Patent- und Markenrecht

4 Ni 41/19 (EP)

Aktenzeichen  4 Ni 41/19 (EP)

Datum:
19.10.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:191021U4Ni41.19EP.0
Spruchkörper:
4. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19. Oktober 2021 durch die Vorsitzende Richterin Grote-Bittner sowie die Richter Dipl.-Ing. Univ. Richter, Dr. Söchtig, Dipl.-Ing. Univ. Schenk und Dipl.-Ing. Dr. Herbst
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 2 548 824 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Ansprüche 1 und 4 für nichtig erklärt.
II. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 25 % und die Beklagte 75 % zu tragen.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die teilweise Nichtigerklärung des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 548 824 (im Folgenden: Streitpatent).
2
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des u.a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten Streitpatents, das am 25. Januar 2006 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Gebrauchsmusteranmeldung 20 2005 002 924 vom 23. Februar 2005 angemeldet und dessen Erteilung am 7. August 2013 veröffentlicht worden ist. Das Streitpatent, das beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 50 2006 013 101.3 geführt wird, trägt die Bezeichnung „Klammergreifer für Gefäßtransportsystem“.
3
Das Streitpatent, das mit der Nichtigkeitsklage im Umfang der Patentansprüche 1, 3, 4 und 5 angegriffen wird, umfasst in seiner erteilten Fassung 11 Ansprüche mit dem unabhängigen Anspruch 1 sowie den hierauf rückbezogenen Unteransprüchen 2 bis 11. Die Klägerin macht die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung, fehlenden Ausführbarkeit und mangelnden Patentfähigkeit geltend. Die Beklagte verteidigt das Streitpatent in der erteilten Fassung und zudem separat die einzelnen angegriffenen Unteransprüche.
4
Der unabhängige Anspruch 1 lautet gegliedert wie folgt:
5
M1.1 Klammergreifer (K1, K2) für ein Gefäß-Transportsystem, insbesondere für ein Flaschen-Transportsystem,
6
M1.2 mit zwei je einen Greifbereich (9) aufweisenden Greiferarmen (7),
7
M1.2.1 die um eine oder um zwei Achsen (5) zwischen einer Greifstellung und einer Freigabestellung
8
M1.2.2 durch einen Steuernocken (21) mechanisch gesteuert schwenkbar und
9
M1.2.3 in Richtung zur Freigabestellung durch einen Kraftspeicher federnd beaufschlagt sind,
10
dadurch gekennzeichnet, dass
11
M1.3 der Kraftspeicher mindestens ein Paar einander abstoßender Permanentmagnete (P1, P2) an den Greiferarmen (7) aufweist.
12
Die Ansprüche 3, 4 und 5 lauten gegliedert wie folgt:
13
M3 Klammergreifer nach Anspruch 1,
14
dadurch gekennzeichnet, dass
15
M3.1 jeder Permanentmagnet (P1, P2) in nicht-magnetisches Material, vorzugsweise Edelstahl, eingekapselt ist.
16
M4 Klammergreifer nach Anspruch 1,
17
dadurch gekennzeichnet, dass
18
M4.1 von den Permanentmagneten (P1, P2) des Paares
19
M4.1.1 jeweils einer direkt an einem Greiferarm (7)
20
M4.1.2 in etwa in der Mitte zwischen dem Greifbereich (9) und der Achse (5) angeordnet ist.
21
M5 Klammergreifer nach Anspruch 3,
22
dadurch gekennzeichnet, dass
23
M5.1 jeder Permanentmagnet (P1, P2)
24
M5.1.1 zylinderförmig und
25
M5.1.2 in einem am Greiferarm (7) befestigten Kapselgehäuse (12) geborgen ist.
26
Die Klägerin meint, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents sei unzulässig erweitert, da das zum ursprünglichen Patentanspruch 1 hinzugefügte Teilmerkmal „je einen Greifbereich (9) aufweisenden“ über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausginge und das Merkmal „durch einen Steuernocken (21) mechanisch gesteuert schwenkbar“ sowie das Teilmerkmal „an den Greiferarmen (7)“ jeweils aus der Gesamtoffenbarung als isolierte und verallgemeinerte Merkmale entnommen seien. Nicht ursprünglich offenbart seien ferner auch die Änderungen in den erteilten Patentansprüchen 4 und 5.
27
Da das Streitpatent und seine Stammanmeldung keine schlüssige und eindeutige Basis für die Definition eines „Greifbereiches“ in Kombination mit einem Greifarm gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 angebe, seien die Ansprüche 1, 3, 4 und 5 nicht ausführbar offenbart. Nach Satz 5, Abs. 3 der Stammanmeldung sei ein Greifbereich als räumliche, territoriale Erstreckung zwischen den Greifarmen auszulegen, was im Widerspruch zum erteilten Patentanspruch 1 stehe, wonach die konkrete, gezielte Ausbildung eines Greifbereiches entlang eines jeden einzelnen Greifarmes wortsinngemäß gefordert sei.
28
Im Hinblick auf die fehlende Patentfähigkeit stützt sich die Klägerin insbesondere auf folgende Dokumente:
29
MB-Ni06 DE 299 15 927 U1
30
MB-Ni07 JP 2000 255 736 A
31
MB-Ni07a Englische Übersetzung der MB-Ni07
32
MB-Ni08 JP H05-177573 A
33
MB-Ni08a Englische Übersetzung der MB-Ni08
34
MB-Ni09 US 5,713,538 A
35
MB-Ni10 EP 1 375 395 A1
36
MB-Ni10a Englische Maschinenübersetzung der Ansprüche und der Beschreibung der MB-Ni10
37
MB-Ni13 JP H11-105116 A
38
MB-Ni13a Englische Maschinenübersetzung der Ansprüche und der Beschreibung der MB-Ni13
39
MB-Ni15 JP H08-040495 A
40
MB-Ni15a Englische Übersetzung der MB-Ni15
41
MB-Ni20 SU 1007968 A
42
MB-Ni21 DE 297 13 510 U1
43
MB-Ni22 US 6,386,609 B1
44
MB-Ni23 US 5,042,640 A
45
MB-Ni26 WO 2006/102983 A2
46
MB-Ni27 US 5,607,045
47
MB-Ni28 EP 0 939 044 A1
48
MB-Ni29 DE 195 42 518 A1
49
Sie ist der Auffassung, der Gegenstand der Ansprüche 1, 3 und 4 des Streitpatents seien nicht neu gegenüber dem Stand der Technik nach der MB-Ni07. Zwar fordere Patentanspruch 1 die Anordnung eines Paares einander abstoßender Permanentmagnete an den Greifarmen, jedoch enthalte Patentanspruch 1 nicht die zwingende Bedingung, dass sich diese Magnete des Paares auch tatsächlich gegeneinander abstoßen müssten, um den federnden Kraftspeicher umzusetzen. Vielmehr lasse es Patentanspruch 1 offen, gegen welches andere Bauteil sich die einzelnen Permanentmagnete mit ihrem magnetischen Kraftfeld abstoßen. Lediglich die Polarität der Permanentmagnete müsse identisch angeordnet sein, also beispielsweise beide Permanentmagnete mit ihrem jeweiligen Nordpol der Mitte des Klammergreifers zugewandt. Derartiges werde auch in der MB-Ni07, insbesondere in den Ansprüchen 7 und 8 implizit offenbart, so dass sämtliche Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 durch die MB-Ni07 vorweggenommen seien. Die MB-Ni07 nehme auch die Gegenstände gemäß der erteilten Patentansprüche 3 und 4 neuheitsschädlich vorweg.
50
Darüber hinaus seien die Gegenstände der angegriffenen Ansprüche des Streitpatents auch durch den Stand der Technik nahegelegt.
51
Der Gegenstand nach einer der Druckschriften MB-Ni06 oder MB-Ni21 unterscheide sich vom Gegenstand nach dem erteilten Patentanspruch 1 einzig in dem Fehlen des Merkmals, dass der Kraftspeicher als abstoßende Permanentmagnete an den Greifarmen ausgebildet sei. Ausgehend vom Gegenstand nach MB-Ni06 oder MB-Ni21 ergänze der Fachmann dieses Merkmal entweder im Rahmen einer einfachen Substitution aus seinem allgemeinen Fachwissen, oder in weiterer Kenntnis der Offenbarung einer der Druckschriften MB-Ni22, MB-Ni08, MB-Ni09, MB-Ni13 oder MB-Ni15 und gelange so zur Lehre des angegriffenen Anspruchs 1.
52
Patentanspruch 1 sei auch aus der MB-Ni13, MB-Ni27, MB-Ni28 und MB-Ni29 jeweils in Verbindung mit dem Fachwissen nachgelegt.
53
Schließlich seien auch die Merkmale des Patentanspruchs 3 aus jeder der Druckschriften MB-Ni08, MB-Ni09, MB-Ni10 oder MB-Ni22, die Merkmale des Patentanspruchs 4 aus jeder der Druckschriften MB-Ni08, MB-Ni22 oder MB-Ni23, sowie die Merkmale des Patentanspruchs 5 aus jeder der Druckschriften MB-Ni09 oder MB-Ni23 nahegelegt.
54
Der Senat hat den Parteien einen qualifizierten Hinweis vom 22. April 2021 und in der mündlichen Verhandlung am 19. Oktober 2021 einen weiteren rechtlichen Hinweis erteilt.
55
Die Klägerin beantragt,
56
das europäische Patent 2 548 824 im Umfang der Ansprüche 1, 3, 4 und 5 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
57
Die Beklagte beantragt,
58
die Klage abzuweisen.
59
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen.
60
Sie ist der Auffassung, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei nicht unzulässig erweitert. Die entsprechende Argumentation der Klägerin hinsichtlich des Teilmerkmals „je einen Greifbereich (9) aufweisenden“ beruhe auf einer Interpretation, dass der Greifbereich eine „territoriale Erstreckung“ zwischen den Greifarmen sein solle. Jedoch stehe diese Interpretation im Widerspruch zur Offenbarung der Figur 1 und stelle keine unzulässige Erweiterung dar.
61
Auch seien sowohl das Merkmal „durch einen Steuernocken (21) mechanisch gesteuert schwenkbar“ als auch das Teilmerkmal „an den Greiferarmen (7)“ jeweils für sich und ohne notwendigen Zusammenhang mit weiteren Merkmalen offenbart, so dass keine unzulässige Verallgemeinerung vorliege. Die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 4 gingen in unmittelbarer und eindeutiger Weise aus den Figuren 1 bis 3, 5, 7 und 8 der Stammanmeldung hervor. Auch beruhe die Fassung des erteilten Patentanspruchs 5 nicht auf einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung.
62
Der Gegenstand der angegriffenen Patentansprüche sei auch ausführbar offenbart. Aus der Figur 1 des Streitpatents sei deutlich zu erkennen, dass die Greifbereiche mit dem Bezugszeichen 9 als Teil der Oberfläche der Greifarme zu verstehen seien, mit denen etwa ein Behälter zumindest teilweise beim Greifen des Behälters gegriffen werde. Auch wenn offen sei, wie ein einzelner Greifbereich entlang eines Greifarms strukturell ausgestaltet sein solle, um seine Funktion streitpatentgemäß erfüllen zu können, stelle dies die Ausführbarkeit nicht in Frage. Denn dem Fachmann seien Klammergreifer als technisch durchaus übliches Mittel und damit deren prinzipieller Aufbau inklusive der Greifbereiche dem Fachmann durchaus geläufig.
63
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei auch neu.
64
Die von der Klägerin als MB-Ni07a eingeführte Übersetzung der MB-Ni07 umfasse im Gegensatz zur vom Europäischen Patentamt heruntergeladene Maschinenübersetzung der B9a (aus dem parallelen Verletzungsverfahren) völlig andere Ansprüche. Aber auch unter Zugrundelegung der Übersetzung der MB-Ni07 gemäß der Anlage B9a erweise sich der Gegenstand des Anspruch 1 des Streitpatents als neu. Danach sei deutlich offenbart, dass die dortigen Magnete lediglich dazu verwendet würden, die Klammer in die geschlossene Position vorzuspannen – anders als das Streitpatent dies mit der Kombination der Merkmale M 1.2.3 und M 1.3 des unabhängigen Anspruchs 1 vorsehe. Auch die MB-Ni07a als Übersetzung der MB-Ni07 beschreibe dieselbe technische Lehre, nämlich dass die „biasing member“ stets eine Vorspannung in die geschlossene Position oder zumindest in Richtung der geschlossenen Position (closing direction) bewirkten.
65
Auf Grund der wirksamen Inanspruchnahme der Priorität stelle die MB-Ni26 keinen relevanten Stand der Technik für die Beurteilung der Neuheit dar.
66
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
67
Der Fachmann würde ausgehend vom Gegenstand nach MB-Ni06 den Stand der Technik nach den Druckschriften MB-Ni22, MB-Ni09, MB-Ni13, MB-Ni15 nicht in Erwägung ziehen, weil dieser Lösungen entweder aus einem fremden technischen Gebiet (MB-Ni22: Wafertransport; MB-Ni09: Personen- oder Frachtentransport), oder keine abstoßenden Magnete (MB-Ni13), oder anstelle eines Greifers die Fixierung eines Behälters in seinem Bodenbereich (MB-Ni15) offenbarten. Die Übertragung der Lehre nach der MB-Ni08 auf den Gegenstand nach MB-Ni06 würde den Fachmann ebenfalls nicht zum Gegenstand nach dem Patentanspruch 1 führen.
68
Der Fachmann gelange ferner auch nicht in Kenntnis des Gegenstands nach MB-Ni13 und seinem Fachwissen zum Gegenstand nach Anspruch 1 des Streitpatents. Denn die MB-Ni13 zeige keine einzige Anordnung, bei der sich Magnete gegenpolig gegenüberliegen würden und in Form des anspruchsgemäßen Kraftspeichers eine Vorspannung in eine Freigabestellung erzwingen könnten. Der Fachmann habe ausgehend von der MB-Ni13 keinerlei Veranlassung, eine derartige Modifikation vorzusehen, da sie der technischen Lehre dieses Dokuments MB-Ni13 zuwiderlaufe.
69
Hinsichtlich der Druckschrift MB-Ni21 fehle es dem Fachmann an jeglicher Veranlassung, die in MB-Ni21 offenbarten Gummielemente, die die Klammerelemente im Bereich der Aufnahmeöffnung auseinanderdrückten, durch Magnete zu ersetzen.
70
Auch führe die Kombination der MB-Ni21 mit den Dokumenten MB-Ni08, MB-Ni09, MB-Ni13, MB-Ni15 oder MB-Ni22 nicht zum Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1. Entsprechend verhalte es sich auch hinsichtlich der seitens der Klägerin im Verlaufe des Verfahrens ergänzend eingeführten Druckschriften MB-Ni27, MB-Ni28 und MB-Ni29.
71
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und den weiteren Inhalt der Akte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

72
Die Klage, mit der die Nichtigkeitsgründe der fehlenden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs.1 lit. a, Art. 54, 56 EPÜ), der fehlenden ausführbaren Offenbarung (Art. II § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. b EPÜ) sowie der unzulässigen Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs.1 lit. c EPÜ) geltend gemacht werden, ist zulässig.
73
Sie ist jedoch nur insoweit begründet, als das Streitpatent im Umfang der Ansprüche 1 und 4 für nichtig zu erklären ist. Insoweit erweist sich das Streitpatent als nicht patentfähig, nämlich als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit basierend. Hinsichtlich der darüber hinaus angegriffenen Ansprüche 3 und 5 des Streitpatents ist die Klage hingegen unbegründet. Insoweit erweist sich das Streitpatent als ausführbar offenbart, nicht unzulässig erweitert und patentfähig, insbesondere neu und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, und somit als rechtsbeständig.
I.
74
1. Das Streitpatent betrifft einen Klammergreifer für ein Gefäß-Transportsystem, insbesondere für ein Flaschen-Transportsystem, mit zwei Greiferarmen.
75
In der Beschreibungseinleitung wird angegeben, dass bei Klammergreifern, die zwischen den Freigabe- und Greifstellungen rein mechanisch gesteuert und beispielsweise aus der EP 0 659 683 A bekannt seien, der bauliche Aufwand für die mechanische Steuerung hoch sei (s. Abs. [0002] der Streitpatentschrift (SPS)). Ein unter Verwendung eines Kraftspeichers mechanisch gesteuerter Klammergreifer sei aus DE 297 13 510 U (MB-Ni21) bekannt. Der Kraftspeicher sei z.B. eine zwischen den Greiferarmen wirkungsmäßig eingesetzte Spiral- oder Schraubendruckfeder. Der Klammergreifer werde gegen die in Richtung zur Freigabestellung wirkende Kraft des Kraftspeichers, z.B. eine Gummifeder, durch einen drehbaren Steuernocken in die Greifstellung und zurück verstellt (s. Abs. [0003] der SPS).
76
Weiter wird in der Beschreibung (Abs. [0005] der SPS) ausgeführt, dass Behältertransportsysteme, insbesondere Flaschen-Transportsysteme hohe Anforderungen hinsichtlich der mikrobiologischen Verhältnisse und der Reinigung erfüllen müssten, und dabei über lange Standzeiten und für sehr hohe Arbeitsfrequenzen betriebssicher sein müssten. Körperliche Federn wie Spiralfedern oder Gummifedern oder dergleichen, die in der Nähe des Greifbereiches, d.h. nahe bei den ergriffenen Behältern positioniert würden, seien im Hinblick auf die Mikrobiologie und die Reinigung kritisch, weil sich dort kleine Verschmutzungen leicht absetzten, ferner häufig anfällig gegen aggressive Reinigungsmedien seien, die die Feder-Standzeit verkürzten, und jederzeit mechanisch beschädigt werden oder brechen könnten, wodurch die Funktionsfähigkeit des Klammergreifers beeinträchtigt werde oder verloren gehe, was mit der großen Gefahr, Behälter zu beschädigen, verbunden sei. Außerdem könnten die Federn beim Arbeiten Abrieb oder Inhaltsstoffe absondern.
77
In der Flaschentransport-Technik sei schon vorgeschlagen worden, bei gesteuerten Mehrfachgelenks-Klammergreifern einen Zuhalte-Mechanismus mit einander anziehenden Permanentmagneten vorzusehen. Einander anziehende Permanentmagnete könnten zu dem Problem führen, dass sie bei Berührung oder extremer Annäherung eine extrem hohe Löse- oder Losbrechkraft erforderten, die zu einer unerwünschten Schnappbewegung des Klammergreifers und zu extrem hohen mechanischen Belastungen führen könnten (s. Abs. [0006] der SPS).
78
Aus der in Abs. [0007] der SPS genannten EP 1 375 395 A1 (im Folgenden: MB-Ni10) sei ein über Nocken gesteuerter Klammergreifer bekannt, dessen beide Greiferarme in einer schwenkbaren Haltegabel um getrennte Achsen schwenkbar seien. Die über die Achsen hinausstehenden starren Verlängerungen der Greiferarme seien jeweils an einem Schwenkglied angelenkt. Die beiden Schwenkglieder hätten etwa dreieckige Form und seien schwenkbeweglich über einen Zapfen gekoppelt, an welchem ein Steuernocken drehbar angeordnet sei, und der von einem mit der Haltegabel verbundenen Stößel durchsetzt werde. In jedem Schwenkglied sei ein Permanentmagnet angeordnet, der kurz vor oder bei Erreichen der Greifstellung der Greiferarme eine Anzugskraft zum Ende des Stößels entwickele. In der Freigabestellung seien die Permanentmagneten so weit voneinander entfernt, dass sie keine gegenseitige Kraftwirkung mehr ausübten.
79
Aus der in Abs. [0008] zitierten SU 1007968 A1 (im Folgenden: MB-Ni20) sei ein gesteuerter Klammergreifer für Objekte bekannt, dessen Greiferarme an über die Achsen hinausstehenden Verlängerungen Permanentmagneten trügen. Diese Permanentmagneten wiesen gegensinnige Polungen auf, d.h. der Nordpol des einen Permanentmagneten wirke magnetisch mit dem Südpol des anderen Permanentmagneten zusammen, um die Greiferarme über eine Anziehungskraft in der Freigabestellung zu halten. Um die Greiferarme in die Greifstellung zu bringen, werde bei einer Ausführungsform ein aus zwei gegensinnig gepolten Permanentmagneten bestehender Keil mittels eines Hilfsantriebs zwischen keilförmige Aufdrückflächen der Permanentmagneten an den Greiferarm-Verlängerungen eingeschoben, um zunächst die Haftwirkung zwischen den Permanentmagneten an den Greiferarm-Verlängerungen mechanisch zu brechen, und dann unterstützt von magnetischen Abdrückkräften die Greiferarme in die Greifstellung zu schwenken. Um die Greiferarme dieser Ausführungsform wieder in die Freigabestellung zu bringen, werde das Paar keilförmiger Permanentmagneten mittels des Hilfsantriebs wieder zurückgezogen, damit die an den Greiferarm-Verlängerungen angeordneten gegensinnig gepolten Permanentmagnete einander wieder anziehen und die Greiferarme auseinanderschwenkten. In der anderen Ausführungsform sei zwischen den an den Greiferarm-Verlängerungen angeordneten, gegensinnig gepolten Permanentmagneten eine Magnetspule platziert, die zum Einstellen der Greifstellung strombeaufschlagt werde und die beiden zunächst aneinanderhaftenden Permanentmagneten an den Greiferarm-Verlängerungen gegen deren Anziehkräfte auseinanderdrückt.
80
Davon ausgehend liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, einen funktionssicheren, leicht zu reinigenden, und höchste Anforderungen in mikrobiologischer Hinsicht erfüllenden gesteuerten Klammergreifer anzugeben (s. Abs. [0009] der SPS).
81
2. Die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 der Patentschrift zeigt einen erfindungsgemäßen mechanisch gesteuerten Klammergreifer K2 in der Freigabestellung mit zwei Greiferarmen 7, einen drehbaren Steuernocken 21 sowie Permanentmagnete P1, P2 an den Innenseiten der Greiferarme 7, die einander abstoßen:
82
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
Streitpatentschrift Figur 1
83
3. Als zuständigen Fachmann sieht der Senat einen Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit Abschluss als Dipl.-Ing. oder Master an einer Fachhochschule oder Hochschule für angewandte Wissenschaften, mit besonderen Kenntnissen und mehrjähriger Berufserfahrung in der Konstruktion und Entwicklung von Transportsystemen für Behälter, insbesondere Flaschen.
84
4. Die Patentansprüche 1, 3 und 4 bedürfen der Erörterung:
85
a) Unter einem Klammergreifer wird in dem Patent eine Vorrichtung verstanden, die Behälter sicher greifen kann (Absatz [0021] der SPS) und auch wieder freigeben kann (Absatz [0002] der SPS).
86
Das Merkmal M1.1 schränkt den Klammergreifer dahingehend ein, dass er für die Verwendung in einem Gefäß-Transportsystem, insbesondere in einem Flaschen-Transportsystem geeignet sein muss.
87
Nach Merkmal M1.2 muss der Klammergreifer zwei Greiferarme aufweisen, wobei jeder Greiferarm einen Greifbereich aufweist. Nach den Absätzen [0005] und [0014] der Beschreibung ist ein Greifbereich der Bereich eines Greiferarms, der die Behälter ergreift. Die Greiferarme nach Merkmal M1.2 umfassen auch die Verlängerungen 7b der Greiferarme 7 (s.a. Abs. [0024]); dies ist bei scherenartig verschwenkbaren Greiferarmen relevant, wobei dort angeordnete abstoßende Permanentmagneten ebenfalls eine in Richtung der Freigabestellung wirkende Kraft bewirken können.
88
Das Merkmal M1.2.1 fordert, dass die Greiferarme „um eine oder um zwei Achsen zwischen einer Greifstellung und einer Freigabestellung“ schwenkbar sind. Die Ausführungsform mit zwei Achsen ist in dem Ausführungsbeispiel nach den Figuren 1 bis 3 dargestellt. Danach hat jeder Greiferarm 7 jeweils eine eigene Schwenkachse 5, wobei die Schwenkachsen voneinander beabstandet und zueinander parallel angeordnet sind. Bei der alternativen Ausführungsform mit einer Achse, die nicht dargestellt ist, sind beide Greiferarme auf einer gemeinsamen Achse schwenkbar gelagert, so Absatz [0031] der SPS. Unter Greifstellung ist die Stellung der Greiferarme zu verstehen, bei der die Greiferarme – bzw. deren Greifbereiche – einen Behälter sicher greifen (Absätze [0021], [0023] und Fig. 2 der SPS); in einer Freigabestellung sind die Greifbereiche der Greiferarme soweit auseinandergespreizt, dass ein Behälter nicht gegriffen werden kann, wie dies die Figur 1 der SPS zeigt.
89
Aus Patentanspruch 1 geht zwar nicht eindeutig hervor, ob der Steuernocken nach Merkmal M1.2.2 zum Klammergreifer gehört (siehe SPS, Bez. 21, oder Ni06, Bez. S) oder ob der Steuernocken nur „von außen“ auf die Greiferarme zum mechanischen Verschwenken einwirkt (siehe hierzu Ni07, Fig.7 i.V.m. Fig 10, Bez. G1, G2). Auf Grund der Formulierung im Anspruch sowie der Offenbarung in der Streitpatentschrift geht der Fachmann allerdings davon aus, dass der Klammergreifer den Steuernocken mit umfasst.
90
In Richtung zur Freigabestellung sind die Greiferarme durch einen Kraftspeicher federnd beaufschlagt, so Merkmal M1.2.3. Aus dieser Angabe folgt für den Fachmann zwingend, dass dieser Kraftspeicher die Greifbereiche der Greiferarme auseinanderbewegen muss, wenn die Nockenkraft nicht entgegenwirkt. Weitere Angaben zur Positionierung des Kraftspeichers an den Greiferarmen enthält Patentanspruch 1 nicht.
91
Nach Merkmal M1.3 muss der Kraftspeicher als ein Paar einander abstoßender Permanentmagnete an den Greiferarmen ausgeführt sein. Danach müssen alle (beide) Magnete des Paares ausdrücklich an den Greiferarmen ausgeführt sein. Ob diese mittelbar oder unmittelbar mit diesen ausgeführt sein sollen, lässt Patentanspruch 1 offen. Aus fachmännischer Sicht fordert Merkmal M1.3, dass die Permanentmagnete sich mit den Greiferarmen mitbewegen, und die Magnetkräfte auf die Greiferarme wirken müssen. Der Patentanspruch macht keine Vorgaben hinsichtlich der Ausgestaltung, der Dimensionierung oder der Materialien der Magnete. Unter dem fachmännischen Blickwinkel müssen die Magnete allerdings so ausgewählt und gestaltet sein, dass sie – unter Berücksichtigung der physikalischen Eigenschaften von Magneten – ihren in Merkmal M1.2.3 angegebenen Zweck, die Greiferarme in Richtung zur Freigabestellung zu beaufschlagen, erfüllen.
92
b) Das Merkmal M3.1, wonach jeder Permanentmagnet in nicht-magnetisches Material eingekapselt ist, versteht der Fachmann unter Heranziehung der Absätze [0016] und [0027] dahingehend, dass der Magnet vollständig in einem (separaten) Kapselgehäuse untergebracht ist. Dabei kann es sich beispielsweise um ein topfförmiges Kapselgehäuse mit einem dünnen Topfboden handeln, dem die Abstoßfläche des Permanentmagneten gegenüberliegt, während die offene Seite des Topfes durch einen zweckmäßig eingeschweißten Deckel verschlossen ist.
93
Dem steht nicht die alternative, in Anspruch 3 bzw. 4 nicht beanspruchte Ausgestaltung nach Absatz [0031] entgegen, wonach „die Permanentmagneten P1 auch direkt in den Greiferarmen eingebettet sein [könnten], vorausgesetzt, das Material der Greiferarme 7 ist nicht magnetisch, z.B. Edelstahl“. Denn den Begriff „einbetten“ versteht der Fachmann im hier vorliegenden Zusammenhang so, dass die Permanentmagnete nur soweit von einem nicht-magnetischen Material des Greiferarms umgeben sind, dass er in dieses eingelegt werden kann, also zumindest eine Seite des Magneten nicht von dem Material umgeben ist, sondern offenbleibt.
94
c) Nach Patentanspruch 4 soll jeder Permanentmagnet jeweils in etwa in der Mitte zwischen dem Greifbereich und der Achse angeordnet sein.
95
Das Merkmal M4.1.2, demnach die Magnete in etwa der Mitte zwischen dem Griffbereich und der Achse angeordnet sind, fasst der Fachmann – mangels weiterer Angaben in der Streitpatentschrift – in dem Sinne auf, dass dabei ein Bereich abgedeckt ist, der von ¼ bis ¾ der Strecke zwischen Achse und Beginn des Greifbereichs, d.h. von der Mitte jeweils bis zur halben Strecke zur Achse bzw. Greifbereich, reicht.
II.
96
1. Die Gegenstände der angegriffenen Ansprüche 1, 3, 4 und 5 in der erteilten Fassung des Streitpatents gehen nicht über den Inhalt der Veröffentlichung WO 2006/089610 A1 (im Folgenden: MB-Ni03) der internationalen Anmeldung des Streitpatents hinaus.
97
a) Soweit in das Merkmal M1.2 des Patentanspruchs 1 die Angabe „je einen Greifbereich (9) aufweisende“ in das ursprüngliche Merkmal „mit zwei Greiferarmen (7)“ aufgenommen wurde, liegt keine unzulässige Erweiterung vor. Dieses Merkmal ist in der MB-Ni03 zum einen auf der Seite 4, dritter Absatz, offenbart. Dort findet sich die Angabe (Unterstreichungen hinzugefügt), wonach „die Permanentmagneten direkt an den Greiferarmen angeordnet [werden], […] zwischen dem jeweiligen Greifbereich und der Achse des Greiferarms“, wobei der Greifbereich dem Bereich der Greiferarme entspricht, mit dem die Behälter ergriffen werden (vgl. „nahe dem Greifbereich, d. h. nah dem ergriffenen Behälter“, ebd.).
98
Auch aus den Figuren 7 bis 9 der MB-Ni03 und der zugehörigen Beschreibung, Seite 12, Zeilen 3 bis 5, wonach „an den Innenseiten der Greiferarme 7 […] zwischen den Greifbereichen 9 und den Achsen 5 Permanentmagneten P1, P2 […] vorgesehen“ sind, entnimmt der Fachmann unmittelbar und eindeutig, dass jeder der zwei Greiferarme jeweils einen Greifbereich aufweist.
99
Der Auffassung der Klägerin, der Seite 4, dritter Absatz der MB-Ni03, lasse sich keine eindeutige Definition eines Greifbereichs entnehmen, insbesondere keine spezifische Zuordnung zu einem einzelnen Greiferarm, folgt der Senat nicht. Denn die Terminologie eines „jeweiligen Greifbereichs … des Greiferarms“ lässt im Gesamtzusammenhang des ganzen Satzes keine Zweifel daran aufkommen, dass jeder Greiferarm jeweils einen Greifbereich aufweisen muss. Dass in diesem Absatz der Begriff „Greifbereich“ nicht weiter definiert ist, ist für die Offenbarung des Merkmals M1.2 ohne Bedeutung. Denn bereits auf Seite 2, erster Absatz, Zeilen 7 und 8 ist der Greifbereich als Bereich der „ergriffenen Behälter“ beschrieben.
100
Auch soweit sich der erteilte Patentanspruch 1 vom ursprünglichen Patentanspruch 1 durch die Aufnahme des Merkmals M1.2.2 mit dem Wortlaut „durch einen Steuernocken (21) mechanisch gesteuert schwenkbar“ unterscheidet, liegt keine unzulässige Erweiterung vor.
101
Dieses Merkmal geht aus der MB-Ni03, dort aus den Figuren 7 bis 9 und der zugehörigen Beschreibung, S. 11, untere Hälfte, hervor. Darin ist angegeben (Unterstreichung hinzugefügt), dass „die Fig. 7, 8 und 9 […] einen mechanisch gesteuerten Klammergreifer K2 […] [zeigen]. Der Klammergreifer K2 weist wiederum zwei […] Greiferarme 7 auf, die […] schwenkbar sind und […] Verlängerungen 7b haben. Der Klammergreifer K2 wird durch einen drehbaren Steuernocken 21 gesteuert, der […] zwischen den Innenseiten der Verlängerungen 7b arbeitet“.
102
Der Auffassung der Klägerin, das Merkmal M1.2.2 sei aus der Gesamtoffenbarung als isoliertes verallgemeinertes Merkmal entnommen, da das Merkmal, dass der Steuernocken zwischen den Verlängerungen angeordnet ist, nicht in den erteilten Patentanspruch 1 aufgenommen sei, kann ebenfalls nicht gefolgt werden. Zwar ist der Ansicht der Klägerin insoweit zuzustimmen, dass das neu aufgenommene Merkmal eine Verallgemeinerung gegenüber der Offenbarung aus MB-Ni03, Seite 11, darstellt. Daraus ergibt sich jedoch keine unzulässige Änderung. Denn dieses Merkmal ist in der im Patent offenbarten Allgemeinheit bereits den ursprünglich eingereichten Unterlagen unmittelbar und eindeutig als zu der angemeldeten Erfindung gehörend zu entnehmen. Auch ist es für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich. Denn es steht nicht in untrennbarem Zusammenhang mit den anderen Merkmalen, so dass die hier vorliegende Verallgemeinerung zulässig ist (vgl. BGH GRUR 2014, 541 Rn. 23, 24 – Kommunikationskanal; BGH GRUR 2015, 573 Rn. 29, 31 – Wundbehandlungsvorrichtung).
103
Auch das Merkmal M1.3 mit dem Wortlaut „dass der Kraftspeicher mindestens ein Paar einander abstoßender Permanentmagnete (P1, P2) an den Greiferarmen (7) aufweist“, in das gegenüber der ursprünglichen Fassung die Angabe „an den Greiferarmen (7)“ aufgenommen wurde, ist nicht unzulässig erweitert, weil der Fachmann dieses Merkmal unmittelbar und eindeutig der MB-Ni03 als mögliche Ausgestaltung entnimmt.
104
Die Gesamtoffenbarung der MB-Ni03 (vgl. Seite 12, Zeilen 3 bis 5 i.V.m. den Figuren 7 bis 9) ist nicht darauf beschränkt, dass die Permanentmagneten P1, P2 „zwischen den Greifbereichen 9 und den Achsen 5“ sein müssen. So können die Permanentmagnete „an starren Verlängerungen der Greiferarme angebracht“ sein (vgl. MB-Ni03, Seite 4, letzter Halbsatz). Auch „kann die Position der Permanentmagneten in Relation zur Achse oder den Achsen auch anders und in Anpassung an die jeweiligen Betriebsverhältnisse gewählt werden“ (MB-Ni03, Seite 5, oberster Absatz).
105
Damit ist auch die Argumentation der Klägerin verfehlt, wonach das Merkmal M1.3 in unzulässiger Weise verallgemeinert gegenüber dem ursprünglichen Patentanspruch 4 sei, der eine direkte Anordnung an den Greiferarmen offenbart, oder gegenüber dem ursprünglichen Patentanspruch 11, der die Lage der Permanentmagneten ausschließlich auf den Bereich zwischen den Greifbereichen und den Achsen beschränkt. Denn wenn die ursprünglich eingereichten Ansprüche enger gefasst sind als die in der Beschreibung der ursprünglichen Anmeldung geschilderte bevorzugte Ausführungsform, bedeutet dies keinen Widerspruch zum Inhalt der Beschreibung, denn die ursprünglich eingereichten Ansprüche sind dabei zwar Bestandteil der Offenbarung, nicht aber mit dieser gleichzusetzen (vgl. BGH Urt. v. 21. Juli 2017 – X ZR 7/09, Tz. 18, 20 – veröffentlicht in juris).
106
b) Patentanspruch 3 ist in seiner erteilten Fassung wortgleich mit der ursprünglichen Fassung nach der MB-Ni03 und damit nicht unzulässig erweitert.
107
c) Auch der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 4 geht nicht über den Inhalt der MB-Ni03 hinaus.
108
aa) Patenanspruch 4 unterscheidet sich in seiner erteilten Fassung zwar von der ursprünglichen Fassung dadurch, dass anstelle des Wortlauts „die Permanentmagneten des Paares direkt an den Greiferarmen angeordnet sind“ die Formulierung (Unterstreichung hinzugefügt) „von den Permanentmagneten des Paares jeweils einer direkt an einem Greiferarm […] angeordnet ist“ getreten ist; jedoch ist die Ausgestaltung nach Anspruch 4 in den Anmeldeunterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart.
109
Das Merkmal M4.1.1 ist zumindest in der Zeichnung der MB-Ni03 offenbart. Denn den Figuren 7 und 8 entnimmt der Fachmann unmittelbar und eindeutig, dass die Permanentmagnete P1, P2, die als Paar vorgesehen sind (MB-Ni03, Seite 12, Zeilen 4, 5), jeweils an einem Greiferarm angeordnet sind.
110
Auch die Angabe in MB-Ni03, Seite 12, Zeile 3 bis 5, wonach „an den Innenseiten der Greiferarme 7 […] Permanentmagneten P1, P2 als Paar vorgesehen [sind], die einander abstoßen“ impliziert dies in Verbindung mit dem ursprünglichen Patentanspruch 1, gemäß dem die zwei Greiferarme 7 in Richtung zur Greifstellung oder zur Freigabestellung durch ein Paar einander abstoßender Permanentmagneten P1, P2 federnd beaufschlagt sind. Für den Fachmann müssen die einander abstoßenden Permanentmagnete P1, P2 des Paares an jeweils einem Greiferarm angeordnet sein, damit sie die Greiferarme 7 federnd beaufschlagen können.
111
bb) Die durch das Streichen des Begriffs „vorzugsweise“ erfolgte Umwandlung des ursprünglich fakultativen Merkmals in ein notwendiges Merkmal stellt eine grundsätzlich zulässige Beschränkung durch ein ursprünglich offenbartes Merkmal dar.
112
d) Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 5 geht ebenfalls nicht über den Inhalt der MB-Ni03 hinaus.
113
Die MB-Ni03 offenbart in Patentanspruch 12, der sich auf Patentanspruch 11 rückbezieht und damit eine Ausgestaltung eines gesteuerten Klammergreifers mit in Freigabestellung wirkenden Permanentmagneten betrifft, einen Klammergreifer, bei dem „jeder Permanentmagnet (P1, P2) zylindrisch und in einem Kapselgehäuse (12) geborgen ist, das mit einem Haltefuß (18) in einer Aufnahme (19) an der Innenseite des Greiferarms (7) sitzt“.
114
Das in den erteilten Patentanspruch 5 nicht aufgenommene Merkmal, wonach das Kapselgehäuse mit einem Haltefuß in einer Aufnahme an der Innenseite des Greiferarms sitzt, steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den übrigen Merkmalen des ursprünglichen Anspruchs 12, so dass hier keine unzulässige Verallgemeinerung vorliegt; zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf obige Ausführungen zur Zulässigkeit des Patentanspruchs 1, Merkmal 1.2.2, verwiesen.
115
Da sich der ursprüngliche Anspruch 12 über den ursprünglichen Anspruch 11 auf den ursprünglichen Anspruch 3 rückbeziehen kann, ist die Ausgestaltung des Klammergreifers nach dem erteilten Patentanspruch 5 in der MB-Ni03 als zur angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar.
116
2. Die in den angegriffenen Patentansprüchen 1, 3, 4 und 5 des Streitpatents unter Schutz gestellte Erfindung ist so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
117
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin steht das Merkmal M1.2 des Anspruchs 1 nicht in Widerspruch zur Beschreibung.
118
Nach Merkmal M1.2 muss der Klammergreifer zwei Greiferarme aufweisen, wobei jeder Greiferarm einen Greifbereich aufweist. Der „Greifbereich“ ist im erteilten Patentanspruch 1 nicht weiter definiert. In der Beschreibung der Streitpatentschrift findet sich in Abs. [0005] die Angabe „in der Nähe des Greifbereichs, d. h. nahe bei den ergriffenen Behältern“ sowie in Abs. [0014] die Angabe „nahe dem Greifbereich der Greiferarme, d. h. nahe dem ergriffenen Behälter“. Damit wird in der Beschreibung der Streitpatentschrift der Greifbereich als der Bereich eines Greiferarms, der die Behälter greift, definiert.
119
Soweit die Klägerin argumentiert, dass der „Greifbereich als räumliche, territoriale Erstreckung zwischen den Greiferarmen“ zu sehen sei und hierzu auf Seite 5, Abs. 3 der MB-Ni03 verweist, wonach „der Behälter, z.B. der Hals einer Flasche, in den Greifbereich eingebracht oder aus diesem herausgeführt worden ist“, dürfte ihr nicht zu folgen sein.
120
Denn der möglicherweise in Widerspruch zum erteilten Patentanspruch 1 stehende Beschreibungsteil findet sich ausschließlich in der ursprünglichen Patentanmeldung (MB-Ni03), nicht jedoch in der Streitpatentschrift. Die streitpatentgemäße Erfindung dürfte aber auch zum Zeitpunkt der Anmeldung ausführbar gewesen sein. Die patentierte Erfindung betrifft nach dem erteilten Patentanspruch einen „Klammergreifer“ mit Greiferarmen, die zwischen einer Greifstellung und einer Freigabestellung durch einen Steuernocken mechanisch gesteuert schwenkbar sind und in Richtung zur Freigabestellung durch einen Kraftspeicher federnd beaufschlagt sind“.
121
Der behauptete widersprüchliche Beschreibungsteil auf Seite 2, Abs. 3 der MB-Ni03 bezieht sich auf eine „zweckmäßige Ausführungsform eines ungesteuerten Klammergreifers, der beispielsweise vom Behälter selbst geöffnet wird und dessen Greiferarme durch die Permanentmagneten in Richtung zur Greifstellung beaufschlagt werden“, und bei der „die Permanentmagneten an starren Verlängerungen der Greiferarme angeordnet“ sind, vgl. MB-Ni03, Seite 5, zweiter Abs. (Unterstreichung hinzugefügt). Ein ungesteuerter Klammergreifer, auf den sich der Beschreibungsteil auf Seite 3, Abs. 2 bezieht, stellt jedoch keine Ausführungsform dar, die unter einen erfindungsgemäßen Klammergreifer mit mechanisch gesteuerten Greiferarmen fällt.
122
b) Ausgehend von der obigen Auslegung (Ziffer I.3.b)bb)) ist die Ausführbarkeit des Anspruchs 4 ohne weiteres gegeben.
123
3. Der Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1 ist nicht patentfähig, da er durch die Gebrauchsmusterschrift MB-Ni06 (DE 299 15 927 U1) i.V.m. der Druckschrift MB-Ni07 (JP 2000-255736A) nahegelegt ist.
124
a) Aus der MB-Ni06 ist ein Flaschengreifer bekannt. Ein Ausführungsbeispiel zeigt die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 der MB-Ni06:
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
125
(MB-Ni06: Fig. 1)
126
Dieser Flaschengreifer weist – in der Terminologie des angegriffenen Patentanspruchs 1, wobei Originalzitate aus der genannten Druckschrift nachfolgend durch kursive Schrift hervorgehoben sind – Folgendes auf:
127
M1.1 Klammergreifer (S. 6 vorletzter Abs.: Flaschengreifer F, Fig. 1) für ein Gefäß-Transportsystem, insbesondere für ein Flaschen-Transportsystem (S. 13 Anspr. 1: insbesondere für eine Flaschen-Transportvorrichtung),
128
M1.2 mit zwei je einen Greifbereich (S. 6 vorletzter Abs.: Greifende 1, Fig. 1) aufweisenden Greiferarmen (S. 6 vorletzter Abs.: zwei Greifarme G, Fig. 1),
129
M1.2.1 die um eine oder um zwei Achsen (S. 6 vorletzter Abs.: Achse 3, Fig. 1) zwischen einer Greifstellung (S. 6 vorletzter Abs.: Greifstellung, Fig. 1) und einer Freigabestellung (S. 6 vorletzter Abs.: in Öffnungsrichtung, Fig. 1)
130
M1.2.2 durch einen Steuernocken (S. 7 oberster Abs.: Steuernocken S, Fig. 1) mechanisch gesteuert schwenkbar (S. 7 oberster Abs.: Betätigungsnocken B […], um die Greifarme G in die gezeigte Greifstellung zu bewegen. Der Betätigungsnocken B wird mittels eines Steuernockens S um eine Achse 8 verdreht, Fig. 1) und
131
M1.2.3 in Richtung zur Freigabestellung durch einen Kraftspeicher (S. 6 vorletzter Abs.: Federeinrichtung 4, Fig. 1) federnd beaufschlagt sind (S. 6 vorletzter Abs.: Federeinrichtung 4 spannt die Greifarme G in Öffnungsrichtung […] vor, Fig. 1).
132
Die Federeinrichtung 4 wird in der Beschreibung der MB-Ni06 nicht weiter spezifiziert. Die Ni06 nennt als Kraftspeicher eine Federeinrichtung, was eine mechanische Feder impliziert. Der Fachmann kann der in den Figuren 1 und 2 dargestellten Kontur der Federeinrichtung 4 möglicherweise entnehmen, dass diese als Gummielement ausgestaltet ist. Jedenfalls geht aber aus der MB-Ni06 nicht das Merkmal M1.3 hervor, wonach der Kraftspeicher Permanentmagnete aufweist.
133
b) Die Schrift MB-Ni06 betrifft somit einen gattungsgemäßen Klammergreifer, der sich lediglich durch das Merkmal M1.3, d.h. einem aus zwei sich abstoßenden Magneten gebildeten Kraftspeicher, vom Streitgegenstand unterscheidet.
134
Die – als mechanische, z. B. gummielastische Feder ausgeführte – Federeinrichtung nach MB-Ni06 spannt die Greiferarme in Öffnungsrichtung vor (MB-Ni06 S. 6 unteres Viertel), und ist zwischen den beiden Greiferarmen angeordnet (MB-Ni06 Fig. 1 Pos. G, 4).
135
Aufgrund der dem Fachmann geläufigen Verschleißmöglichkeiten bei mechanischen Federn, insbesondere Abrieb an den Berührungsstellen (durch im Lebensmittelbereich mangelnde oder fehlende Schmierung) und Federbruch (durch im Lebensmittelbereich verwendete aggressive Reinigungsmittel, die zur beschleunigten Korrosion oder chemischen Zersetzung der Feder führen), hat der Fachmann eine Veranlassung, dieses anfällige Bauteil durch ein verschleißfreies Bauteil zu ersetzen.
136
c) Wenn der Fachmann sich im Stand der Technik nach Lösungen hierfür umsieht, wird er auf die MB-Ni07 treffen, die einen zwischen Greiferarmen angeordneten Kraftspeicher offenbart (MB-Ni07a Abs. [0016]: „biasing member for biasing the pair of lever members“; Fig. 5, 7 Pos. E20). In der Ausgestaltung nach den Figuren 5 und 7 ist diese Feder („biasing member“) als mechanische Zugfeder (MB-Ni07a Abs. [0072]: „tension spring“) ausgeführt. Ausdrücklich ist in der MB-Ni07 angegeben, dass anstelle einer mechanischen Feder als elastisches Element auch Magnete verwendet werden können (MB-Ni07a Abs. [0072]: „Furthermore, […] the biasing member of the holding tool E1 […] configured by the tension spring (spring E20) […], as described above, but it is not limited thereto, […]. For example, […] a configuration in which a biasing force to bias the holding tool E1 is obtained by the repulsive or attractive force of magnets can be used, as the biasing member“).
137
Nach Angabe der MB-Ni07 ermöglichen Magnete gegenüber einer mechanischen Feder ein einfaches, kostengünstiges nachgiebiges Element, das keinen Verschleiß aufweist (MB-Ni07a Abs. [0077]: „In addition, according the configuration where the biasing member obtains the biasing force with the repulsive force or attractive force the magnets, a simple, inexpensive device with no risk of wear can be provided“).
138
Damit erhält der Fachmann aus der MB-Ni07 die Anregung, anstelle einer mechanischen vorspannenden Druckfeder einander abstoßende Magnete zu verwenden, um die angestrebte Wirkung (Verschleißfreiheit) zu erzielen.
139
d) Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt es dabei für den Fachmann kein Hindernis dar, dass die einander abstoßenden Magneten in den Ausführungsbeispielen nach den Fig. 17 und 18 der MB-Ni07 einen Greifer in eine geschlossene Position vorspannen. Denn der Fachmann geht von der Kinematik nach der MB-Ni06 aus, die bereits eine die Greifarme öffnende Druckfeder aufweist. Da er an diesem Aufbau nichts mehr ändern möchte, sucht er lediglich ein Element, das die gleiche Wirkung wie die aus MB-Ni06 bekannte Feder 4 (Druckkraft aufbauen), aber nicht deren Nachteile aufweist. Ein derartiges Element zeigt ihm die MB-Ni07 mit einem federnden Element, das die Federkraft durch abstoßende Magnete erzeugt (MB-Ni07a Abs. [0077]: „In addition, according the configuration where the biasing member obtains the
or attractive force the magnets, a simple, inexpensive device with
can be provided“, Unterstreichungen hinzugefügt; vgl. auch MB-Ni07a Abs. [0085], [0020]), wobei es für den Fachmann unerheblich ist, in welchem kinematischen Zusammenhang diese abstoßenden Magnete verbaut sind.
140
e) Auch ist die Beklagte der Meinung, der Fachmann würde einander abstoßende Permanentmagnete nicht als Ersatz für eine mechanische Druckfeder heranziehen.
141
Der Fachmann wisse, dass die von einem Magneten auf einen anderen magnetischen Dipol ausgeübte Kraft zur vierten Potenz mit dem Abstand sinke, während die Rückstellkraft eines mechanischen Federelements proportional zum Abstand sei. Dies bedeute, dass sich bei einer Verdoppelung des Abstandes die Kraft, die die Magnete aufeinander ausüben, auf 1/16 reduziert. Andersrum werde bei Halbieren des Abstandes zwischen zwei Magneten die Kraft um das 16-fache größer. Somit werde durch die Verwendung von Magneten eine völlig andere Kraftwirkung erreicht, als über die Verwendung eines Federelements bewirkt werden könnte.
142
Auch aus diesem Grund würde eine Anwendung der Lehre der MB-Ni07 auf die Lehre der MB-Ni06 ein künstliches Herausgreifen von Merkmalen aus ihrem technischen Zusammenhang, in dem sie in der MB-Ni07 offenbart sind, und ein Implementieren in einem völlig anderen technischen Zusammenhang erfordern.
143
Dies ist im vorliegenden Fall nicht zutreffend.
144
Denn die in der MB-Ni06 offenbarte Federeinrichtung spannt die zwei Greifarme in Öffnungsrichtung vor (MB-Ni06 S. 6 unten). Die Federeinrichtung ist also in der Greifstellung (in der MB-Ni06 in Fig. 1 dargestellt) vorgespannt, und bringt in dieser Stellung aus fachmännischer Sicht eine höhere Kraft auf, als in der Freigabestellung (in der MB-Ni06 in Fig. 2 dargestellt).
145
Wenn der Fachmann anstelle der mechanischen Federeinrichtung nach MB-Ni06 zwei einander abstoßende Magnete verwendet, hat er – wie bei der mechanischen Federeinrichtung – in der Greifstellung die höchste Abstoßungskraft durch die Magnete, denn sie haben in der Greifstellung den geringsten Abstand voneinander.
146
Somit ist nicht zu erkennen, warum die andere Kraft-Weg-Charakteristik der Magnete den Fachmann im vorliegenden Fall davon abhalten sollte, ein mechanisches Federelement durch einander abstoßende Magnete zu ersetzen.
147
f) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ergibt sich somit in naheliegender Weise durch den Einsatz eines bekannten Mittels mit bekannten Eigenschaften nach MB-Ni07 bei einer bekannten Vorrichtung nach MB-Ni06 und ist deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend.
148
4. Auch der Gegenstand nach Patentanspruch 4 ist nicht patentfähig.
149
Denn das Vorsehen des Kraftspeichers jeweils direkt an einem Greiferarm gemäß Merkmal M4.1.1 und in etwa der Mitte des Greiferarmes gemäß Merkmal M4.1.2 ist dem Fachmann aus der MB-Ni06 bekannt. Die Fig. 1 der MB-Ni06 zeigt die „Federeinrichtung 4“, die – entsprechend dem oben angegebenen Verständnis des Fachmanns – in etwa der Mitte zwischen dem als Greifbereich fungierenden „Greifende 1“ und der „Achse 3“ und direkt an jeweils einem der „zwei Greifarme G“ angeordnet ist.
150
Damit sind die Merkmale M4.1.1 und M4.1.2 des Patentanspruchs 4 aus der MB-Ni06 bekannt, so dass der Fachmann bei der Übertragung der aus der MB-Ni07 bekannten abstoßenden Magnete auf die „Greifarme“ der MB-Ni06 zwangsläufig, und ohne hierfür erfinderisch tätig werden zu müssen, zum Gegenstand nach Patentanspruch 4 gelangt.
151
5. Hingegen ist der Gegenstand des Patentanspruchs 3 patentfähig.
152
Denn ein Permanentmagnet, der gemäß Merkmal M3.1 in nicht-magnetisches Material eingekapselt ist, also – unter Zugrundelegung des obigen Verständnisses von „eingekapselt“ – vollständig in einem nicht-magnetischen Material eingeschlossen ist, ist, wie der Senat im Einzelnen geprüft hat, aus dem vorliegenden Stand der Technik weder bekannt noch angeregt.
153
a) Die zwischen den Parteien strittige Frage der wirksamen Prioritätsinanspruchnahme kann dahingestellt bleiben. Denn der vorstehend genannte, der Patentfähigkeit des angegriffenen Patentanspruchs 1 entgegenstehende Stand der Technik MB-Ni06 und MB-Ni07 ist vor dem Prioritätstag, den 23. Februar 2005, veröffentlicht worden.
154
Die Druckschrift MB-Ni26 (WO 2006/102983 A2) ist nachangemeldet und nachveröffentlicht, sie nimmt jedoch eine Priorität in Anspruch, die im Prioritätsintervall des Streitpatents liegt. Da die MB-Ni26 die Merkmale der Patentansprüche 3 und 5 – auch nach dem eigenen Vortrag der Klägerin – nicht offenbart, stellt sie aber keinen Stand der Technik nach Art. 139 (2) EPÜ dar und bleibt daher bei der Prüfung der Patentfähigkeit unberücksichtigt.
155
b) Da aus keiner der im Verfahren befindlichen Druckschriften ein Klammergreifer mit dem Merkmal M3.1 bekannt ist, kann auch von keiner dieser Entgegenhaltungen für sich oder in beliebiger Kombination untereinander eine Anregung zu diesem Merkmal ausgehen.
156
aa) Auch der Umstand, dass einem anspruchsgemäßen Klammergreifer keine schwer zu überwindenden technischen Hindernisse im Weg standen, rechtfertigt nicht die Annahme, dass Merkmal M3.1 nahegelegen habe. Denn auch dann hätte das Bekannte dem Fachmann Anlass oder Anregung geben müssen, um zu der erfindungsgemäßen Lösung zu gelangen (vgl. BGH, Urt. v. 22.01.2013 – X ZR 118/11, Tz. 28 m. w. N. – [Werkzeugkupplung]), was hier nicht der Fall ist.
157
bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin kann die Patentfähigkeit des Gegenstands von Patentanspruch 3 auch nicht mit der Begründung verneint werden, die gefundene Lösung habe ihrer Art nach als generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel zum allgemeinen fachmännischen Wissen gehört und Anlass für die Heranziehung dieser Lösung habe bereits deshalb bestanden, weil die Nutzung im konkreten Zusammenhang funktional objektiv zweckmäßig sei und aus fachlicher Sicht nichts gegen eine Anwendung im konkreten Fall spreche (BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 – X ZR 58/19, LS, Rn. 47 – Führungsschienenanordnung).
158
Es sind – wie oben ausgeführt – keine Hinweise oder Anregungen im Stand der Technik zu erkennen, die dem Fachmann eine Lösung entsprechend dem Merkmal des angegriffenen Patentanspruchs 3, also dass jeder Permanentmagnet in nicht-magnetisches Material eingekapselt ist, gaben. Für darüberhinausgehende allgemeine und fachspezifische Kenntnisse und Erfahrungen des Fachmanns, auf Grund derer sich dieser Lösungsweg dem Fachmann als naheliegend erwiesen hätte, ist ebenfalls nichts ersichtlich. Denn der Stand der Technik, wie ihn u. a. die hier vorliegenden 23 Entgegenhaltungen widerspiegeln, ist – wenngleich aus den vorgenannten Entgegenhaltungen alle Einzelmerkmale des Klammergreifers nach Patentanspruch 3 vorweggenommen sind – vielmehr davon geprägt, Permanentmagnete in Bauteile einzubetten, nicht jedoch zusätzlich in ein nicht-magnetisches Material einzukapseln.
159
c) Die Klägerin vertritt die Auffassung, aus dem Stand der Technik sei eine Einkapselung von Permanentmagneten bekannt (MB-Ni07a: Abs. [0074], [0075]; MB-Ni09: Sp. 8, Z. 7 – 8; MB-Ni22: Sp. 3, Z. 38, Fig. 2a), oder i. V. m. dem Fachwissen, dass Permanentmagnete spröde seien und zum Splittern neigten, nahegelegt.
160
aa) Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Denn die MB-Ni07a und die MB-Ni09 beschreiben jeweils eine Einbettung und keine Einkapselung. Bei einer Einbettung ist ein Permanentmagnet nur soweit von einem – möglicherweise nicht-magnetischen – Material umgeben, dass er in dieses eingelegt werden kann, also zumindest eine Seite des Magneten nicht von dem Material umgeben ist, sondern offen bleibt. Hingegen soll nach Patentanspruch 3 des Streitpatents der Permanentmagnet in ein nicht-magnetisches Material eingekapselt sein, also – nach dem oben erläuterten fachmännischen Verständnis – vollständig von diesem umgeben sein.
161
bb) Ob die Druckschrift MB-Ni22 eingekapselte Magnete offenbart, kann dahingestellt bleiben. Denn die MB-Ni22 betrifft keinen Klammergreifer für ein Gefäßtransportsystem, sondern das Greifen von Wafern oder anderen leichtgewichtigen Trägern (MB-Ni22 Sp. 1 Z. 17 – 18: wafer (or a similar lightweight substrate)). Im Ergebnis beschreibt die MB-Ni22 eine vom Stand der Technik nach MB-Ni06 oder MB-Ni07 entfernt liegende technische Lösung für eine andere Aufgabe, so dass der Fachmann ausgehend von der MB-Ni06 und der MB-Ni07 die Druckschrift MB-Ni22 gar nicht berücksichtigen wird. Selbst wenn der Fachmann die MB-Ni22 in Betracht ziehen würde, ist kein Grund ersichtlich, weshalb er die lediglich schematisch in Fig. 2 dargestellte Einkapselung der Magnete nach MB-Ni22 auch auf Klammergreifer nach MB-Ni06 und MB-Ni07 übertragen sollte. Denn in der MB-Ni22 wird die Einkapselung lediglich in Sp. 3, Z. 38 i. V. m. der Fig. 2a genannt, jedoch werden keine Vorteile einer Einkapselung von Permanentmagneten erwähnt.
162
d) Die weiteren, im Verfahren befindlichen Druckschriften liegen vom Gegenstand des Patentanspruchs 3 weiter ab. Sie offenbaren nichts, was zusätzlich in Richtung der Erfindung gemäß Patentanspruch 3 wiese; auch die Klägerin macht insoweit nichts geltend. Diese Schriften bedürfen daher keiner weiteren Erörterung (vgl. BGH, Urt. v. 07.11.2000 – X ZR 145/98, GRUR 2001, 232 (II.1.c)) – Brieflocher).
163
6. Der Patentanspruch 5 wird aufgrund des Rückbezugs auf Patentanspruch 3 von diesem getragen.
III.
164
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Senat bemisst das Unterliegen der Beklagten durch die Beschränkung des Streitpatents im Umfang der Ansprüche 1 und 4 gegenüber der erteilten Fassung mit 75 %. Dies rechtfertigt die ausgeurteilte Kostenverteilung.
165
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.


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