Patent- und Markenrecht

4 Ni 4/19 (EP)

Aktenzeichen  4 Ni 4/19 (EP)

Datum:
19.1.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:190121U4Ni4.19EP.0
Spruchkörper:
4. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache
betreffend das europäische Patent EP 1 441 142
(DE 60 2004 018 404)
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2021 durch die Vorsitzende Richterin Grote-Bittner sowie die Richterin Kopacek und die Richter Dr.-Ing. Krüger, Dipl.-Ing. Univ. Richter und Dipl.-Ing. Univ. Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Ausfelder
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 441 142 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass die Patentansprüche folgende Fassung erhalten:
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 30 % und die Beklagte 70 %.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Nichtigerklärung des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 441 142 (im Folgenden: Streitpatent). Die Beklagte ist Inhaberin des Streitpatents mit der Bezeichnung “Force transmission device for a disc brake” (“Vorrichtung zur Kraftübertragung für eine Scheibenbremse”), das am 22. Januar 2004 angemeldet und dessen Erteilung am 17. Dezember 2008 veröffentlicht worden ist. Das Streitpatent, das die Priorität der britischen Patentanmeldung GB 0301798 vom 25. Januar 2003 in Anspruch nimmt, wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen DE 60 2004 018 404.7 geführt.
2
Das Streitpatent umfasst in seiner erteilten Fassung 10 Patentansprüche mit dem unabhängigen Anspruch 1, dem nebengeordneten Anspruch 10 und den Unteransprüchen 2 bis 9, die auf Anspruch 1 rückbezogen sind.
3
Die Klägerin greift das Streitpatent – und alle von der Beklagten eingereichten geänderten Fassungen – in vollem Umfang an und macht die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung und der fehlenden Patentfähigkeit mangels Neuheit und erfinderischer Tätigkeit geltend. Die Beklagte verteidigt das Streitpatent in der erteilten Fassung sowie in geänderten Fassungen mit den Hilfsanträgen 1 bis 4a, Hilfsantrag 1 eingereicht mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2020, Hilfsanträge 1a bis 4a erstmals eingereicht mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2020 und sodann sämtliche Hilfsanträge in englischer Verfahrenssprache mit Schriftsatz vom 15. Januar 2021.
4
Die erteilten unabhängigen Ansprüche 1 und 10 lauten in der Verfahrenssprache Englisch – mit nachfolgender Merkmalsgliederung auch in deutscher Sprache – wie folgt:
5
1. A disc brake caliper comprising a housing (124) and a force transmission device (105) for a disc brake operable to move a friction element (102) of the brake into engagement with a rotary brake disc (4) along a first axis in response to a loading from a thrust member, the device being restrained from movement transverse to the first axis proximate a first end (150) engageable with the thrust member, characterised in that the force transmission device is guided only by the housing at the first end, and in that a second end (174) is engageable with the friction element.
6
10. A disc brake incorporating a disc brake caliper according to any one of claims 1 to 9.
7
Merkmal
in deutscher Übersetzung
in engl. Verfahrenssprache
M0    
Scheibenbremssattel für eine Scheibenbremse, umfassend
A disc brake caliper [for a disc brake], comprising
M1    
ein Gehäuse (124) und
a housing (124) and
M2    
eine Kraftübertragungsvorrichtung (105),
a force transmission device (105) [for a disc brake]
M2.a   
die zum Bewegen eines Reibelements (102) der Bremse in Eingriff mit einer Drehbremsscheibe (4)
operable to move a friction element (102) of the brake into engagement with a rotary brake disc (4)
M2.b   
entlang einer ersten Achse als Reaktion auf eine Belastung von einem Schubglied betätigbar ist,
along a first axis in response to a loading from a thrust member,
M3    
wobei die [Kraftübertragungs-] Vorrichtung an einer quer zur ersten Achse verlaufenden Bewegung nahe einem ersten Ende (150), das mit dem Schubglied in Eingriff gebracht werden kann, gehindert wird,
the device being restrained from movement transverse to the first axis proximate a first end (150) engageable with the thrust member,
M4    
wobei die Kraftübertragungsvorrichtung [(105)]
characterised in that the force transmission device
M4.a   
nur durch das Gehäuse (124) an dem ersten Ende (150) geführt wird, und
is guided only by the housing at the first end, and
M4.b   
ein zweites Ende (174) mit dem Reibelement in Eingriff gebracht werden kann.
in that a second end (174) is engageable with the friction element.
8
In den Fassungen nach den Hilfsanträgen 1, 1a und 2 wird der Anspruch 1 durch die Merkmale M1‘, M6, M6.a und M6.b ergänzt und zudem das Merkmal M2.a durch das Merkmal M2.a‘ ersetzt.
9
Außerdem weist der Anspruch 1 in den Fassungen nach den Hilfsanträgen 1 und 2 das Merkmal M5 auf. In der Fassung nach Hilfsantrag 1a ist das Merkmal M5 durch das Merkmal M5‘ ersetzt.
10
Schließlich ist im Anspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 2 noch das Merkmal M0 durch das Merkmal M0‘ ersetzt.
11
Die vorgenannten Merkmale lauten in den Sprachen Englisch und Deutsch wie folgt:
12
M0‘     
Scheibenbremse mit einem Scheibenbremssattel, wobei der Scheibenbremssattel
A disc brake comprising a disc brake caliper, the disc brake caliper comprising
M1’     
ein Reibelement (102), und
a friction element (102), and
M2.a’ 
die zum Bewegen des Reibelements (102) in Eingriff mit einer Drehbremsscheibe (4)
operable to move the friction element (102) into engagement with the rotary brake disc (4)
M5    
wobei die Kraftübertragungsvorrichtung zwei Stößel (117, 118) umfasst
wherein the force transmission device comprises two tappets (117, 118)
M5’     
wobei die Kraftübertragungsvorrichtung zwei parallel zueinander angeordnete Stößel (117, 118) umfasst
wherein the force transmission device comprises two tappets (117, 118) which are arranged parallel to each other
M6    
wobei das Reibelement eine Rückenplatte (138) umfasst
wherein the friction element comprises a backplate (138),
M6.a   
wobei die Rückenplatte im Allgemeinen bogenförmig ist
wherein the backplate is generally arcuate
M6.b   
und Umfangsenden (178, 180) hat, welche im Vergleich zur Dicke (t) eines Hauptteils der Rückenplatte lokal verdickt sind.
having circumferential ends (178, 180), which are locally thickened (T) when compared with the thickness (t) of a main portion of the backplate.
13
Wegen des Wortlauts der Anspruchssätze gemäß Hilfsantrag 2a bis 4a wird auf den Akteninhalt verwiesen.
14
Die Klägerin vertritt die Auffassung, der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 (und des hierauf rückbezogenen Patentanspruchs 10) gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Die dort vorgesehene Anordnung und Ausgestaltung, wonach “die Kraftübertragungsvorrichtung nur durch das Gehäuse (124) an dem ersten Ende (150) geführt wird…” (Merkmal M4.a), sei in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht offenbart. Auch die ursprünglichen Ansprüche böten hierfür keine Grundlage. Der Offenbarung (Anlage K3) sei vielmehr zu entnehmen, dass die Kraftübertragungsvorrichtung auch andernorts als an dem ersten Ende geführt werde, nämlich an ihrem zweiten Ende. Sie nenne sogar ausdrücklich die Längsführung der Kraftübertragungsvorrichtung auch in einem Bereich, der nicht das erste Ende sei. Die in der erteilten Fassung beanspruchte “nur”-Führung an dem ersten Ende stehe daher im Widerspruch zu den ursprünglichen Unterlagen.
15
Die Klägerin stützt ihr Vorbringen wegen fehlender Patentfähigkeit insbesondere auf folgende Druckschriften:
16
D1 EP 0 852 301 A1 (= D13)
17
D2 US 6 269 914 B1
18
D3 US 6 435 319 B1
19
D4 US 6 354 407 B1
20
D5 US 2 820 530
21
D6 US 4 771 869
22
D7 US 4 645 038
23
D8 DE 1 009 504 B
24
D9 EP 1 160 478 A2
25
D10 US 5 000 294
26
D11 DE 26 59 613 C3
27
D12 EP 0 589 206 B1
28
D13 EP 0 852 301 A1 (= D1)
29
D14 DE 196 00 819 A1
30
D15 GB 747 965 B
31
D16 DE 43 07 019 A1
32
D17 DE 41 27 113 A1
33
D18 EP 0 842 371 B1
34
D19 US 4 508 199
35
D20 DE 197 06 123 A1
36
D21 US 6 367 594 B1
37
und meint, der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 des Streitpatents sei nicht neu gegenüber der D5 (dort konkret die Ausführungsformen Fig. 4 bis 7), D7, D8, D9, D10, D11, D15 und D16, die jeweils sämtliche Merkmale offenbarten. Entsprechendes gelte in Bezug auf Patentanspruch 10, der unter dem Oberbegriff der Scheibenbremse dieselben Merkmale umfasse.
38
Jedenfalls sei die Lehre des erteilten Patentanspruchs 1 dem Fachmann durch D4 in Kombination mit D6 nahegelegt und damit nicht erfinderisch. Entsprechendes gelte für den Patentanspruch 10.
39
Auch die abhängigen Ansprüche 2 bis 9 seien nicht geeignet, die Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents zu begründen, denn sie seien nicht neu bzw. beruhten jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
40
Den Hilfsantrag 1 sowie die neuen Hilfsanträge 1a bis 4a, deren Verspätung die Klägerin rügt, sieht sie wegen unzulässiger Erweiterung und Schutzbereichserweiterung bereits als unzulässig an. Denn das Reibelement sei in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht Bestandteil des Scheibenbremssattels gewesen.
41
Die Hilfsanträge seien zudem auch unbegründet, weil es den jeweiligen Fassungen der Patentansprüche an Neuheit sowie erfinderischer Tätigkeit fehle. Sie hält, wie sie in der mündlichen Verhandlung ausführt, die Druckschrift D15, dort Fig. 1, für neuheitsschädlich, und den Gegenstand der Ansprüche in den Hilfsantragsfassungen ausgehend von der D15 i.V.m. D9 oder D9 i.V.m. einer der Druckschriften D17 bis D21 jedenfalls für nahegelegt.
42
Der Senat hat den Parteien einen qualifizierten Hinweis vom 10. Juli 2020 mit einer Frist zur abschließenden Stellungnahme bis 30. Oktober 2020 gesetzt sowie einen weiteren rechtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung am 19. Januar 2021 erteilt.
43
Die Klägerin beantragt,
44
das europäische Patent 1 441 142 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
45
Die Beklagte beantragt,
46
die Klage abzuweisen,
47
hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1, 1a, 2, 2a, 3, 3a, 4 und 4a, eingereicht zuletzt in der englischen Verfahrenssprache mit Schriftsatz vom 15. Januar 2021, erhält.
48
Sie tritt der Auffassung der Klägerin in allen Punkten entgegen. Der Gegenstand des Streitpatents gehe nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Das Merkmal M4.b sei bereits Teil des ursprünglichen Anspruchs gewesen. Auch das Merkmal M4.a habe keinen anderen technischen Inhalt als die im Prüfungsverfahren vor dem EPA gestrichene Wortfolge (“being unguided proximate a second end…”). Erfindungsgemäß werde die Kraftübertragungsvorrichtung (105) nur durch das Gehäuse (124) an ihrem ersten Ende geführt (Merkmal M4.a), nicht aber am gegenüberliegenden zweiten Ende. Nichts Anderes entnehme der Fachmann der ursprünglichen Beschreibung (vgl. Abs. [0014], Z. 38–42 der Offenlegungsschrift EP 1 1 441 142 A1, nachfolgend OS genannt, als Anlage K3 von der Klägerin eingereicht) und der Figur 3. Das Merkmal M4.a sei daher durch die Anmeldeunterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart.
49
Die Beklagte, die sich wegen der Patentfähigkeit insbesondere auf folgende eingereichte Dokumente bezieht:
50
BB2 Klageerwiderung vom 05.06.2018 aus dem Verletzungsverfahren (LG Düsseldorf, Az.: …)
51
BB4 Auszug aus Fachwörterbuch Kraftfahrzeugtechnik, 2. Auflage 2002, B… GmbH, zum Begriff “thrust member” des englischsprachigen Anspruchs 1
52
BB5  Bescheid des EPA vom 05.02.2007 zur Anmelde-Nr. 04 250 341.7
53
BB6  FR 1 317 919 A
54
BB6a  Maschinenübersetzung der BB6
55
BB7  DE 1 726 682 U
56
BB24 Lehrbuch Tabellenbuch Metall. Verlag Europa-Lehrmittel. Wuppertal 1987, S. 61 f.
57
BB26-27 Internetseiten der T… GmbH, Textar,
58
erachtet die Gegenstände des Streitpatents in der erteilten Fassung sowie in den Fassungen der Hilfsanträge 1 bis 4a als patentfähig.
59
Die Lehre des erteilten Patentanspruchs 1 sei gegenüber dem vorliegenden Stand der Technik neu. Die D5 offenbare jedenfalls das Merkmal M4.a nicht, ebenso nicht die D7. Die D8 nehme ebenfalls den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neuheitsschädlich vorweg, weil diese Druckschrift jedenfalls nicht die Merkmale M2.b, M3 und M4.a zeige. Auch die weiteren von der Klägerin als neuheitsschädlich bezeichneten Entgegenhaltungen zeigten jeweils zumindest nicht alle Merkmale des Anspruchs 1.
60
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit. Ausgehend von der D4 habe der Fachmann keinen Grund gehabt, zum Lösen der objektiv zugrundeliegenden Aufgabe, nämlich den Fertigungs- und Kostenaufwand zu verringern, die D6 heranzuziehen, da die dort gelehrte Scheibenbremse als Federspeicherbremse ausgestaltet sei, deren Funktionsweise sich wesentlich von der durch die D4 offenbarte Betriebsbremse unterscheide. Selbst wenn der Fachmann die D6 heranziehen würde, könne er dieser entgegen dem Vortrag der Klägerin insbesondere das Merkmal M4.a nicht entnehmen. Aus den oben dargestellten Gründen seien auch die auf Anspruch 1 rückbezogenen angegriffenen Ansprüche 2 bis 9 neu und erfinderisch.
61
Die Ansprüche nach den Hilfsanträgen 1 bis 4a seien zulässig, sie seien weder unzulässig erweitert noch enthielten sie eine Schutzbereichserweiterung. Sämtliche neuen Merkmale seien der Offenlegungsschrift zu entnehmen, wie etwa den Ansprüchen 1, 2 und den Fig. 3 und 4, dass der beanspruchte Scheibenbremssattel ohne Reibelement nicht funktioniere. Der Fachmann lese daher das Reibelement als einen Bestandteil des Scheibenbremssattels beim erteilten Anspruch 1 mit.
62
Das Streitpatent in den Fassungen nach den Hilfsanträgen 1 bis 4a sei auch patentfähig, nämlich neu und erfinderisch. Die von der Klägerin insbesondere zu Hilfsantrag 2 angeführten Argumente seien unzutreffend. So zeige die D15 eine zu einer anderen Gattung gehörende Scheibenbremse als die im Streitpatent beanspruchte, weshalb auch der Fachmann keine Veranlassung habe, diese mit einer anderen Druckschrift zu kombinieren.
63
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und den weiteren Inhalt der Akte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

64
Die Klage, mit der die Nichtigkeitsgründe unzulässiger Erweiterung und fehlender Patentfähigkeit gemäß Art. 138 Abs. 1 Buchstabe a), c) i.V.m. Art. 54, 56 EPÜ i.V.m. Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1, 3 IntPatÜG geltend gemacht werden, ist zulässig.
65
Sie ist insoweit begründet, als das Streitpatent für nichtig zu erklären ist, soweit es über die von der Beklagten beschränkt verteidigte Fassung nach Hilfsantrag 2 hinausgeht. Das Streitpatent erweist sich nämlich in der erteilten Fassung als nicht patentfähig. Die nach den Hilfsanträgen 1 und 1a verteidigten Fassungen der Patentansprüche sind unzulässig. Dagegen ist das Streitpatent in der Fassung nach Hilfsantrag 2, der weder unzulässig erweitert ist noch eine Schutzbereichserweiterung enthält, patentfähig, nämlich neu und zudem auf erfinderischer Tätigkeit beruhend. Die Klage ist insoweit unbegründet.
66
Die von der Beklagten erstmals mit den Schriftsätzen vom 14. Oktober 2020 und 21. Dezember 2020 und damit nach Ablauf der im qualifizierten Hinweis vom 10. Juli 2020 gesetzten Frist eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4a sind nicht gemäß § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG als verspätet zurückzuweisen. Denn sie machten eine Vertagung nicht erforderlich. Das Merkmal M5‘ in Hilfsantrag 1a stellt lediglich eine Präzisierung des Merkmals M5 des bereits am 14. Oktober 2020 eingereichten Hilfsantrags 1 dar. Ab Hilfsantrag 2 ist der Patentgegenstand nur noch auf eine Scheibenbremse (vormals Anspruch 10) gerichtet. Bei den neu in den Hilfsanträgen 3 bis 4a aufgenommenen Merkmalen, die der Beschreibung entnommen sind, handelt es sich um einfache Maßnahmen, deren bauliche Ausgestaltungen bereits dem vorliegenden Stand der Technik zu entnehmen sind. Die Klägerin hat sich zudem auch in der mündlichen Verhandlung zu den neuen Hilfsanträgen in der Sache einlassen können.
I.
67
1. Das Streitpatent mit der Bezeichnung “Vorrichtung zur Kraftübertragung für eine Scheibenbremse” bezieht sich auf einen Scheibenbremssattel einer Scheibenbremse, der eine Kraftübertragungsvorrichtung aufweist, sowie auf eine Scheibenbremse mit einem derartigen Scheibenbremssattel (vgl. Abs. [0001] und Abs. [0002] der Streitpatentschrift, im Folgenden SPS).
68
Nach Absatz [0002] SPS seien Kraftübertragungsvorrichtungen bei Scheibenbremsen, insbesondere bei druckluftbetätigten Scheibenbremsen, in einen Bremssattel eingebaut und übertrügen mittels Stößeln oder Kolben die Betätigungskraft von der Betätigungseinrichtung auf Reibelemente der Bremse. Kraftübertragungsvorrichtungen enthielten in der Regel einen Einstellmechanismus zum Ausgleich des Verschleißes der Reibelemente im Gebrauch.
69
Nach Absatz [0003] SPS würden bei bekannten Kraftübertragungsvorrichtungen eine Reihe von Problemen auftreten. Zum Beispiel werde durch eine große Anzahl von Flächen in diesen Vorrichtungen, bei denen Metall gleitet, die Effizienz reduziert. Die zur Bereitstellung einer engen Passung zwischen den Stößelschäften und dem Gehäuse dieser Vorrichtung notwendige Bearbeitung sei verhältnismäßig kostenintensiv. Dichtungen befänden sich häufig in großer Nähe zum Bereich hinter dem Reibelement und könnten bei extremen Temperaturen beschädigt werden. Darüber hinaus müssten die Stößelköpfe dieser Vorrichtungen, da sie Einzelkomponenten seien, fest an den Stößelschäften angebracht werden, in der Regel mittels eines Halte- oder Sprengrings, wodurch die Anzahl der Teile weiter erhöht würde. Darüber hinaus seien, obwohl Gusseisenrückenplatten beim Reibelement immer häufiger auf dem kommerziellen Fahrzeugmarkt eingesetzt würden, mit der Bearbeitung der Rückenplatte hohe Kosten verbunden, um sicherzustellen, dass sie flach sei und damit die Last der Kraftübertragungsvorrichtung angemessen über die Rückenplatte verteilt würde.
70
2. Mit der Lehre des Streitpatents sollen die zuvor genannten Probleme des Standes der Technik überwunden oder wenigstens vermindert werden (vgl. Abs. [0004] SPS).
71
3. Als Lösung wird in Abs. [0005] SPS ein Scheibenbremssattel vorgeschlagen, der ein Gehäuse und eine Kraftübertragungsvorrichtung für eine Scheibenbremse umfasst, die zum Bewegen eines Reibelements der Bremse in Eingriff mit einer Drehbremsscheibe entlang einer ersten Achse als Reaktion auf eine Belastung von einem Schubglied betätigbar ist, wobei die Vorrichtung an einer quer zur ersten Achse verlaufenden Bewegung nahe einem ersten Ende, das mit dem Schubglied in Eingriff gebracht werden kann, gehindert wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung nur durch das Gehäuse an dem ersten Ende geführt wird und dass ein zweites Ende mit dem Reibelement in Eingriff gebracht werden kann.
72
4. Der Senat geht von einem Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Konstruktion und Fertigung von Scheibenbremsen, insbesondere für Kraftfahrzeuganwendungen, als Fachmann aus.
73
5. Der maßgebliche Fachmann wird den Merkmalen des erteilten Anspruchs 1 folgendes Verständnis zugrunde legen:
74
Das Streitpatent geht gemäß den Merkmalen M0, M1 und M2 von einem Scheibenbremssattel aus, der im Wesentlichen ein Gehäuse (124) und eine Kraftübertragungsvorrichtung (105) umfasst. Während es sich bei dem Scheibenbremssattel, der selbstverständlich immer ein Gehäuse aufweist, um ein dem Fachmann geläufiges Bauteil handelt, bedarf die streitpatentgemäße Kraftübertragungsvorrichtung einer Erläuterung. Entsprechend ihrer Bezeichnung wird damit zunächst eine Vorrichtung beansprucht, die durch ihre Funktion, Kräfte zu übertragen, gekennzeichnet ist. Dabei kann es sich um ein einzelnes Bauteil, wie z.B. eine Stößelstange, oder um eine ganze Baugruppe, die z. B. auch eine Einstelleinrichtung zum Ausgleich von Verschleiß enthält, handeln (s.a. Abs. [0002] SPS). Weitere Ausgestaltungen ergeben sich aus den nachfolgenden Merkmalen.
75
Die funktionelle Festlegung der Kraftübertragungsvorrichtung erfolgt entsprechend den Merkmalen M2.a und M2.b in der Weise, dass sie eine Schubkraft, die von einem Schubglied ausgeübt wird, auf ein Reibelement übertragen kann. Dazu muss diese Vorrichtung zwangsläufig zwischen den vorgenannten Elementen angeordnet und so ausgestaltet sein, dass sie zur Kraftaufnahme vom Schubglied einerseits und zur Kraftabgabe auf das Reibelement andererseits geeignet ist. Die Übertragung erfolgt außerdem entlang einer ersten Achse, wobei die Übertragungsrichtung dadurch vorgegeben ist, dass das Reibelement der Scheibenbremse in Eingriff mit der Drehbremsscheibe gebracht werden soll. Die Kraftübertragungsvorrichtung wirkt somit in Richtung auf die Drehbremsscheibe zu, d.h. die erste Achse verläuft parallel zu der Rotationsachse der Drehbremsscheibe.
76
Obwohl Schubglied und Reibbelag nicht unmittelbar beansprucht werden, so ist dennoch eine Auslegung angebracht, da durch diese Elemente der (Wirkungs-)Bereich der Kraftübertragungsvorrichtung definiert wird und sich diese auf die Ausgestaltung der Schnittstelle auswirken. Beim Schubglied handelt es sich um dasjenige mechanische Bauteil, das eine Schub- bzw. Druckkraft auf die Kraftübertragungsvorrichtung ausübt bzw. in diese einleitet. Dabei geht aus dem englischen Begriff “thrust member” eindeutig hervor, dass hierbei ein festes Bauteil bzw. Bauglied (“member” im technischen Kontext) gemeint ist, das eine Schubkraft (“thrust”) ausübt; für eine Interpretation im Sinne der Klägerin, dass davon auch ein fluides Medium, das einen Druck (üblicherweise “pressure”) ausübt, umfasst sein könnte, gibt somit weder der Begriff selbst noch die SPS einen Anlass. So zielt die von der Klägerin zitierte Stelle in Absatz [0036] der SPS darauf ab, dass anstelle von luftdruckbetätigten (“rather than air actuated”) Scheibenbremsen diese auch hydraulisch betätigt werden können. Damit soll also lediglich zum Ausdruck gebracht werden, dass der Druckluftzylinder der SPS durch einen Hydraulikzylinder ausgetauscht werden kann, wobei üblicherweise deren jeweilige Kolbenstange einen Betätigungshebel der schuberzeugenden Mechanik der Scheibenbremse und dabei das Schubglied betätigt (siehe hierzu Abs. [0007] SPS, Z. 16 bis 22).
77
Beim Reibelement kann es sich um eine mehrteilige Baugruppe handeln, die zumindest den eigentlichen Reibbelag sowie eine Rückenplatte umfasst (siehe Figuren 1 und 3, Bez. 2, 30, 40 bzw. 102, 130, 140). Die Rückenplatte dient üblicherweise neben der Aufnahme/Befestigung des Reibbelags der gleichmäßigeren Verteilung der eher punktuell von der Kraftübertragungsvorrichtung übertragenen Schubkraft auf den Reibbelag, der Führung des Reibelements innerhalb des Bremsträgers sowie der Übertragung der Reaktionskräfte auf den Bremsträger bzw. das Fahrzeug, so wie dies auch aus Abs. [0008] SPS hervorgeht. Darüber hinaus können noch weitere Bauteile wie z.B. Haltefedern, Verschleißsensoren vorhanden sein, die zusammen mit dem eigentlichen Reibbelag eine zusammenhängende funktionelle Baueinheit, nämlich das “Reibelement”, bilden.
78
Zusätzlich zu den genannten Schnittstellen wird in Merkmal M3 das erste Ende der Kraftübertragungsvorrichtung als die Stelle definiert, an der das Schubglied in Eingriff gebracht wird, d.h. der Ort, wo die Kraft eingeleitet wird. In der Nähe dieses ersten Endes wird die Kraftübertragungsrichtung an (irgend-)einer quer zur ersten Achse verlaufenden Bewegung, d.h. senkrecht zur Übertragungsrichtung, gehindert. Somit ist im Bereich des ersten Endes lediglich eine Bewegung in Kraftübertragungsrichtung möglich, eine Querbewegung dazu jedoch nicht. Hierbei wird die Auffassung vertreten, dass auf Grund der englischen Formulierung “device being restrained from movement transverse to the first axis” allgemein eine Bewegung quer zur ersten Achse verhindert werden soll; Hinweise dahingehend, dass lediglich eine Bewegung in einer bestimmten Querrichtung verhindert werden soll, finden sich im Streitpatent nicht und sind eher der deutschen Übersetzung geschuldet. Bezüglich der Formulierung “nahe am ersten Ende” ist anzumerken, dass hierdurch keine exakte Position festgelegt wird, sondern vielmehr ein Bereich am bzw. nahe am ersten Ende (“proximate a first end”). Somit wird der Fachmann im weitesten Sinne jeden Führungsbereich davon umfasst sehen, der zumindest deutlich kleiner als die erste Hälfte der axialen Erstreckung der Kraftübertragungsvorrichtung ist. Damit wird in Merkmal M3 bereits eine Führung im Bereich des ersten Endes beansprucht, bei der lediglich eine Bewegung in Axialrichtung bzw. in Richtung der ersten Achse möglich ist, nicht aber quer dazu.
79
Diese gemäß Merkmal M3 ausgebildete Führung am ersten Ende wird in Merkmal M4a zusätzlich noch in der Weise konkretisiert, dass die Kraftübertragungsvorrichtung nur am ersten Ende durch das Gehäuse geführt wird, d.h. eine Führung durch das Gehäuse ist nur am ersten Ende vorgesehen. Dies schließt andere Arten der Führung wie z.B. zwischen der Kraftübertragungsvorrichtung (105) und dem Reibelement (102), die eine quer zur (ortsfesten) ersten Achse verlaufende Bewegung der Kraftübertragungsvorrichtung (105) nicht verhindern (Führung des Reibelements im Bremsträger ist spielbehaftet!) und bei der auch keine Relativbewegung zum führenden Teil erfolgt, nicht aus. Gerade eine solche Art der Führung zwischen der Kraftübertragungsvorrichtung (105) und dem Reibelement (102) ist nämlich mit dem Merkmal M4b ausdrücklich vorgesehen. Dabei wird das dem ersten Ende entgegengesetzte zweite Ende der Kraftübertragungsvorrichtung mit dem Reibelement (102) in Eingriff gebracht, so dass es mit diesem verbunden bzw. gekoppelt ist. Dadurch ist es gegenüber diesem unverschieblich positioniert und wird über das im Bremsträger 3 spielbehaftet geführte Reibelement 2 mit-“geführt” (“is guided due to location with a formation on backplate” in Abs. [0014] SPS, letzter Satz). Im Gegensatz zum ersten Ende wird das zweite Ende somit nicht selbst und insbesondere nicht durch eine vom Gehäuse ausgebildete Führungsfläche geführt, sondern nur mittelbar über die Verbindung mit dem seinerseits spielbehaftet im Bremsträger geführten Reibelement.
80
Zusammengefasst ist die beanspruchte Kraftübertragungsvorrichtung mit den Merkmalen M2 bis M4.b somit
81
– zwischen dem Schubglied und dem Reibelement angeordnet, wobei
82
– das erste Ende der Übertragungsvorrichtung dort ist, wo die Schubkraft vom Schubglied eingeleitet wird,
83
– das zweite Ende der Übertragungsvorrichtung dort ist, wo der “Eingriff in” das Reibelement erfolgt, d.h. wo die Kraft wieder abgeleitet wird,
84
und wobei
85
– die Vorrichtung nur am ersten Ende durch das Gehäuse des Bremssattels geführt wird und am zweiten Ende sich im Eingriff mit dem Reibelement befindet.
86
Eine solche streitpatentgemäße Ausgestaltung ist in dem nachfolgenden Ausführungsbeispiel nach Figur 3 der SPS dargestellt (Hervorhebungen/Anmerkungen diesseits hinzugefügt):
87
Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass der in den Merkmalen 2a, 3 und 4b verwendete Begriff “in Eingriff bringen” bzw. “engagement, engageable” konsequenterweise einheitlich breit im Sinn von “in Verbindung bringen” ausgelegt werden muss. Damit fallen nicht nur formschlüssige Eingriffe (wie beim Reibelement im Ausführungsbeispiel des Streitpatents, siehe Bezugszeichen 175 in obiger Figur) unter diese Formulierung, sondern auch reibschlüssige Verbindungen.
II.
88
1. Der erteilte Anspruch 1 weist keine unzulässige Erweiterung auf.
89
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 geht nicht dadurch über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus, dass das letzte Teilmerkmal im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 “but being unguided proximate a second end (174) engageable with the friction element” durch die Merkmale M4.a und M4.b ersetzt worden ist (siehe Anspruch 1 der OS).
90
Hierbei entspricht das Merkmal M4.b “in that a second end (174) is engageable with the friction element” dem letzten Teilsatz des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 und ist damit offenbart (siehe hierzu auch OS, Sp. 1, Z. 42 f.).
91
Das Merkmal M4.a ist in Verbindung mit dem Merkmal M3 zu sehen. In dem Merkmal M3, das auch in der ursprünglichen Fassung enthalten ist, wird nämlich mit der Formulierung “the device being restrained from movement transverse to the first axis proximate a first end (150) engageable with the thrust member” bereits eine Führung der Kraftübertragungsvorrichtung in der Weise beansprucht, dass im Bereich des ersten Endes eine Bewegung quer zur ersten Achse verhindert wird. Diese Führung wird noch weiter durch die Aufnahme der Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 3 konkretisiert, wonach “a housing restrains movement transverse the first axis at the first end”. Damit sind ebenfalls die diesbezüglichen Merkmale der Gruppe M4.a offenbart, wobei die Kraftübertragungsvorrichtung durch das Gehäuse an dem ersten Ende geführt wird, und zwar so, dass eine Bewegung quer zur ersten Achse verhindert wird (i.V.m. Merkmal M3).
92
Dieser Führung im Bereich des ersten Endes wird mit der Formulierung “but” bzw. “aber” im ursprünglichen Anspruch sowie in Absatz [0005] OS gegenübergestellt, dass der Bereich um das zweite Ende “unguided” bzw. “ungeführt” sein soll. Somit soll dort im Gegensatz zur Führung am ersten Ende eben keine solche Führung vorhanden sein, bei der durch das Gehäuse eine Bewegung quer zur Achse verhindert wird. Diese Ausgestaltung entspricht allerdings vom Sachverhalt her der Formulierung im Merkmal M4.a, demnach eine Führung nur am ersten Ende durch das Gehäuse erfolgt. Die Formulierung im erteilten Anspruch 1 stellt darüber hinaus gegenüber der ursprünglich eingereichten Anspruchsfassung zudem klar, dass im “undefinierten” Bereich zwischen dem ersten und dem zweiten Ende keine weitere Führung durch das Gehäuse erfolgt.
93
Die Ausgestaltung nach Merkmal M4.a geht aber auch aus dem erfindungsgemäßen Ausführungsbeispiel nach Figur 3 i.V.m. dem zugehörigen Absatz [0014] OS hervor. Hier wird nämlich offenbart, dass eine Führung über die gesamte Schaftlänge 25 gemäß dem Stand der Technik (vgl. Figur 1) nicht mehr vorhanden ist; stattdessen wird nur noch eine Führung im Bereich am ersten Ende angegeben (Unterstreichungen diesseits hinzugefügt):
94
“…no longer … guide a tappet shaft along its axial length. Thus, the prior art guidance for tappet assemblies 117 and 118 is no longer present. Instead,
end 150 of each tappet assembly proximate actuating member 13 in use is guided by the interface of the gear ring 152 of adjuster shaft 122 with the housing 124″.
95
Dieser Sachverhalt ist auch in Figur 3 ersichtlich, wobei die Führung zwischen Zahnkranz 152 der Kraftübertragungsvorrichtung und dem Gehäuse 124 und damit im Bereich des ersten Endes 150 erfolgt. Eine weitere Führung durch das Gehäuse 124 außer der am ersten Ende 150 erwähnten Führung kann der Fachmann der Figur 3 jedenfalls nicht entnehmen, was bereits durch das “instead” im oben zitierten Absatz zum Ausdruck gebracht wird. Eine solche verbietet sich dem Fachmann auch aus fachmännischer Sicht, da eine weitere Beschränkung der Querbeweglichkeit in der Nähe des zweiten Endes in Kombination mit dem Eingriff in das Reibelement nach Merkmal 4b am zweiten Ende zu einer überbestimmten Lagerung führen würde. Gerade die Festlegung des zweiten Endes der Kraftübertragungsvorrichtung am Reibelement ermöglicht allerdings erst die Reduzierung der Führungslänge in Axialrichtung, was in Absatz [0026] OS zum Ausdruck gebracht wird. Hier wird nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auf Grund der Ausgestaltung gemäß Merkmal M4.b, d.h. durch den Eingriff des zweiten Endes in das Reibelement, die im Stand der Technik von der Gehäusebohrung 24a bereitgestellte Führung nicht mehr erforderlich ist:
96
“since end 174 of the tappet shaft is radially and circumferentially restrained by engagement with the backplate, the guidance by bore 24A of prior art devices is no longer needed.”
97
Damit entnimmt der Fachmann aus den oben angeführten Offenbarungsstellen, wonach
98
– eine Führung über einen Großteil der axialen Länge der Kraftübertragungsvorrichtung durch das Gehäuse nicht mehr vorhanden ist bzw. sich durch die Ausgestaltung gemäß Merkmal M4.b erübrigt,
99
und stattdessen (“instead”)
100
– eine Führung durch das Gehäuse am ersten Ende vorgesehen ist,
101
eindeutig das Merkmal M4.a, demnach die Kraftübertragungsvorrichtung nur am ersten Ende durch das Gehäuse geführt ist.
102
Schließlich ergibt sich – wie bereits bei der Auslegung zu Merkmal M4.b ausgeführt – bei fachmännischer Würdigung der Formulierung “the opposite end is guided due to location” am Ende des Absatzes [0014] OS kein Widerspruch, da unterschiedliche Arten von Führungen, hier konkret eine lediglich mittelbare Führung über die Festlegung am Reibelement, gemeint sind. Damit belegt das Streitpatent selbst auf Grund der Ausgestaltungen am zweiten Ende, dass im Streitpatent zwei verschiedene Arten von Führungen gemeint sind. So ist das zweite Ende zwar “geführt auf Grund der Festlegung am Reibelement”, jedoch auch “ungeführt” gegenüber dem Gehäuse bzw. Ausgestaltungen zum Verhindern einer Querbewegung. Insgesamt betrachtet führt der Ersatz der ursprünglichen Formulierung “but being unguided proximate a second end” durch “guided only by the housing at the first end” somit bezüglich der Art der Führung lediglich zu einer klareren Formulierung, aber nicht zu einer unzulässigen Erweiterung.
103
Der Auffassung der Klägerin, dass der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 (und des hierauf rückbezogenen Patentanspruchs 10) gegenüber den ursprünglich eingereichten Unterlagen unzulässig erweitert sei, da das Merkmal M4.a, wonach “die Kraftübertragungsvorrichtung nur durch das Gehäuse (124) an dem ersten Ende (150) geführt wird…” nicht offenbart sei, wird aus den oben dargelegten Gründen somit nicht gefolgt.
104
2. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist nicht patentfähig, weil dieser durch die Druckschriften D7, D10 sowie D11 jeweils neuheitsschädlich vorweggenommen ist.
105
2.1. Die D7 (US 4 645 038) nimmt den Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorweg.
106
D7, Ausschnitt aus Figur 1
D7, Figur 2 (Colorierung hinzugefügt)
107
Die D7 zeigt in den Figuren 1 bis 3 einen Scheibenbremssattel 10 mit einem zweiteiligen Gehäuse 20 und einem Reibelement, das aus einem auf einer Verstärkungsplatte 34 aufmontierten Reibbelag 14 besteht (siehe insb. Figur 3 i.V.m. Sp. 3, Z. 4 f.; Merkmale M0, M1). Die Kraftübertragungsvorrichtung besteht hierbei aus einem Gleitelement 26, einer Mutter 30 und einem Stößel 28 mit einem Stößelkopf 36. Die Vorrichtung wird am ersten Ende über ein Schubglied, das hier von einer Rolle 24 gebildet wird, bei einer Betätigung der Schubstange 22 in Richtung B mit einer Druckkraft beaufschlagt, die zu einer Bewegung der Kraftübertragungsrichtung entlang der Richtung C, also in Richtung des Reibelements 14, 34 führt (s. Sp. 2, Z. 21 bis 27; Merkmale M2.a und M2.b). Das Gleitelement 26 wird hierbei von dem unteren Gehäuseteil 20 geführt, wobei es sich nur in Richtung C, aber nicht quer hierzu bewegen kann (Merkmal M3). Das zweite Ende der Kraftübertragungsvorrichtung greift mit seinem sechseckigen Kopf 36 in eine Aussparung der Verstärkungsplatte 34 des Reibelements ein, wobei ein gabelförmiges Teil 42 eine zusätzliche Verdrehsicherung für den Stößel 28 herstellt (siehe Figuren 1 bis 3; Merkmal M4.b). Die Führung der aus Gleitelement 26, Mutter 30 und Stößel 28 mit Stößelkopf 36 bestehenden Kraftübertragungsvorrichtung erfolgt erkennbar nur am ersten Ende durch das untere Gehäuseteil 20, und zwar in etwa auf einem Drittel der Gesamtlänge der Kraftübertragungsvorrichtung. Da der Bereich des ersten Endes nicht exakt definiert ist und die Führungslänge deutlich weniger als die Hälfte der Gesamtlänge beträgt, wird auch das Merkmal M4.a neuheitsschädlich vorweggenommen.
108
Der Einwand der Beklagten, dass durch die automatische Nachstelleinrichtung 32 eine weitere Führung bereitgestellt wird, überzeugt nicht. So dient die Nachstellvorrichtung 32 der Verdrehung der Mutter 30 gegenüber dem drehgesicherten Stößel 28 und nicht der Führung der Kraftübertragungsvorrichtung; eine Führungsfunktion mit zugeordneten Führungsflächen kann der Fachmann den Figuren oder der Beschreibung jedenfalls nicht entnehmen (s. Sp. 2, Z. 28 bis 32; Brückensatz von Sp. 3 auf Sp. 4). Darüber hinaus würde er eine weitere Führung zwischen den beiden Lagerstellen am ersten und am zweiten Ende der Kraftübertragungsvorrichtung auch vor seinem fachmännischen Hintergrund nicht als in D7 beabsichtigt entnehmen, da eine solche zu einer überbestimmten Lagerung führen würde.
109
Der weitere Einwand der Beklagten, dass die Verstärkungsplatte 34 nicht dem Reibelement zuzuordnen sei, überzeugt ebenfalls nicht. So spricht bereits die feste Verbindung der Verstärkungsplatte 34 mit der Reibkomponente 14 über Schrauben 50, 53 für eine Zuordnung zum Reibelement, wohingegen der Stößelkopf 36 nur formschlüssig eingreift. Darüber hinaus übernimmt die Verstärkungsplatte 34 auch die Führungsfunktion im Bremsträger sowie die Ableitung der Reaktionskräfte auf den Bremsträger (siehe Figur 3), so wie dies im Streitpatent auch für das streitpatentgemäße Reibelement beschrieben ist (siehe SPS, Abs. [0008], Z. 36 – 40).
110
2.2. Die D10 (US 5 000 294) nimmt den Gegenstand des Anspruchs 1 ebenfalls neuheitsschädlich vorweg.
111
D10, Figur 4 (Colorierung hinzugefügt)
112
In der Figur 4 der D10 wird ein selbstnachstellender Bremssattel offenbart, bei dem drei Kugeln 52 nach dem bekannten Rampenprinzip als Schubglied(er) eine im Gehäuse 12 geführte Mutter 28 (“stator”) mit einer Druckkraft beaufschlagen. Damit stellt die Mutter 28 das erste Ende der Kraftübertragungsvorrichtung dar, wobei der Kraftfluss von der Mutter 28 über den Gewindebolzen 40 und dessen Bolzenkopf zur Bremsbelagplatte 22 (“brake pad plate”, siehe Sp. 2, Z. 18) des Reibbelags 14 (“brake pad”) verläuft (Merkmale M0 bis M2.b); die Bremsbelagplatte 22 gehört auf Grund ihrer Funktionalität, d.h. insbesondere Führung und Halterung des Reibbelags, entsprechend der Auslegung (siehe unter I.5.) zum Reibelement. Da die Kraftübertragungsvorrichtung im Streitpatent und insbesondere im Anspruch 1 ebenfalls funktionell beansprucht ist, befindet sich auslegungsgemäß das erste Ende dort, wo das Schubglied angreift (s.a. Anspruch 3, vorletzte Funktionsgruppe). Eine rein gegenständliche Betrachtung, bei der das erste Ende am linken Ende der oben dargestellten Spindel 40 angeordnet wäre, ist hier nicht angezeigt, zumal das herausstehende Schraubenende keine Funktion in Bezug auf die Kraftübertragung hat. Die Mutter 28 bzw. das erste Ende der Kraftübertragungsvorrichtung wird vollumfänglich geführt, so dass sich dieses nur in axialer Richtung, nicht aber quer hierzu bewegen kann (Merkmal M3). Da die Führung nur an der Mutter 28 erfolgt und ansonsten bis zum Reibelement 22, 14 keine weitere Führung im Gehäuse 12 vorhanden ist, ist auch das Merkmal M4.a gegeben. Das zweite Ende der Kraftübertragungsvorrichtung, konkret das rechte Ende des Gewindebolzens 40 in obiger Figur 4, gelangt schließlich bei Betätigung der Bremse in Eingriff mit der Bremsbelagplatte 22, wobei es gemäß der Auslegung für die Erfüllung des Merkmals M4.b nicht darauf ankommt, ob der Eingriff nur reibschlüssig oder wie in Figur 4 angedeutet formschlüssig (siehe hierzu die durchbrochenen Linien in der Bremsbelagplatte 22) erfolgt.
113
2.3. Zudem trifft auch die D11 (DE 26 59 613 C3) den Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich.
114
D11, Figur 1 und vergrößerter, um 90° gedrehter Ausschnitt (Colorierung hinzugefügt)
115
Die Figur 1 der D11 zeigt eine Scheibenbremse, die in einem Gehäuse 1 eine Kraftübertragungsvorrichtung 12, 16 aufweist (Merkmale M0, M1, M2). Die Kraftübertragungsvorrichtung besteht aus einer Mutter 12 und einem darin verstellbaren Stellbolzen 16, der ein Reibelement 8 der Bremse in Eingriff mit der Drehbremsscheibe D bringen kann (Merkmal M2.a). Als Schubglied im Sinne des Merkmals M2.b sind (wie bei D10) die Kugeln 14 anzusehen, die bei einer Relativdrehung der Mutter 12 gegenüber dem Rampenglied 10 eine Schubkraft in Richtung des Reibelements 8 erzeugen (s.a. Ausführungen zur D10); die Tatsache, dass die von den Kugeln 14 bewirkte Schubkraft und Bewegung dadurch ausgelöst wird, dass die Mutter 12 selbst mittels des Hebels 15 verdreht wird, wird vom Anspruch 1 nicht ausgeschlossen.
116
Die Kraftübertragungsvorrichtung ist am ersten Ende der Kraftübertragungsvorrichtung, d.h. an der Mutter 12, im Gehäuse 1 geführt, wodurch sich das erste Ende nur in axialer Richtung, nicht aber quer dazu bewegen kann (siehe untere rote Kästen an der Mutter im obigen rechten Bildausschnitt, Merkmale M3 und M4.a). Das zweite Ende (siehe das im oberen Kasten dargestellte Sechskantende der Schraube 16 im obigen Bildausschnitt) der Kraftübertragungsvorrichtung greift zwischen den Blattfederelementen 17 des Reibelements in das Reibelement 8, 8a, 17 ein, so dass auch Merkmal M4.b vorweggenommen ist.
117
Eine weitere Führung der Kraftübertragungsvorrichtung zwischen dem ersten und dem zweiten Ende gibt es nicht. Dies gilt auch für den Hebel 15, der an der Mutter 12 befestigt ist. Dieser ist nicht am Zapfen 24 geführt, da dieser nur dazu dient, die Federn 26, 28 festzuhalten, um ein Schwingen des Hebels in Querrichtung (bezüglich der Zeichenebene der Figur 1) zu dämpfen (siehe D11, Absatz im Übergang von Spalte 3 auf 4). Mit dem Hebel 15 kommt der Zapfen 24 nicht direkt in Kontakt, da er mit erkennbarem Spiel durch den Schlitz 15b im Hebel 15 geführt wird, wobei es in der Beschreibung sogar heißt, dass der Schlitz 15b die Bewegung des Hebels 15 “nicht stört” (Satz im Übergang von Spalte 3 auf 4).
118
Eine weitere Führung ist auch nicht erforderlich, da die Kraftübertragungsvorrichtung bereits am ersten Ende mit der Mutter 12 am Gehäuse 1 und am zweiten Ende mit dem Schraubenkopf 16 zwischen den Federn 17 ausreichend festgelegt ist. Ein Verkippen der Mutter 12 ist bei der vorliegenden Betätigungsart nicht zu befürchten, da die drei am äußeren Umfang der Mutter 12 angeordneten Kugeln 14 ein gleichmäßiges Herausdrücken der Mutter 12 mit einer gewissen Zentrierwirkung bewirken, so dass keine großen Kippkräfte zu erwarten sind. Darüber hinaus verhindert auch die Fixierung des zweiten Endes im Reibelement 8, 8a, das in einer Öffnung 7 des Bremsträgers 2 geführt ist, ein Verkippen der Kraftübertragungsvorrichtung.
119
2.4. Die weiteren von der Klägerin in das Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen, insbesondere auch die D15, stehen dagegen dem Anspruch 1 nicht neuheitsschädlich entgegen:
120
2.4.1. Die D8 (DE 1 009 504 B) betrifft nach Figur 2
121
Ausschnitt aus Figur 2 der D8 (Colorierung hinzugefügt)
122
eine hydraulisch betätigte Scheibenbremse, bei der ein hydraulisch betätigter Kolben 20 in einem Zylinder 19 geführt wird (s. Sp. 4, Z. 15 bis 22, Z. 26 bis 36). Da der Kolben 20 allerdings durch den hydraulischen Druck in Richtung des Reibelements bewegt wird und nicht durch ein (mechanisches) Schubglied und die Kraftübertragungsvorrichtung bzw. der Kolben 20 auch nicht so ausgeführt ist, dass dies möglich wäre, sind die Merkmale M2.b und M3 in der D8 nicht verwirklicht – siehe hierzu die diesbezügliche Auslegung unter I.5. Die Neuheit des Streitgegenstands gegenüber der D8 ist bereits dadurch gegeben.
123
2.4.2. Gleiches gilt für die D15 (GB 747 965 B), die ebenfalls eine hydraulisch betätigte Festsattel-Scheibenbremse betrifft. Deren Kolben 17 sind nämlich ebenfalls nicht dazu ausgebildet, von einem (mechanischen) Schubglied beaufschlagt zu werden (fehlende Merkmale M2.b, M3):
124
Ausschnitt aus Figur 1 der D15 (Colorierung hinzugefügt)
125
Und auch wenn der Kolben 17 als mechanisches Schubglied, das die aus einem zylindrischen Distanzstück 19 (“cylindrical distance part”) und dem Schwenkzapfen 20 (“pivoting member”) bestehende Kraftübertragungsvorrichtung beaufschlagt, betrachtet wird, so führt dies nicht zu einer neuheitsschädlichen Vorwegnahme. Einer derartig festgelegten Kraftübertragungsvorrichtung mangelt es dann nämlich an den Merkmalen M3 und M4.b, da das erste Ende des Distanzstücks 19 nicht (nur) im Gehäuse 13, 11 geführt bzw. an einer Querbewegung gehindert wird, sondern in dem als Schubglied angesehenen Kolben 17 gelagert ist.
126
Damit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu gegenüber der D15.
127
2.4.3. Die D9 (EP 1 160 478 A2) zeigt in den Figuren 1 bis 3 bzw. 4 bis 7 zwei Ausführungsformen einer Scheibenbremse, siehe bspw. die Figuren 4 und 7:
128
Ausschnitte aus den Figuren 4 und 7 der D9 (Colorierung hinzugefügt)
129
Hierbei wird durch ein hebelbetätigtes Schubglied eine Quertraverse 37 der Kraftübertragungsvorrichtung beaufschlagt, welche die Schubkraft über zwei Stößelvorrichtungen 39 sowie mit einer gemeinsamen Schubplatte 38 auf ein nicht dargestelltes Reibelement überträgt (Merkmale M0 bis M2). Die Führung der Kraftübertragungsvorrichtung erfolgt gemäß den Figuren (1 bzw.) 4 und 7 mittels vier Gleitführungen 36, die i.V.m. dem Gehäuse 16 eine Bewegung nur in vertikaler Querrichtung behindern (siehe Figur 4 und 7 i.V.m. Abs. [0011], Z. 51 bis 56). Eine Bewegung in tangentialer Richtung gegenüber dem Gehäuse 16 des Bremssattels wird ausdrücklich nicht behindert, da die Kraftübertragungsvorrichtung nach reibschlüssigem Eingriff mit dem Reibelement dessen tangentialer Bewegung folgt, bis das Reibelement in seiner Führung am Bremsträger gestoppt wird (s. Abs. [0024]). Damit ist Merkmal M3, das die Verhinderung jeglicher Bewegung quer zur ersten Achse fordert, in den beiden Ausführungsbeispielen nicht erfüllt (s.a. Figur 1). Des Weiteren erstrecken sich die Gleitführungen 36 erkennbar über ungefähr die Hälfte der axialen Gesamterstreckung der Kraftübertragungsvorrichtung, d.h. von der Rückseite der Quertraverse 37 bis zu den Zahnrädern 24, so dass der Fachmann das Merkmal M4.a einer Führung nur am ersten Ende als nicht verwirklicht ansieht (s.a. Figur 1).
130
2.4.4. Den weiteren Entgegenhaltungen mangelt es ebenfalls zumindest an der Ausgestaltung gemäß Merkmal M4.a, wonach die Kraftübertragungsvorrichtung nur am ersten Ende am Gehäuse geführt wird:
131
Die
D5 (US 2 820 530)
offenbart in der Figur 5
132
Ausschnitt aus Figur 5 der D5 (Colorierung hinzugefügt)
133
einen Scheibenbremssattel mit einem Gehäuse 62 und einer Kraftübertragungsvorrichtung (83, 82, 78), die zwischen einem Schubglied 84 und einem Reibelement (72 bis 77) angeordnet ist. Die Führungshülse 82 der Kraftübertragungsvorrichtung ist hierbei nicht nur am ersten Ende (bei 83), sondern deutlich über die Hälfte der axialen Gesamterstreckung der Kraftübertragungsvorrichtung im Gehäuse 62 geführt (fehlendes Merkmal M4.a).
134
Den Entgegenhaltungen D12 (EP 0 589 206 B1), D13 (EP 0 852 301 A1) und D14 (DE 196 00 819 A1) kann der Fachmann ebenfalls keine Ausgestaltung entnehmen, bei der die Kraftübertragungsvorrichtung deutlich erkennbar nur am ersten Ende am Gehäuse des Bremssattels geführt wird (Merkmal M4.a):
135
Figur 2 der D12   Figur 3 der D13  Figur 1 der D14
(Ausschnitte aus o.g. Druckschriften, Colorierungen und Bemaßungslinien hinzugefügt)
136
So erfolgt nach den Figuren 2 und 3 der D12 die Führung der Kraftübertragungsvorrichtung an den gekrümmten Außenseiten 37, 38 der Quertraverse 9 im mittleren Drittel der Kraftübertragungsvorrichtung. Bei der D13 wird gemäß Figur 3 die Traverse 12 ebenfalls über deren gesamte axiale Länge und nahezu über die erste Hälfte der Haupterstreckung der Kraftübertragungsvorrichtung geführt; bei der D14 erfolgt die Führung der Quertraverse 9 entsprechend Figur 1 sogar deutlich über die Hälfte der Axialerstreckung.
137
Schließlich erstreckt sich auch bei der D16 (DE 43 07 019 A1) die Führung 25 wesentlich über das erste Ende der Kraftübertragungsvorrichtung hinaus (siehe Fig. 2 i.V.m. Text auf Sp. 3, Z. 33 bis 36).
III.
138
Der mit den Hilfsanträgen 1 und 1a verteidigte Patentanspruch 1 ist gegenüber dem Anspruch 1 in der Fassung des erteilten Streitpatents unzulässig erweitert. Denn der Anspruch 1 in den Fassungen nach diesen Hilfsanträgen ist auf eine Erweiterung des Schutzbereichs gerichtet.
139
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt die nachträgliche Einbeziehung eines vom Streitpatent in der erteilten Fassung nicht geschützten Gegenstands in einem Patentanspruch zu einer Erweiterung des Schutzbereichs. Das Patentnichtigkeitsverfahren eröffnet dem Patentinhaber zwar die Möglichkeit, das Schutzrecht in eingeschränkter Fassung zu verteidigen. Es dient aber nicht darüber hinaus der Gestaltung des Patents. Deshalb darf ein Patentanspruch im Nichtigkeitsverfahren nicht so geändert werden, dass er einen von der erteilten Fassung nicht umfassten Gegenstand einbezieht (vgl. BGH GRUR 2005, 145, 146 – elektronisches Modul; GRUR 2019, 389 – Schaltungsanordnung III).
140
Im Streitfall stellt Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung einen Scheibenbremssattel mit einer Kraftübertragungsvorrichtung unter Schutz, bei der das angeführte Reibelement nur der Definition der Kraftübertragungsvorrichtung dient und selbst nicht als Bestandteil des Gegenstands mitbeansprucht ist. Erst Patentanspruch 10 hat eine Scheibenbremse zum Gegenstand, die neben dem Scheibenbremssattel, dem Bremsträger und der Drehbremsscheibe ein Reibelement umfasst und damit auch ein Reibelement beansprucht. Dies betrifft jedoch den Schutzbereich des Anspruchs 10 und nicht den Schutzbereich des Anspruchs 1. Mit dem Hauptanspruch und dem nebengeordneten Anspruch 10 werden also zwei Gegenstände mit jeweils eigenen Schutzbereichen beansprucht.
141
Als einen zusätzlichen Bestandteil weist der Patentanspruch 1 in den Fassungen nach den Hilfsanträgen 1 und 1a gegenüber Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung jeweils ein Reibelement auf, das über speziell ausgestaltete Rückenplatten (Merkmale M6, M6.a, M6.b) verfügt. Damit wird der Schutzbereich des erteilten Anspruchs 1 auf einen Scheibenbremssattel mit einem Reibelement erweitert.
IV.
142
1. Der Hilfsantrag 2 ist zulässig. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 geht nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus und beinhaltet auch keine Erweiterung des Schutzbereichs.
143
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2, der auf den als zulässig erachteten erteilten Ansprüchen 1 und 10 aufbaut, ist auf eine Scheibenbremse mit einem Scheibenbremssattel gerichtet, was aus den ursprünglichen eingereichten Ansprüchen 1, 10 und 11 hervorgeht (siehe OS; Merkmal M0‘).
144
Die Streichung des Bezugs “of the brake” des Reibelements auf die Bremse in Merkmal M2.a‘ stellt im Hinblick darauf, dass nunmehr die gesamte Bremse inklusive eines Reibelements beansprucht ist, lediglich die Streichung eines überflüssigen Bezugs dar und ist damit zulässig.
145
Des Weiteren wird im Anspruch 1 ein Reibelement beansprucht (Merkmal M1‘), das entsprechend den Merkmalen M6, M6.a und M6.b ausgebildet ist. Diese Ausgestaltungen des Reibelements, das selbst unbestritten zu den Standardkomponenten einer Scheibenbremse gehört und auch in der OS als zur Erfindung gehörig beschrieben wird (siehe insb. Figuren 4 bis 8 i.V.m. Absätzen [0015], [0026] bis [0033], Ansprüche 2 und 8), sind in den Absätzen [0015] und [0027] der OS offenbart.
146
Schließlich wird in Merkmal M5 beansprucht, dass die Scheibenbremse zwei Stößel umfasst. Diese Ausgestaltung geht u.a. aus dem ursprünglichen Anspruch 4 (“at least one tappet”) sowie den Figuren 3 f. der OS hervor. Hierbei ist für den Fachmann klar erkennbar, dass als streitpatentgemäßer Stößel immer eine komplette Stößeleinheit bzw. “tappet assembly” angesehen wird. Dies ergibt sich beispielsweise aus Abs. [0010] SPS (i.V.m. Abs. [0013]):
147
“The tappet assemblies 17 and 18 are of identical construction and operation. Thus, only assembly 17 is described in greater detail”,
148
wobei in der SPS neben dem Begriff “tappet assembly”, der den Aufbau aus mehreren Bestandteilen zum Ausdruck bringt, auch der Begriff “tappet” für diese Baugruppe verwendet wird, siehe insb. Anspruch 4 sowie Abs. [0011] SPS: “To adjust the length of the tappet,…”.
149
Die Argumentation der Klägerin, dass Stößel-Vorrichtungen im Stand der Technik auch so betrachtet werden können, dass diese auf beiden Enden jeweils einen Stößel(kopf) aufweisen, mag zwar grundsätzlich nicht falsch sein, trifft aber im streitpatentgemäßen Zusammenhang nicht zu. So stellt das Patent sein eigenes Lexikon dar und ist auch bei der Auslegung in diesem Sinne heranzuziehen. Dies ist gerade im vorliegenden Fall, in dem nicht einheitlich verwendete bzw. festgelegte Fachbegriffe verwendet werden, angebracht (vgl. BGH GRUR 1999, 909 – Spannschraube).
150
Die Klägerin sieht eine unzulässige Erweiterung darin, dass gemäß Anspruchswortlaut nun der Scheibenbremssattel das Reibelement umfasst (M0‘ in Verbindung mit M1‘). Hierzu verweist sie in der mündlichen Verhandlung auf eine Übersicht der Einzelkomponenten einer Scheibenbremse, bei der Scheibenbremssattel und Reibelemente als einzelne Baugruppen aufgeführt sind. Die Beanstandung ist zwar im Hinblick auf eine Erweiterung des Schutzbereichs bei dem ursprünglich beanspruchten Scheibenbremssattel (erteilter Anspruch 1) durchaus berechtigt (siehe Ausführungen unter III.). Bei der hier in ihrer Gesamtheit beanspruchten Scheibenbremse führt die interne Zuordnung allerdings nicht zu einem Gegenstand, der über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht. Die in Anspruch 1 beanspruchten (Einzel-)Merkmale sind in der ursprünglichen Anmeldung zweifellos ursprünglich offenbart (siehe oben). Der Klägerin ist zwar zuzustimmen, dass die fachunübliche Zuordnung des Reibelementes zum Scheibenbremssattel der ursprünglichen Offenbarung nicht unmittelbar entnehmbar ist, jedoch führt diese Zuordnung zu keiner Erweiterung oder einem Aliud gegenüber dem ursprünglich offenbarten Gegenstand, d.h. gegenüber der ursprünglich offenbarten Scheibenbremse. Dabei geht der Fachmann bei der Auslegung des Anspruchs nicht vom Wortlaut, sondern vom Sachgehalt des Anspruchs aus. Unter diesem Aspekt wird der Fachmann keinen Unterschied erkennen, ganz gleich, ob er das Reibelement als Bestandteil des Scheibenbremssattels oder als damit zusammenwirkendes Bauteil der Bremse betrachtet. Deshalb wird diese Formulierung als unschädlich angesehen.
151
Darüber hinaus wird in der OS ein über das im Stand der Technik übliche Zusammenwirken hinausgehender, engerer Zusammenhang zwischen Reibelement und Bremssattel offenbart, wobei insbesondere die komplementären Ausgestaltungen der Rückenplatte des Reibelements und des Stößelkopfes zu erwähnen sind (siehe Ansprüche 2, 8, die Figuren 4 bis 8 und zugehörige Beschreibungsabsätze der OS). Unter diesem zweifellos ursprünglich offenbarten Aspekt ist der Zuordnung des Reibelements zum Bremssattel somit auch eine sachliche Berechtigung zuzusprechen.
152
Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 beinhaltet auch keine Schutzbereichserweiterung. So führen die weiteren Ausgestaltungen (Merkmale M6, M6.a und M6.b) des Reibelements, das bereits gegenständlich im Schutzbereich des erteilten Anspruchs 10 enthalten war, sowie die Aufnahme des Merkmals M5 zu einer Beschränkung des Gegenstands des erteilten Anspruchs 10 und dessen Schutzbereichs.
153
2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 ist neu gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik, insbesondere auch gegenüber der D15.
154
Entsprechend den Ausführungen zur Neuheit des erteilten Anspruchs 1 offenbart die D15 nicht, dass die Kraftübertragungsvorrichtung von einem mechanischen Schubglied betätigt wird und dementsprechend ausgeführt ist (siehe II.2.4.2. sowie die Auslegung unter I.5.; fehlende Merkmale M2.b und M3). Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob aus der Figur 2 die D15 neben der eindeutig entnehmbaren Ausgestaltung einer Kraftübertragungsvorrichtung mit zwei Stößeln (Merkmal M5) sowie einer bogenförmigen Rückenplatte (s.a. S. 3, Z. 69 bis 76: “arcuate pads of friction material … arcuate backing plate 38 …”; Merkmale M6 und M6.a) auch (radiale) Umfangsenden hervorgehen, die im Vergleich zur Dicke eines Hauptteils, d.h. des zentralen Bereichs, verdickt sind (M6.b).
155
Der Auffassung der Klägerin, dass der Begriff “thrust member” auch ein Hydraulikfluid umfasse, wird mit Verweis auf die diesbezüglichen Ausführungen zur Neuheit und Auslegung nicht zugestimmt – siehe oben.
156
Des Weiteren ist nunmehr auch die Neuheit gegenüber der D7, D10 und D11 gegeben, da diese jeweils nur einen streitpatentgemäßen Stößel aufweisen (fehlendes Merkmal M5).
157
3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
158
3.1. Der Fachmann gelangt ausgehend von der D15 in Verbindung mit D9 nicht zu einem Gegenstand mit allen Merkmalen des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2.
159
Die D15 betrifft eine hydraulisch betätigte Doppelkolben-Festsattelbremse. Demgegenüber handelt es sich bei der D9 um eine mechanische betätigte Schwimmsattelbremse, die zwei Stößel aufweist. Die Verwendung des jeweiligen Bremsentyps ergibt sich für den Fachmann aus dem für die Bremse zur Verfügung stehenden Betätigungsmedium des Fahrzeugs, wobei hydraulische, pneumatische, elektrische oder rein mechanische Systeme üblich sind. Ausgehend von der D15 ist keine Veranlassung erkennbar, warum der Fachmann die auf eine hydraulische Betätigung ausgelegte und diesbezüglich thermisch optimierte Bremse (vgl. S. 1, Z. 34 bis 42) auf eine mechanische Betätigung entsprechend der D9 in ihrer Gesamtheit, d.h. einschließlich schwimmend gelagertem Bremssattel und Bremsträger für eine beidseitige mechanische Betätigung, umkonstruieren sollte. Vielmehr wird der Fachmann bei Bedarf, d.h. wenn bspw. eine pneumatische Betätigung gefordert wird, gleich auf eine hierfür ausgelegte Bremse wie z.B. nach der D9 zurückgreifen.
160
Und selbst wenn er rein hypothetisch die Möglichkeit einer Kombination von D15 mit D9 in Betracht ziehen würde, so würde er hiermit immer noch nicht zu einem Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen, der eine Führung gemäß den Merkmalen M3 und M4.a und ein Reibelement entsprechend Merkmal M6.b aufweist (siehe Neuheitsvergleich mit der D9 unter II.2.4.3.).
161
3.2. Die D9 führt auch in Kenntnis der D17 bis D21 nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2.
162
Die D9 offenbart im Neuheitsvergleich eine Scheibenbremse (siehe II.2.4.3.), bei der die Kraftübertragungsvorrichtung an ihrem ersten Ende, d.h. im Bereich der Quertraverse 34 bzw. 37 (“crossbar”), nur an einer Bewegung in vertikaler Richtung gehindert wird, wogegen in tangentialer Richtung in Verbindung mit der Koppelung mit dem Reibelement bewusst eine Bewegung gestattet wird (siehe Abs. [0011], Z. 51 bis 55, i.V.m. Abs. [0024]). Dieses Lagerungskonzept der D9, bei dem bei Bremsbetätigung die gesamte Kraftübertragungsvorrichtung in tangentialer Richtung mit dem Reibelement mitgeführt wird, entspricht somit nicht der streitpatentgemäßen Führung, bei der das erste Ende so geführt ist, dass in keiner Querrichtung zur Schubachse eine Bewegung möglich ist (Merkmal M3). Es ist nicht erkennbar, warum der Fachmann sich von diesem fertigen, in sich geschlossenem Lagerkonzept der D9 abwenden sollte, zumal die Behinderung der tangentialen Bewegung am ersten Ende bei einer Bremsbetätigung auf Grund der Koppelung des zweiten Endes mit dem Reibelement zu einer unbestimmten Kräfteableitung bzw. überbestimmten Lagerung der Kraftübertragungsvorrichtung führen würde. Um dies zu vermeiden, müsste der Fachmann zudem noch erkennen, dass er dann (wie beim Streitpatent) als weitere Maßnahme auch die Führungslänge reduzieren muss, so dass eine Führung nur noch am ersten Ende erfolgt (Merkmal M4.a).
163
Da der Fachmann weder aus seinem Fachwissen noch aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik Hinweise oder Anregungen erhält, ist ihm die anspruchsgemäße Ausführung gemäß den Merkmalen M3 und M4.a bei der D9 somit nicht nahegelegt; vielmehr wird er auf Grund der zuvor dargelegten Überlegungen sogar davon abgehalten.
164
Bei den weiteren Ausgestaltungen des Reibelements nach den Merkmalen M6.a und M6.b handelt es sich um Maßnahmen, die dem einschlägig tätigen Fachmann bekannt sind und die dieser auch vorsehen wird, wenn sich deren Einsatz als zweckmäßig oder vorteilhaft anbietet (vgl. BGH GRUR, 2014, 647 – Farbversorgungssystem). So ergibt sich eine bogenförmige Form des Reibelements bei langen Reibelementen, die sich über ein größeres Kreissegment erstrecken, zwangsläufig, da der Fachmann das Reibelement selbstverständlich an die Form des Kreissegments der Bremsscheibe anpassen und dabei eine maximale Überdeckung anstreben wird (s.a. D15, Figur 2 i.V.m. Seite 3, Z. 56 bis 61 und insb. Z. 69 bis 76). Des Weiteren ist dem Fachmann auch die Ausführung von verdickten Umfangsenden bekannt, um eine bessere Führung des Reibelements im Bremsträger, insbesondere bei Verschleiß, zu erzielen (siehe D18, Figur 1 i.V.m. Abs. [0015], Z. 25 bis 27; D17, Figur 2 i.V.m. Sp. 3, Z. 35 bis 40). Somit kann eine derartige fachübliche Maßnahme keine eigenständige erfinderische Tätigkeit begründen bzw. ist auf Grund der offensichtlich damit verknüpften Vorteile grundsätzlich nahegelegt.
165
Zusammenfassend betrachtet führt die D9 somit trotz Berücksichtigung des weiteren Standes der Technik, insb. nach D17 bis D21, sowie des Fachwissens nicht in naheliegender Weise zu einem Gegenstand gemäß Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2, der auch die Merkmale M3 und M4.a aufweist.
166
3.3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 ergibt sich auch nicht in naheliegender Weise aus dem weiteren im Verfahren befindlichen Stand der Technik.
167
Die Scheibenbremsen nach der D5, D7, D10, D11 und D16 weisen jeweils nur einen streitpatentgemäßen Stößel auf. Der Übergang auf eine Bauweise mit zwei Stößeln erfordert neben dem Vorsehen zweier Stößel auch Anpassungen im Hinblick auf eine gemeinsame Betätigung und ggf. eine Synchronisation der Nachstelleinrichtung. Im Hinblick auf diese weiteren Erfordernisse wird der Fachmann bei größeren Scheibenbremsen, bei denen ein einzelner Stößel für ein gleichmäßiges Andrücken des Reibelements nicht mehr ausreichend ist, auf die im vorliegenden Stand der Technik bereits zahlreich vorhandenen Scheibenbremsen mit zwei Stößeln zurückgreifen bzw. zum Vorbild nehmen und nicht die eingangs genannten einstößeligen Scheibenbremsen aufwändig umkonstruieren.
168
Die bereits im Neuheitsvergleich unter II.2.2.4. in Betracht gezogenen Druckschriften D12, D13 oder D14 offenbaren zwar jeweils zwei Stößel gemäß Merkmal M5, weisen jedoch wie bereits zum Hauptantrag ausgeführt keine Führung gemäß Merkmal M4.a auf:
169
Figur 2 der D12   Figur 3 der D13  Figur 1 der D14
170
Alle drei Entgegenhaltungen verfügen zur Aufnahme der zwei Stößel über eine Quertraverse, die mittig vom Schubglied beaufschlagt wird, womit dort auch das erste Ende der Kraftübertragungsvorrichtung festgelegt ist (unterer Strich in den Figuren). Die Quertraverse wird über die komplette Traversendicke in einer komplementären Gehäuseausbildung des Bremssattels geführt. Dabei ist in den Figuren deutlich erkennbar, dass die axiale Führungslänge, entlang der eine Bewegung quer zur Schubachse unterbunden wird, sich in etwa über die Hälfte – bei der D14 auch mehr – der Länge der Kraftübertragungsvorrichtung erstreckt. Dies ist allerdings deutlich mehr als das, was mit der Formulierung “nur am Gehäuse am ersten Ende” des Merkmals M4a zum Ausdruck gebracht werden soll bzw. der Fachmann dieser Formulierung entnimmt.
171
Eine Anregung oder ein Hinweis dahingehend, bei den vorgenannten Scheibenbremsen die axiale Führungslänge der Kraftübertragungsvorrichtung zu reduzieren und nur noch einen kleinen Bereich am ersten Ende vorzusehen, ergibt sich aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik nicht. Der Kerngedanke des Streitpatents, dass in Verbindung mit der Koppelung des zweiten Endes die Führungslänge am ersten Ende und damit der für die Herstellung erforderliche Bearbeitungsaufwand reduziert werden kann, erschließt sich dem Fachmann nämlich erst aus einer ex-post-Betrachtung in Kenntnis des Streitpatents und geht ansonsten aus dem vorliegenden Stand der Technik nicht hervor.
172
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der D7, D10 oder D11, welche die Merkmale M3, M4.a und M4.b vorwegnehmen. Dort ist zwar eine derartige Ausgestaltung bei einem einzelnen Stößel gezeigt, es wird jedoch dem Fachmann keinerlei Veranlassung oder Hinweis dahingehend gegeben, diese Ausgestaltung im Hinblick auf die sich daraus ergebenden Bearbeitungsvorteile grundsätzlich bzw. insbesondere auch bei Scheibenbremsen mit zwei Stößeln anzudenken und diese dann dort auch noch auf die Traverse zu übertragen.
173
Damit gelangt der Fachmann nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2, ohne erfinderisch tätig zu werden.
174
4. Die Gegenstände der Unteransprüche 2 bis 8 des Hilfsantrags 2 werden vom patentfähigen Anspruch 1 getragen.
V.
175
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 ZPO.
176
Die ausgeurteilte Kostenquote entspricht dem Anteil des Obsiegens und Unterliegens der Parteien. Da der wirtschaftliche Wert, der dem Streitpatent aufgrund des nach Hilfsantrag 2 als schutzfähig verbleibenden Patentgegenstands gegenüber der erteilten weiteren Fassung noch zukommt, um einen erheblichen Teil reduziert ist, ist das Unterliegen der Beklagten mit 70 % und dementsprechend das der Klägerin mit 30 % zu bewerten.
177
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.


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