Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “Free!/frei (Wort-Bild-Marke)/frei (Unionswortmarke)” – Auslegung – keine Einrede mangelnder Benutzung – Warenidentität und -ähnlichkeit – zur Kennzeichnungskraft – unmittelbare begriffliche Verwechslungsgefahr

Aktenzeichen  26 W (pat) 509/20

Datum:
17.8.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2020:170820B26Wpat509.20.0
Normen:
§ 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG
§ 125b Nr 1 MarkenG
Spruchkörper:
26. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2014 024 556
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 17. August 2020 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richter Kätker und Schödel
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Wortmarke
2
Free!
3
ist am 19. Februar 2014 angemeldet und am 16. Mai 2014 unter der Nummer 30 2014 024 556 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden für Waren der Klasse 10 sowie für Waren der
4
Klasse 3: Mittel zur Körper- und Schönheitspflege; Massageprodukte, nämlich Massageöle, Massagefluids, Massagecremes, Massagegels, Massagelotionen, für kosmetische Zwecke;
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Klasse 5: pharmazeutische Präparate; Präparate für die Gesundheitspflege; chemische, biologische und pflanzliche Erzeugnisse für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke; Nahrungsergän-zungsmittel für medizinische sowie nicht-medizinische Zwecke; empfängnisverhütende Präparate und Substanzen; spermizide Gels; Flüssigkeiten und Cremes; hygienische Intimgleitmittel; Gel für medizinische Zwecke, insbesondere Ultraschallgel; Schwangerschaftstests; Fruchtbarkeitstests; Ovulationstests; Desinfektionsmittel; Erzeugnisse für die Damenhygiene wie Slipeinlagen, Damenbinden und Tampons; Monatshöschen; Einlagen für die Damenhygiene; Höschen für die Damenhygiene; Inkontinenzeinlagen, -binden, -windeln, Inkontinzhöschen; feuchte medizinische Tücher für die äußere Reinigung von Scheiden- und Dammbereich; Reinigungsmittel für die Dammhygiene [medizinisch].
6
Gegen die Eintragung dieser Marke, die am 20. Juni 2014 veröffentlicht worden ist, hat die Beschwerdegegnerin Widersprüche erhoben
7
1. aus der Wort-/Bildmarke (blau, rot)
8
die am 27. Mai 1995 angemeldet und am 24. Oktober 1995 unter der Nummer 395 22 503 in das beim DPMA geführte Register eingetragen worden ist für Waren der Klassen 3 und 5 (ungruppiert):
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Seifen, Parfümerien, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Haarpflegemittel, Haarwässer; Arzneimittel, pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse, sowie Präparate für die Gesundheitspflege
10
und
11
2. aus der Unionswortmarke
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frei
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die am 29. März 2004 angemeldet und am 12. August 2005 unter der Nummer 003 737 376 in das beim Europäischen Amt für Geistiges Eigentum (EUIPO) geführte Register eingetragen worden ist für Waren der
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Klasse 3: Seifen; Parfümerien, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Haarpflegemittel, Haarwässer;
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Klasse 5: Arzneimittel, pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege.
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Mit Beschluss vom 28. Juni 2016 hat die Markenstelle für Klasse 3 des DPMA die angegriffene Marke wegen Verwechslungsgefahr für sämtliche Waren der Klassen 3 und 5 gelöscht und die Widersprüche im Übrigen zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Vergleichswaren der Klasse 3 seien identisch. Identität bestehe auch zwischen den angegriffenen Waren der Klasse 5 „pharmazeutische Präparate; Präparate für die Gesundheitspflege; chemische, biologische und pflanzliche Erzeugnisse für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke; Nahrungsergänzungsmittel für medizinische sowie nicht-medizinische Zwecke; empfängnisverhütende Präparate und Substanzen; spermizide Gels; Flüssigkeiten und Cremes; hygienische Intimgleitmittel; Gel für medizinische Zwecke, insbesondere Ultraschallgel; Schwangerschaftstests; Fruchtbarkeitstests; Ovulationstests“ und den Widerspruchswaren „Arzneimittel, pharmazeutische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege“. Letztere seien den für die jüngere Marke in Klasse 5 geschützten Produkten „Desinfektionsmittel; Erzeugnisse für die Damenhygiene wie Slipeinlagen, Damenbinden und Tampons; Monatshöschen; Einlagen für die Damenhygiene; Höschen für die Damenhygiene; Inkontinenzeinlagen, -binden,
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-windeln, Inkontinzhöschen; feuchte medizinische Tücher für die äußere Reinigung von Scheiden- und Dammbereich; Reinigungsmittel für die Dammhygiene [medizinisch]“ ähnlich, weil es sich um typische Erzeugnisse handele, die aufeinander abgestimmt seien oder ergänzend zur Verwendung kämen. Die Kennzeichnungskraft der beiden älteren Marken sei wegen ihres beschreibenden Sinngehalts nur gering. Sie wiesen entweder darauf hin, dass die so gekennzeichneten Waren von etwas, z. B. Schmerzen, einer verstopften Nase, Gewicht oder Keimen, frei machten, oder dass sie selbst frei von Keimen oder anderen als wesentlich empfundenen Inhaltsstoffen wie Konservierungsstoffen oder chemischen Bestandteilen seien. Da das englische Wort „free“ im Deutschen „frei“ bedeute, seien die Vergleichsmarken in begrifflicher Hinsicht identisch. Zudem bestehe wegen der akustischen Nähe auch eine verwechslungsrelevante klangliche Ähnlichkeit.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke. Sie ist der Ansicht, es bestehe keine Verwechslungsgefahr. Nachdem sie alle für die Widerspruchsmarke zu 2.) in den Klassen 3 und 5 geschützten Waren noch einmal im Einzelnen aufgelistet hat, hat sie vorgetragen, das Geschäftsfeld der Widerspruchsmarke „frei“ seien Hautpflegeöle, nicht aber z. B. „Erzeugnisse für die Damenhygiene wie Slipeinlagen, Damenbinden und Tampons; Monatshöschen; Einlagen für die Damenhygiene; Höschen für die Damenhygiene; Inkontinenzeinlagen, -binden, -windeln, Inkontinenzhöschen“. Der „Beschluss sei in Bezug auf den Ausschluss lediglich der Waren“ zu korrigieren, „welche tatsächlich durch den Markengegner geschützt wurden“.
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Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt sinngemäß,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 3 des DPMA vom 28. Juni 2016 aufzuheben und die Widersprüche auch im Übrigen zurückzuweisen.
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Die Widersprechende beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und vertritt die Auffassung, die Vergleichswaren der Klasse 3 sowie die „pharmazeutischen Präparate; Präparate für die Gesundheitspflege“ der Klasse 5 seien identisch, im Übrigen seien die beiderseitigen Waren einander ähnlich. Die Kennzeichnungskraft der beiden Widerspruchsmarken sei hoch. Die Kollisionsmarken seien in begrifflicher Hinsicht identisch, da die angegriffene Marke die englische Übersetzung der Widerspruchsmarken darstelle.
24
Mit gerichtlichem Schreiben vom 9. April 2020 sind die Verfahrensbeteiligten darauf hingewiesen worden, dass die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg habe.
25
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
26
Die gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
27
1. Zwischen der angegriffenen Marke „Free!“ und der Unionswiderspruchsmarke zu 2.) „frei“ besteht im Umfang der Beschwerde die Gefahr von Verwechslungen gemäß §§ 125b Nr. 1, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG.
28
a) Da es sich vorliegend um ein Verfahren über einen Widerspruch handelt, der nach dem 1. Oktober 2009, aber vor dem 14. Januar 2019 erhoben worden ist, ist die Bestimmung des § 42 Absatz 1 und 2 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (§ 158 Abs. 3 MarkenG).
29
b) Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.: EuGH GRUR 2020, 52 Rdnr. 41 – 43 – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 45 f. – Les Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2019, 1058 Rdnr. 17 – KNEIPP; GRUR 2018, 79 Rdnr. 9 – OXFORD/Oxford Club m. w. N.).
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aa) Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat in ihrem Beschwerdeschriftsatz vom 7. Juli 2016 keine Einrede der Nichtbenutzung der Widerspruchsmarke zu 2.) erhoben. Diese richtet sich gemäß § 158 Abs. 5 MarkenG nach der Vorschrift des § 43 Abs. 1 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung.
31
aaa) Der Wille, die Benutzung der Widerspruchsmarke zu bestreiten, muss eindeutig zum Ausdruck gebracht werden (BPatGE 25, 53; BPatG Mitt. 1987, 56 f. – Joker; 24 W (pat) 54/08 – well! gifts & more/Wella; 25 W (pat) 78/05 – ELCH GRAPHICS/ELCH; 26 W (pat) 100/05 – SCHUTZENGEL). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
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bbb) Soweit die Inhaberin der jüngeren Marke, nachdem sie alle für die Widerspruchsmarke zu 2.) in den Klassen 3 und 5 geschützten Waren noch einmal im Einzelnen aufgelistet hat, in ihrem Beschwerdeschriftsatz vom 7. Juli 2016 vorträgt, das Geschäftsfeld der Widerspruchsmarke „frei“ seien Hautpflegeöle, nicht aber z. B. „Erzeugnisse für die Damenhygiene wie Slipeinlagen, Damenbinden und Tampons; Monatshöschen; Einlagen für die Damenhygiene; Höschen für die Damenhygiene; Inkontinenzeinlagen, -binden, -windeln, Inkontinenzhöschen“, und der „Beschluss sei in Bezug auf den Ausschluss lediglich der Waren“ zu korrigieren, „welche tatsächlich durch den Markengegner geschützt wurden“, kommt nicht zum Ausdruck, dass sie die Benutzung der Widerspruchsmarke für bestimmte Produkte bestreiten will. Da sie zweimal ausdrücklich von den für den Markengegner geschützten Waren spricht, beanstandet sie offensichtlich nur, dass die für die angegriffene Marke in Klasse 5 registrierten vorgenannten Hygieneprodukte nicht auch im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke zu 2.) aufgeführt sind. Damit greift sie aber nur die von der Markenstelle vorgenommene Annahme der Ähnlichkeit dieser Hygieneprodukte mit den Widerspruchswaren „Arzneimittel, pharmazeutische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege“ an, bestreitet aber nicht die Benutzung der für die ältere Marke zu 2.) in den Klassen 3 und 5 eingetragenen Waren. Abgesehen davon, dass die Begriffe „benutzen“ oder „verwenden“ an keiner Stelle der Beschwerdeschrift auftauchen, könnte man ihrem Vorbringen allenfalls entnehmen, dass sie bestreiten will, dass die Widerspruchsmarke zu 2.) für „Erzeugnisse für die Damenhygiene wie Slipeinlagen, Damenbinden und Tampons; Monatshöschen; Einlagen für die Damenhygiene; Höschen für die Damenhygiene; Inkontinenzeinlagen, -binden, -windeln, Inkontinenzhöschen“ benutzt wird. Diese Produkte sind aber gar nicht im Warenverzeichnis der älteren Marke zu 2.) enthalten, so dass sie dem Benutzungszwang gar nicht unterliegen.
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bb) Ausgehend von der maßgeblichen Registerlage können sich die Vergleichsmarken teilweise auf identischen, teilweise auf weit überdurchschnittlich ähnlichen und teilweise auf überdurchschnittlich ähnlichen Waren begegnen.
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aaa) Eine Ähnlichkeit ist grundsätzlich anzunehmen, wenn die sich gegenüberstehenden Waren und/oder Dienstleistungen unter Berücksichtigung aller für die Frage der Verwechslungsgefahr erheblicher Faktoren wie insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsart, ihres Verwendungszwecks und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung sowie ihrer Eigenart als miteinander konkurrierender oder einander ergänzender Produkte oder Leistungen so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben Unternehmen oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 65 – Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2014, 488 Rdnr. 12 – DESPERADOS/DESPERADO; GRUR 2015, 176, 177 Rdnr. 16 – ZOOM). Von einer absoluten Warenunähnlichkeit kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Annahme einer Verwechslungsgefahr trotz (unterstellter) Identität der Marken wegen des Abstands der Waren von vornherein ausgeschlossen ist (BGH a. a. O. – DESPERADOS/DESPERADO; a. a. O. Rdnr. 17 – ZOOM).
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bbb) Sowohl die Waren der Klasse 3 „Mittel zur Körper- und Schönheitspflege“ als auch die Produkte der Klasse 5 „Präparate für die Gesundheitspflege“ sind in allen Warenverzeichnissen identisch enthalten. Da die Waren der angegriffenen Marke „Massageprodukte, nämlich Massageöle, Massagefluids, Massagecremes, Massagegels, Massagelotionen, für kosmetische Zwecke“ der Klasse 3 unter den weiten Oberbegriff der Widerspruchswaren „Mittel zur Körper- und Schönheitspflege“ fallen, ist auch insoweit Identität gegeben. Entsprechendes gilt für die Waren der angegriffenen Marke „pharmazeutische Präparate“ der Klasse 5, die in den weiten Oberbegriffen der Widerspruchswaren „Arzneimittel, pharmazeutische Erzeugnisse“ in Klasse 5 enthalten sind. Die für die Widerspruchsmarken in Klasse 5 geschützten „Präparate für die Gesundheitspflege“ umfassen die in Klasse 5 angegriffenen Waren „chemische, biologische und pflanzliche Erzeugnisse für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke; Nahrungsergänzungsmittel für medizinische sowie nicht-medizinische Zwecke; Flüssigkeiten und Cremes“, so dass auch insoweit Identität vorliegt.
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ccc) Die in Klasse 5 angegriffenen Waren „empfängnisverhütende Präparate und Substanzen; spermizide Gels; hygienische Intimgleitmittel; Gel für medizinische Zwecke, insbesondere Ultraschallgel; Schwangerschaftstests; Fruchtbarkeitstests; Ovulationstests“ enthalten ebenso wie die Widerspruchswaren „pharmazeutische Erzeugnisse“ der Klasse 5 chemische Substanzen, die in denselben Produktionsstätten hergestellt und über Apotheken vertrieben werden. Die stoffliche Basis, die Hersteller und die Vertriebswege stimmen daher überein, so dass von einer weit überdurchschnittlichen Ähnlichkeit auszugehen ist.
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ddd) Da die von der jüngeren Marke in Klasse 5 beanspruchten Hygiene- und Reinigungsprodukte
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„Desinfektionsmittel; Erzeugnisse für die Damenhygiene wie Slipeinlagen, Damenbinden und Tampons; Monatshöschen; Einlagen für die Damenhygiene; Höschen für die Damenhygiene; Inkontinenzein-lagen, -binden, -windeln, Inkontinzhöschen; feuchte medizinische Tücher für die äußere Reinigung von Scheiden- und Dammbereich; Reinigungsmittel für die Dammhygiene [medizinisch]“
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der Gesundheitspflege dienen und gemeinsam mit den Widerspruchsprodukten „Präparate für die Gesundheitspflege“ in Apotheken und Drogerien zum Kauf angeboten werden, ist eine überdurchschnittliche Ähnlichkeit anzunehmen.
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cc) Mit den teilweise im Identitäts- und teilweise im sehr hohen und hohen Ähnlichkeitsbereich liegenden Waren werden neben Apotheken und Drogerien breite Verkehrskreise, insbesondere auch der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher angesprochen. Nicht nur die gewerblichen Kunden, sondern auch die Endverbraucher werden diesen Produkten wegen ihrer unmittelbaren Auswirkungen auf den Körper und die Gesundheit mit erhöhter Aufmerksamkeit begegnen.
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dd) Der Unionswiderspruchsmarke zu 2.) „frei“ kommt eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft zu.
42
aaa) Die Widersprechende hat zwar behauptet, dass die Kennzeichnungskraft ihrer beiden Marken hoch sei, sie hat aber weder Anhaltspunkte für eine durch intensive Nutzung gesteigerte Kennzeichnungskraft vorgetragen, noch sind solche ersichtlich.
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bbb) Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zu 2.) ist von Haus aus normal.
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(1) Die originäre Kennzeichnungskraft wird bestimmt durch die Eignung der Marke, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. EuGH GRUR 2010, 1096 Rdnr. 31 – BORCO/HABM [Buchst. a]; BGH GRUR 2017, 75 Rdnr. 19 – Wunderbaum II). Dabei ist auf die Eigenart der Marke in Klang, Bild und Bedeutung abzustellen. Marken, die über einen für die jeweiligen Waren oder Dienstleistungen erkennbar beschreibenden Anklang verfügen, haben regelmäßig nur geringe originäre Kennzeichnungskraft (BGH WRP 2015, 1358 Rdnr. 10 – ISET/ISETsolar; GRUR 2012, 1040 Rdnr. 29 – pjur/pure). Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die für eine hohe oder geringe Kennzeichnungskraft sprechen, ist von normaler Kennzeichnungskraft auszugehen (BGH a. a. O. – Wunder-baum II).
45
(2) Die ältere Unionswortmarke besteht aus dem Adjektiv „frei“, das über eine Vielzahl von Bedeutungen verfügt, wie z. B. „sich in Freiheit befindend, unabhängig, nicht gebunden“; „keine Hilfsmittel gebrauchend“; „nicht an [moralische] Normen gebunden, von [sittlichen] Vorurteilen unabhängig“; „nicht behindert, nicht beeinträchtigt“; „durch bestimmte Dinge nicht [mehr] beeinträchtigt oder gehemmt“; „nicht festgenommen, nicht gefangen“; „offen, unbedeckt, nicht umschlossen“; „unbekleidet, bloß“; „unbesetzt, nicht von andern benutzt“; „verfügbar“ oder „kostenlos“. Synonyme sind „autonom“, „eigenständig“ oder „sein eigener Herr“ sein (https//www.duden.de/rechtschreibung/frei). In Bezug auf die im Identitäts- und Ähnlichkeitsbereich maßgeblichen Widerspruchswaren „Mittel zur Körper- und Schönheitspflege; Arzneimittel, pharmazeutische Erzeugnisse;
Präparate für die Gesundheitspflege“ kommt dem Markenwort „frei“ in Alleinstellung und damit ohne Erläuterung, von welchen Eigenschaften oder Inhaltsstoffen die Produkte frei sein sollen, kein beschreibender Sinngehalt zu, so dass von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft auszugehen ist.
46
ccc) Soweit die Markenstelle sich zur Annahme eines geringen Schutzumfangs beider Widerspruchsmarken auf den Beschluss des BPatG zur teilweise gelöschten Wortmarke „FREI“ (26 W (pat) 168/09) stützt, ist diese Entscheidung schon deshalb nicht vergleichbar, weil es bei den betroffenen Waren „Biere, alkoholfreie Getränke“ nahe liegt, mit dem Wort „FREI“ auf deren Alkoholfreiheit hinzuweisen. Die von der Markenstelle zitierte Entscheidung des BPatG zur Wortfolge „Atme Dich frei“ (32 W (pat) 69/04) betrifft andere Waren, nämlich Teeprodukte, einen hier nicht vorliegenden Werbeslogan und beruht zudem auf einer umfangreichen Internetrecherche, wonach der Ausdruck „Atme Dich frei“ im Inland häufig verwendet worden ist. In dem ebenfalls von der Markenstelle herangezogenen Beschluss des BPatG (30 W (pat) 174/99) ist dem englischen Wortzeichen „FREE“, das dem deutschen Adjektiv „frei“ entspricht, eine beschreibende Aussage über die auch hier relevanten Waren „pharmazeutische Erzeugnisse“ und „Präparate für die Gesundheitspflege“ entnommen worden. Die Begründung, dass dieses Wort auch in Alleinstellung durch die Verbindung mit der Ware unmittelbar selbst aufzeige, von welcher Belastung befreit werden solle, wie z. B. bei Schnupfen-, Raucherentwöhnungs- und Schlankheitsmitteln sowie Kopfschmerztabletten, ist aus zwei Gründen nicht haltbar. Erstens hat die damals durchgeführte Recherche keine Beispiele für eine beschreibende Verwendung in Alleinstellung aufzeigen können, was auch dem Senat in Bezug auf die vorliegend geschützten Arznei-, Körper- und Gesundheitspflegemittel nicht gelungen ist. Zweitens ist diese vom 7. Mai 2001 stammende Entscheidung längst überholt. Denn spätestens seit der Rechtsprechung des BGH vom 10. Juni 2010 zu „Buchstabe T mit Strich“ (GRUR 2011, 65 Rdnr. 10, 17 f.; vgl. auch BGH GRUR 2016, 934 Rdnr. 24 f. – OUI) ist es unzulässig, die mit dem Markenwort gekennzeichnete Ware hinzuzudenken. Das gilt auch für das von der Markenstelle vorgenommene Ergänzen des Markenwortes „frei“ um die Erläuterungen „von Schmerzen“, „von einer verstopften Nase“, „von Keimen“ oder „von bestimmten Inhaltsstoffen“. Solche Hinzufügungen verändern die Marke, die ausschließlich in ihrer eingetragenen Gesamtheit, also in Alleinstellung Gegenstand der Prüfung der Kennzeichnungskraft ist.
47
dd) Die jüngere Marke hält den bei identischen sowie weit überdurchschnittlich und überdurchschnittlich ähnlichen Vergleichswaren gebotenen Abstand bei durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zu 2.) trotz erhöhter Aufmerksamkeit der angesprochenen Verkehrskreise wegen sehr hoher begrifflicher Markenähnlichkeit nicht mehr ein.
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aaa) Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (EuGH GRUR 2013, 922 Rdnr. 35 – Specsavers/Asda; BGH GRUR 2013, 833 Rdnr. 30 – Culinaria/Villa Culinaria), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Das schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 28 f. – THOMSON LIFE; BGH a. a. O. Rdnr. 37 – OXFORD/Oxford Club m. w. N.; GRUR 2012, 64 Rdnr. 14 – Maalox/Melox-GRY). Voraussetzung hierfür ist, dass die anderen Bestandteile weitgehend in den Hintergrund treten und den Gesamteindruck der Marke nicht mitbestimmen. Die Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift-)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können (EuGH GRUR Int. 2010, 129 Rdnr. 60 – Aceites del Sur-Coosur [La Espagnola/Carbonelle]; BGH GRUR 2016, 382 Rdnr. 37 – BioGourmet). Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche (EuGH GRUR 2007, 700 Rdnr. 35 – HABM/Shaker [Limoncello/LIMONCHELO]; BGH a. a. O. – BioGourmet).
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bbb) Die Vergleichswortmarken „Free!“ und „frei“ sind begrifflich weit überdurchschnittlich ähnlich.
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(1) Unmittelbare begriffliche Verwechslungen liegen nur dann vor, wenn die beiderseitigen Begriffe ihrem Sinn nach vollständig oder doch im Wesentlichen übereinstimmen, also Synonyme darstellen (BPatG 29 W (pat) 592/17 – Feinstil/Feingefühl; 25 W (pat) 517/17 – Piraten-Mix/Piratenspass). Stehen sich Wörter der deutschen und einer Fremdsprache gegenüber, sind Verwechslungen erst nach einem Übersetzungsvorgang möglich und kommen deshalb in der Regel nur bei den angesprochenen Verkehrskreisen geläufigen Ausdrücken gängiger Fremdsprachen in Betracht (BPatG 26 W (pat) 94/12 – uno due tre/EINS ZWEI DREI; 25 W (pat) 32/08 – Fourty6/46; Mitt 1986, 76 – Spring Garden/Frühlingsgärten; Mitt 1984, 56 – RANCHER/Farmer; Mitt 1967, 233, 234 – Botschafter/AMBASSADEUR).
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(2) Die angegriffene Marke „Free!“ enthält das englische Wort „free“, das zum englischen Grundwortschatz gehört und als Adjektiv mit „frei; offenherzig; umsonst“ und als Verb mit „befreien (von)“ übersetzt wird (Weis, Grund- und Aufbauwortschatz Englisch, 2. Aufl. 1977, S. 47).
52
(3) Das angefügte Ausrufezeichen ist ein Satzzeichen in Form eines senkrechten Strichs mit einem Punkt darunter, das nach Ausrufe-, Wunsch- und Aufforderungssätzen sowie nach Ausrufewörtern steht (https://www.duden.de/rechtschreibung/Ausrufezeichen).
53
(4) Aufgrund des nachgestellten Ausrufezeichens kommt zwar grammatikalisch vorrangig die Imperativform mit der Bedeutung „Befreie!“ in Betracht, aber den angesprochenen inländischen Verkehrskreisen ist die Übersetzung von „Free!“ mit „Frei!“ wesentlich geläufiger als die Wortbedeutung „befreien (von)“.
54
(4.1) Denn es wird nicht gesagt, was oder wen der Angesprochene befreien soll.
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(4.2) Ferner wird auch das Wort „free“ im Sinne von „frei“ sehr häufig im Deutschen gebraucht. Die Begriffe „Duty Free“ oder „Tax free“ begegnen den Deutschen auf ihren Reisen regelmäßig. „Freestyle“, „Freeware“ als kostenlos zu nutzendes Computerprogramm, „free Concert“ als Bezeichnung für Konzerte, bei denen die Gruppen ohne Gage auftreten und kein Eintritt erhoben wird, „freecall“, „freenet“, „free mail“ oder „Freeclimbing“ sind feste Begriffe des täglichen modernen Sprachgebrauchs, die nicht einmal mehr übersetzt werden (vgl. auch BPatG 30 W (pat) 173/99 – Free).
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(4.3) Darüber hinaus ist die Hervorhebung einer Aussage durch ein Ausrufezeichen in der Werbung ein häufig verwendetes Stil- und Gestaltungsmittel, das lediglich dazu dient, den Inhalt des vorangehenden Wortes werbemäßig hervorzuheben oder besonders zu unterstreichen (vgl. BPatG 29 W (pat) 612/17 – Think Clear!, 29 W (pat) 548/16 – Yes!-Changemanagement; 29 W (pat) 34/12 – SACHSEN! Ein Land in Bewegung; 27 W (pat) 22/11 – Mehr Wissen Mehr Tun!; 27 W (pat) 89/11 – !Solid; 27 W (pat) 530/10 – Mehr! Entertainment).
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(4.4) Daher nimmt der Verkehr die jüngere Marke „Free!“ in erster Linie in der Bedeutung „Frei!“ wahr und fasst das Ausrufezeichen nur als werbeübliches Hervorhebungsmittel und nicht als begriffsveränderndes Satzzeichen auf.
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eee) Damit stimmen die beiderseitigen Markenwörter ihrem Sinngehalt nach vollständig überein und bewirken eine unmittelbare begriffliche Verwechslungsgefahr.
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3. Auch zwischen der angegriffenen Marke „Free!“ und der Widerspruchsmarke zu 1.) besteht im Umfang der Beschwerde die Gefahr von Verwechslungen gemäß §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG. Da beide Widerspruchsmarken für dieselben Waren registriert sind, gelten die Ausführungen zur Warenidentität und -ähnlichkeit sowie zum Aufmerksamkeitsgrad bei der Widerspruchsmarke zu 2.) entsprechend. Der einzige Unterschied besteht in der grafischen Ausgestaltung der Widerspruchsmarke zu 1.) in einer blauen Schrift mit rotem Punkt auf einem hellblauen, mit weißer Linie abgesetzten Sockel vor einem grauen Hintergrund, die schon in ihrer komplexen Gesamtheit über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft verfügen dürfte, was aber wegen des normal kennzeichnungskräftigen Wortelements „frei“, wie bereits bei der Widerspruchsmarke zu 2.) erörtert, dahingestellt bleiben kann. Im Übrigen gelten die Ausführungen bei der Widerspruchsmarke zu 2.) auch zur sehr hohen begrifflichen Markenähnlichkeit entsprechend.
III.
60
Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG sind nicht gegeben.


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