Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “Pferde – die Delphine des Nordens” – keine Unterscheidungskraft

Aktenzeichen  30 W (pat) 26/13

Datum:
22.1.2015
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
Spruchkörper:
30. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2012 005 244.4
hat der 30. Senat (Marken- und Designbeschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker und der Richterinnen Winter und Uhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Wortfolge
2
Pferde- die Delphine des Nordens
3
ist am 31. Mai 2012 zur Eintragung als Marke in das bei dem Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für folgende Waren und Dienstleistungen der
4
„Klasse 10: Apparate zur körperlichen Rehabilitation für medizinische Zwecke, Geräte für die Physiotherapie, medizinische Geräte für Körperübungen und Krankengymnastik;
5
Klasse 31: lebende Tiere, nämlich Pferde für Therapiezwecke;
6
Klasse 41: Herausgabe von Texten, ausgenommen Werbetexte, Tierdressur, Ausbildung von Pferden;
7
Klasse 44: Dienstleistungen eines Tierarztes, Dienstleistungen von Gesundheitszentren, Therapiedienste, Tierpflege, Tierzucht, Aufzucht von Pferden“
8
angemeldet worden.
9
Mit Beschlüssen vom 20. Dezember 2012 und 16. Mai 2013, von denen letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, hat die Markenstelle für Klasse 44 die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen.
10
Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Wortfolge sei sprachüblich gebildet und weise darauf hin, dass Pferde wie Delphine für Therapien eingesetzt werden könnten. Delphintherapien würden als unterstützende Therapie bei vielfältigen seelischen Erkrankungen eingesetzt. Daneben gebe es weitere tiergestützte Therapieformen wie die Lamatherapie oder die Pferdetherapie, auch Hippotherapie genannt. Pferde seien Delphinen in ihrer Intelligenz und Trainierbarkeit vergleichbar. Sämtliche Waren könnten bei therapeutischen Maßnahmen mit Pferden zur Anwendung kommen, gleiches gelte für die Dienstleistungen. Die Wortfolge verfüge nicht über verblüffende Originalität und rege auch nicht zum Nachdenken an, weil sie unmittelbar als Sachhinweis auf derartige Therapieformen bzw. die Behandlung von Pferden für derartige Therapieformen verstanden werde.
11
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie beantragt,
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die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 44 vom 20. Dezember 2012 und vom 16. Mai 2013 aufzuheben.
13
Zur Begründung trägt sie vor, die Wortfolge sei keine Beschaffenheitsangabe der beanspruchten Waren und Dienstleistungen. Es fehle ein Hinweis auf ein therapeutisches Verfahren. Auch fehle ihr ein enger beschreibender Bezug zu den Waren und Dienstleistungen. Sie sei sprachwidrig gebildet. Der angesprochene Verkehr werde die völlig unterschiedlichen Gattungen Delphine und Pferde miteinander vergleichen und feststellen, dass sie als Land- und Wassertiere keine Gemeinsamkeiten hätten. Sodann werde er sich mit den Wesensmerkmalen der Gattungen auseinandersetzen und feststellen, dass Delphine lern- und trainierfähig seien. An Therapien werde er in diesem Zusammenhang nicht denken. Die beanspruchten Geräte in Klasse 10 würden für eine Reittherapie nicht benötigt. Die beanspruchten veterinärmedizinischen Dienstleistungen hätten keinen Bezug zu einer tiergestützten Therapie für Menschen. Bei den Dienstleistungen der Klasse 41 werde der Verkehr die den Delphinen zugeschriebenen Eigenschaften der Lernfähigkeit auf Pferde übertragen. Auch hier bestehe keinerlei Zusammenhang mit einer Reittherapie. Die Verwendung des Slogans im Jahr 2009 gehe auf die Beschwerdeführerin zurück. Daraus folge nicht, dass der Slogan nicht auch als Unternehmenshinweis verstanden werde.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
15
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Eintragung der angemeldeten Marke steht das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entgegen.
16
1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die dem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. EuGH GRUR 2012, 610, Nr. 42 – Freixenet; GRUR 2008, 608, 611, Nr. 66 f. – EUROHYPO; BGH GRUR 2014, 569, Rn. 10 – HOT; GRUR 2013, 731, Nr. 11 – Kaleido; GRUR 2012, 1143, Nr. 7 – Starsat; GRUR 2012, 1044, 1045, Nr. 9 – Neuschwanstein; GRUR 2010, 825, 826, Nr. 13 – Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2010, 935, Nr. 8 – Die Vision; GRUR 2006, 850, 854, Nr. 18 – FUSSBALL WM 2006). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. EuGH GRUR 2006, 233, 235, Nr. 45 – Standbeutel; GRUR 2006, 229, 230, Nr. 27 – BioID; GRUR 2008, 608, 611, Nr. 66 – EUROHYPO; BGH GRUR 2008, 710, Nr. 12 – VISAGE; GRUR 2009, 949, Nr. 10 – My World). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2012, 1143, Nr. 7 – Starsat; GRUR 2012, 1044, 1045, Nr. 9 – Neuschwanstein; GRUR 2012, 270, Nr. 8 – Link economy).
17
Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren und Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Produkte abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, 412, Nr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 943, 944, Nr. 24 – SAT.2; BGH GRUR 2010, 935, Nr. 8 – Die Vision; GRUR 2010, 825, 826, Nr. 13 – Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2006, 850, 854, Nr. 18 – FUSSBALL WM 2006).
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Hiervon ausgehend besitzen Wortmarken dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens (vgl. BGH GRUR 2013, 1143, Nr. 15 – Aus Akten werden Fakten) lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2004, 674, 678, Nr. 86 – Postkantoor; BGH GRUR 2012, 270, 271, Nr. 11 – Link economy; GRUR 2009, 952, 953, Nr. 10 – DeutschlandCard; GRUR 2006, 850, 854, Nr. 19 – FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 – BerlinCard; GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch; GRUR 2001, 1153 – antiKALK) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die – etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2006, 850, 854, Nr. 19 – FUSSBALL WM 2006; GRUR 2003, 1050, 1051 – Cityservice; GRUR 2001, 1043, 1044 – Gute Zeiten – Schlechte Zeiten). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft auch solche Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100, Nr. 23 – TOOOR!; GRUR 2006, 850, 855, Nr. 28 f. – FUSSBALL WM 2006).
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An die Beurteilung der Unterscheidungskraft von Wortfolgen und Slogans, wie die hier vorliegende Bezeichnung Pferde- die Delphine des Nordens, sind keine strengeren Maßstäbe anzulegen als bei sonstigen Wortzeichen (EuGH GRUR Int. 2012, 914, Nr. 25 – WIR MACHEN DAS BESONDERE EINFACH; GRUR 2010, 228, Nr. 36 – Vorsprung durch Technik; GRUR 2004, 1027, Nr. 32, 44 – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT; BGH GRUR 2009, 949, Nr. 12 – My World; BGH GRUR 2009, 778, Nr. 12 – Willkommen im Leben). Es wäre daher unzulässig, besondere Kriterien aufzustellen, die das Kriterium der Unterscheidungskraft ersetzen oder von ihm abweichen (EuGH GRUR 2010, 228, Nr. 38 – Vorsprung durch Technik; GRUR 2004, 1027, Nr. 35, 36 – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT), etwa dergestalt, dass die Wortfolge phantasievoll sein und ein begriffliches Spannungsfeld, das einen Überraschungs- und damit Merkeffekt zur Folge habe, aufweisen müsse (EuGH GRUR 2010, 228, Nr. 39 – Vorsprung durch Technik; GRUR 2004, 1027, Nr. 31, 32 – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT; BGH GRUR 2002, 1070, 1071 – Bar jeder Vernunft). Auch wenn Wortfolgen keinen strengeren Schutzvoraussetzungen unterliegen, ist jedoch zu berücksichtigen, dass solche Wortmarken vom Verkehr nicht notwendig in gleicher Weise wahrgenommen werden wie andere Markenkategorien. Nicht unterscheidungskräftig sind demzufolge spruchartige Wortfolgen, die lediglich in sprach- oder werbeüblicher Weise eine beschreibende Aussage über die von der Marke erfassten Waren und Dienstleistungen enthalten oder sich in Anpreisungen und Werbeaussagen allgemeiner Art erschöpfen (vgl. EuGH GRUR 2004, 1027, Nr. 35 – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT; BGH GRUR 2001, 1047, 1049 – LOCAL PRESENCE, GLOBAL POWER; BGH GRUR 2001, 735, 736 – Test it.).
20
2. Nach diesen Grundsätzen fehlt der Wortfolge „Pferde- die Delphine des Nordens“ für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft. Sie ist sprachüblich ohne Abweichung von grammatikalischen oder Rechtschreibregeln gebildet und enthält die Aussage, dass Pferde, also als Reit- und Zugtiere gehaltene hochbeinige Säugetiere mit Hufen, meist glattem, kurzem Fell, länglichem, großem Kopf, einer Mähne und langhaarigem Schwanz die Delphine des Nordens, also (zu den Zahnwalen gehörende) im Wasser, meist in Herden lebende Säugetiere mit schnabelartig verlängertem Maul seien. Damit stellt sie zwei auf den ersten Blick sehr unähnliche Tierarten gleich, wobei die Pferde zudem nördlichen Regionen zugeordnet werden.
21
Diese Gleichstellung wirkt zwar als allgemeine Aussage zunächst ungewöhnlich. Im Zusammenhang mit den konkret beanspruchten Waren und Dienstleistungen wird die Wortfolge jedoch von den angesprochenen Verkehrskreisen gleichwohl als werbende allgemeine Sachaussage unmittelbar verstanden.
22
a) Die beanspruchten Waren der Klassen 10 und 31 stehen im Zusammenhang mit therapeutischen Maßnahmen, bei denen Pferde als Therapiepferde zum Einsatz kommen können. Sie richten sich in erster Linie an therapeutisches Fachpersonal sowie mit Gesundheitsmaßnahmen befasste Verbraucher, die über entsprechende Erfahrungen mit therapeutischen Behandlungen verfügen. Gleiches gilt für die Dienstleistungen der Klassen 41 und 44. Auch hier sind in erster Linie der Fachverkehr im Bereich der Pferdehaltung und Reittherapie sowie Verbraucher mit entsprechenden Vorkenntnissen und Erfahrungen angesprochen.
23
b) Die Wortfolge „Pferde- Delphine des Nordens“ wurde schon zwei Jahre vor der Anmeldung des Zeichens auf der Fachtagung „3. Bildungsforum Pferd“ vom 22. April 2010 als Schlagwort für die gestützte Therapie mit Pferden benutzt. Im Jahr 2009 fand sie als Sachhinweis auf Therapiepferde Erwähnung sowohl in Printmedien als auch im Hörfunk, wie sich aus den der Beschwerdeführerin übersandten Recherchebelegen des Senats ergibt (Pferdeforum 12/2009, Tagung Reiten als Schulsport … Andernorts sei die Therapie mit Delphinen im heilpädagogischen Bereich populär. Das Pferd böte jedoch mindestens dieselben therapeutischen Vorzüge und sei darüber hinaus kostengünstiger zu unterhalten. Bartels: „Das Pferd ist der Delphin des Nordens“; Einladung 3. Bildungsforum Pferd … „Unter dem Schlagwort „Pferde, die Delphine des Nordens“ werden Experten anhand von praktischen Beispielen einen Einblick in das interessante Berufsfeld rund um das Pferd im Gesundheitsbereich geben“). Dass diese Benutzungen mittelbar auf die Beschwerdeführerin zurückzuführen sind, ist für den Verkehr nicht erkennbar und nimmt ihnen nicht die Qualität als Sachhinweis auf den therapeutischen Einsatz von Pferden.
24
c) Auf ähnliche Weise wie sogenannte Therapiepferde werden Delphine zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Die Delphintherapie ist eine vielfach beachtete, wegen der mit ihr verbundenen hohen Kosten allerdings umstrittene Therapiemethode zur Unterstützung insbesondere bei seelischen Erkrankungen. Dabei begegnen die Patienten, in der Regel Kinder und Jugendliche, in einem Wasserbecken Delphinen, die mit ihnen freundlich interagieren. Eine der wesentlichen Voraussetzungen für den Erfolg solcher Therapien ist warmes Wasser. Dies hat weniger mit den Bedürfnissen der Tiere zu tun als mit den Bedürfnissen der oft geistig oder seelisch behinderten Patienten, die sich im Wasser wohl fühlen sollen. Deshalb werden Delphintherapien vorwiegend in den warmen südlichen Ländern bzw. im Mittelmeer und in der Karibik angeboten. An der Nordsee gibt es derartige Angebote nicht. In Deutschland ist derzeit nur in Nürnberg eine Therapie mit Delphinen möglich, und zwar im Delphinarium des Nürnberger Zoos.
25
Wegen der mit der Therapie verbundenen hohen Reisekosten und der fehlenden Möglichkeiten zu einer ortsnahen Anwendung in Deutschland bieten sich in kühleren Regionen sogenannte Therapie- oder Heilpferde als praktische und kostengünstige Alternative zur Delphintherapie an.
26
Therapeutisches Reiten umfasst pädagogische, psychologische, psychotherapeutische, rehabilitative und sozial integrative Maßnahmen, die über das Medium Pferd umgesetzt werden. Man unterscheidet dabei zwischen heilpädagogischem Reiten, heilpädagogischem Voltigieren und der Reit- und Hippotherapie. Beim heilpädagogischen Reiten steht die Arbeit mit dem Pferd im Vordergrund, bei der das Reiten nur einen Teilbereich ausmacht. Durch die Pflege des Pferdes und den Umgang mit dem Pferd soll die körperliche, emotionale, geistige und soziale Entwicklung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit körperlichen, seelischen und sozialen Entwicklungsstörungen und Behinderungen gefördert werden. Beim heilpädagogischen Voltigieren werden Übungen auf dem Pferd ausgeführt, das währenddessen an der Hand oder der Longe geführt wird. Der Bewegungsrhythmus hat lockernde, ausgleichende und angstlösende Wirkung.
27
Bei der Hippotherapie wird das Pferd zur Physiotherapie und Ergotherapie eingesetzt. Der Patient sitzt auf dem Pferderücken, das Pferd bewegt sich in der Gangart Schritt, die Bewegungsimpulse des Pferdes werden auf Becken und Wirbelsäule des Menschen übertragen. Der Bewegungsapparat des Patienten muss sich neu einpendeln. Dies beeinflusst die Muskelspannung positiv, die gesamte Haltung des Oberkörpers wird geschult, das Balancegefühl verbessert. Die Methode wird häufig bei neurologischen Erkrankungen eingesetzt. Hier kommen Hilfsmittel zur Anwendung, um dem häufig bewegungseingeschränkten Patienten den Aufenthalt auf dem Pferd erst zu ermöglichen oder ihn vor Stürzen zu sichern. Das Therapeutische Reiten hat sich zu einem wichtigen Berufs- und Ausbildungsfeld der Reitbranche entwickelt. Hippotherapeut ist kein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf, sondern wird als Weiterbildung im Bereich therapeutisches Reiten angeboten. Es gibt aber eine Vielzahl von Ausbildungsangeboten, wie die Recherche des Senats ergeben hat. Daneben existieren weitere Ausbildungsangebote für das heilpädagogische Reiten und die Ergotherapie mit Pferden. Die Pferde, sog. Therapiepferde, werden für die Therapien ebenfalls speziell gezüchtet und trainiert.
28
Da der angemeldete Slogan im Zeitpunkt der Anmeldung bereits als einprägsame und griffige Wortfolge für therapeutisches Reiten als kostengünstige und ortsnahe Alternative zu der teuren und aufwendigen Delphintherapie auf einer Fachtagung und in mehreren Medien verwendet worden ist, hat jedenfalls der angesprochene Fachverkehr schon zu diesem Zeitpunkt mit der Wortfolge einen werbenden Sachhinweis auf das therapeutische Reiten verbunden und wird sie auch heute nicht als betrieblichen Herkunftshinweis eines einzigen Anbieters der beanspruchten Waren und Dienstleistungen verstehen.
29
Im Einzelnen:
30
aa) Die in Klasse 10 beanspruchten Apparate zur körperlichen Rehabilitation für medizinische Zwecke, Geräte für die Physiotherapie, medizinischen Geräte für Körperübungen und Krankengymnastik können in der Hippotherapie als Hilfsmittel zum Einsatz kommen. So gibt es Aufstiegshilfen in Form von Rampen oder Flaschenzügen, um gehbehinderten Menschen den Auf- und Abstieg auf das Pferd zu ermöglichen oder zu erleichtern. Auch gibt es spezielle Sättel für Behinderte und sonstige Hilfsmittel wie Stützpolster, verlängerte Gerten, Befestigungsgürtel, die die oft hilflosen Patienten unterstützen oder sichern und dadurch deren Teilnahme an der Therapie überhaupt erst ermöglichen (Fachbeitrag Hilfsmittel in der Hippotherapie von T…, Therapeutisches Reiten 2/2011).
31
bb) Für die in Klasse 31 beanspruchten „Pferde für Therapiezwecke“ enthält die Wortfolge die Aussage, dass es sich um Pferde handelt, die für eine Therapie geeignet sind, die ähnliche Anwendungsbereiche, Zielsetzungen wie eine Delphintherapie hat, diese also in kühleren nördlichen Regionen wie Deutschland ersetzen kann.
32
cc) Zu der Dienstleistung in Klasse 41 „Herausgabe von Texten, ausgenommen Werbetexte“ weist die beanspruchte Wortfolge einen engen Sachbezug auf. Denn für die Texte, die Gegenstand dieser Dienstleistung sind, werden jedenfalls die angesprochenen Fachverkehrskreise die Wortfolge als beschreibenden Hinweis auf deren gedanklichen Inhalt aus dem Bereich der Hippotherapie verstehen. Daher steht sie auch in einem engen sachlichen Bezug zu der Verlagsdienstleistung mit entsprechenden Texten. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (GRUR 2013, 522, 523 – Deutschlands schönste Seiten) vor allem dann, wenn das in Rede stehende Zeichen geeignet ist, einen weiten Themenbereich abzudecken und den Inhalt einer Vielzahl unterschiedlicher Druckschriften zu umschreiben. Dies ist bei der angemeldeten Wortfolge der Fall. Pferde können ähnlich wie Delphine in vielfacher Weise dressiert werden und sind bei vielfältigen seelischen und körperlichen Erkrankungen auf unterschiedliche Weise einsetzbar. Gleichzeitig sind beim Einsatz bestimmte Gefahren zu vermeiden. Die auf der Homepage der Beschwerdeführerin abrufbare Dissertation der Beschwerdeführerin „Pferdegestützte Interventionen (PGI) zur Gesundheitsförderung des Menschen Einsatzvoraussetzungen, Anforderungen, Belastungsmomente Ausbildung und Leistungsprüfung des Pferdes“ hat ein ausführliches Literaturverzeichnis, das bereits die Breite des Themenkreises zeigt.
33
dd) Für die Dienstleistungen „Tierdressur“ und „Ausbildung von Pferden“ wird die Wortfolge als Hinweis auf die Art und die Ziele der Ausbildung, nämlich zum Einsatz bei der Therapie von Erkrankungen und Behinderungen verstanden werden. Die Notwendigkeit, Pferden, die bei derartigen Therapien zum Einsatz kommen, eine Ausbildung zu geben, wird in den einschlägigen Mitteilungen immer wieder betont (Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e. V., Das Pferd im Therapeutischen Reiten, Anforderungen, Auswahl, Ausbildung FNverlag, 2015; T… und W…, Sicherheit in der Hippotherapie, Therapeutisches Reiten 2/2011; www.orenda-ranch.com: Das Therapiepferd).
34
ee) Für die Dienstleistungen eines Tierarztes steht die Bedeutung der Wortfolge als Hinweis auf die Spezialisierung des Arztes auf die Behandlung von Pferden und seine besondere Erfahrung mit Therapiepferden im Vordergrund. Im Bereich der Tierarztpraxen gibt es nicht nur Spezialisierungen auf bestimmte Tierarten, sondern auch für konkrete Einsatzgebiete wie Springpferde oder Rennpferde. Der Fachverkehr aus dem Bereich der Pferdehaltung und –zucht, der mit derartigen Fachrichtungen vertraut ist, wird den Slogan nicht als Hinweis auf eine bestimmte Tierarztpraxis, sondern auf eine Spezialisierung der Praxis auf die besonderen Bedürfnisse von Therapiepferden verstehen.
35
ff) Die „Dienstleistungen von Gesundheitszentren“ können Therapeutisches Reiten, „Therapiedienste“ können Therapien mit Pferden zum Gegenstand haben. Die Dienstleistung „Tierpflege“ kann therapeutische Anwendungen bei der Pflege von Pferden anbieten, sodass die Wortfolge auch hier als Hinweis auf den Einsatz von Therapiepferden verstanden werden wird. Bei der sozialpädagogischen Anwendung steht der allgemeine Umgang mit und die Pflege von Pferden im Vordergrund, bei der die Patienten durch den Kontakt mit Pferden in ihrer seelischen, geistigen und sozialen Entwicklung gefördert werden sollen (www.reit-eldorado.at: Einheit heilpädagogisches Reiten und Voltigieren mit Fokus auf dem gewünschten Thema, gemeinsames Vorbereiten der Pferde, gruppendynamische Übungen, Einzelsequenzen, Bodenarbeit oder Wanderung, anschließend gemeinsames Wegräumen der Ausrüstung und Versorgen der Pferde).
36
gg) Die Dienstleistungen „Tierzucht“ und „Aufzucht von Pferden“ schließlich können die Zucht von für die Therapie geeigneten Pferden zum Inhalt haben. Therapiepferde sollten eine bestimmte Wesensart haben. Züchter werben mit der Eignung ihrer Tiere als Therapiepferd (www.burishof.de: Fjordpferdezucht: Wir schätzen die Fjordis (…) wegen ihrer Ausgeglichenheit und ihrer Robustheit als ideale Lehr- und Therapiepferde). Daher ist die Wortfolge auch diesem Bereich nur als beschreibender Sachhinweis auf die Ausrichtung der Züchtung von Therapiepferden, nicht aber als betrieblicher Herkunftshinweis auf einen einzigen Züchter geeignet.

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