], [0008] SPS). Dabei wird der Grenzwert derart festgelegt, dass das Ventil beim Auftreten von geringen Beschleunigungskräften, die in typischen Fahrsituationen auftreten können, geöffnet bleibt, dass es aber bei Auftreten von Beschleunigungskräften, die ein Leitungssystem beschädigen können, schließt (siehe Abs. [0020] SPS). Darüber hinaus ergeben sich durch die Verwendung in einem Fahrzeug noch weitere Rand- bzw. Umgebungsbedingungen, z.B. Schrägstellung des Fahrzeugs, unter denen die Funktion des Ventils ebenfalls gewährleistet sein muss.
113
Die Merkmale 1 bis 4 beschreiben ein Ventil mit einem Gehäuse, das auf Grund der beanspruchten Verwendung insbesondere von einem gasförmigen Fluid durchströmt werden kann (s. Abs. [0011] der SPS). Hierzu sind in dem Gehäuse ein Einströmkanal, über den das Fluid einströmt, sowie ein Ausströmkanal, über den das Fluid wieder austreten kann, vorgesehen. Als Gehäuse wird ein Bauteil verstanden, das in seinem Innenraum Ventilkomponenten, insbesondere Teile der Sicherheitsvorrichtung, aufnimmt und diesen bzw. diese als feste Hülle umgibt.
114
Nach Merkmal 5 ist im Gehäuse (7) an der tiefstgelegenen Stelle eine konkave Vertiefung ausgespart, in deren Mittelpunkt sich eine Sitzfläche (2) befindet. Dieses Merkmal ist insbesondere auf die Anordnung und Ausgestaltung einer Sitzfläche für den in der Ruheposition befindlichen Trägheitskörper nach Merkmal 6 ausgerichtet und dementsprechend auszulegen. Zunächst ist nach dem ersten Teilmerkmal an der tiefsten Stelle des Gehäuses, in dem sich der Trägheitskörper befindet, eine Vertiefung ausgespart. Die tiefstgelegene Stelle des Gehäuses kann im Falle eines ebenen Gehäusebodens der Boden des Gehäuses sein, oder, wenn der Boden des Gehäuses einen gegenüber der Vertikalen veränderlichen, z.B. konkav gewölbten, Gehäuseboden aufweist, der tiefste Punkt eines höhenveränderlichen Gehäusebodens sein. Eine Beschränkung auf einen geneigten, insb. gewölbten Gehäuseboden im Sinne des Ausführungsbeispiels nach den Figuren 4a, 4b wird entgegen der Auffassung der Beklagten nicht durch die mit dem Superlativ „tiefstgelegene“ versehene Anspruchsformulierung gestützt, da auch ein ebener Gehäuseboden bezüglich des gesamten Gehäusekörpers der am tiefsten gelegenen Stelle entspricht.
115
An dieser tiefstgelegenen Stelle ist eine konkave Vertiefung angeordnet, wobei die Formulierung „eine Vertiefung ausgespart“ bereits zum Ausdruck bringt, dass es sich um eine Ausbuchtung bzw. Aushöhlung in den Gehäuseboden hinein, d.h. um eine konkave Körperform, handelt. Durch den Zusatz, dass es sich hierbei um eine „konkave“ Vertiefung handelt, wird diese Ausgestaltung lediglich bekräftigt, ohne allerdings weiter zu beschränken. Zwar wird der Begriff „konkav“ in der Streitpatentschrift auch im üblichen mathematischen Sinne als eine nach innen gewölbte/gekrümmte Ausgestaltung verwendet (siehe Figur 1, Bez. 2, i.V.m. Abs. [0058], 1. Satz; Figuren 4a, 4b mit der konkav geformten Gehäusewand i.V.m. Abs. [0083], 2. Satz), jedoch in der einzigen als erfindungsgemäß bezeichneten (s. Abs. [0045]) Ausführungsform nach den Figuren 4a, 4b als zylindrische Ausnehmung dargestellt. In der zugehörigen Beschreibung in Abs. [0074] wird diese Vertiefung ausdrücklich als „konkav“ bezeichnet, weshalb der Fachmann von dem Begriff „konkav“ auch Ausführungsformen umfasst sehen wird, die keine kontinuierliche Wölbung aufweisen. Dabei erkennt der Fachmann, dass es im Hinblick auf die Ausgestaltung als Sitzfläche im Wesentlichen auf die nach innen ausgesparte Vertiefung ankommt, durch die ein Eintauchen des Trägheitskörpers in die Vertiefung und damit ein Aufsitzen auf der mittels der Vertiefung gebildeten Sitzfläche zur definierten Lagerung mittels Schwerkraft ermöglicht wird (s. Abs. [0016]). Die Form der Sitzfläche, d.h. ob der Trägheitskörper bei einer zylindrischen Aussparung nur auf der oberen Umlaufkante der Aussparung oder bspw. bei einer sphärisch gewölbten Vertiefung vollflächig aufsitzt, ist für die streitpatentgemäße Funktion nicht relevant und liegt im Belieben des Fachmanns, was dieser insbesondere dem Absatz [0014] SPS, zweite Hälfte, in dem verschiedene Querschnittsformen der Vertiefung genannt werden, entnimmt.
116
Gemäß dem letzten Teilmerkmal des Merkmals 5 befindet sich die Sitzfläche im Mittelpunkt der konkaven Vertiefung. Da eine Sitzfläche auf Grund ihrer flächigen Erstreckung sich selbstverständlich nicht in einem Punkt befinden und eine „punktförmige Sitzfläche“ auch keine stabile Lagerung bereitstellen kann, wird der Fachmann diese Formulierung sinnvollerweise so verstehen, dass die Sitzfläche so positioniert ist, dass diese zentral/mittig in Bezug auf die Vertiefung angeordnet ist, so dass die Flächen zueinander konzentrisch sind bzw. die jeweiligen Mittelpunkte auf einer Achse liegen. Die Sitzfläche dient nämlich der Festlegung der Position bzw. der räumlichen Anordnung des Trägheitskörpers in der Ruheposition, so wie dies in dem nachfolgenden Merkmal 6 beansprucht und in den Absätzen [0014] und [0015] SPS beschrieben ist. Durch die Ausgestaltung gemäß Merkmal 5 wird der Trägheitskörper schwerkraftbedingt einerseits in der Ruheposition gehalten und andererseits kann hierdurch, ggf. zusätzlich unterstützt durch die konkave Gehäuseform gemäß den Figuren 4a, 4b, auch eine Rückführung des Trägheitskörpers vom ausgelenkten Zustand (siehe Merkmal 6) in seine Ruheposition auf der Sitzfläche, die durch die Vertiefung am tiefsten Punkt des Gehäuses gebildet wird, herbeigeführt werden (siehe Abs. [0022] SPS, 2. Hälfte).
117
Die Argumentation der Klägerin, dass es sich im Ausführungsbeispiel der Figuren 4a und 4b bei der Sitzfläche 2 nicht um ein zylindrisches Sackloch handele, dass die Sitzfläche bilde, sondern um einen Magneten, der in der Bohrung angeordnet sei und auf dessen Mittelpunkt der Trägheitskörper gehalten werde, mag zwar hinsichtlich der Darstellung mit dem punktuell aufsitzenden Trägheitskörper sowie i.V.m. mit dem zugehörigen Beschreibungsabsatz [0074] durchaus nachvollziehbar sein. Diese Argumentation betrifft jedoch bereits eine spezielle Weiterbildung bzw. Abwandlung der anspruchsgemäßen Ausführungsform, wobei der Fachmann von der „Grund“-Ausführungsform auszugehen hat: Gemäß Absatz [0074] „kann die Sitzfläche einen Magneten aufweisen, der den Trägheitskörper zusätzlich in seiner Ruheposition hält“. Somit handelt es sich bei der in den Figuren 4a und 4b dargestellten Ausgestaltung ausdrücklich um zusätzliche Weiterbildungen gegenüber der beanspruchten Ausführungsform, die (noch) keinen Magneten aufweist. Damit würde deren Berücksichtigung bei der Auslegung zu einer unzulässigen beschränkenden Auslegung des beanspruchten Gegenstands führen.
118
Der Trägheitskörper nach Merkmal 6 ist ein erfindungswesentliches Funktionselement des Ventils (vgl. Absätze [0013] bis [0022]), zumal dieser den Übergang des Ventils vom Normalzustand in den Sicherheitszustand auslöst (siehe Abs. [0019] SPS, 1. Satz). Strukturell ist der Trägheitskörper nicht auf eine Kugel oder einen Zylinder festgelegt, er muss jedoch so beschaffen sein, dass er durch eine Beschleunigungskraft aus der Sitzfläche ausgelenkt werden und den Sicherheitszustand auslösen kann. Seine jeweilige Stellung definiert den Betriebszustand des Ventils in der Weise, dass der Trägheitskörper
119
– im Normalzustand in seiner definierten Ruheposition auf der Sitzfläche angeordnet und
120
– im Sicherheitszustand unter Einwirkung einer Beschleunigungskraft aus der Ruheposition ausgelenkt ist.
121
Das Ventil umfasst neben dem Trägheitskörper nach den Merkmalen 7 bis 10 und 13 noch die (funktional definierten) Funktionseinheiten
122
– Verschlusseinheit, die entsprechend Merkmal 7 zwischen einer Offenstellung (Durchströmung möglich) und einer Schließstellung (Durchgang verschlossen) bewegbar ist,
123
– Bewegungseinrichtung, die entsprechend Merkmal 8 die vorgenannte Bewegung der Verschlusseinheit bewirkt,
124
– Energiespeichereinrichtung, die entsprechend Merkmal 9 Energie speichert und diese im Sicherheitszustand zur Bewegung der Verschlusseinheit in die Schließstellung bereitstellt,
125
– Sperreinrichtung, die entsprechend Merkmal 10 in Abhängigkeit vom Betriebszustand die Energieabgabe verhindert bzw. zulässt, und
126
– Rückstelleinrichtung, die entsprechend Merkmal 13 zum Rückstellen der Verschlusseinheit in die Offenstellung durch einen Bediener vorgesehen ist.
127
Diese Funktionseinheiten sind folgendermaßen miteinander verknüpft und können folgende Zustände aufweisen:
128
Baugruppe
Funktion
Betriebszustand
Normal-zustand
Sicherheits-zustand
Trägheitskörper
Auslösung der Sicherheitsfunktion bei Überschreiten einer vordefinierten Beschleunigung
Ruheposition auf der Sitzfläche
Auslenkung aus der Ruheposition (= Position außerhalb von der Sitzfläche)
Verschlusseinheit
Verschließen des Strömungsweges
Offenstellung
Schließstellung
Bewegungseinrichtung
Bewegen der Verschlusseinheit
(von der) Offenstellung
(in die) Schließstellung
Energiespeichereinrichtung
Energiespeicherung zur Bewegung der Verschlusseinheit
Energiespeicher geladen (bei Offenstellung der Verschluss-einheit)
Energieabgabe zur   Bewegung der Verschluss-einheit in die Schließstellung
Sperreinrichtung
Verhinderung der Energieabgabe im Normalzustand
Energieabgabe gesperrt
Energieabgabe zugelassen/nicht gesperrt
Rückstelleinrichtung
Rückstellen der Verschlusseinheit in die Offenstellung
inaktiv/keine Bedienung erforderlich
vom Bediener zum Rückstellen aktivierbar
129
Hierbei können entsprechend der streitpatentgemäßen Ausführungsform nach den Figuren 4a und 4b einzelne Gegenstände in mehreren Funktionseinheiten mitwirken, so z.B. die Feder 23 als Energiespeichereinrichtung und Sperreinrichtung fungieren. Allerdings sind i.V.m. mit dem Kniehebel immer noch zwei funktional getrennte Einrichtungen vorhanden, die durch die Stellung bzw. Überstreckung des Kniehebels voneinander abgegrenzt werden. Im Gegensatz hierzu fällt eine Ausgestaltung, bei der die Sperreinrichtung durch den Trägheitskörper selbst gebildet wird, nicht unter den anspruchsgemäßen Gegenstand, welcher nach Merkmal 10 ausdrücklich eine Sperreinrichtung aufzuweisen hat. Dies entspricht auch der streitpatentgemäßen Ausführungsform nach den Figuren 4a und 4b, bei der die Sperreinrichtung durch den überstreckten Kniehebel 6 i.V.m. mit der Feder 23 gebildet wird. Der Trägheitskörper wirkt auf die Sperreinrichtung beim Auslösen ein, indem er diese bei seiner Auslenkung betätigt und vom Sperrzustand in den Zustand überführt, in dem die Energieabgabe freigegeben wird. Damit handelt es sich bei der anspruchsgemäßen Sperreinrichtung nach Merkmal 10 um eine vom Trägheitskörper separate Einrichtung im Sinne einer funktional eigenständigen Ausgestaltung, die vom Trägheitskörper betätigt wird. Im Gegensatz hierzu wird in den laut Absatz [0045] ausdrücklich als nicht erfindungsgemäß bezeichneten Ausgestaltungen nach den Figuren 1, 2a, 2b und 3 die Sperreinrichtung durch den Trägheitskörper selbst gebildet (siehe Figur 1 i.V.m. Abs. [0054]; Figuren 2a, 2b i.V.m. Abs. [0062]; Figur 3 i.V.m. Abs. [0070]). In Anbetracht dessen wird der Fachmann alternative Ausgestaltungen, die zu einer Abwandlung von der erfindungsgemäßen Ausführungsform nach den Figuren 4a, 4b zu einer als nicht erfindungsgemäß bezeichneten Variante gemäß den Ausführungsformen 1 bis 3 führen, als nicht vom Anspruch umfasst bzw. nicht streitpatentgemäß ansehen. Deren abweichende Ausgestaltung weist hinsichtlich der Auslösung eine andere Funktionsweise auf. Diese basiert darauf, dass der Trägheitskörper bereits selbst als Sperreinrichtung fungiert und das Bewegen in die Verschlussstellung ohne Zwischenschaltung einer zusätzlichen Funktionseinheit erfolgt. Der Fachmann erkennt hierbei, dass hierdurch zwar eine einfachere Bauweise ermöglicht wird, allerdings entfällt hierdurch die Möglichkeit einer zusätzlichen Einstellmöglichkeit für die Auslösekraft, die sich gemäß Figur 4a bspw. aus der Federkraft 23 des überstreckten Kniehebels ergibt.
130
Die Energiespeichereinrichtung wird nach Merkmal 12 noch dahingehend präzisiert, dass es sich um eine Federeinrichtung handelt; die Federeinrichtung kann wie bereits ausgeführt auch mehrere Federn umfassen (siehe Figuren 4a, 4b, Bez. 4 und 12, sowie Abs. [0036]).
131
Die Rückstellung nach einer Auslösung erfolgt gemäß Merkmal 13 ausdrücklich mit Hilfe einer durch einen Bediener aktiv betätigten Rückstelleinrichtung. Diese manuelle Rückstellung unterscheidet sich von einer selbsttätigen Rückstellung dadurch, dass die Schließstellung nach einer Auslösung erhalten bleibt und das Ventil erst durch ein bewusstes Betätigen der Rückstelleinrichtung durch den Bediener wieder in den geöffneten Normalzustand überführt wird.
132
Die Speicherung der Energie in der Energiespeichereinrichtung erfolgt nach Merkmal 14 durch das Vorspannen der vorgenannten Federeinrichtung beim Rückstellen und somit durch die aktiv von einem Bediener betätigte Rückstelleinrichtung.
II.
133
1. Der im einzigen Patentanspruch in der Fassung nach Hauptantrag vorgenommene Kategoriewechsel von einem Erzeugnis- zu einem Verwendungsanspruch (vgl. neues Merkmal 0) ist zulässig.
134
Nach der Rechtsprechung kann ein auf ein Erzeugnis gerichteter Patentanspruch im Nichtigkeitsverfahren auf eine bestimmte Art der Verwendung dieses Erzeugnisses beschränkt werden, wenn diese Verwendung in der Patentschrift offenbart ist (vgl. BGH GRUR 1988, 287 – Abschlussblende; 98, 1003 – Leuchtstoff; Mitt 2012, 119 – Notablaufvorrichtung; Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 7. Aufl., Rn. 304 mit weiteren zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Vorliegend führt die Kategorieänderung von einem Ventil zu einer konkreten Verwendung eines solchen Ventils zu einer Beschränkung, weil das Ventil nunmehr nicht mehr allumfassend als Erzeugnis für beliebige Anwendungen beansprucht wird, sondern nur noch für eine bestimmte Verwendung. Aus den Absätzen [0002], [0007] und [0019] der Offenlegungsschrift EP 2 096 340 A1, welche die Verwendung gemäß dem Merkmal 0 belegen, ergibt sich zudem, dass die beanspruchte Verwendung eines Ventils mit den Merkmalen 1 bis 14 auch ursprünglich offenbart ist. Damit liegen die Voraussetzungen für einen zulässigen Kategoriewechsel vor.
135
Der Einwand der Klägerin, dass der Kategoriewechsel unzulässig sei, da in einem Nichtigkeitsverfahren der Patentanspruch nicht so geändert werden dürfe, dass er einen von der erteilten Fassung nicht umfassten Gegenstand einbeziehe (vgl. BGH GRUR 2018,389 – Schaltungsanordnung III), greift hier nicht. So führt die beanspruchte Verwendung des (untergeordneten) Ventils in einem (übergeordneten) Fahrzeug nicht dazu, dass das übergeordnete Fahrzeug im Sinne eines Sachanspruchs in den Schutzbereich mit einbezogen wird, sondern beschränkt – wie zuvor bereits ausgeführt – das in der Fassung nach Hauptantrag beanspruchte Ventil dahingehend, dass dieses Ventil nur noch in Verbindung mit der nunmehr beanspruchten Verwendung in einem Fahrzeug geschützt wird.
136
2. Der Patentanspruch nach Hauptantrag weist keine unzulässige Erweiterung auf.
137
2.1. Die neu in den Anspruch 1 aufgenommenen Merkmale sind für sich betrachtet unbestritten offenbart.
138
In der vorliegenden Fassung des einzigen Anspruchs bestehen in den Merkmalen folgende Unterschiede gegenüber der erteilten Fassung und der beschränkten Fassung gemäß der C9-Schrift, wobei die Offenbarungsstellen in der Offenlegungsschrift EP 2 096 340 A1, nachfolgend mit OS abgekürzt, in der letzten Spalte hinzugefügt worden sind. Wegen des Wortlauts der jeweiligen Merkmale wird auf die Merkmalsgliederung im Urteilstenor bzw. im Tatbestand verwiesen, wobei unveränderte Merkmale nicht aufgeführt worden sind:
139
Neue Merk-
male im  Hauptantrag
erteilter Anspruch 1
Anspruch 1 gemäß C9-Schrift (s. o.)
Offenbarung in der OS
EP2096340A1
(0)     
fehlt 
fehlt 
Abs. [0019] sowie Abs. [0007]
(2)     
fehlt 
Merkmal 2
Fig. 4a/b, Bez. 7, z. B. Abs. [0111]
(5)     
fehlt 
Merkmal 5
Abs. [0111], 2.Satz
(6)     
3. Merkmals-gruppe
Ergänzung “auf der Sitzfläche“
Anspruch 1, 3. Merkmalsgruppe + Abs. [0111], 2. Satz
(9)     
6. und 7. Merkmalsgruppe mit „mechanischer und/oder magnetischer Energie“
6. u. 7. Merkmalsgruppe mit „mechanischer und/oder magnetischer Energie“
Zulässige Streichung der alternativen magnetischen Energie
(10)   
fehlt 
fehlt 
Anspruch 2
(12)   
fehlt 
fehlt 
Anspruch 4
(13)   
fehlt 
fehlt 
Anspruch 21
(14)   
fehlt 
fehlt 
Ansprüche 22 und 23, 1. Teil
140
die Aufstellung zeigt, sind die einzelnen Merkmale jeweils für sich betrachtet ursprünglich offenbart.
141
2.2. Die (isolierte) Aufnahme des Merkmals 5 in den Patentanspruch nach Hauptantrag ist ebenfalls zulässig.
142
In dem Ausführungsbeispiel nach den Figuren 4a und 4b ist die Anordnung der Sitzfläche in einer konkaven Vertiefung an der tiefstgelegenen Stelle des Gehäuses nach Merkmal 5 sowie ein überstreckter Kniehebel gezeigt und in Absatz [0120] OS ein funktionelles Zusammenwirken in der Weise beschrieben, dass der Kniehebel bei Auftreten von Beschleunigungskräften durch den sich an der konkaven Wandung des Gehäuses nach oben bewegenden Trägheitskörper ausgelöst wird. Selbst wenn dieses Zusammenwirken in Verbindung mit der an die Gehäusewandung angrenzenden konkaven Vertiefung gemäß Merkmal 5 gesehen wird, ist diese Merkmalskombination nicht untrennbar. Sie stellt vielmehr eine mögliche Kombination von zwei offenbarten Ausgestaltungen dar, wobei sowohl der Kniehebel als auch die Anordnung der Sitzfläche, in welcher der Trägheitskörper in der Ruheposition angeordnet ist, in der Offenlegungsschrift als eigenständige Ausgestaltungen beschrieben werden. Bezüglich Merkmal 5 entnimmt der Fachmann der Offenlegungsschrift, dass die Anordnung des Trägheitskörpers an der tiefstliegenden Stelle im Gehäuse der selbstständigen Rückführung des Trägheitskörpers nach der Auslösung dient und nicht untrennbar dem Zusammenwirken mit einem überstreckten Kniehebel geschuldet ist. So wird im allgemeinen Beschreibungsteil in Absatz [0021] OS ausgeführt, dass der „Trägheitskörper nach der Auslenkung aus der Ruheposition durch die Wirkung der Schwerkraft in die Ruheposition zurückrollen“ kann. Für den Fachmann ist hierbei selbstverständlich, dass ein schwerkraftbedingtes Zurückrollen in die Ruheposition nur in Verbindung mit einem Gefälle möglich ist, d.h. wenn sich die Ruheposition bzw. Sitzfläche am tiefstgelegenen Punkt des Gehäuses befindet. Dies kann durch einen geneigten /gewölbten Gehäuseboden oder bereits durch das Hineinrollen in eine Vertiefung erfolgen, so wie dies nach Merkmal 5 vorgesehen ist. Dieser vom Auslösungsprinzip der einzelnen Ausführungsbeispiele unabhängige Sachverhalt wird auch in dem Ausführungsbeispiel nach Figur 1 beschrieben, bei dem ebenfalls die Tatsache ausgenutzt wird, dass der Trägheitskörper „nach seiner Auslenkung durch seine Schwerkraft innerhalb des Gehäuses 7 an die tiefstgelegene Stelle bewegt“ wird (siehe Abs. [0090] OS, erster Satz). Diese Offenbarungen belegen, dass es sich bei der Ausgestaltung nach Merkmal 5 um eine eigenständige Maßnahme handelt, die der Fachmann im Hinblick auf die damit verknüpfte Funktionalität, nämlich die schwerkraftbedingte Rückführung in die Ruheposition, in den Anspruch als eigenständiges Merkmal aufnehmen kann. Der Patentinhaber, der nur noch für eine bestimmte Ausführungsform der angemeldeten Erfindung Schutz begehrt, ist dabei grundsätzlich nicht genötigt, sämtliche Merkmale eines Ausführungsbeispiels in den Anspruch aufzunehmen. Dienen mehrere in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels genannten Merkmale der näheren Ausgestaltung der unter Schutz gestellten Erfindung, die jeweils für sich, aber auch zusammen den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, hat es der Patentinhaber in der Hand, ob er sein Patent durch die Aufnahme einzelner oder sämtlicher dieser Merkmale beschränkt, solange die Merkmale eigenständig offenbart sind und kein Aliud gebildet wird (s.a. BGH GRUR 2008, 60, Rn. 30, 31 – Sammelhefter II). Dies ist vorliegend der Fall, so dass die Aufnahme des Merkmals 5 zu keiner unzulässigen Erweiterung und auch zu keinem Aliud führt. Eine darüberhinausgehende weitere Beschränkung, bei der die als Merkmal 10 aufgenommene Sperreinrichtung konkret als überstreckter Kniehebel mit Feder ausgeführt sein muss, ist nicht erforderlich. So sind dem Fachmann als Sperreinrichtung auch andere Betätigungsmechanismen wie z.B. vorgespannte Rasthebel bekannt, bei denen eine Bewegung, die hier aus der Auslenkung des Trägheitskörpers aus der Ruheposition, insbesondere beim Herausheben aus der Sitzfläche oder beim Hochrollen an einer konkaven Gehäusewandung, resultiert, zur Auslösung der Sperreinrichtung genutzt wird.
143
Auf Grund der Tatsache, dass das der Ausgestaltung nach Merkmal 5 zugrundeliegende allgemeine Prinzip bereits durch den allgemeinen Beschreibungsabsatz [0021] OS, d.h. unabhängig von den von der Klägerin angeführten Ausführungsbeispielen nach den Figuren 1 bis 3, offenbart, ist, käme es auf die weitere diesbezügliche Argumentation der Klägerin nicht an. Allerdings greift diese auch in anderer Hinsicht nicht. So beruht deren Argumentation im Wesentlichen darauf, dass sich die Funktionsweise der Ausführungsbeispiele nach den Figuren 1 bis 3 durch ein anderes Funktionsprinzip von der streitpatentgemäßen Ausführungsform nach den Figuren 4a und 4b unterscheide und nicht mit dem Streitgegenstand vergleichbar seien. So werde der Trägheitskörper bei den Figuren 1 bis 3 eingeklemmt, wogegen in den Figuren 4a und 4b keine Klemmung erfolge. Dies ist allerdings nur insoweit richtig, als in Absatz [0114] OS ausgeführt ist, dass die Anordnung des Kniehebels so gewählt sein kann, dass „in der Überstreckung der Kniehebel den in der Ruheposition gelagerten Trägheitskörper nicht berührt“. Durch die Verwendung des Wortes „kann“ wird jedoch zum Ausdruck gebracht, dass es sich hierbei lediglich um eine mögliche Ausgestaltungsoption handelt, die sich allerdings nicht im Anspruch wiederfindet. Es wird weder ein exklusiver Vorteil dieser Option angeführt noch ein besonderer Zusammenhang mit der in Absatz [0120] OS beschriebenen Auslösung erwähnt. So funktioniert die Vorrichtung der Figuren 4a und 4b auch dann, wenn der überstreckte Kniehebel so angeordnet bzw. vorgespannt ist, dass er eine Klemmkraft auf den Trägheitskörper ausübt, die zusätzlich überwunden werden muss. Hierdurch kann eine höhere Auslösekraft eingestellt, der Trägheitskörper besser in der Ruheposition gehalten sowie ein Klappern bei Vibrationen im Fahrbetrieb vermieden werden. Somit lässt sich aus der Klemmung des Trägheitskörpers kein Unterscheidungsmerkmal ableiten, so dass auch die hierauf aufbauende Argumentation nicht greift. Ein Unterscheidungsmerkmal zwischen den Ausführungsbeispielen ist vielmehr, dass bei den Figuren 1 bis 3 der Trägheitskörper selbst als Sperreinrichtung fungiert, was bei der anspruchsgemäßen Ausführungsform nach den Figuren 4a und 4b nicht der Fall ist (siehe Auslegung zu Merkmal 10).
144
3. Der Gegenstand des einzigen Patentanspruchs nach Hauptantrag ist nicht patentfähig.
145
3.1. Der gemäß Hauptantrag beanspruchte Gegenstand ist neu gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik.
146
Aus keiner der angeführten Druckschriften geht die ausdrückliche Verwendung eines anspruchsgemäßen Ventils zum sicheren Verschließen einer in einem Fahrzeug angeordneten Gasflasche und Fluidleitung hervor.
147
3.2. Der Gegenstand des Anspruchs nach Hauptantrag beruht gegenüber dem vorgelegten Stand der Technik jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
148
3.2.1. Der Fachmann gelangt ausgehend von dem Ventil der E27 bzw. JP S51-3026 A (oder E28 bzw. JP S51-3027 A) in naheliegender Weise zu der beanspruchten Verwendung.
149
Da aus der E28 kein gegenüber der E27 wesentlich abweichender Offenbarungsgehalt hervorgeht bzw. erkennbar ist und von der Klägerin auch nicht geltend gemacht worden ist, wird lediglich zu der E27 ausgeführt.
150
Die E27 offenbart ein Ventil mit den baulichen und funktionellen Ausgestaltungen gemäß den Merkmalen 1 bis 10 und 12 bis 14:
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
151
Figuren 1 bis 4 der E27, nachträglich koloriert
152
Das Ventil weist ein Gehäuse 1 mit einem Einströmkanal 16‘ und einem Ausströmkanal 16 auf, wobei in dem Gehäuse 1 an der tiefstgelegenen Stelle eine (konkave) Vertiefung 2 ausgespart ist, in deren Mittelpunkt sich eine Sitzfläche befindet – siehe insb. Figur 3 (Merkmale 1 bis 5; s.a. Auslegung zu Merkmal 5). Im Ruhezustand befindet sich auf der Sitzfläche eine Kugel 11 als Trägheitskörper, die unter Einwirkung einer Beschleunigungskraft aus der Ruheposition ausgelenkt wird (siehe E27‘, Seite 3, Zeilen 16 bis 19; Merkmal 6). Der Ventilkolben 17 stellt mit seiner Nut 18 und einem sich axial anschließenden Bereich des Ventilkolbens 17 eine Verschlusseinheit 17, 18 gemäß Merkmal 7 dar, die je nach axialer Stellung einen Durchströmquerschnitt vom Einströmkanal 16‘ zum Ausströmkanal 16 offenhält oder verschließt (siehe E27‘ Seite 3, Zeilen 9 bis 15). Der Ventilkolben 17 ist dabei in Verlängerung der Verschlusseinheit als Bewegungseinrichtung ausgebildet, mit dem die Verschlusseinheit bewegt wird (Merkmal 8). Dabei ist für die Bewegung in Schließrichtung eine Feder 25 als Energiespeichereinrichtung vorgesehen, mit deren Hilfe die Verschlusseinheit 17,18 von der Offenstellung in die Schließstellung bewegt wird; die Feder 25 ist im Normalzustand gespannt und im Sicherheitszustand zumindest teilweise entspannt (siehe E27‘, Seite 3, Zeilen 1 bis 3, sowie Zeile 25, bis Seite 4, Zeile 8; Merkmale 9, 12). Zum Halten in der Offenstellung ist eine Sperreinrichtung vorgesehen, die im Sicherheitszustand die Verschlusseinheit 17,18 freigibt und im Normalzustand die Energiespeichereinrichtung 25 sperrt (Merkmal 10). Hierzu ist gemäß Figur 2 eine in einer Führung 4 gelagerte Stange 5 vorhanden, die über einen daran befestigten Hebel 6 den Ventilkolben 17 arretiert. Zu dessen Arretierung ist am Hebel 6 eine Sperrkante vorgesehen, die in eine Sperrnut 20 des Ventilkolbens 17 eingreift – siehe Figur 4. Die Auslösekraft dieser Sperreinrichtung ist über eine Druckfeder 10, die den Trägheitskörper 11 in die konkave Vertiefung 2 vorspannt, mittels einer Einstellschraube 8 einstellbar (siehe E27‘, Seite 2, 1. Absatz). Über einen am Ventilkolben ausgebildeten Stiftfortsatz 23 ist schließlich auch noch eine Rückstelleinrichtung gemäß den Merkmalen 13 und 14 vorhanden. Im ausgelösten Sicherheitszustand ragt der Stift 23 aus der Verschlussplatte 21 heraus; beim Hineindrücken wird die Energiespeichereinrichtung bzw. Feder 25 wieder gespannt und nach Einrasten des Hebels 6 in die Rastnut 20 der Ventilkolben 17 wieder in der Offenstellung des Ventils gehalten (siehe Seite 4, zweiter Absatz).
153
Damit sind alle baulichen Merkmale des beanspruchten Ventils offenbart.
154
Der Einwand der Beklagten, dass das Merkmal 13 bei der E27 nicht offenbart sei, da der Rückstellstift 23 nicht separat, sondern zusammen mit der Verschlusseinheit 17, 18 gemäß Merkmal 7 und die Bewegungseinrichtung gemäß Merkmal 8 materialeinheitlich in einem einzigen Ventilbauteil 17 entsprechend der Darstellung in Figur 4 ausgebildet sei, greift nicht. Eine Zusammenfassung der funktionellen Einheiten bzw. Einrichtungen zu einer Baugruppe oder zu einem Bauteil wird nämlich von der Anspruchsformulierung nicht ausgeschlossen, solange noch die jeweilige funktionelle Ausgestaltung bzw. Komponente als solche vorhanden und erkennbar ist.
155
Des Weiteren wird in der E27 die Verwendung des vorbeschriebenen Ventils als Sicherheitsventil in einem Fahrzeug offenbart, um durch den bei einem Unfall wirkenden Impuls die angeschlossene Leitung zu verschließen (siehe S. 4, Z. 20 bis S. 5, Z. 4, i.V.m. S. 3, Z. 16f.). Zudem lehrt die E 27‘ auf S. 4, Z. 24, bis S. 5, Z. 4, dass dieses einfach aufgebaute Ventil auch zum Absperren eines Gasdurchflusses verwendbar ist, um beim Auftreten eines Impulses den Gasdurchfluss augenblicklich und sicher abzusperren und nachfolgende Feuer oder ähnliches zu vermeiden:
156
„The impact sensing valve of the invention … has a simple structure in which an impact is sensed …. and can shut off a passage of liquid or gas momentarily and surely when an impact is applied,…”
157
Aufgrund der eingangs beschriebenen Verwendung des Ventils als Sicherheitsventil in einem Fahrzeug und der ausdrücklichen Anwendungsempfehlung des Ventils zum Absperren des Gasdurchflusses ist es naheliegend, dass der Fachmann dieses Ventil auch zum Absperren der Gasflasche und der Gasleitung bei einer in Fahrzeugen installierten Gasversorgung, wie dies z.B. bei Wohnmobilen oder Wohnwagen der Fall ist, in Betracht zieht (vgl. BGH GRUR 2014, 647 – Farbversorgungssystem).
158
Damit ist keine erfinderische Tätigkeit erforderlich, um ausgehend von der E27 zur beanspruchten Verwendung des Ventils der E27 gemäß dem einzigen Anspruch zu gelangen, sondern stellt eine bloße Auswahl eines geeigneten Ventils dar, dessen Verwendung der Fachmann bei den vorgenannten Randbedingungen auch als zweckmäßig ansieht.
159
Die von der Beklagten vorgebrachten Zweifel im Hinblick auf die qualitative Güte der Ausgestaltungsdetails des Ventils der E27 sind ohne Belang, zumal der Fachmann erkennt, dass die beanspruchte Funktion bzw. Verwendung zweifellos gegeben bzw. möglich ist. Dies trifft sowohl dafür zu, dass der Fachmann im Hinblick auf eine bessere Abdichtung bei der Verwendung als Gasventil noch konstruktive Anpassungen vornimmt, z.B. das Vorsehen von Dichtungen an dem Ventilkolben (siehe bspw. E8, insb. Figur 6, Bez. 10 i.V.m. E8‘, S.3, 2.Abs.), als auch dafür, dass ggf. noch weitere erforderliche Anpassungsmaßnahmen im Hinblick auf die Betriebsbedingungen oder Zulassungsnormen erforderlich sind. Derartige Maßnahmen liegen im üblichen fachmännischen Handeln und können die Vorwegnahme der beanspruchten Ausführungsmerkmale oder die grundsätzliche Eignung des Ventils der E27 für die beanspruchte Verwendung nicht in Frage stellen.
160
3.2.2. Der weitere im Verfahren befindliche Stand der Technik ist allerdings nicht geeignet, die Verwendung eines anspruchsgemäßen Ventils nach Anspruch 1 nahezulegen.
161
Zunächst wird der Klägerin darin zugestimmt, dass dem maßgeblichen Fachmann Sicherheitsventile für die Gasversorgung sowohl in stationären als auch in mobilen Anwendungsfällen grundsätzlich bekannt sind und er auch deren Einsatzbedingungen kennt (siehe z.B. E25, 1. und 2. Absatz; E26). Allerdings gelangt er in Kenntnis des übrigen Standes der Technik trotzdem nicht zu der beanspruchten Verwendung eines anspruchsgemäßen Ventils, wie nachfolgend ausgeführt wird.
162
3.2.2.1. Die E1 bzw. US 4 799 505 A führt auch in Verbindung mit der E25 bzw. EP 1 473 494 A1 nicht in naheliegender Weise zu einem Gegenstand mit den Merkmalen des einzigen Anspruchs.
163
Die E1 offenbart ein durch Erdbeben auslösbares Gasventil für die stationäre Verwendung in Gebäuden; eine mobile Verwendung nach Merkmal 0 wird nicht erwähnt (siehe Sp. 1, Abs.1 und 2). Der Fachmann wird allerdings das Ventil der E1 für die Verwendung in einem Fahrzeug als geeignet ansehen, da bei diesem die Auslöseempfindlichkeit, d.h. die Auslösung bei einer bestimmten Beschleunigungskraft, durch die Einspannung der Kugel 32 gezielt eingestellt werden kann (siehe Brückenabsatz Spalte 1 auf Spalte 2); auf Grund der ursprünglichen Verwendung des Ventils zur Unterbrechung einer Gaszufuhr gilt dies auch für die Verwendung zum Absperren einer in einem Fahrzeug angeordneten Gasversorgung wie z.B. einer Gasflasche und der Fluidleitung.
164
Allerdings gelangt er damit nicht zu einer Verwendung eines anspruchsgemäßen Ventils, von dem sich das Ventil der E1 durch die Ausgestaltung gemäß dem Merkmal 5 i.V.m. Merkmal 6 sowie dem Merkmal 10 unterscheidet:
165
Der Trägheitskörper 32 ist innerhalb eines Gehäuses 10 zwischen einer Sitzfläche eines unteren Halters 34 und einer Stange 28 (= Bewegungseinrichtung; Merkmal 8), die jeweils durch Federn 38 (= Energiespeichereinrichtung; Merkmale 9, 12) und 42 in Richtung auf den Trägheitskörper 32 vorgespannt sind, eingespannt (Merkmal 6). Bei ausreichend großen Beschleunigungskräften wird der Trägheitskörper 32 aus dieser Einspannung ausgelenkt und die durch den Trägheitskörper 32 blockierte Verschlusseinheit 26 (Merkmal 7) freigegeben, so dass die mit der Feder 38 vorgespannte Verschlusseinheit 26 in die Schließstellung bewegt wird. Damit bildet der Trägheitskörper selbst die Sperreinrichtung, so dass keine eigens ausgebildete Sperreinrichtung erforderlich bzw. vorhanden ist (fehlendes Merkmal 10). Die Merkmale 5 und 6 bedürfen einer genaueren Betrachtung der Figuren 1 bis 3, wobei
166
– die Figur 1 den Normalzustand, bei dem sich die Verschlusseinheit 26 in Offenstellung und der Trägheitskörper 26 in der Ruheposition befindet sowie die Energiespeichereinheit bzw. Feder 38 vorgespannt ist,
167
– die Figur 2 den Sicherheitszustand, bei dem der Trägheitskörper 32 ausgelenkt ist, die Verschlusseinheit sich in Schließstellung befindet und die Energiespeichereinrichtung 38 entspannt ist, und
168
– die Figur 3 eine Zwischenstellung beim Rücksetzvorgang, bei dem durch den Nockenhebel 40 der Halter 34 mit der Sitzfläche so weit abgesenkt wird, dass sich der Trägheitskörper 32 wieder zum tiefstgelegenen Zentrum und unter die Bewegungseinrichtung 28 zurückbewegen kann,
169
zeigen.
170
Bei der E1 ist entsprechend Figur 1, die den Normalzustand abbildet, nicht realisiert, dass sich in der Ruheposition die Sitzfläche 34 an der tiefstgelegenen Stelle des Gehäuses 10 befindet. So ist die Sitzfläche für den Trägheitskörper 32 im Normalzustand bzw. in der Ruheposition deutlich oberhalb von der tiefstgelegenen Sitzfläche gemäß Figur 3 angeordnet, die nur während des Rücksetzens, d.h. nicht im Normalzustand, eingenommen wird. Im Gegensatz hierzu wird im Streitpatent durch die Merkmale 5 und 6 eine Sitzfläche an der tiefstgelegenen Stelle beansprucht (Merkmal 5), bei der sich der Trägheitskörper in der Ruheposition befindet (Merkmal 6). Dies ist bei der E1 eindeutig nicht der Fall (fehlendes Merkmal 5 i.V.m. Merkmal 6).
171
Eine Veranlassung dahingehend, die Sitzfläche als Ruheposition an der tiefstgelegenen Stelle anzuordnen sowie eine separate Sperreinrichtung vorzusehen, ist bei dem in sich geschlossenen Konzept der E1 nicht erkennbar und ergibt sich auch nicht aus dem weiteren Stand der Technik.
172
Und selbst wenn – wie von der Klägerin ausgeführt – entgegen der Auslegung der Auslegung des Merkmals 10 unter I.5 davon ausgegangen wird, dass der Anspruch eine Ausgestaltung umfasst, bei der die Sperreinrichtung durch den Trägheitskörper gebildet sein kann, wird dem Fachmann ein solcher Gegenstand, der auch das Merkmal 5 i.V.m. Merkmal 6 aufweist, trotzdem auch in Verbindung mit der E25 nicht nahegelegt:
173
Die E25 betrifft ein Sicherheitsventil, das nach Absatz [0001] u.a. zur Unterbrechung eines Gaskreises im Falle eines Aufpralls dienen kann, wobei nach Absatz [0002] bei heftigen Stößen in Straßenfahrzeugen die Leitungen unterbrochen werden. Durch die Formulierung in Absatz [0001] „un dispositiv de securité permettant d’interrompre la distribution d’un circuit de gaz … en cas de choc“ kann i.V.m. Z. 25 f. der Spalte 1 auch die Verwendung zur Unterbrechung einer in einem Fahrzeug befindlichen Gasversorgung als vom Wortlaut mit offenbart angesehen werden. In Anbetracht dessen wird die konkrete Verwendung zum Absperren einer in einem Fahrzeug befindlichen Gasflasche und Fluidleitung, z.B. bei einem Wohnmobil, als naheliegend angesehen (Merkmal 0).
174
Bei dem Ventil mit den Merkmalen 1 bis 4 (Figur 1, Bez. 1, 2, 3) ist der Trägheitskörper M allerdings pendelartig aufgehängt, so dass es an einem Trägheitskörper mangelt, der auf einer Sitzfläche ruht, die in einer Vertiefung an der tiefstgelegenen Stelle des Gehäuses in einer konkaven Aussparung vorgesehen ist (fehlende Merkmale 5, 6). Die weiteren Merkmale einer Verschlusseinheit 5b, einer Bewegungseinrichtung in Form der zentralen Ventilstange, einer Energiespeichereinrichtung in Form der Feder 6, eine Sperreinrichtung 9, 10 und eine Rückstelleinrichtung 15 gemäß den Merkmalen 7 bis 14 kann der Fachmann insbesondere der Figur 1 der E25 entnehmen.
175
Zwar mag der Klägerin grundsätzlich zuzustimmen sein, dass der Fachmann immer bestrebt ist, die Teileanzahl und den Herstellaufwand bei Produkten zu reduzieren, und deshalb auch die E1 in dieser Hinsicht einer diesbezüglichen Betrachtung unterziehen. Unter Berücksichtigung der zuvor beschriebenen Bauweise wird allerdings der Beklagten zugestimmt, dass ausgehend von der E1 die Berücksichtigung der E25 auf einer rückschauenden Betrachtung beruht. So unterscheidet sich die Funktionsweise der Rückstelleinrichtung der E1 wesentlich von der Funktionsweise nach der E25, bei der nach dem Anheben der Verschlusseinheit 5b mittels der Öse 15 der pendelartig gelagerte Trägheitskörper M in die Ruheposition zurückschwingen kann und dann lediglich wieder auf die Sperreinrichtung 10 aufgesetzt werden muss. Die Kombination mit der E25 würde dabei nämlich im Fall der E1 nicht nur das Verlängern der Stange 28 nach oben und das Vorsehen einer Öse, sondern auch die komplette Umkonstruktion der vorhandenen Rückstellvorrichtung der E1 mit Lagerbolzen 34, Vorspannfeder 42 und Exzenterhebel 40 erfordern. Auf Grund dieser unterschiedlichen Funktionsweisen der Rückstelleinrichtungen i.V.m. mit den unterschiedlichen Auslösemechanismen sowie der erforderlichen Umkonstruktionen, die über ein bloßes Verlängern der Stange 28 der E1 hinausgehen, würde der Fachmann die E25 im Hinblick auf eine Vereinfachung des Rückstellmechanismus der E1 nicht ohne einen konkreten Hinweis in Betracht ziehen; ein solcher ist jedoch nicht gegeben.
176
Schließlich ist auch nicht überzeugend, dass der Fachmann auf der Suche nach einem Sicherheitsventil zur Unterbrechung der Gaszufuhr in einem Fahrzeug zunächst ein Gasventil für die stationäre Anwendung in Gebäuden (E1) heranziehen und dieses dann in Kenntnis eines für eine Gasunterbrechung in Fahrzeugen bekannten Ventils (E25) aufwändig umkonstruieren sollte, wenn letztgenanntes Ventil sowohl die Verwendungsmöglichkeit als auch die vereinfachte Rückstelleinrichtung bereits grundsätzlich aufweist.
177
Nach alledem führt auch eine Kombination ausgehend von E1 mit der E25 – selbst bei Nichtberücksichtigung des Merkmals 10 – nicht in naheliegender Weise zu einem Gegenstand mit allen Merkmalen des einzigen Anspruchs nach Hauptantrag.
178
3.2.2.2. Der Fachmann gelangt ausgehend von E25 in Verbindung mit E1 ebenso nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1.
179
Das Ventil der E25 bildet ein in sich abgeschlossenes Konzept, bei dem der Trägheitskörper als Pendel ausgebildet ist und die Auslösung, Sperreinrichtung und Rückstellung darauf ausgerichtet sind. Es ist nicht erkennbar, wodurch der Fachmann veranlasst sein sollte, anstelle der Pendellösung als Alternative eine Kugel wie bei der E1 vorzusehen, zumal diese Maßnahme eine komplette Umgestaltung des unteren Gehäuses erfordern würde – siehe oben. Vielmehr würde der Fachmann – sollte er das Funktionsprinzip der E1 mit einer Kugel als für eine mobile Verwendung besser geeignet ansehen – sofort die E1 in Betracht ziehen und nicht erst die E25 aufwändig umkonstruieren. Darüber hinaus würde diese Abwandlung zu einem Gegenstand führen, bei dem der Trägheitskörper zugleich eine Sperreinrichtung bildet. Diese Ausgestaltung entspräche dann nicht der anspruchsgemäßen Ausführungsform, die eine vom Trägheitskörper separate Sperreinrichtung gemäß Merkmal 10 verlangt. Somit ist diese Kombination weder nahegelegt, noch führt sie zu einem Gegenstand mit allen Merkmalen des Anspruchs 1.
180
3.2.2.3 Der Fachmann zieht die E24 bzw. JP 55- 155975 A (mit Übersetzung E24‘) für die beanspruchte Verwendung nicht in Betracht.
181
Figur 4 der E24 in kolorierter Darstellung
182
Die E24/E24‘ betrifft entsprechend dem Titel ein erdbebensicheres automatisches Absperrventil auf Differenzdruckbasis mit einer Kugel. Dieses Ventil wird stationär in Gebäuden verwendet, um im Falle eines Erdbebens die Gasversorgung zu Verbrauchern zu unterbrechen (siehe Brückensatz zwischen S.2 und S.3). Damit geht aus der E24 die in Merkmal 0 beanspruchte mobile Verwendung in einem Fahrzeug nicht hervor. Darüber hinaus fehlt dem Ventil auch eine separat vom Trägheitskörper ausgebildete Sperreinrichtung gemäß Merkmal 10, da der Trägheitskörper 12 selbst durch sein Gewicht verhindert, dass sich die vorgespannte Feder 10 entspannen und damit die Verschlusseinheit 8 in Schließstellung bewegt werden kann.
183
Auf Grund der Bauweise der E24 ist für den Fachmann offensichtlich erkennbar, dass dieses Ventil nicht für die beanspruchte Verwendung geeignet ist, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat. Wegen der relativ flachen Neigung des Bodens der „seismic chamber“ 6 würde nämlich die Kugel 12 selbst bei geringen Beschleunigungen, wie sie beim Bremsen, Anfahren oder in Kurven auftreten, im Fahrbetrieb immer wieder die Gasleitung absperren, was zweifellos nachteilig ist. Darüber hinaus sind auch Probleme für den Fall vorhersehbar, wenn das Fahrzeug (stationär) in Schräglage abgestellt wird und hierdurch die Kugel 12 der Schwerkraft folgend die Gasversorgung unterbricht. Auf Grund dieser vorhersehbaren bzw. für den Fachmann ohne weiteres erkennbaren Probleme wird der Fachmann die Verwendung dieses Ventils für den mobilen Einsatz in einem Fahrzeug als nicht zweckmäßig ansehen und deshalb nicht in Betracht ziehen (vgl. BGH GRUR 2018, 716 – Kinderbett).
184
3.2.2.4. Die auf einem anderen Funktionsprinzip beruhenden Ventile nach E13 bzw. GB 1 314 009 A oder E12 bzw. DE 1 750 139 B führen nicht zum Gegenstand des einzigen Anspruchs.
185
Die Sicherheitsventile der E13 oder E12 weisen ein vom beanspruchten Ventil abweichendes Funktionsprinzip auf, das sich insbesondere durch die fehlenden Merkmale 9, 10 und 12 unterscheidet:
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
186
Figur 3 der E13
187
Bei dem Ventil der E13 erfolgt die Auslösung in der Weise, dass bei einer ausreichenden Beschleunigungskraft der Trägheitskörper 55 entlang des konischen Auflagetrichters 50 nach oben bewegt wird und dabei den Kolben 40 mit der aufgesetzten Verschlusseinheit 35 in die Schließstellung schiebt – siehe Figur 3, rechte Seite, i.V.m. Text auf Seite 6, Zeilen 45 bis 70 (Merkmale 1 bis 7). Dabei kann der Kolben 40 als Bewegungseinrichtung angesehen werden (Merkmal 8). Da die Bewegung der Verschlusseinheit 35 im Wesentlichen auf der Beschleunigungsenergie des Trägheitskörpers 55 basiert, ist für die Bewegung keine Energiespeichereinrichtung und in Folge davon auch keine Sperreinrichtung zum Blockieren einer solchen erforderlich bzw. vorhanden (fehlende Merkmale 9 bis 12). In der Schließstellung wird die Verschlusseinheit über eine federbelastete Rasteinrichtung 43, 44 arretiert, um ein dauerhaftes Verschließen zu gewährleisten, auch wenn keine Beschleunigungskräfte mehr wirken.
188
Der Argumentation der Klägerin, bei der die Feder 46 der Rasteinrichtung als anspruchsgemäßer Energiespeicher nach Merkmal 9 angesehen wird, der in Verbindung mit den Kugeln 44 und der schrägen Schulter 43 eine Bewegung des Kolbens 40 in Richtung Schließstellung bewirkt, wird nicht gefolgt. So handelt es sich bei der vorgenannten Einrichtung wie zuvor beschrieben um eine Rastvorrichtung, die lediglich in der letzten Bewegungsphase die Bewegung des Kolbens 40 unterstützt und in erster Linie dem sicheren und dauerhaften Verschließen des Ventils dient – siehe Seite 6, Z.45 bis 70, insb. Z. 53 bis 63:
189
„This last movement … is assisted by the balls 44 engaging the annular shoulder 43, and causes the valve orifice … to be closed. This engagement of the inclined shoulder 43 by the balls 44 ensures that the valve orifice is kept closed even after the vehicle has come to rest.”
190
Im Gegensatz zum Bewegungsablauf bei der E13, bei der in einer ersten Phase die Verschlusseinheit durch die Trägheitsenergie der Kugel nach oben bewegt und erst in einer zweiten (Schluss-)Phase durch die Rasteinrichtung in die Schließstellung gedrängt und dort arretiert wird, verlangt Merkmal 9 nämlich eine Energiespeichereinrichtung, die im Normalzustand des Ventils ausreichend Energie gespeichert hat, um mit Hilfe dieser Energie die Verschlusseinheit (nach Freigabe durch die Sperreinrichtung gemäß Merkmal 10, die vom Trägheitskörper gemäß Merkmal 6 ausgelöst wird) aus der Offenstellung in die Schließstellung, d.h. über den gesamten Bewegungsweg des Kolbens, zu verschieben.
191
Das Ventil der E12 arbeitet nach dem gleichen Grundprinzip wie das der E13:
192
Bei einer Stoßeinwirkung auf das Ventil wird die Kugel 4 entlang der konischen Fläche des hohlkegelförmigen Anschlags 5 angehoben und drängt dabei die Bewegungseinrichtung 7 nach oben, wobei die kegelförmige Verschlusseinheit 8 in die Verschlussposition bewegt wird (siehe Sp. 2, 2. Absatz; Merkmale 7, 8). Erst in der Verschlussposition greifen am anderen Ende der Bewegungseinrichtung 7 die Federn 6 in das kegelstumpfförmige Endteil 11 ein und halten die Verschlusseinheit in der Schließstellung (siehe Sp.3, 3. Absatz). Damit erfolgt die Bewegung der Verschlusseinheit von der Offenstellung in die Schließstellung nach den Merkmalen 8 und 9 über die Trägheitsenergie der Kugel und nicht mittels einer streitpatentgemäßen Energiespeichereinrichtung entsprechend den Merkmalen 9 bis 12. Und auch wenn die Feder 6 auf dem letzten Teilstück die Bewegung im Bereich der schrägen Ebene unterstützt, so dient diese primär dem Festhalten der Verschlusseinheit in der Verschlussstellung. Diese Reihenfolge beim Übergang in die Verschlussstellung wird auch in Anspruch 1 zum Ausdruck gebracht, wobei im Anspruchsteil 1.b das Verschlussstück durch einen Kraftimpuls verstellt und nach Anspruchsteil 1.c anschließend in seiner Stellung festgehalten wird (siehe auch Anspruch 2).
193
Auf Grund des aufeinander abgestimmten Funktionsablaufs bzw. – prinzips bei der E12 bzw. E13 ist nicht erkennbar, wodurch der Fachmann veranlasst sein könnte, bei deren Ventilen
194
– eine Energiespeichereinrichtung, welche die Verschlusseinheit von der Offenstellung bis zur Schließstellung, d.h. von Anfang an, bewegt (Merkmal 9, 12), und
195
– eine Sperreinrichtung, die im Normalzustand eine Energieabgabe der vorgenannten Energiespeichereinrichtung blockiert (Merkmal 10),
196
vorzusehen, zumal diese Maßnahmen zu einer Änderung des Funktionsweise führen würden. Darüber hinaus wären die Energiespeichereinrichtung und die zusätzliche Sperreinrichtung schwer im Bauraum des Trägheitskörpers oder der Rückstelleinrichtung unterzubringen. Aus diesen Gründen wird der Fachmann von derartigen Abwandlungen abgehalten, so dass E12 oder E13 hier nicht weiterführen.
197
3.2.2.5. Die E2 bzw. US 4 960 145 A führt in Verbindung mit dem Fachwissen und dem weiteren Stand der Technik ebenfalls nicht weiter.
198
199
Die E2 betrifft ein Absperrventil für Kraftstoff, bei dem im Falle eines Aufschlags bzw. einer Kollision die Kraftstoffversorgung bei einem Kraftfahrzeug unterbrochen werden soll (vgl. Abstract).
200
Bei diesem Ventil befindet sich die Sitzfläche 60 nicht an der tiefstgelegenen Stelle des Gehäuses 26, sondern an einer höhergelegenen Stelle des konvex, d.h. nach außen gewölbten Bodens (fehlendes Merkmal 5, erstes Teilmerkmal). Die Ausgestaltung der E2 bewirkt, dass die Kugel nach der Auslösung nach außen rollt und dort verbleibt, wobei ein Zurückrollen zusätzlich noch durch die Stange 66 verhindert wird. Dies stellt sicher, dass nach einem Unfall bzw. einer Auslösung das Ventil geschlossen bleibt, d.h. auch dann noch, wenn keine Beschleunigungskräfte mehr wirken. Damit ist jedoch die streitpatentgemäße, im Hinblick auf das Rücksetzen gewählte Funktionalität, dass der Trägheitskörper schwerkraftbedingt wieder auf die Sitzfläche zurückrollt, nicht gegeben. Dies ist bei der E2 auch nicht erforderlich, da eine standardmäßige Rücksetzeinrichtung gemäß den Merkmalen 13 und 14, bei der das Rückstellen durch einen Bediener erfolgen soll, überhaupt nicht vorgesehen bzw. beabsichtigt ist. Vielmehr wird das Ventil der E2 nach einer Auslösung bei einem Unfall entweder ersetzt oder (in nicht näher offenbarter Weise) zurückgesetzt/instandgesetzt (siehe Sp. 4, Z.1f.: „After the valve has been activated, it must be reset or replaced.“). Darüber hinaus weist die E2 auch nicht das Merkmal 10 auf, da die Sperreinrichtung durch den Trägheitskörper gebildet wird.
201
Auf Grund der vorgenannten Aspekte ist nicht ersichtlich, wodurch der Fachmann veranlasst sein sollte, sich von dem bewusst gewählten (Sicherheits-)Konzept der E2 abzuwenden und eine genau konträre Ausgestaltung mit einer an der tiefstgelegenen Stelle angeordneten Sitzfläche gemäß Merkmal 5 vorzusehen, wobei er zudem noch eine Rückstelleinrichtung gemäß den Merkmalen 13 und 14 sowie eine Sperreinrichtung gemäß Merkmal 10 vorsehen müsste, um zu einem anspruchsgemäßen Ventil zu gelangen.
202
3.2.2.6 Der weitere Stand der Technik liegt noch weiter ab und führt ebenfalls nicht in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand.
203
Dies gilt insbesondere für die von der Klägerin als Ausgangspunkt genannten Ventile nach der E11 bzw. GB 1 241 070 A oder E18 bzw. DE 10 2005 040 024 A1. Die E11 betrifft ein Absperrventil für gasbetriebene Heizvorrichtungen in Fahrzeugen (S1, Z.9 – 20). Hierbei ist zum einen nicht erkennbar, welchen Anlass der Fachmann gehabt hätte, anstelle des in E11 vorgeschlagenen Ventils das Ventil gemäß E1 oder E24 zu verwenden und zum anderen würde er auch dann nicht zu einem Gegenstand mit allen Merkmalen des Anspruchs gelangen (fehlende Merkmale 5 und 10 bzw. 10). Gleiches gilt für die E18, die ein elektromagnetisches Gasventil zur Gaszufuhrabschaltung lehrt (siehe Anspruch 1) und damit eine gänzlich andere Lösung vorschlägt.
204
Die weiteren Schriften unterscheiden sich durch weitere Ausgestaltungen und/oder andere Funktionsweisen und sind von der Klägerin auch nicht mehr als mögliche Ausgangspunkte für ein Naheliegen angeführt worden.
III.
205
1. Der Anspruch nach Hilfsantrag 1 ist zulässig.
206
Dem Anspruch 1 nach Hauptantrag ist im Hilfsantrag 1 das Merkmal 15 hinzugefügt worden, mit dem die bereits in Merkmal 12 beanspruchte Federeinrichtung noch in der Weise weiter konkretisiert wird, dass
207
die Federeinrichtung eine Druckfeder (12) aufweist, die sich an der Verschlusseinheit (11) abstützt und diese permanent in die Schließstellung beaufschlagt.
208
Die Ausgestaltung der Federeinrichtung (12) als Druckfeder (12) ist beispielsweise den Absätzen [0117] OS, 2. Satz, und dem Absatz [0120] OS, Z. 40 bis 47, entnehmbar. Die Einbausituation, bei der sich die Druckfeder 12 zwischen Verschlusseinheit 11 und Gehäuse 7 abstützt und die Verschlusseinheit in Schließrichtung beaufschlagt, ist insbesondere in der Figur 4a eindeutig erkennbar und somit ebenfalls offenbart.
209
Der Einwand der Klägerin, dass auch hier eine unzulässige Erweiterung vorliege, da die in Absatz [0050] OS erwähnte zweite Feder mit der ersten Feder in einem untrennbaren Zusammenhang stehe und deshalb beide Federn in den Anspruch hätten übernommen werden müssen, trifft nicht zu. Der zitierte Absatz besagt lediglich, dass die Bewegung der Verschlusseinheit durch weitere Federeinrichtungen verstärkt werden kann, d.h. die Energiespeichereinrichtung nicht auf eine einzige Feder beschränkt ist, sondern auch mehrere Federn aufweisen kann. Das nachfolgende Zusammenspiel mehrerer Federn mit einem Kniehebel ist nur beispielsweise erwähnt, so dass auch andere Kombinationen möglich sind. Der Fachmann erkennt zudem bezüglich der Feder 12 i.V.m. mit den Figuren 4a und 4b, dass die in Merkmal 15 beanspruchte Anordnung der Feder 12 grundsätzlich so sein muss, damit diese Feder die vorgegebene Funktion der Energiespeichereinrichtung, nämlich das Bewegen der Verschlusseinheit von der Offenstellung in die Schließstellung, bewirken kann – siehe auch Merkmal 12. Dabei erkennt der Fachmann zudem, dass die Feder diese Funktion auch alleinig, d.h. ohne ein Zusammenwirken mit einer zweiten Feder, erfüllen kann. Somit kann die einzelne Druckfeder 12 mit ihrer konkreten Anordnung in den Anspruch aufgenommen werden, um den Gegenstand weiter zu beschränken.
210
2. Die Verwendung des Ventils gemäß dem einzigen Anspruch nach Hilfsantrag 1 ist ebenfalls nicht patentfähig.
211
Da die Verwendung des Ventils gemäß dem einzigen Anspruch nach Hauptantrag bereits durch die E27 nahegelegt ist, trifft dies auch für die Fassung nach Hilfsantrag 1 zu. Das Ventil der E27 weist nämlich eine Druckfeder 25 in der geforderten Anordnung gemäß Merkmal 15 auf, wobei die Druckfeder 25 den Ventilkolben mit seinem Verschlussabschnitt permanent in Schließrichtung, d.h. nach links, beaufschlagt (siehe Figuren 1 und 2 i.V.m. E27‘, S. 3, Abs. 1).
212
Damit ist auch der Gegenstand des Anspruchs nach Hilfsantrag 1 durch die E27 nahegelegt.
IV.
213
1. Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 ist zulässig.
214
In der Fassung nach Hilfsantrag 2 ist dem Anspruch nach Hilfsantrag 1 noch das Merkmal 16 hinzugefügt worden,
215
wobei die Verschlusseinheit (11) ein tellerförmiger Absperrkörper ist.
216
Dieses Merkmal ist unbestritten in Abs. [0023] OS offenbart.
217
2. Der Gegenstand des Anspruchs nach Hilfsantrag 2 ist nicht nahegelegt.
218
Die Ausgestaltung der Verschlusseinheit als tellerförmiger Absperrkörper ist insbesondere bei Gasventilen geläufig, da diese Ausführungsform eine gute Abdichtung ermöglicht – siehe E1, E8, E24, E25.
219
Die Klägerin führt hierzu aus, dass es deshalb im Hinblick auf eine gute Abdichtung als naheliegend angesehen werden könne, auch bei dem Ventil der E27 Ventilteller als Absperrkörper vorzusehen.
220
Ausgehend von der E27 wird der Fachmann diese Maßnahme allerdings nicht als zweckmäßig oder vorteilhaft ansehen, da er dann auf mehrere Vorteile der vorliegenden Konstruktion verzichten müsste. So zeichnet sich die E27 zum einen durch eine bewusst einfache Konstruktion aus (S.4, Z.25). Diese ergibt sich u.a. daraus, dass die Ein- und Ausströmkanale 16, 16‘, 15, 15‘ als einfache Durchgangsbohrungen ausgeführt sind, die von einem zylindrischen Ventilkolben mit einfachen Nuten, der in einer bezüglich zu den Ein- und Ausströmkanälen querlaufenden Bohrung geführt ist, verschlossen werden können. Darüber hinaus besteht hierdurch auch die Möglichkeit, auf einfache Weise mehrere Ein- und Ausströmkanäle 15, 15‘, 16, 16‘ parallel aneinander zu reihen, so wie dies in den Figuren 1 und 2 gezeigt und auf Seite 4, Z. 16 bis 19, in der E27‘ beschrieben ist. Diese einfache Bauweise in Verbindung mit der Variationsmöglichkeit von mehreren Durchgängen ist bei der Verwendung von Ventiltellern nicht mehr gegeben. So führt das Vorsehen von Ventiltellern bereits zu größeren Änderungen im Gehäuse, da die den Ventilteller aufnehmende Bohrung dann abgestufte Durchmesser zur Aufnahme des Ventiltellers aufweisen muss und die Umströmung des Ventiltellers üblicherweise auch zu versetzten Ein- und Ausströmkanälen führt – siehe z.B. E1. Vor allem wäre dann nicht mehr die variable Gestaltungsmöglichkeit vorhanden, ohne großen Aufwand mehrere Durchströmkanäle nebeneinander anordnen zu können. Dies würde nämlich, – worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat -, zu Toleranzproblemen bei zwei oder mehr hintereinander angeordneten Ventiltellern führen, da diese zur Abdichtung gleichzeitig anliegen müssen. Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten der E27 wird der Fachmann somit von dem Vorsehen von Ventiltellern absehen, da er das Konzept der einfachen Bauweise der E27 verlassen und sogar auf die vorteilhafte Möglichkeit, ausgehend von einer einfachen Grundkonstruktion ohne großen Aufwand mehrere Varianten realisieren zu können, verzichten müsste (vgl. BGH GRUR, 2018, 716 – Kinderbett).
221
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin angeführten E8. Deren Offenbarungsgehalt geht allerdings nicht über den eingangs zitierten Stand der Technik hinaus, da diese ebenfalls lediglich Gasventile mit tellerförmigen oder zumindest abgestuften Absperrkörpern zeigt. So weist die Figur 6 bei genauer Betrachtung eine vom Schieber 5 abgesetzte ring- bzw. konusförmige Dichtfläche 31 auf, die an einer Stufe der Ventilbohrung anschlägt (s.a. Übersetzung E8‘, S.5, Z.19):
222
Figur 6
223
Die unmittelbare Austauschbarkeit bzw. Gleichwertigkeit von tellerförmigen Ventilen mit zylindrischen Schieberventilen geht somit aus der E8 nicht hervor und wird hierdurch auch nicht nahegelegt.
224
Da der weitere Stand der Technik bereits dem Gegenstand nach Hauptantrag nicht patenthindernd entgegensteht und der Gegenstand des Hilfsantrags 2 wie zuvor dargelegt auch durch die E27 nicht nahegelegt wird, ist der Gegenstand des Anspruchs nach Hilfsantrag 2 patentfähig.
V.
225
Die Kostenentscheidung basiert auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
226
Vor dem Hintergrund, dass die Beklagte das Streitpatent selbst unter Wegfall der übrigen Ansprüche auf einen einzigen und lediglich auf Fahrzeuge beschränkten Verwendungsanspruch eingeschränkt hat und sich die solchermaßen eingeschränkte Fassung auch lediglich im Umfang des Hilfsantrags 2 als rechtsbeständig erwiesen hat, ist das Unterliegen der Beklagten mit 75 % und das der Klägerin mit 25 % zu bewerten. Der Umstand, dass das erteilte Streitpatent nach Einreichung der Nichtigkeitsklage mit Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts beschränkt worden ist, hat sich kostenmäßig nicht ausgewirkt, weil die dadurch erfolgte Beschränkung als sehr gering gegenüber den zahlreichen späteren Einschränkungen in dem einzigen verbliebenen Patentanspruch anzusehen ist.
227
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben