Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “Jugendsünde (Wort-Bild-Marke)” – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis

Aktenzeichen  26 W (pat) 518/19

Datum:
29.8.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:290819B26Wpat518.19.0
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
§ 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG
Spruchkörper:
26. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2018 103 511.6
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 29. August 2019 unter Mitwirkung der Richter Kätker, Dr. von Hartz und Schödel
beschlossen:
Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 34 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 3. Dezember 2018 wird aufgehoben.

Gründe

I.
1
Das Wort-/Bildzeichen
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2
ist am 27. März 2018 unter der Nummer 30 2018 103 511.6 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für Waren und Dienstleistungen der Klasse 32, 34 und 35 angemeldet worden.
3
Mit Beschluss vom 3. Dezember 2018 hat die Markenstelle für Klasse 34 des DPMA die Anmeldung teilweise wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß § 37 Abs. 1, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen, nämlich für die Waren und Dienstleistungen der
4
Klasse 32: Nichtalkoholische Getränke; Präparate für die Zubereitung von Getränken; Energydrinks;
5
Klasse 34: Aromastoffe für Tabak; Behälter für Raucherartikel, Humidore; Verdampfer für den persönlichen Gebrauch und elektronische Zigaretten sowie Aromastoffe und Lösungen hierfür; Tabak und Tabakwaren, einschließlich Tabakersatzstoffen; Raucherartikel; Streichhölzer;
6
Klasse 35: Präsentation von Waren und Dienstleistungen; Präsentation von Waren in Kommunikations-Medien, für den Einzelhandel; Verbraucherinformationsdienste; Einzel- und Großhandelsdienst-leistungen betreffend Raucherartikel, Raucherzubehör, Wasserpfeifen, Getränke.
7
Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Begriff „Jugendsünde“ werde in der Bedeutung „unüberlegte, leichtsinnige Handlung oder Tat, die jemand in seiner Jugend begeht und an die er sich später meist nur ungern erinnert“ verwendet. Allgemein würden damit Tätigkeiten bezeichnet, die für die Jugend typisch seien und die man heute nicht mehr ausüben würde, weil man wisse, dass sie unvernünftig oder schädlich seien. Dazu gehöre u. a. der Konsum von Genussmitteln sowie Tabak und Nikotin aus Lust oder Neugierde. Die zurückgewiesenen Waren „Aromastoffe für Tabak; Verdampfer für den persönlichen Gebrauch und elektronische Zigaretten sowie Aromastoffe und Lösungen hierfür; Tabak und Tabakwaren, einschließlich Tabakersatzstoffen; Raucherartikel“ würden typischerweise insbesondere von Jugendlichen leichtsinnig ohne zu überlegen konsumiert. Für die Lagerung bzw. Nutzung dieser Tabakwaren bedürfe es der Waren „Behälter für Raucherartikel, Humidore; Streichhölzer“. Die Waren „Nichtalkoholische Getränke; Energydrinks“ umfassten Getränke, die aufgrund ihres Zuckergehalts und weiterer Inhaltsstoffe wie Koffein oder Taurin nicht gesund oder in Abhängigkeit von der konsumierten Menge sogar schädlich seien. Solche Getränke könnten gezielt Jugendliche ansprechen oder von diesen nachgefragt werden. Im Lauf des weiteren Lebens könnten diese zu der Erkenntnis gelangen, dass der Konsum dieser Waren unvernünftig oder schädlich gewesen sei. Entsprechendes gelte für die „Präparate für die Zubereitung von Getränken“, die ungesunde Inhaltsstoffe enthalten könnten. Schutzunfähig sei das Anmeldezeichen auch für die beanspruchten Einzel- und Großhandelsdienstleistungen bzw. die sonstigen Vertriebsdienstleistungen der Klasse 35, da diese die zurückgewiesenen Waren zum Gegenstand haben könnten und deshalb eine funktionelle Nähe zu diesen bestehe. Auch die graphische Gestaltung könne dem Zeichen nicht zur Schutzfähigkeit verhelfen.
8
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Anmelders. Er hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert. Im Verfahren vor dem DPMA hat er die Ansicht vertreten, nicht jede Zigarette sei als Jugendsünde zu bezeichnen, schon gar nicht der Konsum nichtalkoholischer Getränke und Energydrinks. Der Begriff der Jugendsünde erfordere ein Übermaß an Genuss. Für die Argumentation der Markenstelle bedürfe es weiterer Gedankenschritte, die die angesprochenen Verkehrskreise nicht vornähmen. Eine Anlehnung an beschreibende Angaben sei für die Unterscheidungskraft unschädlich. Hinsichtlich der zurückgewiesenen Dienstleistungen der Klasse 35 fehle es an einem inhaltlichen Bezug. Im Übrigen sei allein die graphische Gestaltung des Zeichens charakteristisch genug, um dessen Unterscheidungskraft zu bejahen.
9
Der Anmelder beantragt sinngemäß,
10
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 34 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 3. Dezember 2018 aufzuheben.
11
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
12
Die nach §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig und begründet.
13
Der Eintragung des Wort-/Bildzeichens
14
stehen für die beschwerdegegenständlichen Waren und Dienstleistungen der Klassen 32, 34 und 35 keine Schutzhindernisse entgegen, insbesondere fehlt es dem Zeichen nicht an Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
15
1. Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2015, 1198, 1201 Rdnr. 59 f. – Nestlé/Cadbury [Kit Kat]; BGH GRUR 2015, 173, 174 Rdnr. 15 – for you). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2010, 228 Rdnr. 33 – Audi AG/HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH a. a. O. – for you). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH a. a. O. – for you). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH a. a. O. Rdnr. 16 – for you).
16
Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt (BGH GRUR 2013, 1143, 1144, Rdnr. 15 – Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; BGH GRUR 2014, 376 Rdnr. 11 – grill meister).
17
Ausgehend hiervon besitzen Wortzeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die angesprochenen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (EuGH GRUR 2004, 674, Rdnr. 86 – Postkantoor; BGH GRUR 2012, 270 Rdnr. 11 – Link economy) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die – etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (BGH GRUR 2014, 872, 874 Rdnr. 21 – Gute Laune Drops). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und die sich damit in einer beschreibenden Angabe erschöpfen (BGH GRUR 2014, 1204 Rdnr. 12 – DüsseldorfCongress). Hierfür reicht es aus, dass ein Wortzeichen, selbst wenn es bislang für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht beschreibend verwendet wurde oder es sich gar um eine sprachliche Neuschöpfung handelt, in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal dieser Waren und Dienstleistungen bezeichnen kann (EuGH GRUR 2004, 146 Rdnr. 32 – DOUBLEMINT); dies gilt auch für ein zusammengesetztes Zeichen, das aus mehreren Begriffen besteht, die nach diesen Vorgaben für sich genommen schutzunfähig sind. Der Charakter einer Sachangabe entfällt bei der Zusammenfügung beschreibender Begriffe jedoch dann, wenn die beschreibenden Angaben durch die Kombination eine ungewöhnliche Änderung erfahren, die hinreichend weit von der Sachangabe wegführt (EuGH MarkenR 2007, 204 Rdnr. 77 f. – CELLTECH; BGH a. a. O. Rdnr. 16 – DüsseldorfCongress).
18
2. Diesen Anforderungen genügt das angemeldete Wort-/Bildzeichen , weil es weder einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt noch einen engen beschreibenden Bezug zu den beschwerdegegenständlichen Waren und Dienstleistungen der Klassen 32, 34 und 35 aufweist.
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a) Die angesprochenen inländischen Verkehrskreise sind hinsichtlich der zurückgewiesenen Waren der Klassen 32 und 34 die Endverbraucher und der Fachhandel für Getränke und Rauchwaren. Von den beanspruchten Werbe- und Handelsdienstleistungen der Klasse 35 werden Unternehmer und Angehörige der unternehmerischen Führungsebene angesprochen.
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b) Das Wortelement des Anmeldezeichens besteht allein aus dem Substantiv „Jugendsünde“. Hierunter versteht man eine „unüberlegte, leichtsinnige Handlung, Tat, die jemand in seiner Jugend begeht und an die er bzw. sie sich später meist nur ungern erinnert“ bzw. „etwas, was jemand in jungen Jahren schafft und womit er sich später nicht mehr identifizieren kann“ (www.duden.de). Das Wort gehört zur Alltagssprache und wird von den angesprochenen Verkehrskreisen mühelos in seinem Sinngehalt erfasst.
21
c) Für die beschwerdegegenständlichen Waren und Dienstleistungen weist das angemeldete Wortelement weder einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt auf, noch stellt es einen engen beschreibenden Bezug zu ihnen her.
22
aa) Zwar hat die Markenstelle insoweit Recht, dass Jugendliche häufig aus Unkenntnis oder Außerachtlassung der zu erwartenden gesundheitlichen Schäden rauchen und dies später als Jugendsünde bezeichnen. Solange sie jedoch in ihrer Jugendzeit Tabak bzw. elektronische Zigaretten konsumieren, wird ihnen nicht in den Sinn kommen, dass es sich hierbei um eine Jugendsünde handelt, die sie später aufgeben und bereuen werden. Wer aber auch in späteren Jahren noch raucht, wird dies erst recht nicht eine Jugendsünde nennen. Daher eignet sich das Wort nicht zur Beschreibung der beschwerdegegenständlichen Waren der Klasse 34 „Aromastoffe für Tabak; Verdampfer für den persönlichen Gebrauch und elektronische Zigaretten sowie Aromastoffe und Lösungen hierfür; Tabak und Tabakwaren, einschließlich Tabakersatzstoffen; Raucherartikel“. Umso mehr gilt dies für die beanspruchten Waren „Behälter für Raucherartikel, Humidore“, denn dafür bedarf es mindestens des weiteren gedanklichen Schritts, dass diese zur Aufbewahrung gesundheitsschädlichen Tabaks bzw. von Tabakprodukten dienen. „Streichhölzer“ sind universell einsetzbar.
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bb) Auch im Hinblick auf die zurückgewiesenen Waren der Klasse 32 „Nichtalkoholische Getränke; Präparate für die Zubereitung von Getränken; Energydrinks“ hat das Anmeldezeichen keinen beschreibenden Begriffsgehalt. Zwar kann der Konsum von Energydrinks gesundheitliche Beschwerden verursachen, insbesondere wenn er in hohen Maßen erfolgt. Anders als die Folgen des Rauchens treten diese sofort und nicht erst Jahre oder Jahrzehnte später auf, so dass kein Grund besteht, sein früheres Konsumverhalten bedauern zu müssen. Der Senat konnte daher auch nicht recherchieren, dass der Genuss von Energydrinks oder anderen nichtalkoholischen Getränken üblicherweise als Jugendsünde bezeichnet wird. Die Belege der Markenstelle beziehen sich alle auf alkoholische Getränke.
24
cc) Erst recht enthält das Zeichen keine Aussage bezüglich der zurückgewiesenen Dienstleistungen der Klasse 35 „Präsentation von Waren und Dienstleistungen; Präsentation von Waren in Kommunikations-Medien, für den Einzelhandel; Verbraucherinformationsdienste; Einzel- und Großhandelsdienstleistungen betreffend Raucherartikel, Raucherzubehör, Wasserpfeifen, Getränke“.
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3. Auch das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG steht einer Eintragung des angemeldeten Zeichens als Marke für die beschwerdegegenständlichen Waren und Dienstleistungen nicht entgegen.


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