Patent- und Markenrecht

Einspruchsverfahren – elastisches Verstellelement – Deutung eines Patentanspruchs

Aktenzeichen  9 W (pat) 408/05

Datum:
31.10.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 1 PatG
§ 2 PatG
§ 3 PatG
Spruchkörper:
9. Senat

Tenor

In der Einspruchssache
betreffend das Patent 103 51 157

hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 31. Oktober 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Pontzen sowie der Richter Dipl.-Ing. Bork, Paetzold und Dipl.-Ing. Univ. Nees
beschlossen:
Das Patent wird aufrechterhalten.

Gründe

I.
1
Die Einsprechende hat gegen das am 3. November 2003 angemeldete und am 9. Juni 2005 erteilte Patent mit der Bezeichnung
2
“Kraftfahrzeugsitz”
3
am 9. September 2005 Einspruch erhoben. Der Einspruch ist auf den Widerrufsgrund gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG (mangelnde Patentfähigkeit) gestützt. Zur Begründung verweist die Einsprechende neben den im Prüfungsverfahren genannten Druckschriften:
4
DE 198 36 907 C1
5
DE 197 50 116 C2
6
DE 100 05 215 C1
7
WO 03/022626 A1
8
auf die Druckschriften
9
D1 WO 2004/043730 A2
10
D2 WO 2004/043207 A2
11
D3 US 6,199,951 B1
12
D4 US 5,941,602 A
13
D5 US 5,697,672 A
14
D6 US 4,671,569 A
15
D7 US 3,929,374 A
16
D8 US 6,554,360 B1.
17
Außerdem verweist sie auf eine mündliche Beschreibung:
18
Mitarbeiter der Firma J… Inc. hätten am 27. August 2003 und somitvor dem Anmeldetag des Streitpatents bei der Firma G… Corporation(GM) ohne Geheimhaltungsvorbehalt eine Präsentation abgehalten, im Rahmen derer Modelle von Kraftfahrzeugsitzen und Animationen von Kraftfahrzeugsitzen gezeigt worden seien, die mit denen in der WO 2004/043730 A2 (D1) und in der WO 2004/043207 A2 (D2) offenbarten Sitzen identisch seien. Hierfür bietet sie Zeugenbeweis an und legt hierzu Unterlagen vor, und zwar
19
Anlage 2: Hummer HX Tech Review (Präsentation)
20
Anlage 3: Bild einer Bewegungssequenz.
21
Die Einsprechende ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht neu sei oder zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
22
Die Einsprechende stellt den Antrag,
23
das Patent zu widerrufen.
24
Die Patentinhaberin stellt den Antrag,
25
das Patent wie erteilt aufrecht zu erhalten.
26
Nach Auffassung der Patentinhaberin ist der Gegenstand des Streitpatents patentfähig.
27
Der Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
28
“Kraftfahrzeugsitz mit Tragstruktur, Polsterung und Sitzbezug, der ein Sitzteil (1) und eine auf das Sitzteil verschwenkbare Rückenlehne (2) sowie an der äußeren Längsseite der Rückenlehne je eine Seitenwange (3) aufweist, deren maximale Höhe (h) und Kontur in der Gebrauchsstellung die zentrale Kontur (2a) der Rückenlehne (2) nach vorn überragen, mit einem innerhalb der Seitenwange (3) angeordneten, für die Verstellung von Höhe (h) und Kontur der Seitenwange vorgesehenen elastischen Verstellelement und innerhalb der Seitenwange (3) angeordneten Betätigungsmitteln (5, 6) für das Verstellelement (4), dadurch gekennzeichnet, dass das Verstellelement (4) und die Seitenwange (3) durch die Betätigungsmittel (5, 6) beim Vorklappen der Rückenlehne (2) aus der Gebrauchsstellung in die Vorklappstellung derart verformt werden, dass die die zentrale Kontur (2a) überragende maximale Höhe (h) der Seitenwange (3) in der Vorklappstellung kleiner ist als in der Gebrauchsstellung.”
29
Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 6 und zu weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
30
Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch § 147 Abs. 3 Satz 1 PatG in den vom 1. Januar 2002 bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassungen begründet.
31
Am Einspruchsverfahren ist nunmehr die jetzige Patentinhaberin beteiligt, die der ursprünglichen Patentinhaberin durch Handelsregistereintragung vom 21. Juli 2006 im Wege des Formwechsels nachgefolgt ist. Zwar findet § 265 Abs. 2 ZPO auch im Einspruchsverfahren Anwendung (vgl. BGH PMZ 2007, 459 ff.), wonach der Rechtsnachfolger einer streitbefangenen Sache nicht berechtigt ist, ohne Zustimmung des Gegners das Verfahren als Hauptpartei zu übernehmen. Dies gilt jedoch nicht für eine Gesamtrechtsnachfolge, wie hier im Wege des Formwechsels auf Seiten der Patentinhaberin (vgl. Mes, PatG, 3. Aufl. 2011, § 59 Rn. 17 m. w. N.).
32
Der Einspruch ist gemäß § 59 Abs 1 PatG frist- und formgerecht erhoben worden sowie ausreichend substantiiert und somit zulässig. In der Sache hat der Einspruch keinen Erfolg.
33
1. Das Streitpatent betrifft einen Kraftfahrzeugsitz mit nachfolgender Merkmalsgliederung:
34
1. Kraftfahrzeugsitz mit Tragstruktur, Polsterung und Sitzbezug.
35
2. Der Kraftfahrzeugsitz weist ein Sitzteil (1) und eine auf das Sitzteil verschwenkbare Rückenlehne (2) sowie an der äußeren Längsseite der Rückenlehne (2) je eine Seitenwange (3) auf.
36
3. Die maximale Höhe (h) und Kontur der Seitenwangen überragt in der Gebrauchsstellung die zentrale Kontur (2a) der Rückenlehne (2) nach vorn.
37
4. Innerhalb der Seitenwange (3) ist ein für die Verstellung von Höhe (h) und Kontur der Seitenwange vorgesehenes elastisches Verstellelement (4) angeordnet.
38
5. Innerhalb der Seitenwange (3) sind Betätigungsmittel (5, 6) für das Verstellelement (4) angeordnet.
39
6. Das Verstellelement (4) und die Seitenwange (3) werden durch die Betätigungsmittel (5, 6) beim Vorklappen der Rückenlehne (2) aus der Gebrauchsstellung in die Vorklappstellung derart verformt, dass die die zentrale Kontur (2a) überragende maximale Höhe (h) der Seitenwange (3) in der Vorklappstellung kleiner ist als in der Gebrauchsstellung.
40
2. Die Patentansprüche 1 bis 6 sind zulässig. Gegenteiliges hat auch die Einsprechende nicht ausgeführt.
41
Der Patentanspruch 1 ist durch die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen gedeckt und damit zulässig. Er beruht auf dem ursprünglichen Anspruch 1 und ist durch Angaben aus der ursprünglichen Beschreibung ergänzt worden.
42
Die erteilten Patentansprüche 2 bis 6 stimmen mit den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 6 überein.
43
3. Zum Verständnis des Patentanspruchs 1:
44
Nach ständiger Rechtsprechung sind auch für die Prüfung der Patentfähigkeit Begriffe in den Patentansprüchen so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung der in ihr objektiv offenbarten Lösung versteht. Für die Deutung des Begriffs ist maßgeblich, welchen Begriffsinhalt das Patent bei unbefangener Erfassung der im Anspruch umschriebenen Lehre zum technischen Handeln einem vorgeschlagenen Merkmal zuweist (vgl. BGH GRUR 2001, 232-235 – Brieflocher).
45
Der hier angesprochene Fachmann ist ein Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau, der über langjährige Erfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Fahrzeugsitzen verfügt.
46
In dem Merkmal 4 gemäß o. a. Gliederung des Patentanspruchs 1 wird gefordert, dass innerhalb der Seitenwange ein für die Verstellung von Höhe und Kontur der Seitenwange vorgesehenes elastisches Verstellelement angeordnet ist. Eine ausdrückliche Definition eines elastischen Verstellelements enthält der Patentanspruch 1 nicht. Da jedes Material eine gewisse Elastizität aufweist, würde bspw. auch ein massiver Gelenkhebel aus Stahl ein elastisches Verstellelement darstellen. Ein solches Verständnis des Begriffs “elastisches Verstellelement” ist durch die Patentschrift jedoch nicht gedeckt. In der Beschreibungseinleitung ist bezüglich der den Oberbegriff des Patentanspruchs 1 bildenden DE 100 05 215 C1 ausgeführt, dass das elastische Verstellelement ein Bügel ist, der in seiner Krümmung im Wesentlichen elastisch verformbar ist (siehe Abs. 0002). In der Beschreibung des Ausführungsbeispiels ist ausgeführt, dass die elastischen Verstellelemente als Bügelelemente ausgebildet sind, deren Wölbung in der vorgeklappten Position der Rückenlehne schwächer ist als in der aufrechten Benutzungsposition (siehe Abs. 0019 u. 0024). Im Merkmal 6 des Patentanspruchs 1 ist zudem u. a. gefordert, dass das Verstellelement beim Vorklappen der Rückenlehne aus der Gebrauchsstellung in die Vorklappstellung derart verformt wird, dass die Höhe der Seitenwange in der Vorklappstellung kleiner ist als in der Gebrauchsstellung. Der Fachmann versteht daher das in Rede stehende Merkmal 4 des Patentanspruchs 1 dahin, dass das elastische Verstellelement für die Verstellung von Höhe und Kontur der Seitenwange elastisch verformt wird und diese Verformung des elastischen Verstellelements die Verstellung von Höhe und Kontur der Seitenwange bewirkt.
47
4. Der mit dem Patentanspruch 1 beanspruchte Kraftfahrzeugsitz ist patentfähig.
48
4.1 Der Kraftfahrzeugsitz nach Patentanspruch 1 ist neu, da aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik ein Gegenstand mit sämtlichen in diesem Anspruch angegebenen Merkmalen nicht bekannt ist.
49
Beim Kraftfahrzeugsitz nach dem Ausführungsbeispiel der Figuren 16 bis 21 der D1 (WO 2004/043730 A2) ist als Verstellelement zur Verstellung der Höhe und der Kontur der Seitenwange eine Blase (bladder portion 251) vorgesehen, die mittels eines Lüfters (fan 271) aufgeblasen werden kann (siehe Fig. 16 bis 21 i. V. m. Abs. 53 bis 55). Der Lüfter 271 ist folglich das Betätigungsmittel im Sinne des Streitpatents, denn durch ihn wird die Seitenwangenblase 251 verformt. Wie aus der Explosionsdarstellung der nachfolgend mit hinzugefügter Anmerkung wiedergegebenen Figur 21 der D1 und der zugehörigen Beschreibung zu entnehmen ist, ist der Lüfter 271 mittig, im unteren Bereich eines Rückenlehnen-Unterstützungsbauteils (support member 261) angeordnet und mit diesem verbunden. Im zusammengebauten Zustand der Rückenlehne, wenn das Rückenlehnenpolster (seat back cushion portion 231) mit dem Rückenlehnen-Unterstützungsbauteil 261 verbunden ist, besteht auch eine Verbindung zwischen Lüfter 271 und Seitenwangenblase 251 (vgl. Abs. 0057 in D1). Der Lüfter 271 ist somit nicht, wie streitpatentgemäß gefordert, innerhalb der Seitenwange des Kraftfahrzeugsitzes angeordnet.
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50
Figur 21 der D1 mit hinzugefügter Anmerkung
51
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 unterscheidet sich daher von dem Ausführungsbeispiel der Figuren 16 bis 21 der D1 bereits durch das Merkmal 5.
52
Die Einsprechende vertritt allerdings die Auffassung, dass als Betätigungsmittel eine Schlauchverbindung zwischen dem Lüfter und der Blase anzusehen sei. Diese Schlauchverbindung sei in der Figur 21 als Verbindungslinie zwischen den Lüftern 271 und 273 gezeigt und würde auch im Bereich der Seitenwange verlaufen, um den Lüfter mit der Blase zu verbinden. Diese Argumentation überzeugt den Senat nicht. Denn die angesprochene Linie führt gerade nicht von einem Lüfter zu einer Blase, sondern von dem Lüfter 271 für die Rückenlehne und von dem Lüfter 273 für den Sitz jeweils zu einem nicht bezeichneten Sitzbeschlag, an welchem die Sitzrahmenteile 241 und 243 befestigt sind, vgl. insb. Abs. 56, 57. Warum beide Lüfter 271 und 273 pneumatisch miteinander verbunden sein sollen, erschließt sich dem Fachmann nicht. Auf ausdrückliches Befragen in der mündlichen Verhandlung konnte die Einsprechende eine Stütze für diese Interpretation in der Beschreibung der D1 nicht nennen. Möglicherweise ist mit der von jedem Lüfter 271 bzw. 273 zum Sitzbeschlag führenden Linie auch keine pneumatische, sondern eine elektrische Verbindung angedeutet. Dies scheint zumindest aus fachmännischer Sicht plausibler, denn eine elektrische Stromversorgung des jeweiligen Lüfters wäre zweckmäßig über den Drehpunkt zwischen Sitzlehne und Sitzunterteil zu führen.
53
Abgesehen davon ist eine Schlauchverbindung zwischen einem Lüfter und einer Blase weder beschrieben noch in einer Zeichnung dargestellt. Aus der Explosionszeichnung gemäß Figur 21 entnimmt der Fachmann lediglich, dass der Lüfter 271 zusammen mit dem Rückenlehnenrahmen 241 zwischen der Lehnenrückenabdeckung 291 und dem Rückenlehnenunterstützungsbauteil 261 angeordnet ist. Auf der Vorderseite des Rückenlehnenunterstützungsbauteils 261 ist die Polsterauflage 231 mit den Seitenwangenblasen 251 angeordnet. Eine kreisrunde Form, die in dem Rückenlehnenunterstützungsbauteil 261 in Höhe des Lüfters 271 gezeigt ist, könnte eine Aussparung darstellen, welche in der vorstehenden Figur 21 durch einen redaktionellen Zusatz hervorgehoben ist. Eine solche Aussparung wiederum könnte eine Möglichkeit bieten, das Fluid vom Lüfter 271 durch das Rückenlehnen-Trägerbauteil 261 zu dem aufblasbaren Seitenwangenpolster 251 zu führen. Dies kann allerdings dahinstehen, denn eine streitpatentgemäße Anordnung eines Lüfters als das Betätigungselement innerhalb einer Seitenwange der Rückenlehne ist, wie vorstehend ausgeführt, nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.
54
Im Gegensatz zur Auffassung der Einsprechenden kann ein Schlauch an sich auch kein Betätigungselement zum Aufblasen der Blase darstellen, da er ohne weitere Mittel nicht dazu geeignet ist, einen gegenüber dem Umgebungsdruck höheren Luftdruck zu erzeugen.
55
Die Einsprechende argumentiert weiter, dass der Kraftfahrzeugsitz nach Patentanspruch 1 auch durch die alternativen Ausführungsformen nach den Figuren 22 bis 25 der D1 neuheitsschädlich vorweggenommen sei. Die ausklappbaren Flügel (presenting members 340, 360) seien als elastische Verstellelemente ausgeführt. Diese Argumentation greift nicht durch, denn in der D1 findet sich weder eine eindeutige und unmittelbare Offenbarung dahin, dass die ausklappbaren Flügel elastisch verformt werden, um die Seitenwangen in Höhe und Kontur zu verstellen (Merkmal 4), noch dahin, Betätigungsmittel für das Verstellelement innerhalb der Seitenwange anzuordnen (Merkmal 5).
56
Figur 25 der D1
57
Wie aus der vorstehend wiedergegebenen Figur 25 und der zugehörigen Beschreibung der D1 ersichtlich, sind die beiden aufklappbaren Flügel 340, 360 spiegelbildlich angeordnet und bestehen jeweils aus einem inneren Bereich (first end 341, 361) und einem äußeren Bereich (second end 342, 362). Der innere Bereich 341, 361 erstreckt sich auf der Rückseite des Lehnen-Hauptkörpers (main body portion 334). Der äußere Bereich 342, 362 ist an der Vorderseite des Lehnenrahmens (seat back frame member 322) angeordnet und weist ein Seitenwangen-Unterstützungsbauteil (side bolster support portion 343, 363) auf. Mittels eines Bowdenzuges (cable 410), der als Betätigungsmittel für das Verstellelement angesehen werden kann, werden durch Klappen der Lehne und bedingt durch die Gelenkkinematik der Verbindungsglieder (connection clips 350) die Flügel 340, 360 derart bewegt, dass beim Hochklappen der Lehne aus der Vorklappstellung in die Gebrauchsstellung die Seitenwangen-Unterstützungsbauteile 343, 363 etwas nach außen geschoben und dabei ihr Abstand zum Lehnenrahmen 322 nach vorne vergrößert wird (siehe insbes. Fig. 25 und Abs. 0065 bis 0072 in D1), wodurch Höhe und Kontur der Seitenwangen die zentrale Kontur der Lehne nach vorne überragen. Beim Vorklappen der Lehne aus der Gebrauchsstellung in die Vorklappstellung vollziehen die Flügel 340, 360 die umgekehrte Bewegung. Sie werden dabei etwas nach innen bewegt, wodurch sich der Abstand der Seitenwangen-Unterstützungsbauteile 343, 363 zum Lehnenrahmen 322 wieder verkleinert. Die Seitenwangen-Unterstützungsbauteile 343, 363 kragen von ihrer Lagerung in den Verbindungsgliedern 350 frei nach außen und werden zur Verstellung von Höhe und Kontur der Seitenwangen lediglich in ihrer Lage (Winkellage, Abstand zueinander) verändert, jedoch nicht im Sinne des Merkmals 4 elastisch verformt.
58
Der als Betätigungsmittel für das Verstellelement anzusehende Bowdenzug 410 wird von einem bodenseitigen Fahrzeug-Sitzrahmen (support 422) aus zu den im Bereich des Lehnen-Hauptkörpers 334 angeordneten und mit den inneren Bereichen 341, 361 der Flügel 340, 360 verbundenen Führungsgliedern (guide member 380, 390) geführt und an diesen mit einem Ende (second end 417) der Führungshülle (conduit 412) bzw. mit einem Ende (second end 418) des Seelendrahtes (wire 414) befestigt (siehe insbes. Fig. 22 und 25 in D1). Eine Anordnung irgendeines Betätigungsmittels für das Verstellelement innerhalb der Seitenwange entsprechend Merkmal 5 ist damit nicht offenbart.
59
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 unterscheidet sich daher von dem Ausführungsbeispiel der Figuren 22 bis 25 der D1 durch die Merkmale 4 und 5.
60
Die Gegenstände nach der D2 (WO 2004/043207 A2) entsprechen denen der D1 (vgl. jeweils Fig. 16 bis 21 und 22 bis 25 in D1 und D2). Somit ergibt sich für diesen Stand der Technik dieselbe Beurteilung. Auf obige Ausführungen zur D1 wird verwiesen.
61
Die vorgebrachte mündliche Beschreibung, die der Offenbarung der D1/D2 entsprochen habe, nimmt jedenfalls das Merkmal 5 des Streitpatents nicht vorweg. Es ist auch nicht in den von der Einsprechenden vorgelegten Anlagen 2 und 3 offenbart. Die behaupteten Animationen sowie die Modelle können das Merkmal 5 ebenfalls nicht gezeigt haben, denn der Offenbarungsgehalt der gesamten Präsentation ging laut Einspruchsvortrag nicht über den Inhalt der D1 bzw. D2 hinaus.
62
Die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften wurden von der Einsprechenden zur Frage der Neuheit nicht angeführt. Sie zeigen ebenfalls keinen Kraftfahrzeugsitz mit allen Merkmalen des Patentanspruchs 1 des Streitpatents.
63
Beim Kraftfahrzeugsitz nach der DE 198 36 907 C1 ist bspw. das Merkmal 4 nicht vorhanden. Die Rückenlehne weist kein für die Verstellung von Höhe und Kontur der Seitenwange vorgesehenes Verstellelement auf.
64
Beim Kraftfahrzeugsitz nach der DE 197 50 116 C2 sind zwar für die Verstellung der Kontur der Seitenwangen (enger oder weiter) Verstellelemente vorgesehen. Die Höhe der Seitenwange, wie im Merkmal 4 gefordert, ist jedoch nicht verstellbar.
65
Beim Kraftfahrzeugsitz nach der DE 100 05 215 C1 ist das Merkmal 6 nicht verwirklicht, da die Verstellung von Höhe und Kontur der Seitenwange nicht beim Vorklappen der Rückenlehne erfolgt.
66
Die WO 03/022626 A1 betrifft ein Stützelement für eine Polsterung eines Kraftfahrzeugsitzes. Ein Verstellelement für die Verstellung von Höhe und Kontur einer Seitenwange (Merkmal 4) ist nicht offenbart.
67
Bei den in den Druckschriften D3 bis D8 beschriebenen Kraftfahrzeugsitzen wird nicht die Höhe und Kontur einer Seitenwange verstellt, sondern die einer Sitzrückenlehne.
68
4.2 Der Kraftfahrzeugsitz nach Patentanspruch 1 des Streitpatents wird dem Fachmann durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik nicht nahe gelegt.
69
Die Druckschriften D1 und D2 bleiben auf Grund ihres Altersrangs bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit unberücksichtigt (§ 4 Satz 2 PatG).
70
Aus der den Oberbegriff des Patentanspruchs 1 bildenden DE 100 05 215 C1 ist ein Kraftfahrzeugsitz bekannt mit Tragstruktur, Polsterung und Sitzbezug (siehe Zusammenfassung). Der Kraftfahrzeugsitz weist ein Sitzteil 1, eine Rückenlehne 2 sowie an den äußeren Längsseiten der Rückenlehne 2 je eine Seitenwange 3 auf. Höhe und Kontur der Seitenwangen 3 überragen in der Gebrauchsstellung die zentrale Kontur der Rückenlehne 2 nach vorn. Der Kraftfahrzeugsitz ist weiter mit einem innerhalb der Seitenwange 3 angeordneten, für die Verstellung von Höhe und Kontur der Seitenwange vorgesehenen elastischen Verstellelement (Bügel 4) und innerhalb der Seitenwange 3 angeordneten Betätigungsmitteln (Verstellvorrichtung 5, Spindelmutter 5a, Spindel 5b, Motor 5c) für das Verstellelement 4 versehen. Die bekannte Verstelleinrichtung dient der Verstellung der Seitenwangen nach ergonomischen Vorgaben. Eine stärkere Krümmung der Stützelemente führt zu höherer Spannung und Härte, wie dies für Sportsitze bevorzugt wird. Flacher verlaufende Stützelemente bedeuten niedrige, weichere Seitenwangen, die bei komfortablen Sitzen bevorzugt werden (siehe nachfolgend wiedergegebene Fig. 1 u. 3 i. V. m. Sp. 1 Z. 36-44 sowie Sp. 2 Z. 7-23 und Z. 27-41 in DE 100 05 215 C1).
71
Figur 1 und Figur 3 der DE 100 05 215 C1
72
Wenn der Fachmann ausgehend von diesem bekannten Kraftfahrzeugsitz vor der Aufgabe steht, die Rückenlehne möglichst platzsparend mit horizontaler Ausrichtung der Rückenlehnenrückseite auf das Sitzteil verschwenkbar auszubilden, so wird er stets versuchen, dies mit möglichst wenig konstruktiven Änderungen zu erreichen. Er erkennt ohne weiteres, dass er lediglich die Spindel 5b verlängern muss, um einen größeren Verstellbereich dahingehend zu erhalten, dass die Krümmung des Bügels 4 stärker reduziert werden kann. Dies hätte zur Folge, dass die Seitenwange 3 erheblich weniger oder kaum noch über die Anlehnfläche der Rückenlehne hervorstünde. Die Rückenlehne 2 könnte so platzsparend auf das Sitzteil 1 verschwenkt werden.
73
Durch diese Veränderung käme der Fachmann jedoch nicht zum Gegenstand nach dem erteilten Patentanspruch 1, denn die Verstellung der Seitenwangen während des Vorklappens wäre nicht realisiert. Eine Anregung für diese weitere Modifikation ergibt sich weder aus der DE 100 05 215 C1 selbst, noch aus dem allgemeinen Fachwissen des Durchschnittsfachmanns. Denn die Verstellbarkeit der Seitenwangen nach ergonomischen Vorgaben soll ja gerade in Gebrauchsstellung der Rückenlehne gegeben sein und eine Verstellung je nach gewünschter Härte der Seitenwangen zulassen.
74
Anders als die Einsprechende meint, wird der Fachmann auch keine Anregung aus dem Stand der Technik nach der D3 (US 6,199,951 B1) oder D4 (US 5,941,602 A) auf den Kraftfahrzeugsitz nach der DE 100 05 215 C1 übertragen. Wie vorstehend ausgeführt, kann die Aufgabenstellung durch einfache Modifikation des Sitzes nach der DE 100 05 215 C1 gelöst werden. Auch weil der Fachmann nicht auf die ergonomische Verstellbarkeit der Seitenwangen in Gebrauchsstellung verzichten wird, wird er es gar nicht in Betracht ziehen, den Verstellmechanismus der automatisch durch Vorklappen in Klappstellung verstellbaren Rückenlehne nach der D3 oder der D4 auf die verstellbare Seitenwange nach der DE 100 05 215 C1 zu übertragen, da hierzu erhebliche Konstruktionsänderungen am Sitz nach der DE 100 05 215 C1 nötig wären. Schließlich dienen die verstellbaren Rückenlehnen der D3 und der D4 einem anderen Zweck als die verstellbare Seitenwange gemäß der DE 100 05 215 C1. Die verstellbaren Rückenlehnen der D3 und der D4 dienen der Abstützung des Rückens, insbesondere des Lendenwirbelbereiches. Einer Belastung quer zur Fahrtrichtung sind sie, abgesehen von Auffahrunfällen, jedoch regelmäßig nicht ausgesetzt. Die Seitenwangen hingegen müssen während Kurvenfahrten erhebliche Seitenkräfte aufnehmen, um einen Fahrzeuginsassen abstützen zu können. Aus diesem Grund ist die Übernahme einer Rückenlehnenkonstruktion für eine Seitenwange nicht ohne Weiteres möglich. Die gegenteilige Ansicht der Einsprechenden resultiert daher offensichtlich aus der Kenntnis des Streitgegenstandes und kann nicht überzeugen.
75
Die Einsprechende argumentiert weiter, dass der Fachmann beim Kraftfahrzeugsitz nach der mündlichen Beschreibung, welche dem Inhalt der D1 (WO 2004/043730 A2) bzw. der D2 (WO 2004/043207 A2) entsprochen habe, die Blase 251 aus der dortigen Figur 21 durch das mechanische elastische Verstellelement (spring 538) aus der Figur 35 der D3 (US 6,199,951 B1) ersetzen würde. Dies überzeugt den Senat nicht, denn die geltend gemachte mündliche Beschreibung umfasste laut Vortrag der Einsprechenden alternativ zur pneumatischen Verstellung der Seitenwange entsprechend Figur 21 der D1/D2 allenfalls die Erläuterung der mechanischen Verstellung der Seitenwange entsprechend den Figuren 1 bzw. 22 bis 25 der D1/D2. Eine Anregung zu weiteren konstruktiven Lösungen einer mechanischen Verstellung kann die mündliche Beschreibung dem Fachmann daher nicht vermittelt haben. Für ihn bestand jedenfalls keine Veranlassung zum Ersatz der im Zuge der mündlichen Beschreibung vorgestellten mechanischen Verstellung der Seitenwange, da diese in Gebrauchsstellung dem Fahrzeuginsassen den nötigen Komfort und Seitenhalt bietet und während des Klappvorgangs in die Vorklappstellung in Höhe und Kontur so verändert wird, dass ein kompaktes, flaches Paket gebildet wird und eine ebene Ladefläche entsteht.
76
Das elastisch verformbare Verstellelement 538 gemäß der Figur 35 der D3 ist als serpentinenförmig gewundene Feder ausgebildet (s. Sp. 21 Z. 43, 44 sowie Fig. 35 in D3). In Gebrauchsstellung ist diese Feder nach vorne gewölbt und dient der komfortablen Abstützung des Rückens eines Fahrzeuginsassen. Die Feder besitzt ein solches Federungsvermögen, dass sich das Rückenpolster leicht an Form und Position des Fahrzeuginsassen anpassen kann (s. Sp. 23, Z. 25 bis 30 in D3). Aufgrund ihrer gewundenen Form besitzt die Feder 538 jedoch nicht die Stabilität, um den nötigen Seitenhalt einer Seitenwange aufzubieten. Auch aus diesem Grunde hatte der Fachmann keine Veranlassung, die Lehre der D3 für eine Verstelleinrichtung einer Seitenwange anzuwenden.
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Die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften, die die Einsprechende weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung zur Frage der erfinderischen Tätigkeit aufgegriffen hat, liegen vom beanspruchten Kraftfahrzeugsitz nach Patentanspruch 1 noch weiter ab, so dass sie ebenfalls keine Anregungen zum Patentgegenstand geben können.
78
5. Die auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 12 haben als Unteransprüche ebenfalls Bestand.


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