Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “BOSSIMA (Wort-Bild-Marke)/BOSS (Unionswortmarke)” – zur Kennzeichnungskraft – Warenidentität und -ähnlichkeit – keine unmittelbare Verwechslungsgefahr – keine Verwechslungsgefahr durch gedankliche Verbindung – keine mittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Aspekt eines Serienzeichens – keine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne

Aktenzeichen  26 W (pat) 515/17

Datum:
6.4.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2020:060420B26Wpat515.17.0
Normen:
§ 125b Nr 1 MarkenG
§ 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG
Spruchkörper:
26. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke
30 2014 009 282
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 6. April 2020 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richter Kätker und Dr. von Hartz
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Wort-/Bildmarke (schwarz/weiß)
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ist am 30. Dezember 2014 angemeldet und am 25. März 2015 unter der Nummer 30 2014 009 282 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden für Waren der
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Klasse 20: Möbel; Sofas; Matratzen; Kissen; Kopfkissen; Kunsttischlerartikel; Keilkissen; Bettzeug [ausgenommen Bettwäsche]; Kanapees; Möbel aus Metall;
4
Klasse 24: Tücher [Laken]; Tagesdecken für Betten; Kopfkissenbezüge; Bettzeug [Bettwäsche]; Bettdecken; Federbettdecken; Inlett [Matratzentuch]; Textilhandtücher; Steppdecken, Tagesdecken für Betten; Matratzenüberzüge.
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Gegen die Eintragung dieser Marke, die am 30. April 2015 veröffentlicht worden ist, hat die Beschwerdegegnerin Widerspruch erhoben aus der Unionswortmarke
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BOSS
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die am 1. April 1996 angemeldet und am 29. Januar 2009 unter der Nummer 000 049 221 in das beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) geführte Register für Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 9, 10, 12, 14, 16, 18, 20, 24, 25, 27 bis 32, 35 und 42 eingetragen worden ist. Dieser Widerspruch stützt sich ausschließlich auf die Waren der
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Klasse 20: Möbel, Spiegel, Rahmen; Kleiderbügel; Schutzhüllen aus Kunststoff für Bekleidung;
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Klasse 24: Webstoffe und Textilwaren, soweit sie in Klasse 24 enthalten sind, insbesondere Taschentücher und Handtücher; Bett- und Tischwäsche, textile Tapeten.
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Mit Beschluss vom 6. Januar 2017 hat die Markenstelle für Klasse 20 des DPMA eine Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sich die Vergleichsmarken teilweise auf identischen bis ähnlichen Waren der Klassen 20 und 24 begegnen könnten und dass von einer deutlich gesteigerten Kennzeichnungskraft der amtsbekannten Widerspruchsmarke „BOSS“ auszugehen sei. Dennoch halte die angegriffene Marke den erforderlichen sehr großen Abstand zur älteren Marke ein. In klanglicher Hinsicht bewirke der Wortbestandteil „IMA“ ein ausreichendes Gegengewicht zur ersten Silbe „BOSS“, weil er eine abweichende Silbenzahl und ein unterschiedliches Gesamtklangbild bewirke. Zudem werde die klangliche Gemeinsamkeit in der ersten Silbe durch den deutlichen Begriffsinhalt der Widerspruchsmarke mit der Bedeutung „Boss“ bzw. „Chef“ kompensiert bzw. neutralisiert. Auch in schriftbildlicher Hinsicht könne eine Verwechslungsgefahr ausgeschlossen werden. Die ältere Marke sei ein kurzer, einsilbiger Begriff mit einem geläufigen Sinngehalt, von der sich die jüngere Marke mit dem zusätzlichen Bestandteil „IMA“ in drei von insgesamt sieben Buchstaben hinreichend unterscheide. Eine Prägung der angegriffenen Marke durch das Wortelement „BOSS“ scheide aus, weil sie keine mehrbestandteilige Marke sei, sondern sowohl phonetisch als auch visuell als Einheit wahrgenommen werde. Es liege auch keine Verwechslungsgefahr aufgrund gedanklichen In-Verbindung-Bringens vor. Weder werde die jüngere Marke als von der Widerspruchsmarke abgeleitetes Serienzeichen aufgefasst, noch lasse deren Bekanntheit eine Zuordnung der angegriffenen Marke zum Unternehmen der Widersprechenden zu. Auch seien keine Umstände ersichtlich, die eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne begründen könnten. Trotz des identischen Bestandteils „BOSS“ fehle es an einem übereinstimmenden Gesamteindruck der Vergleichsmarken, aufgrund dessen der Durchschnittsverbraucher den Eindruck einer organisatorischen oder wirtschaftlichen Verbindung gewinnen könnte.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie ist der Ansicht, die Vergleichswaren seien teilweise identisch und teilweise hochgradig ähnlich. Die in Klasse 20 für die jüngere Marke eingetragenen „Möbel; Sofas; Kanapees; Möbel aus Metall“ würden von dem für die Widerspruchsmarke geschützten Oberbegriff „Möbel“ umfasst. Zwischen diesem Oberbegriff und den für die angegriffene Marke in Klasse 20 beanspruchten Produkten „Kunsttischlerartikel; Matratzen, Kissen, Kopfkissen, Keilkissen, Bettzeug [ausgenommen Bettwäsche]“ liege hochgradige Ähnlichkeit vor. Denn das künstlerische Tischlerhandwerk diene der Herstellung von Möbeln. „Matratzen, Kissen, Kopfkissen, Keilkissen, Bettzeug [ausgenommen Bettwäsche]“ würden in enger räumlicher und funktioneller Beziehung zu Möbeln angeboten, gebraucht und mit diesen in Möbelhäusern in einer gemeinsamen Auslage präsentiert. Identität bestehe zwischen den für die angegriffene Marke registrierten Produkten der Klasse 24 „Tücher [Laken]; Kopfkissenbezüge; Bettzeug [Bettwäsche], Inlett [Matratzentuch]; Textilhandtücher; Matratzenüberzüge“ und den Widerspruchswaren „Webstoffe und Textilwaren“ derselben Klasse. Zu letzteren wiesen die Waren der jüngeren Marke „Tagesdecken für Betten; Bettdecken; Federbettdecken; Steppdecken“ eine hochgradige Ähnlichkeit auf, weil diese auch als Textilwaren einzustufen seien.
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Die Widerspruchsmarke „BOSS“ verfüge aufgrund intensiver Benutzung als Modelabel amtsbekannt in Deutschland über eine erhöhte Kennzeichnungskraft. Die Widersprechende gehöre zur B… Group, die Weltmarktführer im Bereich von Bekleidung, Textilwaren und Innenausstattung sei und im Jahr 2014 einen Jahresumsatz von … Euro erzielt habe. Ihre Produkte würden in über 129 Ländern, auch im deutschen Einzugsgebiet, an mehr als 6.800 Verkaufsstellen, darunter etwa 1.200 von Franchisenehmern betriebene Shops und Shop-in-Shops, sowie in 840 eigenen Einzelhandelsgeschäften verkauft. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen 1 bis 5 zur Widerspruchsbegründung vom 14. Oktober 2015 Bezug genommen. Die damit für die Bereiche Mode, (Be-)Kleidung, Kleidungsstücke und Parfümeriewaren amtsbekannte gesteigerte Kennzeichnungskraft strahle auf die hier verfahrensgegenständlichen Waren der Klassen 20 und 24 aus, für die die Widerspruchsmarke ebenfalls langjährig und intensiv benutzt sei.
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Die Vergleichsmarken seien auch unter Berücksichtigung der divergierenden Wortlänge und der Kürze der Widerspruchsmarke in jeder Hinsicht mindestens durchschnittlich ähnlich. In klanglicher Hinsicht werde der Gesamteindruck der angegriffenen Marke allein vom Wortbestandteil geprägt, so dass sich die Wörter „BOSSIMA“ und „BOSS“ gegenüber stünden, bei denen der regelmäßig stärker beachtete und betonte Wortanfang „BOSS“ vollständig übereinstimme. Die unbetonte Endung „IMA“ der jüngeren Marke werde nur undeutlich ausgesprochen oder verschluckt. Der Selbstlaut „I“ sei der am wenigsten stimmhafte Vokal und der Auslaut „A“, der dem bilabialen Nasallaut „M“ nachfolge, werde ebenfalls unbetont gesprochen. Der klangliche Schwerpunkt liege schon wegen der Einprägsamkeit der auffälligen Konsonantenverdoppelung mit dem hervorgerufenen Zischlaut auf der ersten Silbe „BOSS“. Zudem sei die Endung „IMA“ aufgrund des häufigen Gebrauchs ihrer herkunftshinweisenden Bedeutung entleert. Im Register des DPMA seien über 7000 Marken mit der Endung „IMA“ eingetragen, z. B. „FRUTISSIMA“, „Privatima“ oder „yachtima“ (Anlage 01 zum Schriftsatz vom 11. September 2020). Sie werde als Verniedlichung oder Verweiblichung (miss)verstanden. Die angegriffene Marke gewinne ihr Gesamtbild somit entscheidend durch das identische und stärker beachtete einleitende Element „BOSS“.
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Es bestehe auch eine schriftbildliche Ähnlichkeit. Der Schutz der Widerspruchsmarke als Wortmarke erstrecke sich auf alle typografischen Gestaltungen, insbesondere auf Schriftarten mit Serifen, mit der die Kernmarke „BOSS“ bekanntermaßen auch verwendet werde. Der Verkehr werde sich auch visuell dem identischen Wortanfang mit der auffälligen Konsonantenverdoppelung zuwenden, weil die Kollisionsmarken in über der Hälfte ihrer Buchstaben übereinstimmten, was durch die Unauffälligkeit des Buchstabens „I“, der nur eine mit dem Nachbarbuchstaben „M“ verschmelzende Vertikale im Wortinneren darstelle, noch verstärkt werde. Im hinteren Bereich von Marken mit durchschnittlicher Länge sei die Aufmerksamkeit des maßgeblichen Verbrauchers hingegen regelmäßig am niedrigsten und die Endung „IMA“ sei visuell unaufdringlich.
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Konzeptionell sei eine hochgradige Markenähnlichkeit gegeben. Da der Verkehr dazu neige, in Wörtern eine Bedeutung zu suchen, werde die Widerspruchsmarke im Sinne von „Vorgesetzter“, „Chef“ oder „Arbeitgeber“ verstanden. Diesen geläufigen Begriff werde er auch in der angegriffenen Marke „BOSSIMA“ wiedererkennen und das Element „IMA“ als verweiblichende, verniedlichende Endung, als leichte Verfremdung oder als kreative Abwandlung von „BOSS“ ansehen. In jedem Fall werde er „IMA“ als unselbständige Ergänzung zu dem ihm bekannten Begriff „BOSS“ betrachten. Zudem entspreche „IMA“ der Bildung des italienischen Superlativs, wie er etwa im Wort „bellissima“ vorkomme (Anlage 02 zum Schriftsatz vom 11. September 2020). Angesichts der sprachlichen Überschneidungen werde der Verkehr die jüngere Marke gerade im Bereich von Waren mit ästhetischen Aspekten als Kombination von „BOSS“ und „bellissima“ verstehen. Nicht erforderlich für eine konzeptionelle Ähnlichkeit sei, dass die Marken synonym zueinander seien, auch ein „Weniger“ sei grundsätzlich ausreichend. Den Marken lägen identische Konzepte zugrunde. Der Verkehr werde aufgrund der gesteigerten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke dazu neigen, den Begriff „BOSS“ in der jüngeren Marke „BOSSIMA“ wiederzuerkennen. Ein Ausschluss der Verwechslungsgefahr durch einen abweichenden Sinngehalt komme schon wegen der klanglichen und schriftbildlichen Übereinstimmungen nicht in Betracht. Damit ergebe sich in der Gesamtschau eine unmittelbare Verwechslungsgefahr.
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Aber auch eine mittelbare Verwechslungsgefahr sei zu bejahen. Denn aufgrund des übereinstimmenden, dominanten und kennzeichnungskräftigen Stammbestandteils „BOSS“ werde der Verkehr die angegriffene Marke als Serienmarke der Widersprechenden erkennen. Dazu weist die Widersprechende auf zahlreiche Eintragungen von Marken mit dem Stammelement „BOSS“ hin (Anlage 03 zum Schriftsatz vom 11. September 2020). Diese Markenserie sei dem Verkehr aufgrund intensiver Benutzung im hier relevanten Textil- und Innenausstattungssektor bekannt.
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Die Widersprechende beantragt,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 20 des DPMA vom 6. Januar 2017 aufzuheben und das DPMA anzuweisen, die angegriffene Marke wegen des Widerspruchs aus der Unionsmarke 000 049 221 zu löschen.
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Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert. Im Verfahren vor dem DPMA hat sie vorgetragen, dass das Klangbild der angegriffenen Marke durch die Endung „IMA“ und damit durch die Vokalfolge „O-I-A“ entscheidend mitgeprägt werde. Denn auf das kurz gesprochene „O“ folgten ein lang gezogenes „I“ und ein lang gezogenes „A“. Demgegenüber bestehe die Widerspruchsmarke lediglich aus einer Silbe mit kurz gesprochenem „O“, so dass völlig unterschiedliche Klangbilder vorlägen. Eine schriftbildliche Ähnlichkeit sei schon wegen der unterschiedlichen Wortlängen zu verneinen. Den sieben Buchstaben der jüngeren Marke stünden nur drei Buchstaben der älteren Marke gegenüber und die Endung „IMA“ unterscheide sich optisch sehr deutlich von der Buchstabenfolge „BOSS“. Da die angegriffene Marke als Fantasiebegriff keine Bedeutung aufweise, liege auch keine begriffliche Ähnlichkeit vor. Ferner existierten die Vergleichsmarken in den USA und China seit mehreren Jahren nebeneinander. Denn die jüngere Marke sei in Klasse 20 am 29. Januar 1996 in China und in Klasse 24 am 28. Juli 2008 in den USA angemeldet worden. Danach sei die Bezeichnung „BOSSIMA“ in mehreren Ländern angemeldet bzw. eingetragen und intensiv genutzt worden. Damit gekennzeichnete Produkte würden in bekannten Online Stores vertrieben und extensiv nach Europa exportiert. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen 3 bis 6 zum Schriftsatz vom 26. Oktober 2015 Bezug genommen.
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Die Verfahrensbeteiligten sind mit Schreiben vom 6. Juni 2019 auf die vorläufige Auffassung des Senats hingewiesen worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
22
Die gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
23
Zwischen der angegriffenen Marke und der Unionswiderspruchsmarke „BOSS“ besteht keine Gefahr von Verwechslungen gemäß §§ 125b Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG. Die Markenstelle hat den Widerspruch daher zu Recht zurückgewiesen.
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1. Da es sich vorliegend um ein Verfahren über einen Widerspruch handelt, der nach dem 1. Oktober 2009, aber vor dem 14. Januar 2019 erhoben worden ist, ist die Bestimmung des § 42 Absatz 1 und 2 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (§ 158 Abs. 3 MarkenG).
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2. Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; EuGH GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 45 f. – Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2018, 79 Rdnr. 9 – OXFORD/Oxford Club m. w. N.).
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a) Ausgehend von der maßgeblichen Registerlage können sich die Vergleichsmarken auf teilweise identischen, teilweise auf überdurchschnittlich ähnlichen und teilweise auf normal ähnlichen Waren begegnen.
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aa) Eine Ähnlichkeit ist grundsätzlich anzunehmen, wenn die sich gegenüberstehenden Waren und/oder Dienstleistungen unter Berücksichtigung aller für die Frage der Verwechslungsgefahr erheblicher Faktoren wie insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsart, ihres Verwendungszwecks und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung sowie ihrer Eigenart als miteinander konkurrierender oder einander ergänzender Produkte oder Leistungen so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben Unternehmen oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 65 – Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2014, 488 Rdnr. 12 – DESPERADOS/DESPERADO; GRUR 2015, 176, 177 Rdnr. 16 – ZOOM). Von einer absoluten Warenunähnlichkeit kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Annahme einer Verwechslungsgefahr trotz (unterstellter) Identität der Marken wegen des Abstands der Waren von vornherein ausgeschlossen ist (BGH a. a. O. – DESPERADOS/DESPERADO; a. a. O. Rdnr. 17 – ZOOM).
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Das stärkste Gewicht kommt im Hinblick auf die Herkunftsfunktion der Marke der regelmäßigen betrieblichen Herkunft, also dem gemeinsamen betrieblichen Verantwortungsbereich für die Qualität der Waren und/oder Dienstleistungen zu, während der regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsstätte ein geringeres Gewicht zugemessen wird. Bei der funktionellen Ergänzung ist ein enger Zusammenhang in dem Sinne erforderlich, dass die Ware oder Dienstleistung für die Verwendung der anderen unentbehrlich oder wichtig ist (BGH a. a. O. Rdnr. 16 – DESPERADOS/DESPERADO m. w. N.; BPatG 26 W (pat) 18/14 – Cada Design/CADA; EuG GRUR Int 2007, 1023 Rdnr. 36 f. – TOSCA BLU).
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bb) Die in Klasse 20 für die angegriffene Marke eingetragenen Waren „Möbel“ sind im Verzeichnis der Widerspruchsmarke identisch enthalten. Identität liegt auch bei den für die jüngere Marke in Klasse 20 geschützten Produkten „Sofas; Kunsttischlerartikel; Kanapees; Möbel aus Metall“ vor, weil sie vom Oberbegriff „Möbel“ der Widerspruchsmarke umfasst sind. Dies gilt auch für die in Klasse 24 angegriffenen Waren „Tücher [Laken]; Kopfkissenbezüge; Bettzeug [Bettwäsche], Inlett [Matratzentuch]; Textilhandtücher; Matratzenüberzüge“, weil sie dem für die ältere Marke registrierten Oberbegriff „Textilwaren, soweit sie in Klasse 24 enthalten sind“ unterfallen.
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cc) Zwischen den für die jüngere Marke registrierten Produkten „Kissen; Kopfkissen; Keilkissen;
Tagesdecken für Betten; Bettdecken; Federbettdecken; Steppdecken, Tagesdecken für Betten“ besteht eine überdurchschnittliche Ähnlichkeit zu den Widerspruchswaren „Webstoffe und Textilwaren, soweit in Klasse 24 enthalten“ sowie zu dem für die ältere Marke in Klasse 24 geschützten Produkt „Bettwäsche“. Denn das Obermaterial von Kissen und Bettdecken wird aus denselben Stoffen hergestellt, so dass sie teilweise in der Beschaffenheit übereinstimmen. Da Kissen- und Bettbezüge als Hüllen von Kissen und Bettdecken zum Schutz vor Verschmutzung für die Benutzung unentbehrlich oder zumindest wichtig sind, handelt es sich auch um einander funktionell ergänzende Produkte, die deshalb regelmäßig in den gleichen Fachgeschäften, nämlich in Spezialgeschäften für Betten und Zubehör, vertrieben werden (BPatG 27 W (pat) – 60/06 NIKE/YIKE; 26 W (pat) 38/16 – Sueños/Sueño). Diese Vergleichswaren dienen ferner demselben Zweck, nämlich das Schlafen angenehm zu gestalten.
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dd) Im Übrigen weisen die angegriffenen Produkte „Matratzen“ der Klasse 20 eine normale Ähnlichkeit zu den Widerspruchswaren „Möbel“ auf. Denn Matratzen und die im Oberbegriff „Möbel“ enthaltenen Bettmöbel ergänzen sich funktionell, weil die Matratze regelmäßig unentbehrlich oder zumindest wichtig für die bestimmungsgemäße Nutzung eines Bettes ist. Zudem sorgen beide für einen angenehmen Schlaf (EUIPO BK R 2340/2011-4).
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b) Mit den teilweise im Identitäts- und teilweise im hohen und teilweise im normalen Ähnlichkeitsbereich liegenden Waren werden über den Möbel-, Bettwaren- und Textilfachhandel hinaus breite Verkehrskreise, insbesondere auch der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher angesprochen. Da die Anschaffung von Möbeln, Bett- und Textilwaren regelmäßig für einen längeren Zeitraum erfolgt, werden die angesprochenen Verkehrskreise diesen in der Regel mit erhöhter Aufmerksamkeit begegnen. Dies gilt vor allem für Möbel, Sofas, Kunsttischlerartikel, Kanapees und Möbel aus Metall, die der Verbraucher erst nach genauester Prüfung aussucht, sie häufig sogar im Möbelgeschäft ausmisst und dabei darauf achtet, dass sie nach Maß, Farbe und Material in die Wohnung passen. Auch die übrigen Waren, die für den Schlafbereich bestimmt sind, werden sowohl unter Aspekten des Gesundheitsschutzes oder der Ergonomie als auch im Hinblick auf die Optik bzw. Ästhetik erst nach genauerer Prüfung ausgesucht.
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c) Die Unionswiderspruchsmarke „BOSS“ dürfte für fast alle Waren der Klasse 24 über eine weit überdurchschnittliche, im Übrigen aber nur über eine normale Kennzeichnungskraft verfügen.
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aa) Ihr Schutzumfang ist von Haus aus normal.
35
aaa) Die originäre Kennzeichnungskraft wird bestimmt durch die Eignung der Marke, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. EuGH GRUR 2010, 1096 Rdnr. 31 – BORCO/HABM [Buchst. a]; BGH GRUR 2017, 75 Rdnr. 19 – Wunderbaum II). Dabei ist auf die Eigenart der Marke in Klang, Bild und Bedeutung abzustellen. Diese Eignung fehlt oder ist zumindest erheblich eingeschränkt, wenn die Widerspruchsmarke einen die geschützten Waren oder Dienstleistungen beschreibenden Sinngehalt aufweist oder sich an eine für die fraglichen Waren und/oder Dienstleistungen beschreibende Angabe anlehnt (BGH WRP 2015, 1358 Rdnr. 10 – ISET/ISETsolar; GRUR 2012, 1040 Rdnr. 30 f. – pjur/pure). Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die für eine hohe oder geringe Kennzeichnungskraft sprechen, ist von normaler Kennzeichnungskraft auszugehen (BGH a. a. O. – Wunderbaum II).
36
bbb) Das Markenwort „BOSS“ stammt ursprünglich vom niederländischen „baas, Baas“, entspricht dem englisch-amerikanischen Substantiv „boss“ und ist mit den Bedeutungen „Mann bzw. Frau an der Spitze eines Unternehmens o. Ä.; Vorgesetzte[r], Chef[in]; Anführer einer Gruppe“ in die deutsche Sprache eingegangen (https://www.duden.de/rechtschreibung/Boss). Es ist daher die geläufige Bezeichnung einer weisungsbefugten Person. Ein beschreibender Anklang für die in Rede stehenden Widerspruchswaren der Klassen 20 und 24 erschließt sich den angesprochenen Verkehrskreisen nicht ohne gedankliche Zwischenschritte. Zwar sind vor dem Anmeldezeitpunkt der angegriffenen Marke schon repräsentative Möbel für die/den Chef(in) angeboten worden, allerdings nie mit dem Wort „Chef“ in Alleinstellung, sondern als Chefbüromöbel oder Möbel für das Chefzimmer (https://www.lecosys.com/chefzimmer.html; https://www.office-4-sale.de/Bueromoebel-Chef-Buero; https://www.bueroplanungen.com/2014/10/; https://www.jourtym.de/blog/das-neue-chefbuero-funktionell-dynamisch-modern/; http://www.planmoebel.de/?s=Chefzimmer) und erst recht nicht als Möbel für den „Boss“. Dies gilt auch für Web- und Textilstoffe, Bett- sowie Tischwäsche oder textile Tapeten, die nicht speziell für Vorgesetzte hergestellt werden. Für den beschreibenden Hinweis, dass auf diesen Waren witzige Chef-Sprüche aufgedruckt sein könnten, müsste das Markenwort „Boss“ um weitere Wörter ergänzt werden. Solche Ergänzungen stellen aber unzulässige Veränderungen der Marke dar (vgl. BGH GRUR 2015, 173 Rdnr. 22 – for you; GRUR 2011, 65 Rdnr. 10 – Buchstabe T mit Strich).
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cc) Die Widerspruchsmarke „BOSS“ als Familienname des bekannten Designers „Hugo Boss“ genießt bezogen auf Bekleidung aufgrund gerichtsbekannter intensiver Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft auch im Inland (BPatG 27 W (pat) 52/13 – BOSS STAR/BOSS; 27 W (pat) 70/01 – KARL-MARTIN B.O.S.S/BOSS/BOSS HUGO BOSS). Dies wird durch die Nachweise der Widersprechenden, dass sie zur B… Group gehöre, die Weltmarktführer im Be- reich von Bekleidung sei, im Jahr 2014 einen Jahresumsatz von … Euro erzielt habe und ihre Produkte in über 129 Ländern, auch im deutschen Einzugsgebiet verkaufe, noch ergänzt.
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aaa) Dieser auf einer langjährigen unternehmerischen Leistung beruhende erweiterte Schutzumfang der klassischen Modemarke „BOSS“ ist nicht auf Bekleidungsstücke im engeren Sinne beschränkt, sondern strahlt auf eng benachbarte Produktbereiche aus. Ob und inwieweit eine solche Ausstrahlungswirkung angenommen werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, wobei es sowohl auf den Abstand der jeweiligen Waren und Dienstleistungen als auch auf den Grad der Erhöhung der Kennzeichnungskraft ankommt (BGH GRUR 2012, 930 Rdnr. 71 – Bogner B/Barbie B; GRUR 1978, 170, 171 – FAN; BPatG 28 W (pat) 547/16 – Küüdy/CADDY).
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bbb) Da Modemarken wie Esprit, Mexx, Tommi Hilfiger, Calvin Klein, Karl Lagerfeld, Versace, Armani, Diesel und auch BOSS selbst neben ihrem Kerngeschäft der intensiv beworbenen, am Körper getragenen Mode auch Bettwäsche und/oder Handtücher unter ihrem Modelabel verkaufen, Web- und Textilstoffe Ausgangsmaterialien für Bekleidung darstellen und der Widerspruchsmarke im Modebereich eine sehr hohe Verkehrsbekanntheit zukommt, ist von einer Ausstrahlung ihrer weit überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft auf die Widerspruchswaren der Klasse 24 mit Ausnahme textiler Tapeten auszugehen.
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ccc) Auch wenn die für die ältere Marke geschützten Produkte der Klasse 20 mit Stoffen bezogen sein können, liegen die Produktbereiche Bekleidung und Möbel doch zu weit auseinander, um eine Ausstrahlungswirkung bejahen zu können. Die Widersprechende hat insoweit zwar eine langjährige und intensive Benutzung behauptet, aber keine Benutzungsunterlagen zum Nachweis einer gesteigerten Kennzeichnungskraft vorgelegt, so dass nur ein normaler Schutzumfang angenommen werden kann. Dies bedarf vorliegend aber keiner abschließenden Beurteilung, weil auch bei unterstellter sehr hoher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke für Waren der Klassen 20 und 24 eine Verwechslungsgefahr ausscheidet.
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d) Die jüngere Marke hält den bei identischen, überdurchschnittlich sowie normal ähnlichen Vergleichswaren und weit überdurchschnittlicher Kennzeichnungskraft der älteren Marke gebotenen deutlichen Abstand aufgrund erhöhter Aufmerksamkeit der angesprochenen Verkehrskreise und wegen weit unterdurchschnittlicher Markenähnlichkeit noch ein.
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aa) Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (EuGH GRUR 2013, 922 Rdnr. 35 – Specsavers/Asda; BGH GRUR 2013, 833 Rdnr. 30 – Culinaria/Villa Culinaria), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Das schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 28 f. – THOMSON LIFE; BGH a. a. O. Rdnr. 37 – OXFORD/Oxford Club m. w. N.; GRUR 2012, 64 Rdnr. 14 – Maalox/Melox-GRY). Voraussetzung hierfür ist, dass die anderen Bestandteile weitgehend in den Hintergrund treten und den Gesamteindruck der Marke nicht mitbestimmen. Die Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift-)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können. Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche (EuGH GRUR 2007, 700 Rdnr. 35 – Limoncello/LIMON-CHELO; BGH GRUR 2016, 382 Rdnr. 37 – BioGourmet).
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bb) Die Vergleichsmarken und „BOSS“ sind klanglich nur sehr gering ähnlich.
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aaa) In phonetischer Hinsicht wird der Gesamteindruck der jüngeren Wort-/Bildmarke durch das Wortelement „BOSSIMA“ geprägt, da die grafische Ausgestaltung nur in der Verwendung einer üblichen Schriftart mit Serifen besteht. Bei der Feststellung des klanglichen Gesamteindrucks einer Wort-/Bildmarke ist ferner von dem in ständiger Rechtsprechung anerkannten Erfahrungssatz auszugehen, dass der Wortbestandteil – sofern er kennzeichnungskräftig ist – den Gesamteindruck prägt, weil er die einfachste Möglichkeit bietet, die Marke zu benennen (vgl. BGH GRUR 2014, 378 Rdnr. 39 – OTTO CAP). Der Wortbestandteil „BOSSIMA“ ist als kennzeichnungskräftig anzusehen, weil er, selbst wenn er nach Ansicht der Widersprechenden eine Verniedlichung oder Verweiblichung des Wortes „Boss“ darstellen würde, genauso wenig wie die Widerspruchsmarke eine Sachaussage über die angegriffenen Möbel und Textilwaren der Klassen 20 und 24 träfe.
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bbb) Der Gesamteindruck des Wortelements „BOSSIMA“ wird aber weder phonetisch noch visuell durch den Anfangsbestandteil „BOSS“ geprägt.
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Vorliegend steht der Annahme einer Prägung der jüngeren Marke durch den Wortbestandteil „BOSS“ entgegen, dass das Element „BOSS“ in der angegriffenen Marke mit dem Bestandteil „IMA“ zu einem einheitlichen Phantasiebegriff verbunden ist. Durch die Zusammenfassung der Bestandteile „BOSS“ und „IMA“ zu einem Wort entsteht eine Klammerwirkung. Dem steht nicht entgegen, dass sich ein konkreter Sinn dieser Wort- bzw. Lautzusammensetzung nicht ohne weiteres erschließt. Bereits aufgrund der Zusammenschreibung der Bestandteile in einem Wort in Großbuchstaben erscheint das Gesamtzeichen äußerlich als Einheit. Entgegen der Ansicht der Widersprechenden kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein entscheidungserheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise den zweiten Wortbestandteil „IMA“ der angegriffenen Marke nicht mit wiedergeben wird. Hierfür gibt schon die konkrete Gestalt keinerlei Anhalt, da aus ihr keine Zäsur zwischen „BOSS“ und „IMA“ zu entnehmen ist. Es sind auch sonst keine besonderen Umstände ersichtlich, die dem Verkehr Anlass geben könnten, das einheitliche Markenwort „BOSSIMA“ ausnahmsweise als Kombination mehrerer Zeichenbestandteile zu sehen (vgl. dazu BGH GRUR 2008, 905 Rdnr. 27 – Pantohexal; GRUR 2010, 729 Rdnr. 34 – MIXI). Vielmehr wird der Vokal „I“ bei der Aussprache derart an das stimmlose Doppel-S angehängt, dass sich ein einheitlicher Sprachfluss ohne jeden Stimmabsatz ergibt, ähnlich wie z. B. bei „Ossi“, „Bussi“, „Abessinien“ usw.. Schon aufgrund dieses Ineinanderfließens wird die angegriffene Marke als einheitlicher Begriff aufgefasst, so dass sie nicht durch einen ihrer (unselbständigen) Bestandteile geprägt werden kann. Sollte es sich im Übrigen bei „IMA“, wie die Widersprechende meint, tatsächlich um eine geläufige italienische Verniedlichung, Verweiblichung oder eine Superlativform handeln, läge sogar ein sinnvoller Gesamtbegriff vor, den der Verkehr nicht unter Sinnentstellung auseinanderreißen oder verkürzen würde.
47
ccc) Die Markenwörter stimmen zwar am regelmäßig stärker beachteten Wortanfang „BOSS“ überein. Aber die jüngere Marke verfügt über eine deutliche Verlängerung durch die Endung „IMA“, so dass sich Wortlänge, Silbengliederung, Vokalfolge und Sprechrhythmus deutlich unterscheiden. Der dreisilbigen angegriffenen Marke steht das einsilbige Kurzwort „BOSS“ gegenüber. Während die jüngere Marke über die abwechslungsreiche Vokalfolge „O-I-A“ verfügt, enthält die Widerspruchsmarke nur den Selbstlaut „O“. Geht man bei natürlicher Aussprache davon aus, dass das Doppel-S in beiden Marken als einzelnes stimmloses „S“ gesprochen wird, so handelt es sich bei der Marke gegenüber der Widerspruchsmarke „BOSS“ um eine Verdoppelung der Lautfolge, was vom Verkehr selbst bei ungünstigen akustischen Bedingungen nicht unbemerkt bleibt. Zudem stimmt kein einziger Laut der Endung „IMA“ mit einem Laut der älteren Marke überein. Vor allem der helle Vokal „I“ bewirkt einen starken Klangunterschied. Die weiche und getragen ausgesprochene Endung „(I)MA“ stellt zudem einen deutlichen Unterschied gegenüber dem infolge des Doppelkonsonanten „SS“ kurz ausgesprochenen Wort „BOSS“ dar. Diese Unterschiede verleihen der angegriffenen Marke einen gänzlich abweichenden klanglichen Gesamteindruck.
48
cc) Schriftbildlich besteht ebenfalls eine weit unterdurchschnittliche Ähnlichkeit.
49
aaa) Denn die visuelle Wahrnehmung gestattet dem Verkehr, anders als beim schnell verklingenden gesprochenen Wort, erfahrungsgemäß eine genauere und in der Regel wiederholte Wahrnehmung der Bezeichnungen, so dass das Schriftbild einer Marke dem Betrachter sehr viel besser in Erinnerung bleibt als das gesprochene Wort (vgl. BPatG 25 W (pat) 2/17 – KIEFFER/KAEFER; 30 W (pat) 42/14 – VIVADIA/VIVANDA; 24 W (pat) 34/14 – Erovital/Gelovital).
50
bbb) Den bildlichen Gesamteindruck bestimmt nicht nur das Anfangs-, sondern auch das Schlusselement (BPatG 30 W (pat) 42/14 – VIVADIA/VIVANDA). Die Verlängerung gegenüber der aus vier Buchstaben bestehenden älteren Marke um die drei weiteren Buchstaben „IMA“ ist für den Verkehr deutlich erkennbar. Auch wenn der Buchstabe „I“ nur über eine geringe Breite verfügt, nehmen die Versalien „M“ und „A“ jeweils viel Platz ein, so dass sie dem Betrachter ins Auge springen. Zudem entfällt bei der jüngeren Marke die auffällige Endung auf dem Doppel-S, die das Schriftbild der kurzen Widerspruchsmarke maßgeblich mitbestimmt, während sich die Schlussbuchstaben „S“ und „A“ beider Marken deutlich voneinander unterscheiden. Entgegen der Ansicht der Widersprechenden erstreckt sich der Schutz der Widerspruchswortmarke nicht auf alle typografischen Gestaltungen, sondern beim Markenvergleich kommt es ausschließlich auf das im Register eingetragene Zeichen an (BGH GRUR 2015, 1114, 1116 Rdnr. 20 – Springender Pudel), so dass sich sowohl die mit Serifen ausgestalteten Großbuchstaben als auch die zusätzliche Endung „IMA“ der jüngeren Wort-/Bildmarke im Schriftbild deutlich genug von der älteren Unionswortmarke „BOSS“ abheben.
51
dd) In begrifflicher Hinsicht sind die Vergleichsmarken sogar unähnlich.
52
aaa) Während die Widerspruchsmarke „BOSS“ mit den Bedeutungen „Mann bzw. Frau an der Spitze eines Unternehmens o. Ä.; Vorgesetzte[r], Chef[in]; Anführer einer Gruppe“ ein geläufiges Wort mit Begriffsinhalt verkörpert, stellt die angegriffene Marke einen Fantasiebegriff dar. Entgegen der Auffassung der Widersprechenden kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verkehr in der jüngeren Marke „BOSSIMA“ einen gleichen oder zumindest im Wesentlichen übereinstimmenden Sinngehalt erkennt.
53
bbb) Die Widersprechende hat nicht belegt, dass „IMA“ eine Verweiblichungs- oder Verniedlichungsform des Wortes „Boss“ darstellt. Als der Buchstabenfolge „IMA“ ähnliches Diminutivsuffix ist dem Senat nur das Suffix „-ina“ der italienischen Sprache bekannt, wie z. B. „Signorina“. Der absolute Superlativ im Italienischen lautet zudem nicht „ima“, sondern „issima“, wie die Widersprechende selbst nachgewiesen hat. Weder gibt es Anhaltspunkte dafür, dass das aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum stammende Wort „Boss“ vom deutschen Verkehr mit der italienischen Sprache oder gar deren Abwandlungen in Verbindung gebracht wird, noch dass es zu „Boss“ in irgendeiner Sprache überhaupt einen sprachlichen Superlativ gibt. Im Deutschen sind nur Umschreibungen wie „Boss der Bosse“ oder „Oberboss“ bekannt, nicht hingegen Superlative wie „der/die Bossigste“ o. Ä. Sowohl bei deutschen Begriffen zur Bezeichnung weiblicher Vorgesetzter wie Chefin, Vorgesetzte, Kommandantin, Arbeitgeberin usw. als auch bei italienischen Synonyma wie padrona, principale, dirretrice, superiore etc. würde eine sprachliche Superlativbildung künstlich bzw. befremdend wirken. Dies muss erst recht gelten, wenn das betreffende Wort aus dem englischen Sprachraum stammt, bei dem eine italienischsprachige Superlativform fern liegt. Zudem wird das Wort „Boss“ sowohl im Englischen als auch im Deutschen nur in männlicher Form gebraucht („She´s the boss.“ oder „Sie ist der Boss.“). Auch im Online-Übersetzungsdienst Leo sind im Italienischen nur männliche Verwendungen des in die italienische Sprache übernommenen Wortes „boss“ ersichtlich. Abgesehen davon, dass weder vorgetragen noch nachgewiesen worden ist, dass die fast 7000 im Register des DPMA eingetragenen Marken mit der Endung „ima“ zum Anmeldezeitpunkt Dezember 2014 auch auf dem Markt präsent und dem Verkehr geläufig gewesen sind, hätte dieser dadurch immer noch keinen Anlass, in „BOSSIMA“ eine grammatikalisch abgewandelte Form von „BOSS“ zu erkennen.
54
ccc) Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum der Verkehr die jüngere Marke als eine Kombination von „BOSS“ und „bellissima“ verstehen sollte, weil der Wortstamm des italienischen Adjektivs „bella“ nicht ansatzweise in „BOSSIMA“ enthalten ist. Im Übrigen zeigt allein schon die Variationsfülle der von der Widersprechenden vorgebrachten begrifflichen Interpretationen, dass die strengen Anforderungen an eine begriffliche Ähnlichkeit hier nicht erfüllt sein können.
55
Eine unmittelbare Verwechslungsgefahr ist daher nicht gegeben.
56
3. Auch eine Verwechslungsgefahr zwischen der jüngeren Marke und der Widerspruchsmarke „BOSS“ durch gedankliche Verbindung ist zu verneinen.
57
a) Eine mittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Aspekt eines Serienzeichens scheidet aus.
58
aa) Diese Art der Verwechslungsgefahr greift dann ein, wenn die Zeichen in einem Bestandteil übereinstimmen, den der Verkehr als Stamm mehrerer Zeichen eines Unternehmens ansieht und deshalb die nachfolgenden Bezeichnungen, die einen wesensgleichen Stamm aufweisen, demselben Inhaber zuordnet. Das Vorliegen einer Zeichenserie setzt die Benutzung mehrerer Marken mit einem gemeinsamen Stammbestandteil voraus, damit die angesprochenen Verkehrskreise das gemeinsame Element kennen und mit der Zeichenserie in Verbindung bringen (vgl. EuGH GRUR 2008, 343 Rdnr. 64 – Il Ponte Finanziaria/HABM [BAINBRIDGE]; BGH GRUR 2013, 1239 Rdnr. 40 – Volkswagen/Volks.Inspektion).
59
Das ist hier nicht der Fall.
60
bb) Zwar hat die Widersprechende das Bestehen einer Markenserie mit dem Stammbestandteil „BOSS“ vorgetragen. Unabhängig davon, ob bei allen Marken dieser Serie von einer Präsenz am deutschen Markt zum Anmeldezeitpunkt der angegriffenen Marke am 30. Dezember 2014 überhaupt ausgegangen werden kann, reiht sich die jüngere Marke schon vom Zeichenbildungsprinzip her nicht in diese Markenserie ein.
61
aaa) Neben mehreren deutschen, europäischen und internationalen Wortmarken, die aus den Wörtern „BOSS“, „HUGO BOSS“ oder „BOSS HUGO BOSS“ bestehen, finden sich in der vorgetragenen Serie vor dem 30. Dezember 2014 noch die Wortmarken „BOSS WOMAN“ (30054148, UM 001764612), „BOSS Green“ (30352772, UM 003400281), „BOSS Orange“ (30352773, 302012008231, UM 003400306), „BOSS Black“ (30352774, UM 003405149), „BOSS SELECTION“ (30360627, UM 003519329), „BOSS Kidswear“ (UM 006431911), „BOSS Fundamentals“ (013599329) und „BOSS SELECTION HUGO BOSS“ (IR 1071604). Darüber hinaus gehören zur Zeichenserie die folgenden Wort-/Bildmarken: (1108880), (962816), (1185466), (2036450), (30205552), (30356730), (39404565), (302009026347), (302010020318), (302011062461), (302012003521), (UM 000049262), (UM 002860377), (UM 003547254), (UM 004861787), (UM 005906193). (IR 433570), (IR 516345), (IR 754225) und (IR 1124717).
62
bbb) Sowohl bei den Wortmarken als auch bei den Wort-/Bildmarken stellt „BOSS“ jeweils ein eigenständiges Wort dar, das stets deutlich abgetrennt ist. Die angesprochenen Verkehrskreise nehmen „BOSS“ als Familienname des bekannten Designers „Hugo Boss“ wahr, zumal dessen Vorname häufig zusätzlich angegeben und vorangestellt wird. In der angegriffenen Marke tritt „BOSS“ jedoch nicht als Name oder sonstiger eigenständiger Wortstamm hervor. Vielmehr verschmilzt diese Laut- bzw. Buchstabenfolge mit dem zweiten Wortteil „IMA“, so dass „BOSS“ in „BOSSIMA“ nur eine unselbständige Lautfolge bildet, der – auch wegen der üblichen Silbentrennung – die Eigenständigkeit fehlt, wie z. B. beim Musikbegriff „Bossanova“. Keine einzige Marke der Serie der Widersprechenden setzt sich aus dem Wortbestandteil „BOSS“ und irgendeiner unmittelbar daran angeschlossenen Endung ohne eigenen Sinngehalt zusammen. Bei den Wortmarken „BOSS WOMAN“, „BOSS Green“, „BOSS Orange“, „BOSS Black“, „BOSS SELECTION“, „BOSS Kidswear“, „BOSS Fundamentals“ und „BOSS SELECTION HUGO BOSS“ steht der Wortbestandteil „BOSS“ stets isoliert am Anfang und ihm folgen stets Substantive oder Adjektive mit eigenständigem Sinngehalt. Auch bei den Wort-/Bildmarken ist eine mit der jüngeren Marke vergleichbare Zusammensetzung der Wortelemente nicht festzustellen. Sie folgen einem völlig anderen Aufbau. Entweder steht das Wortelement „BOSS“ allein vor einem hellen oder dunklen eingerahmten Rechteck, wie bei und , oder es steht bei einer zweizeiligen Anordnung deutlich hervorgehoben allein in der ersten Zeile und wird in der zweiten Zeile durch die Angabe „HUGO BOSS“ in wesentlicher kleinerer Schriftgröße ergänzt, wie bei und . Bei wenigen Marken kommen noch fantasievolle Bildelemente hinzu wie bei (302009026347) und (302012003521). Damit fehlt es schon an der Voraussetzung einer ähnlich gebildeten Marke.
63
b) Auch eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne liegt nicht vor.
64
aa) Sie kann gegeben sein, wenn der Verkehr zwar die Unterschiede zwischen den Zeichen erkennt, wegen ihrer teilweisen Übereinstimmung aber von wirtschaftlichen oder organisatorischen Zusammenhängen zwischen den Zeicheninhabern ausgeht. Eine solche Verwechslungsgefahr kann nur bei Vorliegen besonderer Umstände angenommen werden (BGH GRUR 2013, 1239 Rdnr. 45 – Volkswagen/Volks.Inspektion; BGH GRUR 2013, 833 Rdnr. 69 – Culinaria/Villa Culinaria). So ist nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs nicht ausgeschlossen, dass ein Zeichen, das als Bestandteil in eine zusammengesetzte Marke oder eine komplexe Kennzeichnung aufgenommen wird, eine selbständig kennzeichnende Stellung behält, ohne dass es das Erscheinungsbild der zusammengesetzten Marke oder komplexen Kennzeichnung dominiert oder prägt (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 30 – THOMSON LIFE; BGH, Beschl. v. 23. Oktober 2014 – I ZR 37/14, Rdnr. 11; GRUR 2004, 865, 866 – Mustang; GRUR 2012, 930 Rdnr. 45 – Bogner B/Barbie B; GRUR 2014, 1101 Rdnr. 54 – Gelbe Wörterbücher).
65
Eine solche eigenständige kennzeichnende Stellung kommt dem Bestandteil „BOSS“ in der jüngeren Marke nicht zu, weil „BOSSIMA“, wie bereits eingehend erörtert, eine gesamtbegriffliche Einheit bildet, in dem die angesprochenen Verkehrskreise einen einheitlichen Phantasiebegriff sehen.
66
bb) Eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne wird auch angenommen, wenn ein mit der älteren Marke übereinstimmender Bestandteil identisch oder ähnlich in eine komplexe Marke aufgenommen wird, in der er neben einem Unternehmenskennzeichen oder Serienzeichen des Inhabers der jüngeren Marke eine selbständig kennzeichnende Stellung behält, und wenn wegen der Übereinstimmung dieses Bestandteils mit der älteren Marke bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck hervorgerufen wird, dass die fraglichen Waren oder Dienstleistungen aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen (vgl. EuGH, GRUR 2005, 1042 Rdnr. 31 – THOMSON LIFE; GRUR 2010, 933 Rdnr. 34 – Barbara Becker; BGH GRUR 2010, 646 Rdnr. 15 – OFFROAD; BGH GRUR 2006, 859 – Malteserkreuz).
67
Das ist hier nicht der Fall, weil die Endung „IMA“ kein Unternehmenskennzeichen oder Serienzeichen der Inhaberin der jüngeren Marke ist.
68
cc) Zwar kann eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der in das jüngere Gesamtzeichen übernommenen älteren Marke ebenfalls eine solche selbständig kennzeichnende Stellung bewirken.
69
aaa) Weist ein Zeichen Ähnlichkeiten mit einer bekannten Marke auf, wird das angesprochene Publikum wegen der Annäherung an die bekannte Marke häufig annehmen, zwischen den Unternehmen, die die Zeichen nutzten, lägen wirtschaftliche oder organisatorische Verbindungen vor (BGH a. a. O. Rdnr. 47 – Volkswagen/Volks.Inspektion; WRP 2009, 616, 624 f. – METROBUS; GRUR 2003, 880, 881 – City Plus).
70
bbb) Aber auch wenn zugunsten der Widersprechenden für alle im Identitäts- und Ähnlichkeitsbereich liegenden Waren von einer weit überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgegangen wird, sind die Vergleichsmarken in ihrem Aufbau derart unterschiedlich, dass sie nicht den Schluss auf geschäftliche, wirtschaftliche oder organisatorische Verbindungen zwischen den Unternehmen der Widersprechenden und der Inhaberin der angegriffenen Marke zulassen.
III.
71
Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG sind nicht gegeben.

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