Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “TVTONGUE” – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis

Aktenzeichen  30 W (pat) 524/18

Datum:
14.3.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:140319B30Wpat524.18.0
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
§ 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG
Spruchkörper:
30. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2016 223 142.8
hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 14. März 2019 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richter Dr. Meiser und Dr. von Hartz
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Anmelders wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 15. Februar 2018 aufgehoben.

Gründe

I.
1
Die Wortmarke
2
TVTONGUE
3
ist am 14. August 2016 zur Eintragung in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register unter der Nummer 30 2016 223 142.8 für folgende Waren und Dienstleistungen angemeldet worden:
4
„Klasse 09: Aus dem Internet herunterladbare Computerprogramme; Computer-Software [gespeichert]; Computerprogramme [gespeichert]; Computerprogramme [herunterladbar]; Datenverarbeitungssoftware; herunterladbare Software; Software; Software für das interaktive Fernsehen; Software-Anwendungen für Computer [herunterladbar];
5
Klasse 35: Analyse der Resonanz auf Werbung; Online-Werbung; Online-Werbung für Dienstleistungen und Waren auf Websites; Online-Werbung für Dritte über elektronische Kommunikationsnetze; Online-Werbung in computergestützten Kommunikationsnetzen; Verbreitung von Werbung; Verbreitung von Werbung für Dritte; Verbreitung von Werbung für Dritte über das Internet; Verkaufsförderung für Dienstleistungen [für Dritte] durch Vermittlung von Werbung; Verkaufsförderung, Werbung und Marketing; Werbung; Werbung für Dritte; Werbung über das Internet;
6
Klasse 38: Ausstrahlung von Programmen über das Internet; drahtlose Kommunikationsdienste; Übertragung von interaktiver Unterhaltungssoftware;
7
Klasse 41: Unterhaltung; über das Internet bereitgestellte Unterhaltung;
8
Klasse 42: Computerprogrammierung und Softwareentwicklung; Design von Computer-Software; Entwickeln von Software; Entwicklung, Programmierung und Implementierung von Software; Entwurf und Entwicklung von Software für elektronische TV-Programmführer; Hosting-Dienste, Software as a Service [SaaS] und Vermietung von Software; Software as a Service [SaaS]; Softwaredesign und -entwicklung; Softwareengineering; Softwareentwicklung.”
9
Die Markenstelle für Klasse 9 hat die Anmeldung mit Beschluss vom 15. Februar 2018 wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie – weitgehend unverständlich – ausgeführt: Erhebliche Teile des Verkehrs würden das angemeldete Zeichen im Sinne von „Fernsehsprache“ verstehen. Alle Waren der Klasse 9 eigneten sich dazu, die Televisionsprogramme zu sehen. Dabei werde die Fernsehsprache zur Geltung kommen. Das Anmeldezeichen benenne die Bestimmung der Waren, nämlich die Fernsehsprache zu erhalten und zu nutzen mittels der „Software für das interaktive Fernsehen“. Die Dienstleistungen der Klasse 35 dienten dem Zweck, die TV tongue dem Verkehr zugänglich und verständlich zu machen. Die Werbung und die Analyse der Resonanz auf Werbung dienten dem Zweck, Konsum zu steigern und den Verbrauch zu mehren. Durch die Dienstleistungen der Klasse 38 werde die Wirkung der TV tongue untersucht. Das Anmeldezeichen diene in Bezug auf die Dienstleistungen der Klasse 41 der Unterhaltung. Die Dienstleistungen der Klasse 42 hätten zum Ziel, den Einsatz der TVTONGUE zu ermöglichen oder zu mehren. Das Anmeldezeichen sei die Bezeichnung der Bestimmung, für Art, Zweck der erbrachten und angebotenen Dienstleistungen.
10
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Anmelders.
11
Der Beschwerdeführer ist unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen der Auffassung, dass es sich um eine schutzfähige Bezeichnung handele. Bei dem Zeichenbestandteil „TONGUE“ handele es sich nicht um ein im deutschen Sprachraum geläufiges Wort wie z. B. die Begriffe „hair“ oder „easy“.
12
Der Anmelder beantragt sinngemäß,
13
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 15. Februar 2018 aufzuheben.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
15
Die statthafte Beschwerde ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Der angegriffene Beschluss war aufzuheben, da einer Eintragung der angemeldeten Wortmarke keine Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG entgegenstehen.
16
1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. EuGH GRUR 2012, 610 Rn. 42 – Freixenet; GRUR 2008, 808 Rn. 66 f. – EUROHYPO; BGH GRUR 2018, 932 Rn. 7 – #darferdas?; GRUR 2016, 934 Rn. 9 – OUl). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. EuGH GRUR 2006, 233 Rn. 45 – Standbeutel; GRUR 2006, 229 Rn. 27 – BioID; BGH GRUR 2008, 710 Rn. 12 – VISAGE). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2012, 1143 Rn. 7 – Starsat; GRUR 2012, 1044 Rn. 9 – Neuschwanstein).
17
Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411 Rn. 24 – Matratzen Concord/Hukla; BGH GRUR 2014, 376 Rn. 11 – grill meister). Der angesprochene Verkehr wird das Anmeldezeichen so wahrnehmen, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtung zu unterziehen. Besteht ein Zeichen aus mehreren Elementen, ist bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft von der Gesamtheit des Zeichens auszugehen (BGH GRUR 2014, 872 Rn. 13 – Gute Laune Drops).
18
Hiervon ausgehend besitzen Wortmarken dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2004, 674 Rn. 86 – Postkantoor; BGH GRUR 2012, 1143 Rn. 9 – Starsat; GRUR 2012, 270, 271 Rn. 11 – Link economy) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2006, 850, 854 Rn. 19 – FUSSBALL WM 2006; GRUR 2003, 1050, 1051 – Cityservice). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft auch solche Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100 Rn. 23 – TOOOR!; GRUR 2006, 850 Rn. 28 f. – FUSSBALL WM 2006).
19
Unter Anwendung dieser Grundsätze fehlt dem Anmeldezeichen „TVTONGUE“ nicht die notwendige Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
20
Die Zeichenbildung “TVTONGUE” besteht ungeachtet der Zusammenschreibung erkennbar aus den Elementen „TV“ und „TONGUE“.
21
a) Bei der Buchstabenfolge „TV“ handelt es sich um die Kurzform des englischen Begriffs „Television“, welche in die deutsche Sprache Eingang gefunden hat und „Fernsehen“ bedeutet. Die Abkürzung ist allgemein bekannt und die Verwendung in der deutschen Sprache üblich, wie die nachfolgenden, alltäglichen Begriffspaare verdeutlichen: TV-Auftritt, TV-Duell, TV-Format, TV-Gerät, TV-Kanal, TV-Koch, TV-Moderator, TV-Premiere, TV-Produktion, TV-Programm, TV-Rechte, TV-Sender, TV-Serie, TV-Spot, TV-Star, TV-Werbung. Andere Bedeutungen für die Buchstabenkombination wie „Tarifvertrag“, „Tennisverein“, Top-Level-Domain von Tuvalu (.tv) oder das Kfz-Kennzeichen der Provinz Treviso (Italien) sind im vorliegenden Zusammenhang angesichts der beanspruchten Waren und Dienstleistungen fernliegend (vgl. BPatG, 29 W (pat) 510/12 – tv.de; 26 W (pat) 503/10 – Hair TV; 27 W (pat) 59/09 – Lingua TV).
22
b) Der Zeichenbestandteil „TONGUE“ hat, je nach Gesamtzusammenhang (anatomisch, technisch oder in Bezug auf Kleidung), verschiedene Bedeutungen. Er bedeutet u.a. „Zunge, Sprache, Ausdrucksweise“ (vgl. PONS, Großwörterbuch, 2014, Stichwort: tongue). Zum Grundwortschatz der englischen Sprache gehört lediglich die Übersetzung „Zunge“. Als Kompositum wird es insbesondere in der Übersetzung „Zunge“ verwendet, wie z. B. „tongue-depressor/Zungenspachtel; tongue-twister/Zungenbrecher; tonguing/Zungenschlag“. Als Adjektiv oder Substantiv kann es auch im Sinne von „Sprache“ verstanden werden („tongue-tied/sprachlos“ bzw. „mother tongue/Muttersprache“).
23
c) Wird der angesprochene inländische Verkehr somit das Anmeldezeichen im Sinne von „Fernseh(en)-Zunge“ übersetzen, kann er darin in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen mangels nachvollziehbaren Sinngehalts keine sachbeschreibende Begriffskombination erkennen. Soweit die Markenstelle als Beleg für die fehlende Unterscheidungskraft auf einen Artikel von „Startup-Stuttgart.de“ über die Firma F… GmbH verweist, wird dort zwar das Anmeldezeichen verwendet, allerdings handelt es sich dabei um eine markenmäßige Verwendung seitens des Anmelders; außerdem datiert der Nachweis nach dem Anmeldezeitpunkt.
24
d) Stellt der angesprochene Verkehr weitere gedankliche Überlegungen an, können ihn diese zu dem – abstrakt gesehen – sinnhaften Gesamtbegriff „Fernseh-Sprache“ führen. Eine solche analysierende Betrachtung ist allerdings unzulässig, weil sich aus ihr keine in den Vordergrund drängende, für den angesprochenen Verkehr ohne weiteres ersichtliche Beschreibung von Waren bzw. Dienstleistungen ergibt (BGH GRUR 2014, 564 Rn. 24 – smartbook). Darauf kommt es aber nicht an.
25
Denn zwar existiert die deutschsprachige Begriffskombination „TV-Sprache. Sie wird einerseits verwendet, um zu beschreiben, dass bei einem Fernsehgerät aus verschiedenen (Fremd-)Sprachen eine Sprache für die Navigation des Fernsehgeräts ausgewählt werden kann. Andererseits wird die Begriffskombination verwendet, um eine spezifische Sprache, nämlich die des Fernsehens, zu beschreiben. Ein dahingehendes Verständnis stellt indes keine gängige und sachbeschreibende Bezeichnung der Waren der Klasse 9 (Computersoftware) und der Dienstleistungen der Klassen 35, 38, 41 und 42 dar. Es bedürfte daher weitgehender Überlegungen, um zu einem sinnhaft-beschreibenden Verständnis der angemeldeten Marke vorzudringen. Bei dieser Sachlage kann dann aber die erforderliche Unterscheidungskraft nicht verneint werden.
26
2. Mangels ohne weiteres nachvollziehbaren Sinngehalts unterliegt die angemeldete Marke ungeachtet etwaiger beschreibender Anklänge auch keinem Freihaltebedürfnis im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.


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