Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “Farbzusammenstellung blau/grau” – kein spezifisches Marktsegment – keine Unterscheidungskraft – fehlende Darlegung einer markenmäßigen Verwendung der Farbkombination – keine Verkehrsdurchsetzung

Aktenzeichen  30 W (pat) 48/08

Datum:
18.2.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
§ 8 Abs 3 MarkenG
Spruchkörper:
30. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 307 03 963.3
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2010 durch die Richterin Winter als Vorsitzende, die Richterin Hartlieb und den Richter Schell
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1

Zur Eintragung für die Waren

2

„Klasse 5: Diätetische Erzeugnisse für besondere medizinische Zwecke zur diätetischen Behandlung von Immundefiziten, stressbedingten Erkrankungen, kardiovaskulären Erkrankungen, Osteoporose, Augenerkrankungen, Diabetes, Prostataerkrankungen, menopausalen Beschwerden, rheumatischen Erkrankungen, Arthrose, Demenzerkrankungen, Lebererkrankungen, Darmerkrankungen, Krebserkrankungen, Fettstoffwechselstörungen, Allergien, Aufmerksamkeitssyndrom (ADS,
AHDS
), Parodontopathien, Fertilitätsstörungen beim Mann“

3

angemeldet als „sonstige Markenform“ gemäß dem mit der Anmeldung eingereichten Muster in folgender Darstellung, ist:

4

Die farbige Eintragung ist mit folgenden Farben beansprucht: blau (Pantone 647 C), grau (Pantone 653 C) mit folgender Beschreibung:

5

„Die Farbmarke besteht aus einer Kombination der Farben blau und grau, wie in der Abbildung dargestellt, wobei die grauen Linien immer waagerecht auf blauem Fond verlaufen“.

6

Die Markenstelle hat die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass Farbmarken von Haus nur unter ganz besonderen Bedingungen geeignet seien, eine betriebliche Herkunftsfunktion zu erfüllen, da Farben und Farbkombinationen als Werbemittel, nicht aber als Herkunftshinweis eingesetzt werden. Bei pharmazeutischen Produkten könnten Farben dazu dienen, mehrere gleichzeitig einzunehmende Präparate auseinanderzuhalten.

7

Die Anmelderin hat Beschwerde eingelegt. Sie hält die Farbkombination für die beanspruchten Waren mit näheren Ausführungen für schutzfähig; im Bereich der diätetischen Erzeugnisse für besondere medizinische Zwecke sei es ungewöhnlich, Verpackungsmaterialien in einheitlicher Farbkombination zu verwenden; üblich seien vielmehr unterschiedliche Verpackungsgestaltungen. Sie weist ferner auf Eintragungen von Farbmarken für pharmazeutische Produkte hin. Jedenfalls sei die Marke wegen Verkehrsdurchsetzung einzutragen.

8

Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

9

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 5. Juni 2008 aufzuheben,

10

hilfsweise, die Sache zur Prüfung der Verkehrsdurchsetzung an das Deutschen Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.
12

Die zulässige Beschwerde der Anmelderin ist in der Sache ohne Erfolg. Dem zur Eintragung angemeldeten Zeichen fehlt für die beanspruchten Waren jegliche Unterscheidungskraft im Sinn von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG. Dass sich die angemeldete Marke infolge ihrer Benutzung für die angemeldeten Waren in den beteiligten Verkehrskreisen durchgesetzt haben könnte i. S. v. § 8 Abs. 3 MarkenG, hat die Anmelderin nicht schlüssig dargelegt.

13

Unterscheidungskraft im Sinne der genannten Vorschrift ist die einer Marke innewohnende konkrete Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel für die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefasst zu werden. Sie entspricht der Hauptfunktion der Marke, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. EuGH GRUR 2006, 229, Nr. 27 f. – BioID; GRUR 2004, 674, Nr. 34 – POSTKANTOOR; BGH GRUR 2005, 417, 418 – BerlinCard; GRUR 2006, 850, Rdn. 18 –
FUSSBALL
WM 2006).

14

Bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft einer abstrakten Farbmarke ist zu berücksichtigen, dass das angesprochene Publikum nicht daran gewöhnt ist, allein aus der Farbe von Waren oder ihrer Verpackung auf die Herkunft der Waren zu schließen, da eine abstrakte Farbe im Handel grundsätzlich nicht als Mittel der Identifizierung verwendet wird. Nur im Ausnahmefall unter außergewöhnlichen Umständen besteht die Möglichkeit der Bejahung der Unterscheidungskraft einer Farbmarke, nämlich auf spezifischen, eng begrenzten Bereichen von Waren oder Dienstleistungen; nur auf einem spezifischen Markt kann eine Gewöhnung des Verkehrs an Farben als Kennzeichnungsmittel erfolgen (vgl. EuGH GRUR 2003, 604, 607 f. Nr. 65, 66 – Libertel; GRUR 2004, 858, 860 Nr. 39 – 42 – Heidelberger Bauchemie GmbH; GRUR Int. 2005, 227, 231, Nr. 79 – Farbe Orange; BGH GRUR 2005, 427, 428 – Lila-Schokolade). Für Farbzusammenstellungen gelten diese Bewertungsmaßstäbe entsprechend (EuGH a. a. O. – Heidelberger Bauchemie GmbH).

15

Gemäß der Rechtsprechung des EuGH geht der Senat davon aus, dass nur in einem überschaubaren, von den Kennzeichnungsgewohnheiten anderer Branchen unabhängigen und somit spezifischen Marktsegment eine „Umgewöhnung“ des Verkehrs in der Wahrnehmung abstrakter Farben/Farbkombinationen stattfinden kann (vgl. BGH GRUR 2002, 538 – grün eingefärbte Prozessorengehäuse; BPatG GRUR 2005, 1056, 1058 – Dunkelblau/Hellblau; BPatG 33 W (pat) 143/02 – gelber Zitzengummi, Zusammenfassung veröffentlicht bei PAVIS PROMA; vgl. zu Beispielen aus der Rechtsprechung des BPatG Ströbele/Hacker, MarkenG 9. Aufl. § 8 Rdn. 205).

        
16

Vorliegend ist schon nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich, dass von einem „spezifischen Markt“ mit besonderen Kennzeichnungsgewohnheiten ausgegangen werden könnte.

        
17

Die beanspruchten diätetischen Erzeugnissen für besondere medizinische Zwecke stellen im Oberbegriff zwar eine einzige und damit im Sinne der Rechtsprechung des EuGH eine sehr beschränkte Zahl von Waren dar. Wie sich aber schon aus der vollständigen Fassung des Warenverzeichnisses ergibt, handelt es sich um einen sehr weiten Oberbegriff, der zahlreiche unterschiedliche Waren beinhaltet; die Anmelderin nennt darin Produkte für neunzehn verschiedene Anwendungsgebiete wie stressbedingte Erkrankungen, Demenzerkrankungen oder auch Krebserkrankungen. Daraus folgt, dass diätetische Erzeugnisse für besondere medizinische Zwecke, ebenso wie Arzneimittel, unterschiedlichste Produkte mit unterschiedlichen Wirkstoffen und Wirkstoffzusammensetzungen wie auch einem sich daraus ergebenden breiten Spektrum von Abnehmern betreffen. Wie die von der Anmelderin eingereichten Verpackungsmuster (Anlagenkonvolut A 2) sowie die Broschüren (Anlagenkonvolut A 3) zeigen, geht es in der Zusammensetzung der Produkte vielfach um mehr als zwanzig Inhaltsstoffe aus den Bereichen Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente. Unter diesen Umständen kann nach Auffassung des Senats nicht von einer beschränkten Zahl von Waren und einem in sich abgeschlossenen spezifischen Marktsegment im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgegangen werden; die Bestimmung für „besondere medizinische Zwecke“ ändert am verwendeten Waren-Oberbegriff nichts.

18

Da es bereits an der Grundvoraussetzung eines spezifischen, eng begrenzten Bereichs von Waren, und damit an einem spezifischen Marktsegment fehlt, erübrigt sich die Prüfung der Fragen, ob auf Grund der besonderen Umstände eines spezifischen Marktes, abweichend vom Regelfall, unter Berücksichtigung von Besonderheiten bei der Präsentation im Geschäftsverkehr, Farbkombinationen vom angesprochenen Verkehr als betrieblichen Herkunftshinweis bewertet werden und ob der Anmeldung konkret Unterscheidungskraft zukommt.

19

Es bleibt daher bei dem Grundsatz, dass der Einsatz von Farben und Farbkombinationen als Aufmachung aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers branchenüblich ist und er aus diesem Grunde in der Verwendung einer Farbkombination, wie auf anderen Warengebieten auch, regelmäßig keine betriebliche Herkunftskennzeichnung sehen wird.

20

Die Anmelderin kann aus der Eintragung anderer Farbmarken keinen Anspruch auf Eintragung der vorliegenden Anmeldung herleiten. Der Senat hat diese Ausführungen berücksichtigt, sieht sich aber nicht veranlasst, in gleichem Sinn zu entscheiden und die Eintragungshindernisse des § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG unberücksichtigt zu lassen. Voreintragungen führen weder für sich noch in Verbindung mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes zu einer Selbstbindung derjenigen Stellen, welche über die Eintragung zu befinden haben. Denn die Entscheidung über die Schutzfähigkeit einer Marke stellt keine Ermessens-, sondern eine Rechtsfrage dar (EuGH GRUR 2004, 674 Nr. 43, 44 – Postkantoor; GRUR 2004, 428 Nr. 63 – Henkel; BGH GRUR 1997, 527, 529 – Autofelge; GRUR 2008, 1093, 1095 Nr. 18 – Marlene-Dietrich-Bildnis; BPatG GRUR 2007, 333, 335 ff. – Papaya; MarkenR 2007, 178, 180 ff. –
CASHFLOW
; MarkenR 2007, 527, 531 – Rapido; BlPMZ 2008, 29 f. – Topline; bestätigt durch EuGH GRUR 2009, 667 Nr. 19 – Schwabenpost u. a.).

21

Dass sich die angemeldete Marke infolge ihrer Benutzung für die angemeldeten Waren in den beteiligten Verkehrskreisen durchgesetzt haben könnte i. S. v. § 8 Abs. 3 MarkenG, hat die Anmelderin weder schlüssig dargetan, noch kann dies sonst festgestellt werden. Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, ist eine zentrale Voraussetzung für die Glaubhaftmachung einer Verkehrsdurchsetzung nach § 8 Abs. 3 MarkenG, dass die
markenmäßige
Benutzung des fraglichen Zeichens belegt wird, also die Herausstellung der beanspruchten Farbe im Marktauftritt und in der Werbung als Unternehmenshinweis (st. Rspr. vgl. EuGH GRUR 2002, 804, Nr. 64 – Philips; GRUR Int. 2006, 842 – Form eines Bonbons II; BGH GRUR 2008, 710 Rdn. 23 –
VISAGE
). Verwendungsbeispiele auf der Grundlage konkreter Aufmachungen, wie sie von der Anmelderin vorgelegt wurden, sind für den Nachweis einer Verkehrsdurchsetzung in aller Regel ungeeignet. Dies insbesondere dann, wenn sie – wie die zu den Akten gereichten Beispiele zeigen – neben der Einfärbung des Hintergrundes der Verpackung in der angemeldeten Farbkombination andere Gestaltungselemente aufweisen, die vorrangig auf die jeweiligen Hersteller hinweisen, wie deren Firmenname – hier „
orthomol
“ in Verbindung mit der jeweiligen Produktbezeichnung (immun pro, vital f,
arthro
usw. in grafischer farblicher Gestaltung – oder Wort-/Bildmarken – hier verschiedene Bildelemente wie gelbgrüner Kreis mit blauem Ausschnitt oder weißer Kreis mit grafisch gestalteten Pfeilen. Ein markenmäßiger Gebrauch würde im vorliegenden Fall voraussetzen, dass die angemeldete Farbkombination
an sich
entsprechend der Hauptfunktion von Marken als unternehmensbezogenes Unterscheidungsmittel eingesetzt wurde; keineswegs ist es ausreichend, dass die Produktfarbe im geschäftlichen Verkehr „irgendwie“ in Erscheinung tritt. Ebenso wenig genügt eine mögliche Bekanntheit der betreffenden Produkte (vgl. v. Gamm, in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, § 8 MarkenG, Rdn. 53 m. w. N.). Stattdessen ist es unabdingbar, dass die konkrete Farbkombination unzweideutig als betriebliches Herkunftszeichen eingesetzt wurde, um für das angesprochene Publikum als solches erkennbar zu sein (vgl. Ströbele/Hacker a. a. O. § 8 Rdn. 382 f. m. w. N.). Dies kann zwar grundsätzlich auch dann der Fall sein, wenn das angemeldete Zeichen als Teil oder in Kombination mit einer anderen Marke benutzt wurde. Dies macht es aber nicht entbehrlich, dass die beteiligten Verkehrskreise die Benutzung des angemeldeten Zeichens
an sich
als markenmäßigen, eigenständig kennzeichnenden Hinweis ansehen müssen. Im Rahmen des Verkehrsdurchsetzungsverfahrens muss also die Glaubhaftmachung gelingen, dass ein erheblicher Teil der beteiligten Verkehrskreise die angemeldeten Produktfarben als selbständigen, auf ein bestimmtes Unternehmen bezogenen Herkunftshinweis ansieht. Davon kann vorliegend aber keine Rede sein.

22

Die Anmelderin hat weiter zwar darauf hingewiesen, dass sie auf dem maßgeblichen Produktsektor mit der Marke Orthomol in der beanspruchten Farbaufmachung im Umsatz Rang 6 der OTC-Marken einnehme. Darüber hinaus sind auch Zahlen zum Marketing-Aufwand bezüglich einzelner Produkte wie „
orthomol
immun“ sowie Umsätzen genannt. Es fehlen aber konkrete Angaben zu Maßnahmen, mit denen die verfahrensgegenständliche Marke – und nicht der Firmenname „
orthomol
“ in Verbindung mit weiteren Bezeichnungen – als betriebliches Herkunftszeichen zur Geltung gebracht wurde sowie zu den mit der Marke (also nicht lediglich mit den entsprechenden Produkten) erzielten Umsätzen oder dem
für die Marke
erbrachten Werbeaufwand. Dies gilt ebenso für Angaben zum Erfolg dieser Maßnahmen, d. h. zum erzielten Feedback bei den beteiligten Verkehrskreisen. Die Ausführungen und die eingereichten Fotos zur Präsentation in Apotheken (Anlagenkonvolut A 4) belegen die oben dargestellte markenmäßige Benutzung der Farbkombination nicht und sind nicht ausreichend, die dargestellten Mängel auszugleichen (vgl. Ströbele/Hacker a. a. O. § 8 Rdn. 383). Bei der gebotenen Gesamtschau aller vorgelegten Unterlagen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Anmeldemarke als markenmäßiger Hinweis auf die betriebliche Herkunft der beanspruchten Waren im Verkehr durchgesetzt hätte. Da es somit bereits an der Darlegung einer markenmäßigen Verwendung der beanspruchten Farbkombination fehlt, kommen weitere Ermittlungen des Senats oder eine Zurückverweisung der Sache an die Markenstelle nicht in Betracht.

23

Der Senat kommt damit zum selben Ergebnis wie die Erste Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt, die durch Beschluss vom 20. Mai 2008 (R 460/2008-1) mit der Zurückweisung der Beschwerde die Zurückweisung der identischen Anmeldung durch den Prüfer bestätigt hat.


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