Patent- und Markenrecht

5 Ni 33/20 (EP)

Aktenzeichen  5 Ni 33/20 (EP)

Datum:
2.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2022:020222U5Ni33.20EP.0
Spruchkörper:
5. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 2 137 923
(DE 60 2008 010 263)
hat der 5. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 2. Februar 2022 durch den Vorsitzenden Richter Voit, die Richterin Werner M. A. sowie die Richter Dipl.-Ing. Albertshofer, Dipl.-Phys. Univ. Bieringer und Dr.-Ing. Ball
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 2 137 923 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der angegriffenen Patentansprüche 1, 6, 8, 10, 15 und 16 teilweise für nichtig erklärt, soweit es über folgende Fassung hinausgeht:
1. A communication device (13, 140), comprising:
an encoder (21) configured to progressively encode media on the communication device as the media is created;
a storage or memory element (146) configured to progressively and persistently store the encoded media on the communication device as the media is created;
a transmitter (26j) configured to progressively transmit the encoded media over a network (14, 18) from the communication device to a second communication device as the media is created without an established connection over the network between the communication device and the second communication device;
a receiver (28d) configured to progressively receive media from the second communication device over the network at the communication device as the media is available without an established connection over the network between the communication device and the second communication device;
the storage or memory element (146) further configured to progressively and persistently store the received media as the received media is progressively being received over the network at the communication device; and
a rendering element (21) configured to progressively render the received media as the received media is being received over the network in a real-time rendering mode ; and
a render control element configured to control the rendering element (21) to either:
(i) progressively render the received media as the received media is being received over the network in the real-time rendering mode; or
(ii) progressively render the received media retrieved from the storage or memory element (146) in a time-shifted mode; and
(iii) transition the rendering of the received media between the time-shifted mode and the real time mode; and
wherein the media comprises video or video and one or more of the following types of media: voice, text, sensor data, radio signals position or GPS information, or a combination thereof.
8. The device of any of the preceding claims, wherein the rendering element (21) is further configured to render the media using one of a plurality of rendering options, the rendering options including one or more of the following: pause, replay, play faster, play slower, jump backward, jump forward, skip silence, catch up to the most recently received media, or jump to the most recently received media.
15. The device of any of the preceding claims 1 through 13, wherein the transmitter (26j) is further configured to:
(i) ascertain if the communication device is disconnected from the network, wherein disconnected from the network is defined as the inability to transmit data from the communication device over the network;
(ii) delay the progressive transmission of encoded media created when the communication device is disconnected from the network; and
(iii) progressively transmit from the storage or memory element the encoded media created when the communication device was disconnected from the network after the communication device reconnects to the network and the network capabilities are sufficient to support the transmission.
16. A computer readable medium bearing an application executable by a data processor (142) of a communication device (140) to configure the communication device to provide a communication device according to any of claims 1 to 15.
II.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin ein Viertel und die Beklagte drei Viertel.
IV.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Beklagte ist Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 137 923 (Streitpatent), das der am 27. Mai 2008 eingereichten internationalen Patentanmeldung PCT/US2008/064902 (Offenlegungsschrift WO 2009/005913 A1) entstammt und welches die Prioritäten von drei vorläufigen amerikanischen Patentanmeldungen, nämlich US 937552 P mit Anmeldetag vom 28. Juni 2007, US 999619 P mit Anmeldetag vom 19. Oktober 2007 und US 028400 mit Anmeldetag vom 8. Februar 2008, in Anspruch nimmt. Der Hinweis auf Erteilung des Streitpatents ist am 05. Oktober 2011 veröffentlicht.
2
Das in englischer Sprache gefasste Streitpatent ist in Kraft und wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 60 2008 010 263.7 geführt. Es trägt die Bezeichnung
3
„Multimedia communications device“
4
(auf Deutsch laut Streitpatent:
5
„Vorrichtung zur Multimediakommunikation“)
6
und umfasst in der erteilten Fassung sechzehn Patentansprüche, die die Klägerin mit der am 27. August 2020 eingereichten und mit Schriftsatz vom 9. April 2021 erweiterten Nichtigkeitsklage im Umfang der Patentansprüche 1, 6, 8, 10, 15 und 16 teilweise angegriffen hat.
7
Der erteilte unabhängige Patentanspruch 1 und der nebengeordneten Patentanspruch 16 lauten gemäß Streitpatentschrift:
8
Die Patentansprüche 6, 8, 10, und 15 sind unmittelbar oder mittelbar rückbezogen auf Patentanspruch 1; wegen ihres Wortlauts wird auf die Akte verwiesen.
9
Die Klägerin ist der Ansicht, das Streitpatent sei wegen des Nichtigkeitsgrunds der mangelnden Patentfähigkeit, mangelnder Neuheit und insbesondere mangelnder erfinderischer Tätigkeit, für nichtig zu erklären.
10
Den Einwand der fehlenden Patentfähigkeit stützt sie auf die Dokumente (Nummerierung und Kurzzeichen nach Klägerin):
11
K5 WO 2006/121550 A2 („Atarius“)
12
K6 US 2006/0003740 A1 („Munje“)
13
K7 US 2004/0119814 A1 („Clisham“)
14
K8 US 2002/0073205 A1 („Mostafa“)
15
K9 US 2004/0013192 A1 („Kennedy“)
16
K10 US 2007/0004391 A1 („Maffeis“)
17
K11 WO 2004/031976 A1 („Kirkpatrick“)
18
K13 US 2006/0085515 A1 („Kurtz“)
19
K14 US 2006/0277254 A1 („Kenoyer“)
20
K16 Anlagenkonvolut zu „Offline-Nachrichten bei Instant Messaging Systemen“, umfassend Wikipedia AIM (software) vom 26. Juni 2007, Wikipedia Windows Live Messenger vom 27. Juni 2007, Wikipedia ICQ vom 24. Juni 2007 und Wikipedia Yahoo! Messenger vom 27. Juni 2007.
21
K17 Anlagenkonvolut zu „Push to talk over Cellular (PoC)“, umfassend OMA-AD_PoC-V1_0-20050805-C vom 5. August 2005, draft-allen-sipping-poc-p-headers-00 vom 17. November 2004 und draft-allen-sipping-poc-p-answer-state-header-03 vom 7. April 2006, und US 6 865398 B2 („Mangal“).
22
K18 Anlagenkonvolut zu „Speicherkapazität Mobiltelefone“, umfassend Nokia 9110i Communicator aus 1999 und Apple iPhone aus 2007.“
23
K19 Bradley, E.; „What MMS message size limits must be adhered to?“, Auszug aus dem Internet [URL: https://support.bandwidth.com], heruntergeladen am 07. Juli 2021.
24
K20 Anlagenkonvolut zu „Push to talk over Cellular Release 2“, umfassend OMA-WID_0098-PoC_Rel2-V1_0-20040907-A vom 7. September 2004 und OMA-RD-PoC-V2_020060523-C vom 23. Mai 2006.
25
K21 Auszug von der Internetseite Open Mobile Alliance vom 10. Dezember 2021
26
K22 Push to talk over Cellular (PoC) – Architecture, Approved Version 1.0 – 9. Juni 2006
27
K23 Push to talk over Cellular 2 Requirements, Approved Version 2.0 – 2. August 2011
28
Die Klägerin beantragt, nachdem sie mit ihrer Klage vom 27. August 2020 zunächst die Nichtigerklärung des Streitpatents im Umfang der Patentansprüche 1, 10, 15 und 16 angestrebt hat und diesen Angriff mit Schriftsatz vom 9. April 2021 um die Patentansprüche 6 und 8 erweitert hat,
29
das europäische Patent 2 137 923 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1, 6, 8, 10, 15 und 16 für nichtig zu erklären.
30
Die Beklagte beantragt,
31
die Klage abzuweisen,
32
hilfsweise, einschließlich der zuletzt in der mündlichen Verhandlung gestellten weiteren Hilfsanträge „3 neu“ und „4 neu“ die Klage abzuweisen,
33
soweit sie sich auch gegen eine der Fassungen des Streitpatents nach den Hilfsanträgen 3 neu, 4 neu, 1 neu, 1‘, 1a, 1a‘, 2, 2‘, 2a, 2a‘, 3, 3‘, 3a, 3a‘, 4, 4‘, 4a oder 4a’ richtet,
34
wobei das Streitpatent in den Hilfsanträgen mit der Maßgabe verteidigt wird, dass sich die angegriffenen abhängigen Ansprüche 8, 15 und 16 jeweils auf die geänderten Patentansprüche 1 rückbeziehen, die Merkmale der weiteren angegriffenen abhängigen Ansprüche 6 und 10 insoweit in den geänderten Patentansprüchen 1 aufgenommen sind, die Anträge in der genannten Reihenfolge geprüft werden sollen und alle Anträge als geschlossene Anspruchsätze gestellt sind.
35
Wegen des Wortlauts des Hilfsantrags „3 neu“ wird auf den Urteilstenor Bezug genommen. Wegen des Wortlauts der Ansprüche nach den weiteren Hilfsanträgen wird auf die Akte verwiesen.
36
Die Beklagte tritt der Argumentation der Klägerin in allen Punkten entgegen, hält die Klageerweiterung für unzulässig, das Streitpatent in der erteilten Fassung nicht für unzulässig erweitert und den Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung, jedenfalls in der Fassung eines der Hilfsanträge, für schutzfähig.
37
Der Senat hat den Parteien einen qualifizierten Hinweis vom 14. Oktober 2021 zugeleitet und hierin Fristen zur Stellungnahme auf den Hinweis und auf etwaiges Vorbringen der jeweiligen Gegenpartei gesetzt.
38
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2022 sowie den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.
39
Die zulässige Klage hat in der Sache nur teilweise Erfolg, und zwar hinsichtlich der angegriffenen Patentansprüche 1, 6, 8, 10, 15 und 16 in der erteilten Fassung des Streitpatents. Denn insoweit ist jedenfalls der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Art. 52, 54, 56 EPÜ gegeben.
40
In der Fassung nach dem Hilfsantrag „3 neu“ erweist sich das Streitpatent in den angegriffenen Patentansprüchen 1, 6, 8, 10, 15 und 16 hingegen als schutzfähig, so dass die Klage, soweit sie sich auch gegen diese Fassung richtet, teilweise abzuweisen ist. Auf die Frage, ob das Streitpatent auch in der Fassung nach den weiteren Hilfsanträgen Bestand hätte, kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an.
41
I. Zum Gegenstand des Streitpatents
42
1. Der Gegenstand des Streitpatents (Anlage K2) betrifft ein Telekommunikations- und Multimedia-Verwaltungsverfahrenund -gerät, die es Benutzern ermöglichen, die Nachrichten von Konversationen entweder in einem Live-Modus („live mode“) oder einem zeitversetzten Modus („time-shifted mode“) zu überprüfen („to review“), während einer Konversation zwischen den beiden Modi hin und her zu wechseln, an mehreren Konversationen gleichzeitig teilzunehmen und die Nachrichten von Konversationen zur späteren Überprüfung oder Verarbeitung zu archivieren (vgl. K2, Abs. [0001]).
43
Das Streitpatent geht in seiner Beschreibungseinleitung zunächst davon aus, dass es bei Sprachkommunikationssystemen, wie bspw. bei Telefonie notwendig sei, einen Anruf entgegenzunehmen, um überhaupt erst eine Konversation betreiben zu können (vgl. K2, Abs. [0002], „a full-duplex, synchronous conversation“). Im Unterschied dazu seien „Voice mail“-Systeme bekannt, die es erlauben, eine Nachricht zu hinterlassen, wenn der Empfänger den Anruf nicht entgegennimmt (K2, Abs. [0003], „one-way asynchronous voice message“). Allerdings werde die Nachricht bei „Voice mail“-Systemen üblicherweise nach dem Abhören gelöscht und bei „normalen“ Telefonaten gar nicht erst gespeichert (vgl. K2, Abs. [0004] bis [0006]). Bei bekannten Textkommunikationssystemen, wie bspw. Instant Messaging oder E-Mail finde teilweise zwar eine Archivierung von Text-, jedoch nicht von Sprachnachrichten statt (vgl. K2, Abs. [0007]). Bei sogenannten taktischen Kommunikationssystemen, die im Bereich von Militär, Feuerwehr, Polizei, Rettungsteams, etc. Verwendung finden, wäre stets eine funktionierende Radio-Verbindung nötig und verpasste Nachrichten seien unwiderruflich verloren. Darüber hinaus gäbe es weder auf der Sende- noch auf der Empfangsseite geeignete Werkzeuge zum Verwalten, Priorisieren und Archivieren von Nachrichten bzw. ganzen Konversationen (vgl. K2, Abs. [0010] bis [0013]).
44
Als eine mögliche Lösungsmöglichkeit bei fehlender Priorisierung von Nachrichten werde bisher insbesondere die Nutzung von mehreren parallelen Kanälen angewendet, was allerdings eine effiziente Team-Kommunikation erschwere, da die relevanten Kanäle den Teammitgliedern bekannt sein müssten und zwischen den Kanälen umgeschaltet werden müsste (vgl. K2, Abs. [0012]).
45
Die paketbasierten Netzwerke basierten im Allgemeinen entweder auf dem UDP- oder dem TCP-Protokoll. UDP offeriere eine schnelle Datenübertragung auf Kosten einer Datensicherung, so dass insbesondere die Vollständigkeit einer Datenübertragung nicht gewährleistet werden könne, wohingegen TCP eine fehlerfreie Übertragung garantiere, allerdings auf Kosten der Latenz. Die VoIP-Sprachübertragung verwende daher UDP, da es auf eine schnelle und verzögerungsfreie Kommunikation ankomme (vgl. K2, Abs. [0014]).
46
Derzeit gebe es jedoch keine bekannten Protokolle, welche die Vorzüge der sicheren Datenübertragung mittels TCP und der Schnelligkeit von UDP in sich vereinigten und Medien mit zumindest ausreichender Qualität („good enough“) übertragen könnten. Darüber hinaus fehle ein Protokoll, welches die zu übertragende Informationsmenge bestimmen würde in Abhängigkeit der Verfügbarkeit von Teilnehmern und ggf. deren Echtzeit-Anforderungen, den vorherrschenden Netzwerkbedingungen sowie der verfügbaren Bandbreite. Die bekannten Telefon-, Voicemail- und taktische Sprachkommunikationssysteme gemäß dem Stand der Technik würden somit unnötig Bandbreite verschwenden und die Gesamtperformance des Netzwerks degradieren (vgl. K2, Abs. [0014]).
47
2. Da aus den oben genannten Gründen Telefon-, Voicemail- und taktische Sprachkommunikationssysteme unzureichend sind, liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, ein verbessertes Sprach- und Medienkommunikations- und Verwaltungssystem und -verfahren sowie Verbesserungen bei der Bereitstellung von Sprache und anderen Medien über paketbasierte Netze bereitzustellen (vgl. K2, Abs. [0015]).
48
Diese Aufgabe soll mit einer Kommunikationsvorrichtung – im Folgenden auch als Kommunikationsgerät bezeichnet – nach Anspruch 1 gelöst werden, wobei der Anspruch sich wie folgt gliedern lässt:
49
3. Als zuständigen Fachmann sieht der Senat einen Fachmann auf dem Gebiet der Informations- und Nachrichtentechnik, wie zum Beispiel Computernetzwerke und verteilte Systeme. Er verfügt über einschlägige Kenntnisse auf dem Gebiet der Nachrichtenübermittlung und der multimedialen Kommunikation, insbesondere der gängigen Datenübertragungs- und Nachrichtenverfahren zwischen elektronischen Geräten sowie den gängigen Speicherarchitekturen in diesem Bereich. Typischerweise besitzt er einen Bachelor-Abschluss im Fachgebiet Informatik, Elektrotechnik oder einen gleichwertigen Abschluss.
50
4. Dieser Fachmann versteht die Lehre des Streitpatents und die Merkmale der nach Patentanspruch 1 beanspruchten Vorrichtung („device“) wie folgt:
51
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 betrifft eine Kommunikationsvorrichtung („communication device”; Merkmal D1). Dabei kann es sich beispielsweise um einen tragbaren Computer, ein programmierbares Telefon oder jegliches programmierbares Kommunikationsgerät handeln (vgl. K2, Absatz [0043]).
52
Die Kommunikationsvorrichtung weist auf:
53
– einen Kodierer („encoder“; Merkmal D1.1),
54
– ein Speicherelement („storage or memory element“; Merkmal D1.2),
55
– einen Sender („transmitter“; Merkmal D1.3),
56
– einen Empfänger („receiver“; Merkmal D1.4) und
57
– ein Renderelement („rendering element“; Merkmal D1.6).
58
Der Kodierer aus Merkmal D1.1 ist konfiguriert, um Medien („media“) im Zuge ihrer Erzeugung auf der Kommunikationsvorrichtung fortschreitend nach und nach zu kodieren („progressively encode“). Als Beispiel für Medien nennt das Streitpatent Audio, Video, Text, position, sensor readings (vgl. K2, Abs. [0046]). Unter Kodieren („encoding“) versteht das Streitpatent das Übersetzen von erfassten Audio- oder Video-Daten mit der Kommunikationsvorrichtung in digitale Daten, die von einem Klienten verarbeitet werden können (vgl. K2, Absatz [0063], „Encoding“).
59
Das Speicherelement aus Merkmal D1.2 ist konfiguriert, um die erzeugten Medien im Zuge ihrer Erzeugung fortschreitend und dauerhaft zu speichern („to progressively and persistently store“).
60
Gemäß Merkmal D1.3 sendet der Sender („transmitter“) der Kommunikationsvorrichtung die Medien fortschreitend über ein Netzwerk, während die Medien erzeugt werden („configured to progressively transmit the encoded media over a network“). An wen bzw. an welches Gerät die Medien gesendet werden, lässt der Anspruch offen.
61
Neben dem Sender umfasst die Kommunikationsvorrichtung auch einen Empfänger („receiver“), der konfiguriert ist, um Medien fortschreitend nach und nach („progressively“) zu empfangen, sobald diese verfügbar sind (Merkmal D1.4). Analog zu den gesendeten Medien sollen auch die empfangenen Medien fortschreitend und dauerhaft in dem Speicherelement gespeichert werden (Merkmal D1.5).
62
Als physikalische Speichermedien nennt das Streitpatent RAM, Flash memory, Festplatten oder optische Medien oder eine Kombination davon (vgl. K2, Abs. [0113], „Many possible implementations exist for the physical storage implementation of the PIMB 30, including, but not limited to: RAM, Flash memory, hard drives, optical media, or some combination thereof. The PIMB 30 is also “infinite” in size, meaning the amount of data that can be stored in the PIMB 30 is not inherently limited. This lack of limit is in comparison to existing jitter buffer technology that discards data as soon as it is rendered. In one specific embodiment, the PIMB 30 may be implemented using a small and relatively fast RAM cache memory coupled with a hard drive for persistent storage.“). Gemäß Streitpatent werden die Daten/Nachrichten in den jeweiligen PIMBs (der Teilnehmer bzw. der Server) mit einer Alterssteuerung bspw. bis zu 30 Tagen gespeichert und werden danach verworfen (vgl. K2, Abs. [0113]), so dass „conversations“ für Sekunden, Minuten, Stunden bzw. mehrere Tage unterbrochen und immer wieder aufgerufen werden können (vgl. K2, Abs. [0036], Punkt (iv)). Aus fachmännischer Sicht gehen dauerhaft gespeicherte Daten – bspw. beim Abschalten einer Kommunikationsvorrichtung – nicht verloren und werden ohne Zustimmung des Nutzers nicht überschrieben. Unter dem dauerhaften Speichern („persistently storing“) versteht der Fachmann daher ein Speichern in einem nicht-volatilen Speichermedium. Darunter fallen beispielsweise Festplatten bzw. Flash-Speicher, die im Gegensatz zu RAM-Bausteinen ihren Speicherinhalt beim Abschalten des Geräts oder bei einem Stromausfall nicht verlieren. Soweit das Streitpatent von einer unendlichen („infinite“) Größe des Speichers spricht, so ist diese natürlich nicht unendlich, sondern nur so groß, dass eine ausreichend große Menge an Daten aus verschiedenen Kommunikationen gespeichert werden kann, und ist somit auf beispielsweise die Festplattengröße begrenzt.
63
Schließlich fordert Merkmal D1.6 ein schrittweises Rendern (Wiedergeben) der Medien („progressively rendering“), während diese über das Netzwerk empfangen werden. Anspruchsgemäß soll das Rendern der Medien in einem Echtzeitmodus erfolgen.
64
Die Kommunikationsvorrichtung gemäß Anspruch 1 zeichnet sich mithin unter anderem dadurch aus, dass sie Medien („media“) sowohl als Sender als auch als Empfänger jeweils fortschreitend („progressively“) verarbeitet (kodiert, speichert und sendet bzw. empfängt, speichert und rendert). Diese fortschreitende Verarbeitung bedeutet aus Sicht des Fachmannes, dass mit dem jeweiligen Verarbeitungsschritt begonnen wird, sobald Medien zur Verarbeitung verfügbar sind, d.h. auf Senderseite wird mit der Verarbeitung einschließlich dem Speichern und Senden begonnen, während die Medien erzeugt werden, und auf Empfängerseite kann die Vorrichtung die Medien speichern und rendern, sobald sie entsprechend fortschreitend empfangen werden. Nicht unter den Wortlaut des Anspruchs fallen daher vollständige Medien, also etwa fertig aufgenommene Videos, die anschließend versendet bzw. erst nach deren vollständigem Empfang angezeigt werden.
65
Soweit die Beklagte der Ansicht ist, dass der Anspruch ausdrücken würde, dass Versand und Empfang von Medien unabhängig voneinander stattfinden, also der Versand nicht davon abhängt, dass zuvor eine synchrone Voll-Duplex-Verbindung zwischen Sender und Empfänger hergestellt wurde und gesendete und empfangene Medien deshalb asynchron seien, wie dies in Absatz [0039] des Streitpatents beschrieben sei, überzeugt dies nicht, da ein derartiges Verständnis in dem Anspruchswortlaut der erteilten Fassung keinen Niederschlag gefunden hat.
66
II. Zur erteilten Fassung (Hauptantrag)
67
Die zulässige Klage hat in der Sache teilweise Erfolg. Das Streitpatent in der erteilten Fassung erweist sich in den angegriffenen Patentansprüchen 1, 6, 8, 10, 15 und 16 als nicht patentfähig, da der Gegenstand des unabhängigen Patentanspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik gemäß den Druckschriften K13, K14, K5 und K7 nicht neu ist (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a), Art. 52, 54 EPÜ).
68
1. Die Klage ist auch zulässig, soweit die Klägerin sie mit Schriftsatz vom 9. April 2021 um die Nichtigerklärung der Patentansprüche 6 und 8 erweitert hat.
69
Zwar handelt es sich hierbei nicht nur um eine Klageerweiterung i. S. d. § 264 Nr. 2 ZPO, sondern nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um eine Klageänderung nach § 263 ZPO (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 20. März 2012 – X ZR 58/09, Rn. 43, sowie Urteil vom 19. Juli 2011 – X ZR 25/09, Rn. 9; Busse/Keukenschrijver, PatG, 9. Aufl., § 82 Rn. 33; Schulte/Voit, PatG, 10. Aufl., § 81 Rn. 70, jeweils m. w. N.).
70
Die erweiterte Klage ist allerdings nach § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 263 ZPO als sachdienlich zuzulassen, weil hierdurch zwischen den Parteien vor dem Hintergrund anhängiger Verletzungsverfahren ein sich aus diesen möglicherweise ergebender weiterer Streit über die Schutzfähigkeit des Streitpatents im angegriffenen Umfang vermieden wird. Zudem hatte die Beklagte vorliegend mit dem Eingang der Klageerweiterung noch vor der Übersendung des gerichtlichen Hinweises vom 14. Oktober 2021 und fast zehn Monate vor der mündlichen Verhandlung ausreichend Zeit zur Vorbereitung ihres Vorbringens auf die Klageerweiterung und das damit verbundene Vorbringen der Klägerin zu den Unteransprüchen.
71
2. Zum Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a), Art. 52, 54, 56 EPÜ).
72
Der Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung ist jeweils nicht neu gegenüber den Druckschriften K13, K14, K5 und K7 (Art. 54 EPÜ).
73
2.1 Zur K13 – US 2006/0085515 A1 („Kurtz“)
74
K13/Kurtz betrifft allgemein eine Instant Messaging (IM) Anwendung, die Audio/Video Sessions in Echtzeit zwischen Kommunikationspartnern auf zwei Computern ermöglicht. Insbesondere beschreibt Kurtz einen Instant Messaging Client mit einer grafischen Benutzeroberfläche (GUI), die eine Vielzahl von erweiterten Nutzeroptionen und -features für Echtzeit-Audio/Video-Sessions bereitstellt (vgl. K13, Abs. [0052] bis [0053]). Ausdrücklich beschrieben werden auch die vom Streitpatent zentral in den Blick genommenen Möglichkeiten des Nutzers, auf die Nachrichten zu einem späteren Zeitpunkt zugreifen und diese verwalten zu können (vgl. K13, Abs. [0064] ff.).
75
K13/Kurtz beschreibt weiterhin, dass diese Nutzeroptionen eine Vielzahl von sogenannten “personal video recorder” (PVR-)Funktionen ermöglichen (vgl. K13, Fig. 10). Dabei entsprechen die unterhalb der Videoansichten (1001) der beiden Kommunikationspartner der Echtzeit-Videosession angezeigten Symbole bzw. der Schieberegler (1010-1014) den PVR-Funktionen. Dadurch ist es einem Teilnehmer, beispielsweise durch Zurückspulen (1012) möglich, von einer Echtzeit-Videosession in einen bereits in der Vergangenheit liegenden Teil der Videosession zu wechseln und diesen Teil anschließend zeitversetzt zur Echtzeit-Videosession anzusehen. Diese (lokalen) Videorekorder-Funktionen ermöglichen somit ein Hin- und Herwechseln zwischen einer Echtzeit-Videosession und einer zeitversetzten Wiedergabe der Videosession (vgl. K13, Abs. [0055] bis [0056]).
76
Im Hinblick auf den geltenden Vorrichtungsanspruch 1 gehen aus der K13/Kurtz alle Merkmale hervor:
77
D1. A communication device (13, 140), comprising:
78
K13/Kurtz beschreibt einen auf einem Computer befindlichen IM-Client, über den Echtzeit-Audio/Videosessions mit einem weiteren Computer durchgeführt werden können (vgl. K13/Kurtz, Abs. [0052]). Mithin zeigt K13/Kurtz ein Kommunikationsgerät („communication device“).
79
D1.1 an encoder (21) configured to progressively encode media on the communication device originating at the communication device as the media is created;
80
K13/Kurtz beschreibt, dass die beiden Computer, mit denen die Echtzeit-Audio/Video-Session durchgeführt wird, mit einer Videokamera und einem Mikrofon ausgestattet sind (vgl. K13, Abs. [0053]). Außerdem beschreibt K13/Kurtz auch sogenannte “codecs”, die dazu dienen, einen Videostrom zu kodieren/dekodieren (vgl. K13, Abs. [0054]). Aus fachmännischer Sicht muss daher ein Kodierer („encoder“) vorhanden sein.
81
Die Kamera des Computers dient zum Erzeugen bzw. Erfassen von Videodaten während einer Echtzeit-Videosession. Damit offenbart K13/Kurtz einen Kodierer auf dem Kommunikationsgerät, der für ein fortlaufendes Kodieren von Medien eingerichtet ist, während diese erzeugt werden.
82
D1.2 a storage or memory element (146) configured to progressively and persistently store the encoded media on the communication device as the media is created;
83
Gemäß K13/Kurtz werden während einer Audio-/Video-Session die Audio- bzw. Video-Daten automatisch gepuffert (vgl. K13, Abs. [0056]). Die Speicherung erfolgt z.B. auf einer Festplatte (vgl. K13, Abs. [0055]). Darüber hinaus offenbart K13/Kurtz in Absatz [0060], dass die entsprechend erfassten Videodaten auch über den Zeitraum der Live-Übertragung hinaus und dauerhaft auf der lokalen Festplatte (und damit auf einem nichtflüchtigen Speichermedium) gespeichert und später an IM-Kontakte (IM=“instant messaging“) übertragen werden können.
84
D1.3
HA
a transmitter (26j) configured to progressively transmit the encoded media over a network (14, 18) from the communication device as the media is created
85
Wie in Absatz [0053] in K13/Kurtz beschrieben, enthält das Videofenster des IM-Clients die Möglichkeit, den Live-Videostrom des lokalen Nutzers sowie den des “buddys”, sprich einem weiteren (entfernten) IM-Nutzer, darzustellen. Hierfür ist ein Transmitter erforderlich, der die Medien (wie es bei einer Echtzeit-Videosession zwischen zwei Nutzern zwingend der Fall ist) während des Erzeugens – und damit fortschreitend – in Form eines ausgehenden Datenstromes über das Netzwerk sendet.
86
D1.4 a receiver (28d) configured to progressively receive media over the network at the communication device as the media is available;
87
K13/Kurtz beschreibt das Durchführen einer Echtzeit-Videosession auf einem Computer mit entsprechendem IM-Client. Explizit beschreibt K13/Kurtz in Absatz [0053], dass dabei auch Videodaten von einem entfernten Teilnehmer (“buddy”) in dem Videofenster der IM-GUI dargestellt werden. Hierzu ist auf dem Kommunikationsgerät ein entsprechend konfigurierter Empfänger erforderlich.
88
D1.5 the storage or memory element (146) further configured to progressively and persistently store the received media as the received media is progressively being received over the network at the communication device; and
89
K13/Kurtz offenbart in den Absätzen [0055] und [0056], dass die Videosessiondaten, die schrittweise empfangen und gerendert werden, lokal gespeichert werden können mit dem Zweck, die bereits gespeicherten Daten erneut wiedergeben zu können. Zudem offenbart K13/Kurtz, dass die unter Verwendung der PVR-Funktionen erfassten Videodaten auch zum späteren Übertragen an andere IM-Kontakte auf der lokalen Festplatte gespeichert werden können (vgl. K13, Absatz [0060]).
90
D1.6 a rendering element (21) configured to progressively render the received media as the received media is being received over the network in a real-time rendering mode.
91
K13/Kurtz beschreibt das Durchführen einer Echtzeit-Videosession auf einem Computer mit entsprechendem IM-Client. Explizit beschreibt K13/Kurtz in Absatz [0053], dass dabei auch Videodaten von einem entfernten Teilnehmer (“buddy”) in dem Videofenster der IM-GUI dargestellt werden.
92
2.2 Zur K14 – US 2006/0277254 A1 („Kenoyer“)
93
K14/Kenoyer beschreibt ein Multikomponenten-Videokonferenzsystem, das u.a. aus einer Kamera, einem Mikrofon, Lautsprechern und einem Kodierer/Dekodierer (“codec”) besteht und als ein Videokonferenz-Endpunkt Verwendung findet (vgl. K14, Abs. [0007]). In Figur 7a der K14 ist ein Multikomponenten-Videokonferenzsystem gemäß einem Ausführungsbeispiel veranschaulicht, bei dem der Kodierer/Dekodierer Bestandteil einer Set-Top-Box 705 ist.
94
Der Videokonferenz-Endpunkt weist eine Speichermöglichkeit mit einem digitalen Videorekorder (DVR) auf, die es Nutzern ermöglicht, zwischen einem zeitversetzten Modus und der Live-Videokonferenz zu wechseln. Im Übrigen beschreibt K14/Kenoyer auch die im Streitpatent beispielhaft genannte Catch-Up-To-Live Funktionalität, die ein nahtloses Hin- und Herwechseln zwischen den beiden Modi darstellt (vgl. K14, Abs. [0072]).
95
Im Hinblick auf den geltenden Vorrichtungsanspruch 1 gehen aus der K14/Kenoyer alle Merkmale hervor:
96
D1. A communication device (13, 140), comprising:
97
K14/Kenoyer beschreibt in Absatz [0007] ein Multikomponenten-Videokonferenzsystem (MCVCS), das eine Kamera, ein Mikrofon, Lautsprecher und einen Kodierer/Dekodierer umfasst und als Videokonferenz-Endpunkt verwendet werden kann.
98
D1.1 an encoder (21) configured to progressively encode media on the communication device originating at the communication device as the media is created;
99
Das MCVCS weist gemäß Absatz [0007] eine Kommunikationsfunktionalität auf, um eine Videokonferenz über ein Netzwerk durchzuführen. Eine Kamera des MCVCS dient zum Erzeugen bzw. Erfassen von Videodaten während einer Videokonferenz und damit einem Kodieren von Medien, während diese erzeugt werden (vgl. K14, Abs. [0051]).
100
D1.2 a storage or memory element (146) configured to progressively and persistently store the encoded media on the communication device as the media is created;
101
K14/Kenoyer beschreibt in einer Ausführungsform in Absatz [0072], dass die SetTop-Box des Multikomponenten-Videokonferenzsystems (MCVCS) eine DVR-Funktionalität (“digital video recorder”) aufweist. Dieser digitale Videorekorder kann die gesamte Konferenz zur Wiedergabe (“playback”) aufzeichnen. Entsprechend, speichert K14/Kenoyer sämtliche bei dem MCVCS ein- und ausgehende Videoströme. Die Speicherung erfolgt dabei – wie sich aus der grundlegenden Eigenschaft einer Live-Videokonferenz ergibt – fortlaufend, während dem Erzeugen der Videodaten mit dem MCVCS.
102
Gemäß K14/Kenoyer dient die Speicherung unter anderem dem Zweck, die Daten zu einem späteren Zeitpunkt wiedergeben zu können (vgl. K14, Abs. [0072], “The DVR may record portions or all of the conference for playback.”), d.h. die Medien werden im Sinne des Streitpatents dauerhaft (“persistently”) gespeichert.
103
D1.3 a transmitter (26j) configured to progressively transmit the encoded media over a network (14, 18) from the communication device as the media is created
104
K14/Kenoyer offenbart, dass die von dem MCVCS erzeugten und kodierten Medien (“video”) im Rahmen einer Videokonferenz über das Übertragungsnetz gesendet werden, während die Medien erzeugt werden (vgl. K14, Abs. [0051]).
105
D1.4 a receiver (28d) configured to progressively receive media over the network at the communication device as the media is available;
106
D1.5 the storage or memory element (146) further configured to progressively and persistently store the received media as the received media is progressively being received over the network at the communication device; and
107
D1.6 a rendering element (21) configured to progressively render the received media as the received media is being received over the network in a real-time rendering mode.
108
Wie bereits zu Merkmal D1.1 bis D1.3 ausgeführt, beschreibt K14/Kenoyer das Durchführen einer Videokonferenz mittels einem MCVCS. Explizit beschreibt K14/Kenoyer in Absatz [0051], dass dabei Videodaten von entfernten Konferenzteilnehmern auf dem Display des MCVCS angezeigt werden. Somit offenbart K14/Kenoyer einen Receiver, der die Daten fortlaufend empfängt (Merkmal D1.4) und ein Renderelement, um den von einem anderen Teilnehmer kommenden Video- und Audiostrom während einer Videokonferenz fortschreitend wiederzugeben (Merkmal D1.6). Gemäß K14/Kenoyer werden auch die empfangenen Daten zu dem Zweck der Wiedergabe zu einem späteren Zeitpunkt gespeichert (vgl. K14, Abs. [0072], “The DVR may record portions or all of the conference for playback.”), d.h. auch die empfangenen Daten/Medien werden im Sinne des Streitpatents dauerhaft (“persistently”) gespeichert (Merkmal D1.5).
109
2.3 Zur K5 – WO 2006/121550 A2 („Atarius“)
110
Die Druckschrift K5/Atarius betrifft das Archivieren von Daten auf einem Kommunikationsgerät, die während einer Session innerhalb eines Drahtlosübertragungsnetzwerks anfallen (vgl. K5, Titel, Abs. [0002]). Unter einer Session versteht K5/Atarius einen Verbund zwischen zwei oder mehr Benutzern und/oder Entitäten, der es den Benutzern und/oder Entitäten ermöglicht, Daten auszutauschen (vgl. K5, Abs. [0027], „As used herein, a session is an association between two or more users
and/or
entities that enables the users and/or entities to exchange data.“, Unterstreichung und Fettschrift hinzugefügt).
111
Als Applikationen, über die die Nutzer Daten austauschen können, nennt K5/Atarius beispielsweise „Instant Messaging (IM), Push-to-Talk (PTT), Push-to-talk Over Cellular (POC), and so on.“ (vgl. K5, Abs. [0024] und Abs. [0026], „A terminal 110 may communicate via a communication network with application server 160 for any application (e.g., IM) supported by the server.“).
112
Bei den während einer Session ausgetauschten Daten kann es sich um Video-, Sprach- oder auch andere Medienarten handeln (vgl. K5, Abs. [0020]).
113
Gemäß K5/Atarius soll erreicht werden, dass der Nutzer eines Terminals/Endgeräts (z.B. ein Mobiltelefon) während oder auch nach Beendigung der Session auf die während der Session angefallenen Daten (vollständig bzw. teilweise) zurückgreifen kann (vgl. K5, Absätze [0005], [0006] und [0020]).
114
Im Hinblick auf den geltenden Vorrichtungsanspruch 1 gehen auch aus der K5/Atarius alle Merkmale hervor:
115
D1. A communication device (13, 140), comprising:
116
K5/Atarius beschreibt, dass ein Endgerät („Terminal“) während einer Session Daten, wie Sprache, Video, Text etc., über ein Übertragungsnetzwerk austauschen kann (vgl. K5, Abs. [0027]). Bei dem “Terminal” kann es sich um ein Mobiltelefon oder dergleichen handeln (vgl. K5, Abs. [0020], „A terminal may be a cellular phone, a personal digital assistant (PDA), a wireless device, a handheld device, a wireless modem, and so on.“) – mithin um eine Kommunikationsvorrichtung im Sinne des Streitpatents.
117
D1.1 an encoder (21) configured to progressively encode media on the communication device originating at the communication device as the media is created;
118
D1.2 a storage or memory element (146) configured to progressively and persistently store the encoded media on the communication device as the media is created;
119
D1.3 a transmitter (26j) configured to progressively transmit the encoded media over a network (14, 18) from the communication device as the media is created
120
K5/Atarius beschreibt in Absatz [0044] (zunächst allgemein), dass die “session data” (Nachrichten/Medien) am Endgerät und/oder im Netzwerk archiviert werden können. Außerdem beschreibt Absatz [0045], dass das Netzwerk Daten in Echtzeit (z.B. Zeile für Zeile im Fall von Text) während einer Session speichert. Entsprechend erfolgt technisch gesehen ein Speichervorgang während der Session auch am Endgerät in fortschreitender Weise in einem Speicherelement, während die Daten erzeugt werden.
121
Gemäß Absatz [0027] der K5/Atarius werden die Daten (z.B. Sprache, Video, Text …) einer Session kontinuierlich ausgetauscht („Session data may be of various types such as voice, video, text, pictures, graphics, messages, and so on. Data may be exchanged continuously (e.g., for voice or video), periodically (e.g., for text), or sporadically (for packet data) during a session.“). In Absatz [0062] der K5/Atarius wird in Verbindung mit der Figur 6 der Sendeablauf auf dem Terminal beschrieben. Demnach werden auf dem Terminal die dort erzeugten und zu sendenden Daten verarbeitet („On the transmit path, data and signaling to be sent by terminal 110 are processed (e.g., formatted, encoded, and interleaved) by an encoder 622 and further processed (e.g., modulated, channelized, and scrambled) by a modulator (Mod) 624 to generate output chips. A transmitter (TMTR) 632 then conditions (e.g., converts to analog, filters, amplifies, and frequency upconverts) the output chips and generates a reverse link signal, which is transmitted via an antenna 634.“, Unterstreichung hinzugefügt). Somit offenbart die K5/Atarius einen Kodierer, welcher konfiguriert ist, Medien auf der Kommunikationsvorrichtung forlaufend zu kodieren während die Medien auf der Kommunikationsvorrichtung erzeugt werden (Merkmal D1.1) und einen Sender, welcher konfiguriert ist, die kodierten Medien schrittweise über ein Netzwerk von der Kommunikationsvorrichtung zu senden (Merkmal D1.3).
122
Das Speichern in dem Speicherelement ist bei K5/Atarius dazu vorgesehen, zu einem späteren Zeitpunkt auf die Daten zugreifen zu können, dient also einer Archivierung (vgl. K5, Absatz [0028]: „retrieval and use later“). Es handelt sich somit um ein dauerhaftes („persistentes“) Speichern im Sinne des Streitpatents (Merkmal D1.2).
123
D1.4 a receiver (28d) configured to progressively receive media over the network at the communication device as the media is availaavailable;
124
D1.5 the storage or memory element (146) further configured to progressively and persistently store the received media as the received media is progressively being received over the network at the communication device; and
125
D1.6 a rendering element (21) configured to progressively render the received media as the received media is being received over the network in a real-time rendering mode.
126
K5/Atarius beschreibt neben dem oben dargestellten Sendepfad auch einen Empfangspfad, über den ein Endgerät Daten empfangen kann (vgl. K5, Abs. [0062], „On the receive path, forward link signals transmitted by base stations in the wireless network are received by antenna 634. A receiver (RCVR) 636 conditions (e.g., filters, amplifies, frequency downconverts, and digitizes) the received signal from antenna 634 and provides samples. A demodulator (Demod) 626 processes (e.g., descrambles, channelizes, and demodulates) the samples and provides symbol estimates. A decoder 628 further processes (e.g., deinterleaves and decodes) the symbol estimates and provides decoded data. Encoder 622, modulator 624, demodulator 626, and decoder 628 may be implemented by a modem processor 620. These units perform processing in accordance with the radio technology (e.g., W-CDMA, cdma2000 or GSM) used by the wireless network.“). Auch diese empfangenen Daten können archiviert werden (vgl. K5/Atarius, Abs. [0063]).
127
K5/Atarius offenbart analog zum fortschreitenden Speichern und Senden von ausgehenden Sessiondaten (s.o. die Ausführungen zu den Merkmalen D1.1 bis D1.3) auch ein fortschreitendes Speichern und Empfangen von eingehenden Sessiondaten an einem Endgerät während einer Session. Die während einer Session zwischen Endgeräten ausgetauschten Daten werden somit zwingend auch fortschreitend auf dem Endgerät wiedergegeben.
128
Somit sind in K5 auch die Merkmale D1.4 bis 1.6 offenbart.
129
2.4 Zur K7 – US 2004/0119814 A1 („Clisham“)
130
Die Entgegenhaltung K7/Clisham beschreibt ein Kommunikationsverfahren, bei dem eine Videokonferenz zwischen mehreren tragbaren Geräten ermöglicht wird (vgl. K7, Abs. [0008]). K7/Clisham möchte sich unter anderem zu Videokonferenzanwendungen abgrenzen, die auf Telefonsystemen mit geringer Bandbreite basieren (vgl. K7, Abs. [0004] und [0006]). Daher schlägt K7/Clisham ein System bestehend aus Servern vor, die innerhalb eines Hochgeschwindigkeitskommunikationsnetzwerks den Datenaustausch zwischen den (Client-)Geräten steuern (vgl. K7/Clisham, Abs. [0005] und [0009]).
131
Im Hinblick auf den geltenden Vorrichtungsanspruch 1 gehen auch aus der K7/Clisham alle Merkmale hervor:
132
D1. A communication device (13, 140), comprising:
133
K7/Clisham beschreibt ein Videokonferenzverfahren, bei dem Video- und Audioströme von einem Kommunikationsgerät (Clientgerät) über ein Übertragungsnetzwerk an ein entferntes Kommunikationsgerät (Clientgerät) gesendet werden (vgl. K7/ Clisham, Abs. [0009]).
134
D1.1 an encoder (21) configured to progressively encode media on the communication device originating at the communication device as the media is created;
135
D1.2 a storage or memory element (146) configured to progressively and persistently store the encoded media on the communication device as the media is created;
136
D1.3 a transmitter (26j) configured to progressively transmit the encoded media over a network (14, 18) from the communication device as the media is created
137
K7/Clisham beschreibt, dass das Clientgerät während einer Videokonferenzsession unter anderem zwei Hauptfunktionen erfüllt (vgl. K7, Abs. [0069]), nämlich eine “Sendefunktion” (“transmission”) und eine “Empfangsfunktion” (“reception”).
138
Hinsichtlich der Sendefunktion führt K7/Clisham aus, dass diese den Prozess des Erzeugens, Kodierens und Verpackens von Videoquelldaten, sowie das Senden der erzeugten Pakete an andere mit dem Netzwerk verbundene Geräte beinhaltet. Die Vorgänge des Erzeugens, Kodierens und Sendens finden allesamt während einer Videokonferenzsession statt (vgl. K7/Clisham, Abs. [0069]). K7/Clisham beschreibt weiter, dass das Clientgerät eine Kamera zum Erzeugen von Videodaten enthält (vgl. K7/Clisham, Abs. [0074]).
139
Die K7/Clisham weist mithin aus fachmännischer Sicht einen Kodierer auf, der die Medien (“video”) fortlaufend kodiert (Merkmal D1.1) und einen Sender („transmitter“), der die Videodaten fortlaufend während der Videokonferenzsession, also während die Medien erzeugt werden, über das Übertragungsnetz sendet (Merkmal D1.3).
140
K7/Clisham beschreibt weiterhin, dass das Clientgerät aktive Videokonferenzsessions fortschreitend in seinem lokalen Speicher speichern kann (vgl. K7, Abs. [0105], „Additionally, the client device can be configured to record active video conference sessions.“). Als Speichermedien nennt die Druckschrift beispielsweise eine Kombination aus volatilen und nicht volatilen Speichern wie RAM, ROM und Magnetspeicher (vgl. K7/Clisham, Abs. [0104]). Insbesondere die Erwähnung entfernbarer Festplatten („removable drives“) zeigt dabei, dass die gespeicherten Daten dauerhaft vorgehalten werden können. Somit offenbart K7/Clisham auch ein fortschreitendes und persistentes Speichern des ausgehenden Videostroms in einem Speicher auf dem Clientgerät, während die Videodaten erzeugt werden (Merkmal D1.2).
141
D1.4 a receiver (28d) configured to progressively receive media over the network at the communication device as the media is available;
142
D1.5 the storage or memory element (146) further configured to progressively and persistently store the received media as the received media is progressively being received over the network at the communication device; and
143
D1.6 a rendering element (21) configured to progressively render the received media as the received media is being received over the network in a real-time rendering mode.
144
Wie bereits zu den Merkmalen D1.1 bis D 1.3 ausgeführt, beschreibt K7/Clisham als eine zweite Hauptfunktion des Clientgeräts während einer Videokonferenzsession die „Empfangsfunktion“. K7/Clisham beschreibt, dass die Empfangsfunktion den Prozess des Empfangens, Entpackens und Dekodierens von Video-/Audiopaketen (von anderen Clientgeräten kommend), sowie das Rendern des Video- und Audiostroms enthält (vgl. K7, Abs. [0069]; „reception“). Somit offenbart K7/Clisham im Rahmen einer Videokonferenzsession auch einen Empfänger zum fortlaufenden Empfangen (Merkmal D1.4) und ein Render-Element zum fortlaufenden Darstellen von Medien einer eingehenden Nachricht (Merkmal D1.6). Wie zu Merkmal D1.2 ausgeführt, kann der lokale Speicher des Kommunikationsgeräts so konfiguriert sein, dass er die eingehenden Nachrichten fortlaufend speichert (vgl. K7, Abs. [0105]), wobei dies in einem nichtflüchtigen Speicher und damit dauerhaft erfolgt (K7, Absatz [0104]; Merkmal D1.5).
145
3. Die weiteren angegriffenen, auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 6, 8, 10, 15 und der nebengeordnete Patentanspruch 16 – der sich insoweit auch auf Patentanspruch 1 bezieht, als eine Kommunikationsvorrichtung u.a. nach Patentanspruch 1 bereitstellen soll – in der erteilten Fassung (Hauptantrag) bedürfen keiner weiteren, isolierten Prüfung, weil die Beklagte (auch) den Hauptantrag als geschlossenen Anspruchssatz versteht und das Streitpatent auch insoweit nur als Ganzes verteidigt (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 2016 – X ZR 64/14, GRUR 2017, 57 – Datengenerator).
146
III. Zur Verteidigung nach Hilfsantrag „3 neu“
147
1. In der Fassung des zulässigen Hilfsantrags „3 neu“ kann die Beklagte ihr Patent in den angegriffenen Ansprüchen 1, 6, 8, 10, 15 und 16 erfolgreich beschränkt verteidigen, weil diese Fassung des Streitpatents zulässig ist und ihr keine Nichtigkeitsgründe entgegenstehen.
148
2. Der – senatsseitig mit einer Gliederung versehene – unabhängige Patentanspruch 1 nach Hilfsantrags „3 neu“ unterscheidet sich von der erteilten Fassung in den folgenden hervorgehobenen Änderungen:
149
D1.3
HA3neu
a transmitter (26j) configured to progressively transmit the encoded media over a network (14, 18) from the communication device
to a second communication device
as the media is created
without an established connection over the network between the communication device and the second communication device
;
150
D1.4
HA3neu
a receiver (28d) configured to progressively receive media
from the second communication device
over the network at the communication device as the media is available
without an established connection over the network between the communication device and the second communication device
;
151
D1.7
HA3neu
a render control element configured to control the rendering element (21) to either:
152
(i) progressively render the received media as the received media is being received over the network in the real-time rendering mode; or
153
(ii) progressively render the received media retrieved from the storage or memory element (146) in a time-shifted mode; and
154
(iii) transition the rendering of the received media between the time-shifted mode and the real time mode; and
155
D1.8
HA3neu
wherein the media comprises video or video and one or more of the following types of media: voice, text, sensor data, radio signals position or GPS information, or a combination thereof.
156
3. Die Änderungen in Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag „3 neu“ sind zulässig.
157
Der unabhängige Patentanspruch 1 des Hilfsantrags „3 neu“ basiert auf dem erteilten Patentanspruch 1. Das Senden von Medien an ein zweites Kommunikationsgerät und das Empfangen von Medien von einem zweiten Kommunikationsgerät in den Merkmalen D1.3HA3neu und D1.4HA3neu ist im Streitpatent (K2) und dessen ursprünglichen Unterlagen (K2a) jeweils in Absatz [0034] („[…] in conversations by sending voice messages to designated recipients.“) und Absatz [0047] („Conversation: A thread of Messages (identified, persistently stored, grouped, and prioritized) between two or more Users on their Devices.“) offenbart. Das Teilnehmen an einer „Conversation“ beinhaltet für den Fachmann ein Senden und Empfangen von Mediendaten über ein Netzwerk.
158
Dass gemäß der Merkmale D1.3HA3neu und D1.4HA3neu sowohl ein Senden als auch ein Empfangen von Nachrichten an einer Kommunikationsvorrichtung stattfindet, ohne dass eine Verbindung über das Netzwerk zwischen den beiden beteiligten Kommunikationsvorrichtungen eingerichtet ist, entnimmt der Fachmann der K2 und K2a jeweils dem Absatz [0039], Punkt iv. („[…] participate in conversations without waiting for a connection to be established […] participate in conversations, and review previously received time-shifted messages of conversations even when there is no network available, when the network is of poor quality, or other participants are unavailable;“; Unterstreichung hinzugefügt). Unter dem Wortlaut „without waiting for a connection to be established“ versteht der Fachmann nicht nur, dass zeitlich begrenzt zu Beginn des Nachrichtenaustauschs keine Verbindung besteht und später eine Verbindung eingerichtet sein kann, sondern auch, dass dauerhaft überhaupt keine Verbindung besteht, zumal in den Ausführungsbeispielen des Streitpatents niemals eine anspruchsgemäße Verbindung über das Netzwerk aufgebaut wird.
159
Durch diese geänderten Merkmale wird der Gegenstand des Patentanspruch 1 der erteilten Fassung auch eingeschränkt, da die Vorrichtung nun in der Lage sein muss, ohne eine etablierte Verbindung über das Netzwerk Medien an das zweite Kommunikationsgerät zu senden bzw. von diesem zu empfangen.
160
Das Merkmal D1.7HA3neu entspricht dem erteilten Patentanspruch 6 bzw. den ursprünglichen Patentansprüchen 6 und 7 gemäß K2a und das Merkmal D 1.8HA3neu entspricht dem erteilten Patentanspruch 10 bzw. dem ursprünglichen Patentanspruch 34 gemäß K2a.
161
Auch die Auffassung der Klägerin, dass eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vorliege, teilt der Senat nicht. Soweit die Klägerin der Ansicht ist, der beanspruchte Vorgang, Daten zwischen zwei Kommunikationsvorrichtungen zu übermitteln, ohne dass eine Verbindung zueinander aufgebaut ist, könne technisch nur dann umgesetzt werden, wenn im Netzwerk ein Server vorgesehen sei, um von der ersten Kommunikationsvorrichtung versendete Medieninhalte zwischen zu speichern, um diese dann später an die zweite Kommunikationsvorrichtung weiterzuleiten, und bei dem „Weglassen“ eines derartigen, erforderlichen Servers mit seiner Zwischenspeicher-Funktion handle es sich daher um eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung, überzeugt dies nicht.
162
Entscheidend ist hierbei, dass bereits der erteilte Patentanspruch 1 und auch der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag „3 neu“ lediglich die Kommunikationsvorrichtung beansprucht und voraussetzt, dass das Übertragungsnetz (das üblicherweise auch Server beinhaltet) zwischen die beteiligten Kommunikationsvorrichtungen geschaltet ist und die („verbindungslose“) Übertragung der Nachrichten zwischen diesen sicherstellt. Der Anspruch mag die Details der konkreten Implementierung des Übertragungsnetzes offenlassen, aber es kann vor diesem Hintergrund nicht die Rede davon sein, dass in der Anspruchsfassung nach Hilfsantrag „3 neu“ ein zwingendes Merkmal fehlen würde, denn für die Datenübermittlung über das Netzwerk gilt das OSI-Referenzmodell. Zuständig für die Datenübermittlung vom Sender zum Empfänger ist dabei die Vermittlungsschicht (Layer 3). Da ggf. nicht immer eine direkte Kommunikation zwischen Absender und Ziel möglich ist, müssen Pakete von Knoten, die auf dem Weg liegen, weitergeleitet werden. Wie der Fachmann weiß, gelangen weitervermittelte Pakete dabei nicht in die höheren Schichten, sondern werden mit einem neuen Zwischenziel versehen und an den nächsten Knoten gesendet (geroutet) (vgl. K2a, Abs. [0044], „Servers“). Ein Zwischenspeichern ist dabei für den Fachmann – auch ohne eine anspruchsgemäße Verbindung (auf Layer 5 des OSI-Modells) zwischen den Kommunikationsvorrichtungen – nicht zwingend erforderlich (siehe Ziff. III. 4).
163
Darüber hinaus zeigt die K2a, Figur 7 i. V. m. Absätzen [0143] bis [0145] ein Ausführungsbeispiel mit einer Kommunikation zwischen zwei Klienten 12A und 12B in unterschiedlichen Netzen A und B über die Gateway-Server 16A, 16B, wobei in den Gateway-Servern ausschließlich ein Routing und keine Zwischenspeicherung offenbart wird.
164
4. Die Änderungen des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag „3 neu“ gegenüber der erteilten Anspruchsfassung versteht der Fachmann wie folgt:
165
Gemäß den geänderten Merkmalen D1.3HA3neu und D1.4HA3neu ist der Sender („transmitter“) auf dem (ersten) Kommunikationsgerät nun so konfiguriert, dass er die kodierten Medien fortlaufend an ein zweites Kommunikationsgerät sendet, und der Empfänger („receiver“) auf dem (ersten) Kommunikationsgerät gemäß Merkmal D1.4HA3neu ist nun so konfiguriert, dass er die Medien über das Netzwerk fortlaufend von einem zweiten Kommunikationsgerät empfängt. Dieser bi-direktionale Austausch umfassend sowohl ein Senden als auch ein Empfangen von Nachrichten am (ersten) Kommunikationsgerät findet statt, ohne dass eine Verbindung über das Netzwerk zwischen den beiden beteiligten Kommunikationsgeräten eingerichtet ist („[…] without an established connection over the network between the communication device and the second communication device“).
166
Hinsichtlich des Begriffs „Verbindung“ („connection“) ist zu beachten, dass sich das Multimedia-Management-Verfahren gemäß Streitpatent auf der reinen Applikations-Ebene befindet (vgl. K2, Abs. [0042], „Client: A Client is the user application in the communication system, which includes a user interface, persistent data storage, and “Voxing” functionality.“) und auf die zugrundeliegenden Netzwerke nur aufgesetzt ist, gleichzeitig jedoch im Streitpatent ebenfalls typische, den unteren Kommunikations-Ebenen zugeordnete Begriffe wie bspw. gute/schlechte Radio-Bedingungen und Netzwerk-Verbindung verwendet werden (vgl. K2, Abs. [0037], „For example when network conditions are poor, the system intentionally reduces the quality of the data for transmission to the point where it is “good enough” to be rendered upon receipt by the recipient, allowing the real time participation of the conversation.“ und Abs. [0082], [0109], „underlying network 18“ sowie Abs. [0131], „underlying technology of the network 18“).
167
Wie auch in der mündlichen Verhandlung erörtert, weiß der Fachmann, dass für den Nachrichtenaustausch zwischen zwei Geräten (Kommunikationsvorrichtungen) über ein Netzwerk das ISO/OSI-Referenzmodell für Netzwerkprotokolle gilt. Für das Beispiel des Vox-Protokolls lässt sich dies auch dem Streitpatent aus den Figuren 4a bis 4c i. V. m. Absätzen [0131] bis [0138] für den Austausch der Nachrichten zwischen zwei Kommunikationsvorrichtungen entnehmen. Demnach handelt es sich bei einem Vox-Paket um ein strukturiertes Nachrichtenformat, das zur Kapselung innerhalb eines Transportpakets oder von Transportpaketen der zugrundeliegenden Technologie des Netzwerks ausgelegt ist (vgl. K2, Abs. [0131], „The Vox packet is a structured message format designed for encapsulation inside a transport packet or transport packets of the underlying technology of the network 18.“). Bei dem zugrundeliegenden Netzwerkprotokoll kann es sich beispielsweise um ein UDP, IP oder Ethernet handeln (vgl. K2, Abs. [0133] i. V. m. Fig. 4b und 4c).
168
Damit das zugrundeliegende Netzwerk das Vox-Paket an den richtigen Ort liefert, muss gemäß Streitpatent die Adresse eines Zielclients bekannt sein. Bei IPv4-Netzwerken ist dabei die Adresse normalerweise eine IPv4-Adresse, bei der es sich um eine 32-Bit-Zahl handelt, die einen Host innerhalb des Netzwerks eindeutig identifiziert (vgl. K2, Abs. [0145], „The address of a target Client 12 needs to be known so that the underlying network delivers the Vox packet 95 to the correct location. With IPv4 networks, the address is typically an IPv4 Address, which is a 32-bit number that uniquely identifies a host within the network.“). Der Fachmann weiß, dass die entsprechende Ziel- (und auch die Quell-)Adresse gemäß Internet Protokoll in der Vermittlungsschicht (network layer, layer 3) des OSI-Modells verankert ist, vgl. K2, die „Protocol Options“ in Figur 4c für IP (IPA, IPB):
169
Um mit der anspruchsgemäßen ersten Kommunikationsvorrichtung Nachrichten mit einem Medien-Inhalt mit einer zweiten Kommunikationsvorrichtungen über das Netzwerk gemäß Merkmal D1.3HA3neu und D1.4HA3neu auszutauschen, wobei eine Nachricht von der ersten Kommunikationsvorrichtung an die zweite gesendet bzw. an der ersten Kommunikationsvorrichtung von der zweiten empfangen wird, ist es daher erforderlich, dass die entsprechenden Zieladressen auf den Kommunikationsvorrichtungen bekannt sind und dass die Nachrichtenübertragung im Sinn einer „Ende-zu-Ende“ Übertragung zwischen den beiden Kommunikationsvorrichtungen als jeweiligen „Endpunkten“ bzw. Endgeräten über das Netzwerk durchgeführt wird.
170
Der Meinung der Klägerin, wonach es bei der anspruchsgemäßen Vorrichtung lediglich ganz allgemein um eine Nachrichtenübertragung von einer ersten/zweiten Kommunikationsvorrichtung zu einer zweiten/ersten Kommunikationsvorrichtung, völlig unabhängig von einer Betrachtung der Kommunikationsabläufe bzw. der Protokolle im Netzwerk bspw. unter Zugrundelegung der Schichten des ISO/OSI-Modells, geht, da dies im Anspruchswortlaut nicht festgelegt sei, und die Auslegung daher zu eng sei, schließt sich der Senat nicht an.
171
Denn die Merkmale D1.3HA3neu und D1.4HA3neu betreffen ebenfalls eine Verbindung, nämlich das Nichtvorliegen einer Verbindung über das Netzwerk („[…] without an established connection over the network between the communication device and the second communication device“). Hiermit wird jegliche physikalische und logische Verbindung auf den niedrigen Schichten sowie das Verwenden Verbindungs-orientierter Transportprotokolle, wie bspw. TCP auf der Transportschicht gemäß Layer 4 des OSI-Modells, zwischen der ersten und der zweiten Kommunikationsvorrichtung ausgeschlossen. Hinsichtlich eines TCP-Transports wird übrigens im Streitpatent, Absatz [0014] explizit ausgeführt, dass TCP zwar sicher sei, jedoch zur Verwendung bei „live“ Telefonaten aufgrund der Latenz unpraktisch wäre, so dass gemäß Streitpatent auf der Transportschicht (Layer 4) – wie bei VoIP – daher das verbindungslose und verzögerungsärmere UDP-Protokoll verwendet würde (vgl. K2, Abs. [0014], [0133]).
172
Der Fachmann weiß, dass bei einer VoIP-Applikation jedoch (im Gegensatz zum Streitpatent) stets eine Verbindung aufgebaut wird (vgl. auch K2, Abs. [0002]), wobei beim Aufbau eines Telefongesprächs das SIP-Protokoll (session initiation protocol) zum Einsatz kommt. Im OSI-Kommunikationsmodell verwaltet die Sitzungsschicht (session layer, Layer 5) den Auf- und Abbau von (logischen) Verbindungen zwischen kommunizierenden Endgeräten. Eine Verbindung bzw. Sitzung/Session wird aufrechterhalten, während sich die beiden Endpunkte in der Konversation miteinander unterhalten.
173
Da gemäß Streitpatent die gesamte „Voxing“- und Speicher-Funktionalität in der Nutzerapplikation des Kommunikationssystems enthalten und auf die zugrundeliegenden Netzwerke nur aufgesetzt ist, ist das Verfahren zum Senden und Empfangen über das Netzwerk gemäß Streitpatent offensichtlich komplett auf der Anwendungsschicht (Layer 7 des OSI-Modells) realisiert.
174
Der Fachmann erkennt daher, dass es sich bei der anspruchsgemäßen Verbindung nach den Merkmalen D1.3HA3neu und D1.4HA3neu insbesondere um eine Verbindung auf Layer 5 des OSI-Modells, d.h. der Sitzungsschicht bzw. dem Session-Layer, handelt, auf der gemäß Wortlaut des Patentanspruchs 1 keine Verbindung zwischen den beiden beteiligten Kommunikationsvorrichtungen hergestellt ist.
175
Aus Sicht des Fachmanns scheiden somit sowohl eine direkte Verbindung zwischen den beiden Kommunikationsvorrichtungen als auch eine indirekte Verbindung, die über einen oder mehrere zwischengeschaltete Server zwischen den beiden Kommunikationsvorrichtungen „geroutet“ wird, aus, falls irgendeine Verbindung bereits vor Beginn der Nachrichtenübertragung hergestellt wird.
176
Nach Auffassung des Senats sind die Merkmale D1.3HA3neu und D1.4HA3neu beispielsweise auch dann nicht automatisch erfüllt, wenn Medien in einem ersten Übertragungsvorgang von der ersten Kommunikationsvorrichtung zu einem Server und in einem zweiten Übertragungsvorgang von dem Server (ggf. umadressiert) zur zweiten Kommunikationsvorrichtung übertragen werden und in diesem Fall aufgrund des dazwischengeschalteten Servers gerade keine (direkte) Verbindung zwischen der ersten und zweiten Kommunikationsvorrichtung bestehen würde.
177
Denn solche Teilstreckenverfahren („store and forward“) für die (Ende-zu-Ende) Datenübertragung zwischen zwei Kommunikationsvorrichtungen/Endgeräten, welche vorzugsweise in Netzwerken eingesetzt werden, welche keine dauerhafte Konnektivität der Kommunikationsvorrichtungen zu selbigem voraussetzen, zählen zu den Routing-Verfahren und betreffen somit die unterhalb des Session-Layers liegende Vermittlungsschicht (Layer 3), was jedoch das Vorliegen eines Verbindungs-orientierten Transports (Layer 4) bzw. einer (logischen) Verbindung auf dem darüber liegenden Session-Layer (Layer 5) nicht unmittelbar ausschließt und was jeweils im Einzelfall zu überprüfen ist.
178
Darüber hinaus fallen auch Client-Server-Konfigurationen nicht unter den Anspruchswortlaut, bei denen eine Verbindung zwischen den Endgeräten/Klienten für die (Ende-zu-Ende) Datenübertragung über einen Server hergestellt wird, falls dort zuvor beispielsweise eine gemeinsame Session aufgebaut wird, was beispielsweise bei Instant Messenger Systemen (IM) mit vorab aufgebauter IM-Session der Fall ist.
179
Schließlich betreffen die Merkmale D1.3HA3neu und D1.4HA3neu auch keine Client-Server-Konfigurationen, bei denen – beispielsweise wie bei einem E-Mail Dienst mit „push“ / “pop“ oder einem Multimedia Messaging Service (MMS) mit HTTP POST / HTTP GET – ein Endgerät Daten auf dem Server platziert und ein anderes Endgerät diese Daten in einem separaten Schritt vom Server per Download abholt, da hier zwei unabhängige Datenübertragungen Endgerät-Server und Server-Endgerät und eben keine anspruchsgemäße Kommunikation zwischen zwei Kommunikationsvorrichtungen / Endgeräten über das Netzwerk stattfindet.
180
Zusammenfassend darf somit gemäß den Merkmalen D1.3HA3neu und D1.4HA3neu bei einer (Ende zu Ende) Kommunikation zwischen zwei Kommunikationsvorrichtungen/Endgeräten auf keinem der die Datenübertragung über das zugrundeliegende Netzwerk betreffende Layer unterhalb der Anwendungsschicht (Layer 7) eine Verbindung zwischen der ersten und zweiten Kommunikationsvorrichtung aufgebaut sein und die beanspruchte Kommunikationsvorrichtung muss so ausgebildet sein, dass sie die betreffende Funktion des Sendens und Empfangens von Medien (an bzw. von einer zweiten Kommunikationsvorrichtung) ohne eine derartige Verbindung über das Netzwerk erfüllen kann (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2022 – X ZR 4/20, Rn. 51).
181
Gemäß Merkmal D1.7HA3neu (entspricht dem erteilten Patentanspruch 6) weist die Kommunikationsvorrichtung ein Kontrollelement („render control element“) auf, mit der das Render-Element aus Merkmal D1.6 kontrolliert werden kann, damit entweder die empfangenen Medien in einem Echtzeitmodus („real time modus“) oder in einem zeitversetzten Modus („time shifted mode“) angezeigt und zwischen den beiden Modi umgeschaltet werden können („transition […] between […]“).
182
5. Dem Gegenstand von Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag „3 neu“ steht der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ nicht entgegen. Denn die hiermit unter Schutz gestellte Vorrichtung gilt gegenüber dem im Verfahren entgegengehaltenen Stand der Technik – insbesondere auch gemäß den Druckschriften K13, K14, K5, K7, K6 und K8 – als neu und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend.
183
5.1 Die Vorrichtung gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag „3 neu“ erweist sich gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik als neu im Sinne des Art. 54 EPÜ.
184
5.1.1 Zu K13/Kurtz
185
Insbesondere, dass – entsprechend der Lehre des Streitpatents – ein Übertragen oder Empfangen von Nachrichten auf dem ersten Endgerät stattfinden kann, ohne dass eine Verbindung zwischen den Kommunikationsvorrichtungen hergestellt ist (Merkmale D1.3HA3neu und D1.4HA3neu), kann der K13/Kurtz nach Überzeugung des Senats weder unmittelbar noch implizit entnommen werden.
186
Gemäß K13/Kurtz kann eine Kommunikation zwischen den Endgeräten nur stattfinden, wenn sich beide Endgeräte zuvor am System angemeldet haben und eine Verbindung zwischen den Endgeräten hergestellt wurde (vgl. K13, Abs. [0012], „When the client receives the connection information for a contact in the buddy list, it changes the “status” of that person to “Online.” The user may then click on a name of any contact in the buddy list who is online, opening an IM window in which the user may enter an instant message.“ und Abs. [0013], „Once the users have signed on to the IM service, all subsequent communication may occur directly between the two clients,[…]“; vgl. auch K13, Fig. 1).
187
In den Absätzen [0011] und [0012] der K13/Kurtz ist der für den Austausch von Nachrichten erforderliche Verbindungsaufbau näher beschrieben. Danach senden die Endgeräte Verbindungsinformationen (z.B. die IP-Adresse) an den Instant Messaging-Dienst, der diese Informationen mit der Kontaktliste des Benutzers abgleicht und dann die Verbindungsdaten der Endgeräte der Kontakte des Benutzers zurück an dessen Endgerät schickt. Über diese Verbindungsinformationen können dann die in K13/Kurtz, Figur 1 gezeigten direkten Verbindungen zwischen den Endgeräten hergestellt werden, über die diese dann Nachrichten austauschen.
188
Zwar kann es gemäß K13/Kurtz sein, dass eine direkte Kommunikation zwischen den beiden Endgeräten nicht möglich ist, z.B. wegen einer Firewall, und die Kommunikation über den „messaging service 100“ laufen muss (vgl. K13, Abs. [0013], 2. Satz). Nach Auffassung des Senats besagt dies jedoch lediglich, dass in manchen Fällen die Daten einer Session nicht unmittelbar zwischen den Teilnehmern ausgetauscht werden können, sondern über einen Server geleitet werden müssen, wenn etwa eine Firewall zwischen den Teilnehmern liegt. Dies setzt aber dennoch voraus, dass zuerst eine Session zwischen den Endgeräten über das Übertragungsnetzwerk eingerichtet und somit eine Verbindung zwischen den Endgeräten aufgebaut wird, auch wenn diese über das Übertragungsnetzwerk bzw. einen Server vermittelt wird. Damit kann mit der Übertragung der Nachrichten immer erst begonnen werden, wenn eine Verbindung über das Übertragungsnetz zwischen der ersten Kommunikationsvorrichtung und der zweiten Kommunikationsvorrichtung eingerichtet ist.
189
5.1.2 Zu K14/Kenoyer, K5/Atarius und K7/Clisham
190
Insbesondere, dass – entsprechend der Lehre des Streitpatents – ein Übertragen oder Empfangen von Nachrichten auf dem ersten Endgerät stattfinden kann, ohne dass eine Verbindung zwischen den Kommunikationsvorrichtungen hergestellt ist (Merkmale D1.3HA3neu und D1.4HA3neu), kann diesen Druckschriften zur Überzeugung des Senats weder unmittelbar noch implizit entnommen werden.
191
Grundvoraussetzung einer Videokonferenz nach K14/Kenoyer ist, dass zunächst eine Verbindung zwischen den teilnehmenden Geräten hergestellt werden muss, über die dann synchron wechselseitig Videoströme ausgetauscht werden. Selbst in der Ausführungsform, in der eine Nachricht auf dem Empfängergerät hinterlassen werden kann, wenn die Teilnehmer selbst nicht anwesend sind (vgl. K14/Kenoyer, Abs. [0072]), wird verlangt, dass eine Verbindung zwischen Sender und Empfänger hergestellt wird (wie bei den im Streitpatent beschriebenen, im Stand der Technik bekannten VoiceMail-Systemen).
192
In K5/Atarius ist stets der Aufbau einer Session zwischen der ersten und der zweiten Kommunikationsvorrichtung erforderlich, um Daten austauschen zu können (vgl. K5, Abs. [0027], „A user with a terminal may exchange data with a communication network in a session. As used herein, a session is an association between two or more users and/or entities that enables the users and/or entities to exchange data.“).
193
K7/Clisham beschreibt, dass vor der Kommunikation zunächst ein Call Request gesendet wird, der von der empfangenden Kommunikationsvorrichtung angenommen werden muss. Erst wenn dieser Call Request akzeptiert wurde, kann die Videokonferenz beginnen (vgl. K7, Abs. [0112]). Dies bedeutet aus fachmännischer Sicht, dass eine Kommunikation zwischen den beiden Endgeräten erst dann erfolgen kann, wenn eine Verbindung im Sinne des Streitpatents zwischen diesen besteht. Dies wird auch in Figur 4 der K7/Clisham illustriert (dort: „Start/Abort Session“).
194
5.1.3 Dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag „3 neu“ aus einer der weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften neuheitsschädlich vorweggenommen sei, hat weder die Klägerin behauptet noch ist dies für den Senat ersichtlich.
195
5.2 Die Vorrichtung gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag „3 neu“ beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit (Art. 56 EPÜ), da sich dieser Gegenstand für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem entgegengehaltenen Stand der Technik ergibt.
196
Ausgehend vom Stand der Technik nach einer der Druckschriften K5, K6, K7, K8, K13 und K14 gelangt der Fachmann nicht in naheliegender Weise zu einer Vorrichtung entsprechend dem geschützten Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag „3 neu“.
197
5.2.1 Erfinderische Tätigkeit ausgehend von K13/Kurtz
198
Wie bereits zuvor bei der Prüfung der Frage der Neuheit in Ziff. 5.1.1 ausgeführt, gehen aus der K13/Kurtz die Merkmale D1.3HA3neu und D1.4HA3neu nicht unmittelbar und eindeutig hervor. Der Fachmann erhält aus der K13 auch keine Anregung hierfür.
199
Die Auffassung der Klägerin, K13/Kurtz lege im Zusammenhang mit der Offline-Funktionalität bei Textnachrichten in Instant Messenger (IM) Systemen die Merkmale D1.3HA3neu und D1.4HA3neu nahe und für den Fachmann sei es zum Prioritätszeitpunkt bereits Teil des allgemeinen Fachwissens – insbesondere in Anbetracht des Anlagenkonvoluts K16 – gewesen, dass IM-Systeme (zusätzlich zu Live-Chats) auch das Übertragen von „Offline-Nachrichten“ ermöglichen würden, überzeugt nicht. Dass die K16 dabei zeige, dass die dem Fachmann bekannten IM-Systeme AIM, Windows Live Messenger, ICQ und Yahoo! Messenger zum Prioritätszeitpunkt allesamt das Übertragen von „Offline-Nachrichten“ ermöglichten, greift nicht
200
Die K13/Kurtz offenbart keine Offline-Funktionalität und erwähnt gerade die Übertragung von Sprache und Video ausschließlich im Zusammenhang mit dem Bestehen einer Online-Verbindung zwischen den Teilnehmern.
201
Aus fachmännischer Sicht handelt es sich bei den aus dem Anlagenkonvolut K16 bekannten „Offline-Nachrichten“ bei IM-Systemen ausschließlich um Textnachrichten, die zunächst vollständig verfasst und erst nach einem Sendebefehl verschickt werden. Auf der Empfängerseite werden diese erst dann dargestellt, sobald diese vollständig erhalten wurden. Keinem der in K16 genannten Instant Messenger ist ein Hinweis darauf zu entnehmen, dass eine solche Funktion in Verbindung mit progressiv übertragenen bzw. empfangenen Nachrichten unterstützt würde. Zudem lässt sich weder der K13/Kurtz noch den als Anlagenkonvolut K16 vorgelegten Wikipedia-Auszügen ein Anhaltspunkt bzw. eine Anregung dafür entnehmen, dass eine Kombination dieser beiden Modi vorteilhaft wäre. Soweit die Klägerin der Ansicht ist, die progressive Übertragungsweise würde einen schnelleren Kommunikationsablauf gewährleisten, ist schon nicht ersichtlich, wieso das bei solchen Chat-Diensten mit Textnachrichten überhaupt eine Rolle spielen sollte. Gerade bei Offline-Nachrichten gibt es überhaupt keinen Grund, die Übertragung zu beschleunigen, weil der Empfänger (offensichtlich) ja ohnehin nicht erreichbar ist. „Streaming“ ist in dieser Konstellation und erst recht bei Textnachrichten unnötig und damit fernliegend.
202
5.2.2 Erfinderische Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift K8/Mostafa
203
Aus der K8/Mostafa gehen die Merkmale D1.2, D1.3HA3neu, D1.4HA3neu, D1.5 und D1.7 nicht unmittelbar und eindeutig hervor und sind ausgehend von K8/Mostafa auch nicht nahegelegt.
204
Die Druckschrift K8/Mostafa betrifft allgemein Übertragungsdienste (vgl. K8, Titel: “communication service”). Insbesondere schlägt K8/Mostafa eine Streaming-Funktionalität im Rahmen von Multimedia Messaging Service (MMS) vor (vgl. K8, Abs. [0001]).
205
Gemäß K8/Mostafa ermöglicht die vorbekannte Implementierung von MMS das Senden von Multimedianachrichten zwischen mehreren Nutzern von Mobilgeräten. Dabei wird eine Nachricht (wie im MMS-Standard 3GPP 23.140 vorgeschlagen) nach Erzeugung zunächst an einen Server (“MMS Centre”) gesendet. Von dort kann die Nachricht auf ein Empfangsendgerät heruntergeladen werden. Sobald die Nachricht vollständig (“as a whole”) heruntergeladen und auf dem Endgerät gespeichert ist, kann diese wiedergegeben werden. (vgl. K8, Abs. [0008]). Das bekannte MMS-Verfahren hat gemäß der K8 den Nachteil, dass das empfangende Endgerät die Multimedianachricht speichern muss, bevor sie dem Benutzer präsentiert werden kann. Daher legt die Größe des Speichers des empfangenden Endgeräts eine Obergrenze für die Größe von Multimedia-Mitteilungen fest, die heruntergeladen werden können (vgl. K8, Abs. [0010]).
206
Abgesehen von MMS seien „Streaming“-Technologien bekannt, die eine „streaming session“ zwischen Sender und Empfänger voraussetzten, aber noch nicht für den Empfang über Mobilfunknetzwerke angepasst seien, bzw. Mobilfunknetzwerke unterstützten diese nicht und seien inkompatibel mit MMS (vgl. K8, Abs. [0011] bis [0014]).
207
Vor diesem Hintergrund schlägt K8/Mostafa die Ergänzung des MMS-Standards um eine Streaming-Erweiterung vor. Diese beinhaltet drei Phasen, Phase 1, „Media upload“, Phase 2, „MMS notification“ und Phase 3, „Media download“ (vgl. K8, Abs. [0096] in Verbindung mit Fig. 2).
208
In Phase 1 wird Medieninhalt von einem Sendeendgerät (“sending mobile terminal”) an einen Medienserver (“Media (streaming) server”) übertragen. Dazu richtet der Sender 21 eine Streaming-Session mit dem „media (streaming) server“ ein, der den Medieninhalt in einem vordefinierten Speicherbereich speichert (vgl. K8, Abs. [0103]). In der zweiten Phase („phase 2“) werden ein oder mehrere Empfänger (vgl. K8, Fig. 2, „receiving mobile terminals“) darüber benachrichtigt, dass Medieninhalt zur Lieferung verfügbar ist. Vorzugsweise erfolgt die Benachrichtigung („notification“) über eine „notification message“, die vom Sender über einen MMS-Server mittels „store-and-forward“ (vgl. K8, Abs. [0098]) an den/die Empfänger gesendet wird (vgl. K8, Abs. [0096], „the MMS server stores the notification message and then tries to forward it to the receiver.“). Die Benachrichtigung enthält keine Mediendaten, sondern Informationen, die erforderlich sind, um nachgelagert eine weitere Streaming-Sitzung zwischen dem Empfänger 24 und dem Medienserver 22 einzurichten, wie beispielsweise die Netzwerkadresse des Medienservers, das/die zum Codieren des Medieninhalts verwendete(n) Codierungsverfahren und die Angabe des/der für das Herunterladen von Medien zu verwendenden Transportprotokoll(e) (vgl. K8, Abs. [0104]).
209
In der dritten Phase („phase 3“), der Medien-Download-Phase, baut das Empfangsgerät 24 eine Streaming-Session mit dem Medienserver 22 basierend auf den in der Benachrichtigungsnachricht empfangenen Informationen auf und das Empfangsgerät 24 beginnt, die Medien herunterzuladen und abzuspielen (vgl. K8, Abs. [0105], „In the phase 3, the receiver 24 establishes a streaming session with the media server 22, based on the information received in the notification message and the receiver 24 starts to download and play the media.“ und Abs. [0118], „In the receiver 24, the message control layer 31 is responsible for interpreting received notification messages, extracting information relating to the location of media content to be streamed and information necessary to form streaming sessions to retrieve the media content.“; Unterstreichungen jeweils hinzugefügt).
210
Gemäß der Druckschrift K8 werden die Medien der einzelnen Nachrichten für diesen Fall nicht lokal auf den Endgeräten gespeichert, sondern ausschließlich auf dem Medienserver.
211
Im Hinblick auf Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag „3 neu“ geht aus K8/Mostafa hervor:
212
D1 A communication device (13, 140), comprising:
213
K8/Mostafa beschreibt ein Übertragungsverfahren, bei dem ein Medieninhalt von einem Sendeendgerät an einen im mobilen Übertragungsnetzwerk befindlichen Medienserver übertragen wird (vgl. Abs. [0096] und [0106]), vgl. auch Fig. 2 der K8/Mostafa.
214
D1.1 an encoder (21) configured to progressively encode media on the communication device originating at the communication device as the media is created;
215
K8/Mostafa beschreibt, dass es sich bei den gestreamten Medien um Audio- bzw. Videodaten handeln kann, die von einer Videokamera und einem Mikrofon erzeugt werden (vgl. Abs. [0102]). Diese unmittelbar nach Erzeugung gestreamten Medieninhalte werden somit aus fachmännischer Sicht mittels eines Kodierers fortschreitend kodiert (vgl. K8, Abs. [0104]).
216
D1.2
a storage or memory element (146) configured to progressively and persistently store the encoded media on the communication device as the media is created;
217
Ein Speichern der kodierten Medien ist in K8 nicht vorgesehen.
218
D1.3
HA3neu
a transmitter (26j) configured to progressively transmit the enencoded media over a network (14, 18) from the communication device
to a second communicaton device
as the media is created
without an established connection over the network between the communication device and the second communication device
;
219
Gemäß K8/Mostafa werden die Nachrichten mit Medieninhalt in Phase 1 vom Sendegerät 21 (der ersten Kommunikationsvorrichtung) nach Aufbau einer „Streaming Session“, d.h. aus fachmännischer Sicht dem Aufbau einer Verbindung auf der Sitzungsschicht des OSI-Modells, zum Medienserver 22 gesendet und dort gespeichert. Bei dem Medienserver handelt es sich jedoch nicht um eine zweite Kommunikationsvorrichtung im Sinne des Streitpatents, sondern um einen Server mit Speicherfunktionalität im Übertragungsnetzwerk. Für diese Übertragung ist eine Verbindung erforderlich.
220
D1.4
HA3neu
a receiver (28d) configured to progressively receive media
from the second communication device
over the network at the communication device as the media is available
without an established connection over the network between the communication device and the second communication device
;
221
Gemäß K8/Mostafa wird in Phase 3 unter Nutzung der in der Benachrichtigung aus Phase 2 enthaltenen Informationen (z.B. Netzwerkadresse des Medienservers) vom Empfangsgerät (der ersten Kommunikationsvorrichtung) eine „Streaming Session“ mit dem Medienserver 22 aufgebaut und daraufhin die Medien innerhalb dieser Sitzung vom Medienserver heruntergeladen und abgespielt, d.h. die Nachrichten werden in einem Empfangsgerät vom Medienserver empfangen und nicht von einer zweiten Kommunikationsvorrichtung im Sinne des Streitpatents (vgl. K8, Abs. [0105], „In the phase 3, the receiver 24 establishes a streaming session with the media server 22, based on the information received in the notification message and the receiver 24 starts to download and play the media.“; und Abs. [0118], „In the receiver 24, the message control layer 31 is responsible for interpreting received notification messages, extracting information relating to the location of media content to be streamed and information necessary to form streaming sessions to retrieve the media content
.“; Unterstreichungen jeweils hinzugefügt).
222
In der K8/Mostafa fehlt somit jegliche anspruchsgemäße Ende-zu-Ende Übertragung von Nachrichten mit Medieninhalten von einer ersten/zweiten zu einer zweiten/ersten Kommunikationsvorrichtung.
223
Damit unterscheidet sich die Lehre der K8/Mostafa grundsätzlich von der Lehre des Streitpatents, denn gemäß Streitpatent werden bei einem dort ggf. im Übertragungsweg vorgesehenen Server die von der ersten Kommunikationsvorrichtung gesendeten Nachrichten zwar auch im Server zwischengespeichert, diese dann aber vom Server direkt und ohne einen separaten Download-Schritt an die zweiten Kommunikationsvorrichtungen geroutet bzw. weitergeleitet (vgl. K2, Abs. [0128], „The main purpose of the Store and Stream module 84 is to receive Messages transmitted by the Clients 12 and transmit Messages to other Clients 12. As Messages are received, they are stored in the PIMB 85 and transmitted to the next Server 16 (i.e., the net “hop”) of the network layer 14 along the path to the intended recipient(s), or to the recipient(s) directly depending on the system configuration.“ und Abs. [0150], „The PIMB Reader 26 on the Client 121 reads the payloads out of the PIMB 30, creates Vox packets, and transmits the packets to the receiving Client 122 (box 134) over the network 18. Each Server 16 along the path between the sending Client 121 and the receiving Client 122 stores the transmitted payloads in the PIMB 85 and transmits the Vox packets to the next hop (box 133)“.
224
Eine Verbindung auf irgendeinem Layer unterhalb der Applikationsschicht ist gemäß Streitpatent dazu nicht erforderlich.
225
Zwar umfasst die K8/Mostafa in der Phase 2 eine Ende-zu-Ende Übertragung der Benachrichtigung („notification“) mittels „store and forward“ durch den MMS Server, die Benachrichtigung übermittelt jedoch keinerlei Medieninhalte. Darüber hinaus betrifft das „store and forward“ der Benachrichtigung als Routing-Verfahren den Layer 3. Es kann daher völlig dahingestellt bleiben, ob die Benachrichtigung Ende-zu-Ende übertragen wird, zumal die K8/Mostafa hinsichtlich des dafür verwendeten Transportprotokolls (Layer 4) sowie einer potentiellen Verbindung auf dem Session-Layer (Layer 5) schweigt.
226
D1.5
the storage or memory element (146) further configured to progressively and persistently store the received media as the received media is progressively being received over the network at the communication device
; and
227
Ein Speichern der empfangenen Medien im Kommunikationsgerät ist in K8 nicht vorgesehen
228
D1.6 a rendering element (21) configured to progressively render the received media as the received media is being received over the network in a real-time rendering mode; and
229
In Phase 3 baut gemäß der K8 der Empfänger eine „streaming session“ mit dem Medienserver 22 auf und beginnt, die Medien herunterzuladen und abzuspielen, wozu aus fachmännischer Sicht ein Render-Element erforderlich ist (vgl. K8, Abs. [0105]).
230
D1.7
HA3neu
a render control element configured to control the rendering element (21) to either:
231
(i) progressively render the received media as the received media is being received over the network in the real-time rendering mode; or
232
(ii) progressively render the received media retrieved from the storage or memory element (146) in a time-shifted mode; and
233
(iii) transition the rendering of the received media between the time-shifted mode and the real time mode; and
234
Ein derartiges Kontrollelement geht aus der K8 nicht hervor.
235
D1.8
HA3neu
wherein the media comprises video or video and one or more of the following types of media: voice, text, sensor data, radio signals posilion or GPS information, or a combination thereof.
236
K8/Mostafa offenbart den Medientyp Video (K8, Abs. [0102], „media content (an audio/video clip)“).
237
Somit geht in Bezug auf den Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag „3 neu“ aus K8/Mostafa nicht hervor:
238
a)
die Merkmale D1.3HA3neu und D1.4HA3neu,
239
b)
Merkmale D1.2, D1.5 und Merkmal D1.7HA3neu.
240
Zu a) Der K8/Mostafa entnimmt der Fachmann aus Sicht des Senats keinerlei Anregung, die gestreamten Medien vom ersten Kommunikationsteilnehmer bzw. von der ersten Kommunikationsvorrichtung statt an den Medienserver an den zweiten Kommunikationsteilnehmer bzw. an die zweite Kommunikationsvorrichtung zu senden. Soweit die Klägerin der Ansicht ist, dass die vom Senat verwendete Auslegung zu eng sei, wird auf die obigen Ausführungen zum Verständnis des Fachmanns unter Ziff. III. 4 verwiesen.
241
Zu b) Die Ansicht der Klägerin, aufgrund der auf Gigabytegröße gestiegenen lokalen Speicherkapazität mobiler Endgeräte, die zum Prioritätszeitpunkt der K8/Mostafa noch nicht verfügbar gewesen sei, würde sich die in K8/Mostafa angesprochene Problematik fehlender Speicherkapazität zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents nicht mehr stellen und der Fachmann hätte daher auch für das in K8/Mostafa beschriebene Streaming von Medien ein persistentes Speichern auf den beiden Endgeräten vorgesehen, vermag der Senat nicht zu teilen.
242
Denn in der K8/Mostafa sind bereits Endgeräte mit Speichern in Gigabytegröße in Form von Laptops offenbart, wobei auch schon für diese nach K8/Mostafa keine lokale persistente Speicherung der ein- und ausgehenden Medien vorgesehen ist (vgl. K8, Abs. [0126]). Aus K8/Mostafa erhält der Fachmann keinen Hinweis oder Anregung dahingehend, dass es bei diesen Laptops aufgrund der höheren Speicherkapazität vorteilhaft sein könnte, die Medien der ein- und ausgehenden Nachrichten persistent zu speichern. Im Gegenteil, K8/Mostafa beschäftigt sich sogar ausdrücklich mit E-Mail-Kommunikation mit großen Mediendateien unter Verwendung von PCs und mobilen Endgeräten und stellt auch dort das lokale Speichern dieser großen Mediendateien als nachteilig dar (vgl. K8, Abs. [0007]).
243
Zudem konnte die Klägerin auch nicht überzeugend darlegen, dass die zum Prioritätszeitpunkt gängigen Mobiltelefone über mehrere Gigabyte große Speicher verfügten. Das von der Klägerin zum Fachwissen aufgeaufgeführte Mobiltelefon Apple iPhone in der ersten Version verfügt zwar über einen größeren internen Speicher (Memory internal 4/8/16 GB) als der in der K8/Mostafa genannte Nokia 9110 Communicator (2 MB user data storage), bei dem Apple iPhone handelt es sich aber nicht um ein zum Prioritätstag des Streitpatents gängiges Mobiltelefon, sondern um eine neue Kategorie von Mobiltelefonen, welche erst kurz vor dem Prioritätstag auf den Markt gekommen sind (vgl. K18, Apple iPhone, „Released 2007, June“).
244
Der Fachmann hatte daher ausgehend von K8/Mostafa weder eine Veranlassung, ein persistentes Speichern von eingehenden/ausgehenden Nachrichten (Mediendateien) in einem Speicherelement auf der Kommunikationsvorrichtung vorzusehen, noch eine Veranlassung, Nachrichten (Mediendateien) über das Übertragungsnetz von der ersten Kommunikationsvorrichtung zu der zweiten Kommunikationsvorrichtung zu senden bzw. zu empfangen, ohne zuvor eine Verbindung im Sinne des Streitpatents einzurichten. Somit würde der Fachmann ausgehend von K8/Mostafa nicht in naheliegender Weise zu dem Verfahren nach Patentanspruch 1 gelangen. Damit hat er auch keinerlei Anregung, ein „render control element“ gemäß Merkmal D1.7HA3neu vorzusehen.
245
Bei dieser Sachlage kommt es auch nicht mehr darauf an, ob für die Layer 3 „store-and-forward“ Übermittlung der Benachrichtigung („notification“) mittels „notification message“ vom Sender über einen MMS-Server an den/die Empfänger in Phase 2 der Lehre der K8/Mostafa ggf. eine Verbindung im Sinne des Streitpatents auf den darüber liegenden Transport-Layer (Layer 4) oder Session-Layer (Layer 5) erforderlich ist.
246
5.2.3 Erfinderische Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift K6/Munje
247
Insbesondere die Merkmale D1.2, D1.5, D1.3HA3neu und D1.4HA3neu nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag „3 neu“ gehen aus K6/Munje nicht unmittelbar und eindeutig hervor.
248
Die Entgegenhaltung K6/Munje betrifft ein Push-To-Talk (PTT) System für Mobiltelefone (vgl. K6, Abs. [0002]). Bei einer PTT-Kommunikation treffen Nachrichten unmittelbar und unangekündigt ein. Entsprechend kann es vorkommen, dass einzelne Nachrichten überhört bzw. versäumt werden (vgl. K6, Abs. [0005], „An end user of the mobile station may be busy or caught “off-guard” and not listening to the initial communication. Thus, the end user may not hear at least the initial PTT voice communication.“).
249
Es wird deshalb von K6/Munje vorgeschlagen, eine Aufnahme- und Wiedergabefunktion für PTT-Geräte vorzusehen, um gesendete und empfangene Sprachnachrichten lokal auf einem mobilen Endgerät (Kommunikationsvorrichtung) zu speichern (vgl. K6, Abs. [0007]). Dadurch wird es beispielsweise einem Nutzer eines Empfangsgeräts ermöglicht, versäumte Nachrichten zu einem späteren Zeitpunkt abzuspielen (vgl. K6, Abs. [0008]). Es können somit Nachrichten mit Zeitversatz ausgetauscht werden.
250
Im Hinblick auf den geltenden Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag „3 neu“ geht aus der K6/Munje hervor:
251
D1 A communication device (13, 140), comprising:
252
K6/Munje beschreibt ein Mobiltelefon, das mit einer Sende-/Empfangseinrichtung ausgestattet ist, die in der Lage ist, PTT-Sprachnachrichten über ein drahtloses Übertragungsnetzwerk zu senden (vgl. K6, Abs. [0007]).
253
D1.1 an encoder (21) configured to progressively encode media on the communication device originating at the communication device as the media is created;
254
Gemäß K6/Munje werden, sobald ein PTT-Schalter von einem Nutzer des Mobiltelefons gedrückt wird, von einem Mikrofon des Mobiltelefons empfangene Sprachsignale über das Drahtlosnetzwerk gesendet (vgl. K6, Abs. [0060]). Gemäß Absatz [0034] von K6/Munje werden die zu sendenden Signale auch fortlaufend kodiert, „In a similar manner, Signals to be transmitted are processed, including modulation and encoding, for example, by DSP220. These DSP-processed signals are input to transmitter 214 for digital-to-analog (D/A) conversion, frequency up conversion, filtering, amplification and transmission over communication network via antenna 218.“.
255
D1.2 a storage or memory element (146) configured to progressively and
persistently
store the encoded media on the communication device as the media is created
;
256
K6/Munje beschreibt auch, dass die vom Mobiltelefon verschickten PTT-Nachrichten gleichzeitig mit deren Übertragung sukzessive in einem Speicher des Mobiltelefons gespeichert werde (vgl. K6, Abs. [0053], „Memory 412 is used to store compressed voice data of received PTT voice communications, as will be described further herein.“ und Abs. [0074], „The mobile station may also save its own PTT voice communications in its memory in a similar manner, in sequence along with the PTT voice communications received through its receiver. This option provides a more complete history of PTT voice communications stored in memory. In this case, steps 604 and 630 of FIG. 6 correspond to detecting PTT button depressions and PTT button releases, respectively, at the user interface of the mobile station. Upon PTT button depression, the processor causes the voice data of the PTT voice transmission to be stored in the memory simultaneously with its transmission.“; vgl. auch K6, Ansprüche 1- 5).
257
Der Speicher kann auch so groß sein, dass mehrere PTT-Sprachverbindungen gespeichert werden können (vgl. K6, Abs. [0056], „Preferably, a plurality of PTT voice communications are consecutively saved in memory 412 which have corresponding pairs of start and end markers for identification and retrieval.“). Da die Daten bei K6/Munje jedoch in einem Ringspeicher abgelegt und somit automatisch zyklisch überschrieben werden (vgl. K6, Abs. [0055], „circular buffer memory“), handelt es sich hierbei nicht um ein „persistentes“ Speichern im Sinne des Streitpatents.
258
D1.3
HA3neu
a transmitter (26j) configured to progressively transmit the encoded media over a network (14, 18) from the communication device to a second communicaton device as the media is created
without an established connection over the network between the communication device and the second communication device
;
259
Gemäß K6/Munje werden, sobald ein PTT-Schalter von einem Nutzer des Mobiltelefons gedrückt wird, von einem Mikrofon des Mobiltelefons empfangene Sprachsignale über das Drahtlosnetzwerk gesendet, wozu ein Transmitter erforderlich ist (vgl. K6, Abs. [0060]). Gemäß K6/Munje muss bei PTT für den Nachrichtenaustausch allerdings eine Session zwischen den beiden Endgeräten aufgebaut werden (vgl. K6, Abs. [0030], „A conventional PoC communication session involves a session connection between end users of mobile stations, referred to as session “participants”, who communicate one at a time in a half-duplex manner much like conventional walkie-talkies or two-way radios.“ oder Abs. [0044], „A PoC communication session is a session connection between end users of a UE 302, referred to as session “participants”, who communicate one at a time in a half duplex manner. PoC communication utilizes Voice over IP (VoIP) technology […]“). Ohne den Aufbau der Session ist eine Übertragung nicht möglich.
260
D1.4
HA3neu
a receiver (28d) configured to progressively receive media from the second communication device over the network at the communication device as the media is available
without an established connection over the network between the communication device and the second communication device
;
261
K6/Munje beschreibt neben der Übertragungsfunktion auch eine Empfangsfunktion. Für den Fall, dass eine Aufnahmefunktion für das empfangende Mobiltelefon freigeschaltet ist, erfolgt ein gleichzeitiges Verarbeiten und Speichern der eingehenden PTT-Sprachkommunikation (vgl. K6, Abs. [0071], „Next, the voice data for the PTT voice communication is received through the wireless transceiver (step 626 of FIG. 6). The voice data is processed so that audible voice signals are heard through the speaker of the mobile station. In particular, RF signals carrying the voice data may be processed through receiver 212, channel decoder and demodulator 408, voice decompressor 406, CODEC 404, and audio circuit 402 of FIG. 4.”). Ohne den Aufbau der Session ist der Empfang jedoch nicht möglich.
262
D1.5 the storage or memory element (146) further configured to progressively and
persistently
store the received media as the received media is progressively being received over the network at the communication device; and
263
Vgl. K6/Munje, Absatz [0071], „Advantageously, the voice data of the PTT voice communication is also simultaneously saved in memory (step 628 of FIG. 6). Preferably, the circular buffer memory 412 of FIGS. 4-5 is utilized for the recording of the PTT voice data as previously described.”. Da die Daten bei K6/Munje jedoch in einem Ringspeicher abgelegt und somit automatisch zyklisch überschrieben werden (vgl. K6, Abs. [0055], „circular buffer memory“), handelt es sich hierbei nicht um ein „persistentes“ Speichern im Sinne des Streitpatents.
264
D1.6 a rendering element (21) configured to progressively render the received media as the received media is being received over the network in a real-time rendering mode; and
265
K6/Munje beschreibt neben der Übertragungsfunktion auch eine Empfangsfunktion. Für den Fall, dass eine Aufnahmefunktion für das empfangende Mobiltelefon freigeschaltet ist, erfolgt ein gleichzeitiges Verarbeiten und Speichern der eingehenden PTT-Sprachkommunikation (vgl. Abs. [0071]).
266
D1.7
HA3neu
a render control element configured to control the rendering element (21) to either:
267
(i)
progressively render the received media as the received media is being received over the network in the real-time rendering mode; or
268
K6/Munje ermöglicht mit der Schalterkonfiguration A + D (vgl. K6/Munje, Abs. [0054] und Fig. 4) das Rendern einer Nachricht in Echtzeit, also während diese empfangen wird, und offenbart somit ein “render control element”, mit dem ein Echtzeitrendermodus eingestellt werden kann.
269
(ii)
progressively render the received media retrieved from the storage or memory element (146) in a time-shifted mode; and
270
K6/Munje beschreibt auch die Möglichkeit, dass ein Benutzer die eingehende Nachricht zunächst speichert und erst zu einem späteren Zeitpunkt anhört – mit der Schalterkonfiguration B + C (vgl. K6/Munje, Abs. [0079], „Subsequently, in response to detecting a user actuation of the PTT replay switch, the processor causes the voice data of the PTT voice communication to be retrieved from the memory and audible voice signals corresponding to the voice data to be output from the speaker”). Somit können die empfangenen Medien gemäß der Lehre der K6/Munje mittels des “render control element” auch in einem zeitversetzten Modus, bei dem die Daten vom lokalen Speicher des Mobiltelefons abgerufen werden, wiedergegeben werden.
271
(iii)
(iii) transition the rendering of the received media between the time-shifted mode and the real time mode; and
272
K6/Munje offenbart, dass je nach Wahl des Benutzers, Medien in einem Echtzeitrendermodus oder aber in einem zeitversetzten Modus gerendert werden können (vgl. K6/Munje, Absätze [0007], [0008], [0053], [0054] und [0079]).
273
D1.8
HA3neu
wherein the media comprises
video or video
and one or more of the following types of media: voice,
text, sensor data, radio signals posilion or GPS information, or a combination thereof
.
274
K6/Munje offenbart lediglich den Medientyp Audio.
275
Aus K6/Munje geht somit nicht unmittelbar und eindeutig hervor, dass
276
a)
die gesendeten und empfangenen Nachrichten auf der ersten Kommunikationsvorrichtung dauerhaft im Sinne des Streitpatents gespeichert werden (Merkmale D1.2 und D1.5),
277
b)
Nachrichten durch den Sender über das Übertragungsnetz von der ersten Kommunikationsvorrichtung zu der zweiten Kommunikationsvorrichtung gesendet werden und von einem Empfänger über das Übertragungsnetz an der ersten Kommunikationsvorrichtung von der zweiten Kommunikationsvorrichtung empfangen werden, ohne dass eine Verbindung über das Übertragungsnetz zwischen der ersten Kommunikationsvorrichtung und der zweiten Kommunikationsvorrichtung eingerichtet ist (Merkmale D1.3HA3neu und D1.4HA3neu), und
278
c)
es sich bei den Medien um Video handelt (Merkmal D1.8HA3neu).
279
Die Merkmale D1.3HA3neu, D1.4HA3neu sind ausgehend von K6/Munje nicht nahegelegt.
280
Zu a) Gemäß der K6/Munje werden nicht nur eine Vielzahl von eingehenden Nachrichten, sondern auch eine Vielzahl von ausgehenden Nachrichten – und somit ein umfassender Nachrichten-Verlauf – in einem Speicher 412 abgelegt (vgl. K6/Munje, Abs. [0056] und [0074]), wobei somit also eine Speicherung diverser Nachrichten und Konversationen bereits vorgesehen ist. Dies wird insbesondere auch durch das in K6/Munje beschriebene „scroll wheel 812“ bekräftigt, mit welchem der Nutzer durch die Vielzahl von aufgezeichneten Nachrichten navigieren kann (vgl. K6/Munje, Abs. [0063] ff.). Bei den in K6/Munje vorgesehenen Speichern kann es sich sowohl um volatile (vgl. K6, Abs. [0022] für das Betriebssystem) oder nicht-volatile (vgl. K6, Abs. [0025] und S. 4, Abs. [0035]) Speicher handeln. Ob der Nachrichtenverlauf auf einem volatilen oder nicht-volatilen Speicher abgelegt ist, lässt K6/Munje offen; in den entsprechenden Textstellen wird lediglich von einem Speicher (vgl. Abs. [0055], „memory 412“) gesprochen.
281
Zwar wird in dem Ausführungsbeispiel der Figur 5 in Verbindung mit Absatz [0055] ein Ring-Speicher („circular buffer memory“) für das Speichern des Nachrichtenverlaufs beschrieben, bei dem Nachrichten nach einer bestimmten Zeit überschrieben werden, allerdings ist K6/Munje darauf jedoch nicht beschränkt. Anspruch 1 der K6/Munje spricht ganz allgemein von einem Speicher (vgl. K6, Anspruch 1, „[…] causing the voice data of the PTT voice communication to be recorded in memory of the mobile station based on receiving the PTT key message“ und Abs. [0070], „Preferably, memory 412 of FIGS. 4-5 is utilized.“). Erst mit Unteranspruch 6 wird dieser Speicher auf einen Ringspeicher beschränkt.
282
Der Fachmann hat deshalb Anlass, sich Gedanken über die Art und Weise der Speicherung zu machen. Er würde sie zudem in jedem Fall derart ausgestalten, dass der Nutzer stets – also auch nach einem Aus- und Einschalten der Kommunikationsvorrichtung – auf die vollständige Konversation zugreifen kann, und deshalb vorzugsweise einen nicht-volatilen Speicher verwenden, in dem der komplette Nachrichtenverlauf persistent im Sinne des Streitpatents (dauerhaft) gespeichert wird. Einer erfinderischen Tätigkeit bedarf es zu diesem Merkmal nicht.
283
Zu b) Die Ansicht der Klägerin, dass die Merkmal D1.3HA3neu und D1.4HA3neu durch den Verweis in K6/Munje auf den PoC-Standard (vgl. K6, Abs. [0050]) durch die Druckschriften K17 bzw. K20 nahegelegt sei, vermag der Senat nicht zu teilen.
284
Der PoC-Standard gemäß K17 besagt für den Fall, dass der Empfänger registriert ist und die automatische Antwortfunktion verwendet (“Automatic Answer Mode”), dass das Sendegerät (in Folge eines INVITE Requests) eine Antwort (“UNCONFIRMED OK response”) vom PoC-Server erhält. Diese “UNCONFIRMED OK” Antwort bedeutet, dass das Empfangsgerät (noch) nicht Teil der PoC-Session ist. Der PoC-Standard sieht dann vor, dass das Sendegerät nach Erhalt der besagten Antwort bereits proaktiv Medien an den PoC-Server losschicken kann. Diese werden am PoC-Server gepuffert, bis eine Verbindung bzw. Session zum eingeladenen Empfangsgerät steht (vgl. K17, S. 58 Aufzählungspunkte 3 und 6 in Verbindung mit Figur 13).
285
Anders formuliert ermöglicht diese PoC-Funktionalität (“Automatic Answer Mode”) ein Senden von Medien von einem ersten Kommunikationsgerät zum PoC-Server, wobei dieser die Medien zwischenspeichert und erst dann an das zweite Kommunikationsgerät weiterleitet, sobald dieses in der PoC-Session verbunden ist. Es kann also zwar bereits gesendet werden, ohne zunächst auf eine vollständig eingerichtete Verbindung im Sinne des Streitpatents zu warten, um so etwaige Verzögerungszeiten beim Aufbau der PoC-Session zumindest teilweise zu kompensieren. Allerdings ist nach dieser Anlaufphase eine Verbindung über das Netzwerk zum zweiten Kommunikationsgerät erforderlich und es muss eine derartige Verbindung eingerichtet sein. Somit zeigt K17 das Merkmal D1.3HA3neu nicht. Denn, falls die Verbindung vom Server zum Endgerät nicht zustande kommt, wird die PoC-Session verworfen (vgl. K17, S. 58, „If none of the invited PoC Users accepts the invitation, the PoC Server A (participating & controlling) rejects the PoC Session.“).
286
Ein Empfangen von Medien am ersten Kommunikationsgerät vom zweiten Kommunikationsgerät, ohne dass eine Verbindung eingerichtet wird, ist der K17 ebenfalls nicht zu entnehmen. Da der PoC-Dienst unidirektional ist, wird das erste Kommunikationsgerät Medien erst nach Übernahme der Sprechfunktion durch den Kommunikationspartner empfangen, wobei zu diesem Zeitpunkt die PoC-Session dann bereits steht.
287
Etwas Anderes hat die Klägerin auch nicht vorgetragen und soweit sie die Ansicht vertritt, die Merkmale D1.3HA3neu und D1.4HA3neu seien durch die in Anlage K20 beschriebene „Video sharing“ (vgl. K20, S. 21) und die dort beschriebene PoC-Box (vgl. K20, S. 23) nahegelegt, überzeugt dies nicht.
288
Auch die K20 erfordert für das dort in Kapitel 5.1 beschriebene „Video sharing“ eine PoC-Session zu einem Empfänger, was bereits aus dem ersten Absatz des Abschnitts 5.1.1. hervorgeht (vgl. K20, S. 21, 1. Absatz). Dass der Ablauf gemäß K20 an dieser Stelle ein anderer sein sollte als in K17 beschrieben, ist der K20 nicht zu entnehmen. Damit ist das Merkmal D1.3HA3neu gemäß Patentanspruch 1 für das Senden von Medien auch nicht durch die K20 nahegelegt. Zudem ist auch hier für den Empfang der Medien am ersten Kommunikationsgerät eine Verbindung zwischen den Kommunikationsgeräten erforderlich.
289
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der in Kapitel 5.2 der K20 beschriebenen „PoC-Box“ (vgl. K20, S. 23). Diese stellt lediglich eine Möglichkeit für die Aufnahme von Sprachnachrichten in Form einer Art „Online-Anrufbeantworter“ dar, mit der sich das Sendegerät in einer Session verbinden muss, damit es eine Nachricht absenden darf (vgl. K20, S. 23, „Instead of PoC User B being alerted the PoC Service Infrastructure establish a PoC Session between PoC User A and a PoC Box.“). Bei der PoC-Box handelt es sich aus fachmännischer Sicht um einen Server im System und nicht um das zweite Kommunikationsgerät im Sinne des Streitpatents. Das erste Kommunikationsgerät sendet die Nachricht somit nicht an das zweite Kommunikationsgerät sondern an einen Server als Kommunikationspartner, wozu vorab eine Verbindung (eine „PoC-session“) erforderlich ist. Ist das zweite Kommunikationsgerät (PoC user B) wieder erreichbar, so baut der Server („PoC Service Infrastructure“) ebenfalls eine Verbindung (also eine weitere „PoC-session“) mit dem zweiten Kommunikationsgerät (PoC User B) auf und sendet die aufgezeichnete Sprachnachricht (vgl. K20, S. 24 oben). Das zweite Kommunikationsgerät empfängt die Nachricht somit nicht vom ersten Kommunikationsgerät sondern vom Server.
290
Des Weiteren offenbart die Entgegenhaltung K20 nicht, dass die von der PoC-Box abgerufenen Nachrichten von einem „render element“ progressiv in einem Echtzeitwiedergabemodus gemäß Merkmal D1.6 abgespielt werden. Die Druckschrift verhält sich hierzu nicht. Es ist aus fachmännischer Sicht davon auszugehen, dass User B die aufgezeichneten Nachrichten zunächst vollständig herunterlädt und erst dann abspielt, da die aufgezeichnete Nachricht vollständig auf der PoC-Box abgelegt ist.
291
Zu c) Eine Anregung für das Vorsehen von Videodaten bei der Datenübertragung gemäß Merkmal D1.8HA3neu entnimmt der Fachmann der K20 (vgl. K20, S. 21, Kapitel 5.1 – PoC Video Sharing).
292
Zwar könnte der Fachmann aus der Gesamtschau der Druckschriften ohne Weiteres einen persistenten Speicher und auch ein Videosharing vorsehen, da aber wederK17 noch K20 die Merkmale und D1.3HA3neu und D1.4HA3neu zeigen, ist durch eine Zusammenschau der K6/Munje mit diesen Druckschriften die Vorrichtung gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag „3 neu“ nicht nahegelegt.
293
5.2.4 Erfinderische Tätigkeit ausgehend von K14/Kenoyer, K5/Atarius und K7/Clisham
294
Wie bereits zuvor bei der Prüfung der Frage der Neuheit in Ziff. 5.1 ausgeführt, gehen aus diesen Druckschriften die Merkmale D1.3HA3neu und D1.4HA3neu nicht unmittelbar und eindeutig hervor. Dass der Fachmann aus einer der Druckschriften eine Anregung in Richtung dieser Merkmale erhalten würde, hat weder die Klägerin vorgetragen noch ist dies für den Senat ersichtlich.
295
5.2.5 Dass der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 gegenüber einer der weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften naheliegen würde, ist für den Senat nicht ersichtlich. Vielmehr liegen diese Entgegenhaltungen noch weiter ab vom Stand der Technik hinsichtlich des Gegenstands nach Patentanspruch 1.
296
Die Druckschriften K9, K10 und K11 wurden seitens der Klägerin zum Nachweis der Merkmale des erteilten, auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentanspruchs 15 in das Verfahren eingeführt, die K19 betrifft den Nachweis von MMS Dateigrößen zum Prioritätszeitraum, und die K21 bis K23 betreffen den Nachweis des Fachwissens hinsichtlich des PoC-Standards gemäß K15 und K20.
297
Da sich somit der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach Hilfsantrag „3 neu“ für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik ergibt, gilt er auch als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend und ist somit patentfähig.
298
6. Für die ebenfalls angegriffenen Unteransprüche 8 und 15 sowie zum nebengeordneten Patentanspruch 16, zu denen auch die Klägerin lediglich pauschal auf ihren Vortrag zu Patentanspruch 1 verweist und keine darüber hinausgehenden Einwendungen erhoben hat, gelten, auch soweit sie vorteilhafte Ausgestaltungen des Erfindungsgegenstands betreffen, die vorstehenden, die den Anspruch 1 betreffenden Überlegungen entsprechend; die Unteransprüche 8 und 15 sowie der nebengeordnete Anspruch 16 sind insoweit bereits durch ihren Rückbezug auf den patentfähigen Anspruch 1 ebenfalls rechtsbeständig. Gegenteiliges hat auch die Klägerin nicht geltend gemacht. Die ursprünglichen Ansprüche 6 und 10 hat die Beklagte hier in den Patentanspruch 1 aufgenommen; daher war über sie nicht gesondert zu befinden.
B.
299
Nebenentscheidungen
300
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 ZPO.
301
Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der als schutzfähig verbleibende Patentgegenstand in den von der Klägerin angegriffenen Patentansprüchen 1, 6, 8, 10, 15 und 16 in der beschränkt verteidigten Fassung nach Hilfsantrag „3 neu“ gegenüber demjenigen der erteilten Fassung signifikant eingeschränkt ist. Das Streitpatent erfährt in der Fassung nach Hilfsantrag „3 neu“ durch die Änderung in den Merkmalen D1.3HA3neu, D1.4HA3neu, D1.7HA3neu und D1.8HA3neu in dem unabhängigen Vorrichtungsanspruch 1, die nun zur Annahme der patentgemäßen Lehre nach dem Streitpatent erfüllt sein müssen, eine wesentliche Einschränkung. Diese Einschränkungen auf das Senden von Nachrichten über das Netzwerk von einem ersten zu einem zweiten Kommunikationsgerät, ohne dass eine Verbindung über das Netzwerk zwischen den Kommunikationsgeräten eingerichtet ist, auf das erforderliche „render control element“, welches das Umschalten von einem „real-time-modus“ auf einen „time-shift-modus“ ermöglicht, und auf die Beschränkung der Medienart auf zumindest Video, machen nach der Schätzung des Senats drei Viertel der wirtschaftlichen Verwertbarkeit von den von der Klägerin angegriffenen Patentansprüchen 1, 6, 8, 10, 15 und 16 des Streitpatents aus.
302
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben