Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “Vergessene Generation” –Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis

Aktenzeichen  29 W (pat) 28/09

Datum:
4.2.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
§ 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG
Spruchkörper:
29. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2008 014 852.7
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2009 durch die Vorsitzende Richterin Grabrucker, die Richterin Kopacek und den Richter Dr. Kortbein
beschlossen:
Auf die Beschwerde werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 16 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 24. November 2008 und vom 8. April 2009 aufgehoben.

Gründe

I.
1
Die Wortmarke 20 2008 014 852.7
2
Vergessene Generation
3
ist für zahlreiche Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 16, 38 und 41 am 5. März 2008 angemeldet worden.
4
Die Markenstelle für Klasse 16 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung mit Beschluss vom 24. November 2008 teilweise zurückgewiesen für die Waren und Dienstleistungen “Bespielte Datenträger aller Art; Audio-, Video-, Text-, Bild- und Grafikdateien im digitalen Format; Software, soweit in Klasse 9 enthalten; Druckereierzeugnisse; Fotografien; Lehr- und Unterrichtsmaterial (ausgenommen Apparate); Telekommunikationsdienstleistungen, Bereitstellen von Internetchatrooms und Internetforen, Übermittlung von Daten über das Internet, insbesondere von Audio-, Video-, Text-, Bild- und Grafikdateien im digitalen Format, einschließlich Video-on-Demand; Erziehung, Ausbildung; Unterhaltung; kulturelle Aktivitäten”. Die hiergegen eingelegte Erinnerung ist mit Beschluss vom 8. April 2009 zurückgewiesen worden.
5
Zur Begründung ist ausgeführt worden, der Begriff “Vergessene Generation” werde vom angesprochenen Verkehr dahingehend verstanden, dass es sich um Waren und Dienstleistungen handele, die sich thematisch mit einer vergessenen Generation befassten, also einer Generation, die sich als in irgendeiner Form benachteiligt betrachte. Die Wortzusammensetzung sei den hier angesprochenen breiten Verkehrskreisen ohne weiteres verständlich, da sie aus Wörtern der deutschen Alltagssprache sprachüblich gebildet sei. Alle hier in Frage stehenden Waren und Dienstleistungen könnten sich mit dem Thema einer vergessenen Generation beschäftigen. Folglich gebe der Markenbegriff keinen Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen, sondern bezeichne die Thematik der Waren und Dienstleistungen, nämlich eine in irgendeiner Hinsicht, sei es durch Kriege, Wirtschaftskrisen, politische Umwälzungen, Migration etc. benachteiligte Generation. Eine Analyse des Begriffes, zu der der Verkehr erfahrungsgemäß nicht neige, sei dazu nicht notwendig.
6
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin und Beschwerdeführerin. Sie hat zunächst die Auffassung vertreten, die Marke “Vergessene Generation” sei unterscheidungskräftig nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG. Die Angabe komme nicht als Sachtitel in Betracht. Es sei nicht erkennbar, wie man die beanspruchten Waren und Dienstleistungen auf eine “Vergessene Generation” beziehen solle, um in der Marke einen eindeutigen Sachhinweis zu sehen. Keine der möglichen Deutungen, Auslegungen und Interpretationen habe dazu geführt, dass die angemeldete Wortfolge ein feststehender Begriff der Alltagssprache geworden sei und vom Durchschnittsverbraucher so verwendet werde. Darüber hinaus stehe der Marke auch nicht das Eintragungshindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegen.
7
Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung am 16. Dezember 2009 hat die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 20. Januar 2010 das Verzeichnis der Waren und Dienstleistungen der Markenanmeldung 30 2008 014 852.1 bezüglich der beschwerdegegenständlichen Waren und Dienstleistungen gefasst wie folgt:
8
Klasse 9: Bespielte Datenträger aller Art; Audio-, Video-, Text-, Bild- und Grafikdaten im digitalen Format; Software, soweit in Klasse 9 enthalten; alle vorgenannten Waren ausschließlich im Zusammenhang mit Dokumentationen geologischen Inhalts;
9
Klasse 16: Druckereierzeugnisse; Fotografien; Lehr- und Unterrichtsmittel (ausgenommen Apparate), alle vorgenannten Waren ausschließlich im Zusammenhang mit Dokumentationen geologischen Inhalts;
10
Klasse 38: Telekommunikationsdienstleistungen, Bereitstellung von Internetchatrooms und Internetforen, Übermittlung von Daten für das Internet, insbesondere von Audio-, Video-, Text-, Bild- und Grafikdateien im digitalen Format, einschließlich Video-on-Demand; alle vorgenannten Dienstleistungen ausschließlich im Zusammenhang mit Dokumentationen geologischen Inhalts;
11
Klasse 41: Erziehung; Ausbildung; Unterhaltung; kulturelle Aktivitäten, sämtliche vorgenannten Dienstleistungen ausschließlich im Zusammenhang mit Dokumentationen geologischen Inhalts.
II.
12
Die nach § 66 Abs. 1 und Abs. 2 MarkenG zulässige Beschwerde der Beschwerdeführerin hat – aufgrund der im Nachgang zur mündlichen Verhandlung erfolgten Einschränkung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses hinsichtlich der beschwerdegegenständlichen Waren und Dienstleistungen – in der Sache Erfolg.
13
1. Für die jetzt noch beanspruchten Waren und Dienstleistungen verfügt die Wortfolge “Vergessene Generation” nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG über das erforderliche Maß an Unterscheidungskraft, da ihm nach dem Verständnis der maßgeblichen Verbraucherkreise die konkrete Eignung zukommt, als Unterscheidungsmittel für die betriebliche Herkunft aufgefasst zu werden (vgl. allgemein zu den Anforderungen an die Unterscheidungskraft zuletzt BGH GRUR 2009, 411 – STREETBALL ).
14
1.1. Der angemeldeten Marke kann für die fraglichen Waren und Dienstleistungen weder ein im Vordergrund stehender beschreibender Begriffsinhalt zugeordnet werden noch handelt es sich sonst um ein gebräuchliches Wort der deutschen oder einer bekannten Fremdsprache, das vom Verkehr – etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung – stets nur als solches und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden wird (vgl. BGH a. a. O. – Cityservice; BGH GRUR 1999, 1089 – YES). Darüber hinaus bezieht sich die angemeldete Marke auch nicht auf Umstände, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt werden und die sich damit in einer beschreibenden Angabe erschöpfen (vgl. BGH GRUR 2006, 850 – FUSSBALL WM 2006; BPatG MarkenR 2007, 35, 37 – BuchPartner ).
15
1.2. Der Begriff “Vergessene Generation” bezeichnet zwar – wie auch durch die von der Markenstelle recherchierten Beispiele belegt ist – einzelne Personengruppen, die benachteiligt oder im Stich gelassen werden (so etwa die Jugend in der DDR, Kriegskinder, Suchtkranke, Einwanderer etc.). Auch wenn es sich um durchaus verschiedene Personengruppen handelt, kann das Attribut “vergessen” allen diesen unterschiedlichen Generationen anhaften.
16
1.3. Bezüglich der von der Beschwerdeführerin nunmehr beanspruchten Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 16, 38, 41, die ausschließlich mit geologischen Inhalten in Zusammenhang stehen, weist die Wortfolge “Vergessene Generation” indes weder einen beschreibenden Aussagegehalt noch einen engen beschreibenden Bezug auf. Zwar mag der Begriff “Generation” in Zusammenhang mit geologischen Themen gelegentlich Verwendung finden (vgl. z. B. www.geoversum.de/forum/ …: “…Hier fand der Autor mehrere Belegstücke des Calciumcarbonats Calcit, in massigen Brocken von bis zu 9 x 7 cm Größe. Einige dieser Brocken weisen eine offensichtlich ältere Generation auf.”; www.kreis.aw-online.de/ …: “…Hier hat eine Zeitlang eine kraterähnliche Hohlform bestanden, in die Löß eingeweht wurde, und zwar nur eine Generation von Löß…”). Eine Verwendung der Wortfolge “Vergessene Generation” ist indes im Hinblick auf geologische Themen zum einen nicht belegbar, zum anderen wäre ein möglicher beschreibender Aussagegehalt oder enger beschreibender Bezug zu den in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen für die angesprochenen Verkehrskreise auch nicht ohne gedankliche Zwischenschritte erkennbar bzw. herstellbar.
17
2. Mangels eines unmittelbar beschreibenden Aussagegehalts ist das Schutzhindernis eines bestehenden Freihaltebedürfnisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ebenfalls zu verneinen.
18
Die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle können deshalb keinen Bestand haben und sind auf die Beschwerde hin aufzuheben.


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