Patent- und Markenrecht

Patentbeschwerdeverfahren – „Aminozucker enthaltende Zusammensetzung“ – zur Patentfähigkeit –  zur Brauchbarkeit einer Erfindung – Nachweis der Wirksamkeit eines Nahrungsergänzungsmittels durch Ergebnisse einer Beobachtungsstudie

Aktenzeichen  14 W (pat) 29/12

Datum:
13.1.2015
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 34 Abs 4 PatG
§ 1 PatG
Spruchkörper:
14. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung
10 2008 036 954.3-41

hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Maksymiw, der Richterin Dr. Proksch-Ledig, des Richters Schell und der Richterin Dr. Wagner
beschlossen:
Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. Dezember 2011 wird aufgehoben und das Patent 10 2008 036 954 erteilt.
Bezeichnung:
Verwendung einer Aminozucker enthaltenden Zusammensetzung
Anmeldetag:
8. August 2008
Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:
Patentansprüche 1 bis 8 vom 13. Januar 2015 sowie Beschreibung vom 13. Januar 2015.

Gründe

I.
1
Mit Beschluss vom 9. Dezember 2011 hat die Prüfungsstelle für Klasse A 23 L des Deutschen Patent- und Markenamts die Patentanmeldung mit der damaligen Bezeichnung
2
„Aminozucker enthaltende Zusammensetzung“
3
zurückgewiesen.
4
Der Zurückweisungsbeschluss ist im Wesentlichen damit begründet, dass die Aminozucker enthaltende Zusammensetzung gemäß dem seinerzeit geltenden Anspruch 9 nach Hauptantrag im Hinblick auf die Dokumente
5
(1) ORTHOMOL: Orthomol – Arthro – Kapseln/Tabletten. 2006. URL:
6
http://www.sanicare.de/productimages/hashed/4/6/1/4610014p.pdf, [abgerufen am 17.11.2008]
7
(2) P. Pollack, “Joint supplements: Is there hope behind the hype?”, AAOS Now, 2007, 1 (3) (May)
8
URL: http://www.aaos.org/news/bulletin/may07/cover3.asp
9
[abgerufen am 17.11.2008]
10
(7) D. Kiefer, “Next-Generation Nutrients for Rapid Relief of Joint Pain”, LifeExtension Magazine, März 2007. URL: http://www.lef.org/magazine/mag2007/mar2007_report_joint_01.htm [abgerufen am 05.09.2011]
11
(8) L.R. Bucci et al., “Will the Real Hyaluronan Please Stand Up?”, J. Appl. Nutr., 2004, 54 (1), Seiten 10 bis 33
12
(10) Orthomol Arthro plus® – Fallbeispiele, Seiten 5 bis 7
13
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe bzw. der Gegenstand von Patentanspruch 1 gemäß dem vormals geltenden Hilfsantrag nicht so deutlich offenbart sei, dass ein Fachmann ihn ausführen könne.
14
Zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen werde der Fachmann die am Prioritätstag bereits im Handel befindliche Aminozucker enthaltende Zusammensetzung gemäß (1) machen, die für eine ergänzende Diät zur Linderung der Symptome der Arthrose verwendbar sei. Denn im vorliegenden Fall sei nicht auf die in der Anmeldung formulierte Aufgabe abzustellen, sondern darauf was die angemeldete Lehre tatsächlich leiste. Der Fachmann sehe sich demnach vor die Aufgabe gestellt, eine neue Zusammensetzung bereitzustellen, welche als Nahrungsergänzungsmittel zur Behandlung von Arthrose geeignet sei. Die aus (1) bekannte Zusammensetzung unterscheide sich von der Zusammensetzung gemäß Patentanspruch 9 allein darin, dass sie zusätzlich Hyaluronsäure umfassen solle. Dieser Unterschied könne allein jedoch die erfinderische Tätigkeit nicht begründen, da der Fachmann aus der (2) die Anregung, Hyaluronsäure in oraler Form zur Behandlung von Arthrose einzusetzen, erhielte. Die Bestimmung der geeigneten bzw. verträglichen Einsatzmengen für die Inhaltsstoffe eines Nahrungsergänzungsmittels liege im Routinekönnen des Fachmanns, weshalb ein erfinderischer Aufwand hierfür nicht erforderlich sei. Im Übrigen könne sich der Fachmann an den Mengen von bekannten Produkten orientieren, wie sie beispielsweise in der (8) beschrieben seien. Darüber hinaus sei ein klinischer Nachweis der Wirksamkeit von oral aufgenommener Hyaluronsäure bei der Behandlung gemäß (2) bisher nicht erbracht. Auch die von der Anmelderin eingereichten einzelnen Fallbeispiele gemäß (10) könnten einen Wirkungsbeitrag von Hyaluronsäure nicht belegen, so dass eine verbesserte Wirkung durch deren Zugabe auch nicht eine erfinderische Tätigkeit zu begründen vermöge.
15
Die mangelnde Ausführbarkeit von Patentanspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag sei darin begründet, dass es an einem Nachweis fehle, der die Wirksamkeit einer bilanzierten Diät für den angegebenen Verwendungszweck belege. Die von der Anmelderin vorgelegte Studie basierend auf Einzelfalluntersuchungen gebe nur die subjektive Beurteilung von Probanden wieder und sei deshalb nicht zur Glaubhaftmachung einer pharmakologischen Wirkung einer ergänzenden Ernährung geeignet, zumal aus (4) bekannt sei, dass allein ein Abwarten („wait and see“) bei entzündlichen Erkrankungen der Sehnen zu einer Besserung führe.
16
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie ihr Patentbegehren auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüche 1 bis 8 weiterverfolgt.
17
Der Patentanspruch 1 lautet folgendermaßen:
18
„1. Verwendung einer Aminozucker enthaltenden Zusammensetzung zur Herstellung eines Mittels zur peroralen therapeutischen, prophylaktischen und/oder diätetischen Behandlung von entzündlichen und/oder degenerativen Erkrankungen der Sehnen, wobei die Aminozucker enthaltende Zusammensetzung, bezogen auf eine Tagesdosis der Aminozucker enthaltenden Zusammensetzung, als wirksame Bestandteile die nachstehenden Stoffe umfasst:
19
– Hyaluronsäure im Bereich von ≥ 10 mg bis ≤ 200 mg;
20
– Kollagenhydrolysat im Bereich ≥ 0,5 g bis ≤ 20 g;
21
– Glucosamin und/oder dessen physiologisch verträgliche Salze im Bereich von ≥ 160 mg bis ≤ 1300 mg, und/oder Chondroitin und/oder dessen physiologisch verträgliche Salze im Bereich von ≥ 100 mg bis ≤ 1000 mg; und
22
– Fischöl im Bereich von ≥ 0,2 g bis ≤ 5 g und/oder Omega-3-Fettsäuren im Bereich von ≥ 0,1 g bis ≤ 3 g, und
23
– sekundäre Pflanzenstoffe ausgewählt aus der Gruppe umfassend Flavonoide erhältlich aus Extrakten ausgewählt aus der Gruppe umfassend Citrusfrucht-, Buchweizen-, Rosskastanien-, Apfel- und/oder Zwiebel-Extrakt im Bereich von ≥ 5 mg bis ≤ 120 mg und Carotinoide ausgewählt aus der Gruppe umfassend Alpha-Carotin, Beta-Carotin, Lutein, Lycopin, Zeaxanthin und/oder Astaxanthin im Bereich von ≥ 0,5 mg bis ≤ 20 mg.“
24
Wegen des Wortlauts der rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8, die auf Weiterbildungen der Verwendung nach Patentanspruch 1 gerichtet sind, wird auf den Akteninhalt verwiesen.
25
Die Anmelderin trägt vor, der Gegenstand des nunmehr geltenden Patentanspruchs 1 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit, denn mit keiner der im Verfahren genannten Schriften werde dem Fachmann eine Anregung vermittelt, die im Patentanspruch 1 genannten Maßnahmen in ihrer Gesamtheit zu ergreifen, um so zu einer Verwendung einer Aminozucker enthaltenden Zusammensetzung zu gelangen, die aufgrund ihrer Wirkstoffkombination zu einer Verbesserung der Funktion der Sehnen, insbesondere zu einer Verringerung der Beschwerden bei degenerativen Sehnenerkrankungen, führe.
26
Des Weiteren sei der Gegenstand des Patentanspruchs 1 so deutlich offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Denn anhand der eingereichten Studienergebnisse, die auf objektiv nachprüfbaren, wissenschaftlichen Daten, die im Rahmen einer nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellten Studie basieren, werde aufgezeigt, dass die Aminozucker enthaltende Zusammensetzung im Rahmen einer bilanzierten Diät für die beanspruchte Verwendung, der Behandlung von Sehnenerkrankungen, brauchbar sei.
27
Im Rahmen des Prüfungsverfahrens waren neben den im Zurückweisungsbeschluss zitierten Dokumenten auch noch die folgenden Entgegenhaltungen genannt worden:
28
(3) Anonymus, „Zur Therapie der lateralen Epicondylitis: Corticosteroid-Injektionen, Physiotherapie oder Abwarten?“, Arzneimittelverordnung in der Praxis, 2003, 19 (2), Seite 20
29
(4) L. Bisset et al., “Mobilisation with movement and exercise, corticesteroid injection, or wait and see for tennis elbow: randomised trial”, BMJ (Int. Ed.), 2006, 333, Seiten 939 bis 941
30
(5) WO 2004/080428 A2
31
(6) US 2006/0062859 A1
32
(9) PHARMA NEWS, „Ernährungstherapie bei Arthrose“, PTA in der Apotheke, 2006, 35 (4), Seite 110
33
(11) N. Smidt et al., „Corticosteroid injections, physiotherapy or wait-and-see policy for lateral epicondylitis: a randomized controlled trial“, The Lancet, 2002, 359, Seiten 657 bis 662
34
Hinsichtlich der Entgegenhaltung (6) hat die Anmelderin noch ausgeführt, dass die dort offenbarte Zusammensetzung, enthaltend pflanzliche, vitaminische, mineralische und homöopathische Bestandteile, zur Behandlung verschiedenster Erkrankungen, einschließlich Yersinien-induzierter Arthritis, geeignet sei, jedoch sei der Druckschrift kein Hinweis auf die Behandlung von Sehnenerkrankungen zu entnehmen. Der Fachmann habe somit keine Veranlassung diese Schrift zur Lösung der gestellten Aufgabe heranzuziehen, zumal sie auch keine Anregung im Hinblick auf eine Zusammensetzung umfassend die Bestandteile Hyaluronsäure, Kollagenhydrolysat, Glucosamin und/oder Chondroitin, Fischöl und/oder Omega-3-Fettsäuren, Flavonoide und Carotinoide enthalte.
35
Auch der übrige Stand der Technik enthalte keinen Hinweis auf Zusammensetzungen zur Verwendung für Sehnenerkrankungen.
36
Die Anmelderin beantragt,
37
den angefochtenen Beschluss vom 9. Dezember 2011 aufzuheben und das Patent mit den Ansprüchen 1 bis 8 vom 13. Januar 2015 zu erteilen.
38
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
39
Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Erteilung eines Patents auf Grundlage der geltenden Unterlagen.
40
1. Bezüglich der Offenbarung der Patentansprüche 1 bis 8 bestehen keine Bedenken. Patentanspruch 1 geht inhaltlich auf die ursprünglich eingereichten Patentansprüche 1 und 7 sowie auf den 2. Absatz auf Seite 5 der Erstunterlagen zurück. Die rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8 basieren auf den ursprünglich eingereichten Patentansprüchen 2 bis 5, 7, 8 und 15.
41
2. Die Ausführbarkeit unter dem Aspekt der Brauchbarkeit ist gegeben.
42
Eine Erfindung ist ausführbar, wenn ein Fachmann anhand der Angaben in der Anmeldung unter Einsatz seines Fachwissens in der Lage ist, die offenbarte technische Lehre zu verwirklichen. Dies setzt voraus, dass die Erfindung brauchbar ist, d. h. dass das Ergebnis oder die angestrebte technische Wirkung erzielbar ist (vgl. Schulte/Moufang, Patentgesetz, 9. Aufl., § 34 Rdn. 349; § 1, Rdn. 32).
43
Dieser Voraussetzung genügen die Anmeldeunterlagen, da ihnen in ihrer Gesamtheit und den – aufgrund der von der Prüfungsstelle geäußerten Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit der Aminozucker enthaltenden Zusammensetzung – zulässig nachgereichten Ergebnissen einer multizentrischen, kontrollierten nichtinterventionellen Beobachtungsstudie entnommen werden kann, dass ein Nahrungsergänzungsmittel, das eine Aminozucker enthaltende Zusammensetzung gemäß den Maßgaben nach Patentanspruch 1 enthält, bei der Behandlung von entzündlichen und/oder degenerativen Erkrankungen der Sehnen wirksam ist.
44
Laut den Ausführungsbeispielen gemäß den Anmeldeunterlagen konnte anhand einer Studie mit 19 Patienten, von denen vier Patienten eine Achillessehnentendinose, sechs Patienten eine Supraspinatustendinose, vier Patienten eine Ansatztendinose der Plantarfaszie, drei Patienten eine Epicondylitis radialis humeri und zwei Patienten eine Patellarsehnentendinose hatten, gezeigt werden, dass die Verabreichung der anmeldungsgemäßen Aminozuckerzusammensetzung zu einer Verminderung des Schmerzzustandes und zu einer deutlichen Erhöhung des Funktionsstatus der betroffenen Sehnen führt, wobei über den Beobachtungszeitraum keine weiteren Therapien wie Krankengymnastik, Injektionen oder Medikamente verabreicht wurden (vgl. Offenlegungsschrift DE 10 2008 036 954 A1, Beschreibung S. 17/18, Beispiel 3).
45
Darüber hinaus belegen auch die Ergebnisse der nachgereichten multizentrischen, kontrollierten nichtinterventionellen Beobachtungsstudie eine bessere Rekonvaleszenz der Patienten mit einer Tendophatie bei Anwendung der Standardtherapie und gleichzeitiger Gabe einer anmeldungsgemäßen Aminozucker enthaltenden Zusammensetzung im Vergleich zur Standardtherapie allein (vgl. Anlage 1 zum Schriftsatz vom 28. Juni 2012, S. 1, li. Sp. Abs. „Patientenkollektiv“, re. Sp. Abs. „Untersuchungsparameter“, S. 3, Abb. 1, S. 5, Tab. 1; Busse/ Keukenschrijver, Patentgesetz, 7. Auflage, § 34, Rdn. 310).
46
Auch liegen, wie bereits zuvor erwähnt, ausreichend experimentelle Nachweise dafür vor, dass die Aminozucker haltige Zusammensetzungen bei der Behandlung von Sehnenerkrankungen ein über das Maß einer „wait and see“-Therapie hinausgehende Wirkung haben.
47
3. Die Verwendung einer Aminozucker enthaltenden Zusammensetzung gemäß Patentanspruch 1 ist neu.
48
In keiner der vorliegenden Druckschriften wird die Verwendung einer Aminozucker enthaltenden Zusammensetzung zur Herstellung eines Mittels zur peroralen therapeutischen, prophylaktischen und/oder diätetischen Behandlung von entzündlichen und/oder degenerativen Behandlung der Sehnen angegeben, die als wirksame Bestandteile Hyaluronsäure, Kollagenhydrolysat, Glucosamin und/oder Chondroitin, Fischöl und/oder Omega-3-Fettsäuren, Flavonoide und Carotinoide umfasst.
49
Das Nahrungsergänzungsmittel „Orthomol-Arthro“ gemäß den Druckschriften (1) bzw. (9), das als wirksame Bestandteile u. a. 2,5 g Kollagenhydrolysat, 600 mg Glucosaminsulfat, 400 mg Chondroitinsulfat, 1,1 g Fischöl, 50 mg Citrus-Bioflavonoide und 3 mg gemischte Carotinoide enthaltend Beta-Carotin, Lutein und Lycopin aufweist (vgl. (1), S. 1, 1. Abs., S. 1 und 2, Zusammensetzung; (9), S. 110 „Ernährungstherapie“), unterscheidet sich von der im Patentanspruch 1 beanspruchten Verwendung bereits darin, dass es keine Hyaluronsäure enthält und nicht zur Behandlung von Sehnenerkrankungen, sondern bei der Behandlung von Arthrose, eingesetzt wird (vgl. (1), S. 1, 2. Abs., (9), S. 110 „Ernährungstherapie“).
50
Die Entgegenhaltung (5) offenbart Zusammensetzungen, die in Form von Arzneimitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln bei der Behandlung von Sehnenerkrankungen verwendet werden (vgl. (5), Patentansprüche 64, 73, 107 und 117, Beschreibung S. 13, Abs. [0054], S. 13/14, Abs. [0058], S. 38/39, Abs. [0162]). Die Zusammensetzungen gemäß (5) enthalten Eihaut entweder in Pulverform oder als Hydrolysat, wobei die Eihaut als wirksame Bestandteile Kollagen, Hyaluronsäure, Glucosamin und Chondroitin enthält (vgl. (5), Patentansprüche 73, 77, 80, 107, 114, Beschreibung S. 42, Tab. 3). Im Gegensatz zur anmeldungsgemäßen Zusammensetzung gemäß Patentanspruch 1 enthalten sie aber weder Kollagenhydrolysat noch die weiteren Bestandteile Fischöl und/oder Omega-3-Fettsäuren, Flavonoide und Carotinoide.
51
Die in dem Dokument (6) beschriebenen Zusammensetzungen, die zumindest jeweils einen pflanzlichen, einen vitaminischen, einen mineralischen und einen homöopathischen Bestandteil aufweisen, werden in Form von Nahrungsergänzungsmitteln bei der Behandlung von Sehnenerkrankungen eingesetzt. Als zwingende Bestandteile enthalten diese Zusammensetzungen gemäß Tabelle 5 auf Seite 41 und Tabelle 6 auf Seite 42 die Komponenten Chondroitinsulfat bzw. -hydrochlorid, Glucosaminsulfat bzw. -hydrochlorid, Hyaluronsäure in Form von Chicken Collagen Typ II und das Flavonoid Quercetin. Darüber hinaus können die Zusammensetzungen als weitere „herbal components“ gemäß Patentanspruch 3 Fischöl und Kollagenhydrolysat enthalten (vgl. (6) Patentansprüche 1, 2, 3, 22 und 35; Beschreibung S. 15, Abs. [0172], [0174], [0175], S. 16, Abs. [0180-0183], S. 17, Abs. [0218], [0220], [0222], [0223]). Für das patentgemäße Merkmal Carotinoide findet sich dagegen in der (6) keine Offenbarung.
52
Die Publikation (2) befasst sich mit der Wirksamkeit von Glucosamin, Chondroitin, Omega-3-Fettsäuren aus Fischöl und oral verabreichter Hyaluronsäure, die in Nahrungsergänzungsmitteln bei Gelenkserkrankungen verabreicht werden ((2), S. 2, 3. bis 5. Abs., S. 2, 9. Abs. bis S. 3, 3. Abs., S. 3, letzt. Abs., S. 4, 2. Abs.). Angaben dahingehend, eine Zusammensetzung bestehend aus den Inhaltsstoffen gemäß Patentanspruch 1 zur Behandlung von Sehnenerkrankungen zu verwenden, werden in diesem Dokument jedoch nicht gemacht.
53
Die Druckschriften (7) und (8) betreffen die Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln bei der Behandlung von Gelenkserkrankungen, die als Inhaltsstoff Hyaluronsäure aufweisen (vgl. (7), S. 1, 3. und 4. Abs.; (8) S. 10, Zusammenfassung, S. 25/26, Abschnitt „Orals Absorption of HA“, S. 26, Abschnitt „Beneficial Properties of HA for Joint Health“). Eine Zusammensetzung, wie sie im Patentanspruch 1 angegeben ist, wird in den Dokumenten (7) und (8) jedoch nicht genannt.
54
Auch in keiner der weiteren Entgegenhaltungen (3), (4) und (11), die den Vergleich von Corticoidinjektionen, Physiotherapie und „wait-and-see policy“ bei Epicondylitis betreffen (vgl. (3), S. 20, Abschnitt „Zur Therapie der lateralen Epicondylitis…“; (4) S. 1, li. Sp. „Conclusion“; (11) S. 657, li. Sp. „Summary“), wird die Verwendung einer wie im Patentanspruch 1 genannten Zusammensetzung beschrieben.
55
4. Die Bereitstellung der Verwendung einer Aminozucker enthaltenden Zusammensetzung zur Herstellung eines Mittels zur peroralen therapeutischen, prophylaktischen und/oder diätischen Behandlung von entzündlichen und/oder degenerativen Erkrankungen der Sehnen gemäß Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
56
4.1 Die der Anmeldung zugrunde liegende objektive technische Aufgabe ist – geltender Rechtsprechung folgend – allein unter Berücksichtigung des tatsächlich Erfundenen zu ermitteln, d. h. die Aufgabe muss auf das Ergebnis der Erfindung abgestellt sein. Daher ist das gegenüber dem Stand der Technik tatsächlich Geleistete Ausgangspunkt für das Auffinden des technischen Problems, wobei der Stand der Technik sowie die Vorteile der Erfindung und Nachteile vorbekannter Lösungen die Grundlage für die Formulierung darstellen. Ein Hilfsmittel bei der Ermittlung des zugrunde liegenden objektiven Problems können dabei in der Beschreibung enthaltende Angaben zur Aufgabe der Erfindung sein (BGH GRUR 2012, 803, 805, Tz. [31] m. w. N. – Calcipotriol Monohydrat, BPatG München, Urteil vom 13. November 2012 – 3 Ni 43/10 (EP), Rdn. 82, 83 – juris-Version, sowie Schulte 9. Aufl. § 1 Rdn. 46, 47 und 49, Busse PatG 7. Aufl. § 1 Rdn. 70, 74 bis 76, Benkard/Schäfers PatG 10. Aufl. § 1 Rdn. 55a, 56).
57
Bei dem vorliegend Erfundenen handelt es sich um die Verwendung einer Aminozucker enthaltenden Zusammensetzung zur Herstellung eines Mittels zur peroralen therapeutischen, prophylaktischen und/oder diätischen Behandlung von entzündlichen und/oder degenerativen Erkrankungen der Sehnen. In den Anmeldeunterlagen, deren Angaben zur Ermittlung der Aufgabe, die zu lösen ist, herzuziehen sind (BGH GRUR 2012, 803, 805, Tz. [31] m. w. N. – Calcipotriol Monohydrat, BPatG München, Urteil vom 13. November 2012 – 3 Ni 43/10 (EP), Rdn. 82, 83 – juris-Version), wird hinsichtlich des zu lösenden technischen Problems ausgeführt, dass bei Sehnenerkrankungen die geschädigten Sehnen eine nur geringe Fähigkeit zur Regeneration zeigen und die konservative Behandlung bei einer Tendinose, gleichbedeutend mit einer Schonung ggf. gekoppelt mit entzündungshemmenden Medikamenten, meist komplex, zeit- und kostenintensiv ist. Die Verabreichung der entzündungshemmenden Medikamente als Injektionen, die ein hohes Risiko an Infektionen für die Patienten bergen und außerdem mit weiteren Schmerzen verbunden sind, wirke sich negativ auf die Compliance aus. Die Leistung der vorliegend bereitgestellten Verwendung einer Aminozucker enthaltenden Zusammensetzung gegenüber den zum Prioritätstag bekannten Präparaten besteht darin, dass durch ihre orale Verabreichung zum Einen eine höhere Compliance seitens der Patienten besteht und zum Anderen die Sehnen optimal mit Wirkstoffen versorgt werden können, da die Wirkung nicht auf einen eng begrenzten Bereich, wie bei einer lokalen Injektion, beschränkt ist (vgl. Offenlegungsschrift Beschreibung S. 2, Abs. [0003-0007], [0012], S. 3, Abs. [0015], sowie S. 3, Abs. [0027] bis S. 4, Abs. [0032]).
58
Vor diesem Hintergrund liegt der Anmeldung die Aufgabe zugrunde, die Verwendung eines Mittels zur Verfügung zu stellen, wobei das Mittel zur Behandlung von entzündlichen und/oder degenerativen Erkrankungen der Sehnen geeignet ist.
59
4.2 Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 durch die
60
1. Verwendung einer Aminozucker enthaltenden Zusammensetzung zur Herstellung eines Mittels zur peroralen therapeutischen, prophylaktischen und/oder diätetischen Behandlung von entzündlichen und/oder degenerativen Erkrankungen der Sehnen,
61
2. wobei die Aminozucker enthaltende Zusammensetzung, bezogen auf eine Tagesdosis der Aminozucker enthaltenden Zusammensetzung, als wirksame Bestandteile die nachstehenden Stoffe aufweist:
62
3. Hyaluronsäure im Bereich von ≥ 10 mg bis ≤ 200 mg;
63
4. Kollagenhydrolysat im Bereich von ≥ 0,5 g bis ≤ 20 g;
64
5a. Glucosamin und/oder dessen physiologisch verträgliche Salze im Bereich von ≥ 160 mg bis ≤ 1300 mg, und/oder
65
5b. Chondroitin und/oder dessen physiologisch verträgliche Salze im Bereich von ≥ 100 mg bis ≤ 1000 mg;
66
6a. Fischöl im Bereich von ≥ 0,2 g bis ≤ 5g und/oder
67
6b. Omega-3-Fettsäuren im Bereich von ≥ 0,1 g bis ≤ 3 g;
68
7. sekundäre Pflanzenstoffe ausgewählt aus der Gruppe umfassend
69
7a. Flavonoide erhältlich aus Extrakten ausgewählt aus der Gruppe umfassend Citrusfrucht-, Buchweizen-, Rosskastanien-, Apfel- und/oder Zwiebel-Extrakt im Bereich ≥ 5 mg bis ≤ 120 mg;
70
7b. Carotinoide ausgewählt aus der Gruppe umfassend Alpha-Carotin, Beta-Carotin, Lutein, Lycopin, Zeaxanthin und/oder Astaxanthin im Bereich von ≥ 0,5 mg bis ≤ 20 mg.
71
Zur Lösung dieser Aufgabe konnte der Fachmann, ein Lebensmittelchemiker mit praktischer Erfahrung und speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Nahrungsergänzungsmittel, von der (6) ausgehen, da auch die aus (6) bekannten Nahrungsergänzungsmittel bei der Behandlung von Sehnenerkrankungen verwendet werden (vgl. (6) Patentanspruch 2, insbesondere Z. 17 bis 18 und 21 bis 22 des Anspruchs, Beschreibung S. 1, Abs. [0002], S. 39, Abs. [0551]). (6) offenbart hierfür eine Aminozucker haltige Zusammensetzung, die neben den Aminozuckern Chondroitinsulfat bzw. -hydrochlorid und Glucosaminsulfat bzw. -hydrochlorid als weitere Bestandteile Hyaluronsäure und – das auch in Rosskastanie und Zwiebeln enthaltende – Flavonoid Quercetin enthält (vgl. (6) vgl. Patentansprüche 22 und 35, Beschreibung S. 40, re. Sp., Tab. 3, S. 41, Tab. 5, S. 42, Tab. 6; gutachterlich: Stichwort „Quercetin“, Römpp Lexikon Chemie, 10. Auflage, 1998, S. 3687). Darüber hinaus können die in (6) beschriebenen Formulierungen als weitere Inhaltsstoffe Fischöl (vgl. (6), Beschreibung S. 17, Abs. [0218], [0220], [0223]) und Kollagenhydrolysat zur Behandlung rheumatoider Arthritis enthalten (vgl. (6), Beschreibung S. 16, Abs. [0180], [0182], [0183]), wobei gemäß (6) unter rheumatoider Arthritis auch Sehnenerkrankungen, wie bspw. Achilles tendonitis verstanden werden (vgl. (6), von Patentanspruch 2, Z. 17 und 18, Beschreibung S. 12, Abs. [0125], Z. 1 bis 7). Hinweise dahingehend, Carotinoide als weiteren Bestandteil der Aminozucker haltigen Zusammensetzung vorzusehen, können der Druckschrift jedoch nicht entnommen werden. Daher vermag dieses Dokument dem Fachmann auch nicht die Lehre zu vermitteln die Verwendung einer Aminozucker enthaltenden Zusammensetzung mit den im Patentanspruch 1 angegebenen Maßgaben bereitzustellen.
72
Eine Anregung dahingehend vermag auch nicht die Druckschrift (5) zu vermitteln. Diese betrifft ebenfalls therapeutische und diätetische Mittel zur Behandlung von degenerativen Erkrankungen der Sehnen auf Basis von Eihaut (vgl. (5), Patentansprüche 64, 71, 73, 107 und 117, Beschreibung S. 1, Abs. [0002], S. 8, Abs. [0029], S. 13, Abs. [0054], S. 15, Abs. [0068], S. 18, Abs. [0080]), wobei die Eihaut als wirksame Bestandteile Kollagen, Hyaluronsäure, Glucosamin und Chondroitin enthält (vgl. (5) Beschreibung S. 42, Tab. 3). Hinweise als weitere Inhaltsstoffe Kollagenhydrolysat, Fischöl und/oder Omega-3-Fettsäuren, Flavonoide und Carotinoide vorzusehen, vermittelt die Druckschrift (5) dem Fachmann nicht. Eine Verwendung, wie sie im geltenden Patentanspruch 1 angegeben ist, kann folglich auch die Entgegenhaltung (5) nicht nahe legen.
73
Auch eine Zusammenschau von (5) oder (6) mit dem weiteren vorliegenden Stand der Technik vermag keine Hinweise, für das Auffinden der anmeldungsgemäßen Verwendung mit den Merkmalen gemäß Patentanspruch 1 zu geben.
74
Das Präparat „Orthomol Arthro“ gemäß (1) bzw. (9) betrifft zwar eine bis auf den Wirkstoff Hyaluronsäure identische Zusammensetzung eines Nahrungsergänzungsmittels (vgl. (1), S. 1, 1. Abs., S. 1 und 2, Zusammensetzung; (9), S. 110 „Ernährungstherapie“), dieses ist jedoch nicht für die Behandlung von Sehnenerkrankungen vorgesehen, sondern ausschließlich bei der Behandlung von Arthrose (vgl. (1), S. 1, 2. Abs. i. V. m. (9), S. 110 „Ernährungstherapie“). Demzufolge können auch (1) bzw. (9) dem Fachmann mit diesen Angaben keine Anregung dahingehend vermitteln, zur Behandlung von Sehnenerkrankungen ein Aminozucker enthaltendes Mittel, wie es in Patentanspruch 1 definiert ist, in Betracht zu ziehen.
75
Auch die Berücksichtigung der Druckschrift (2) führt zu keiner anderen Beurteilung des Sachverhaltes. Aus (2) ist zwar die Verwendung von Glucosamin, Chondroitin und von Omega-3-Fettsäuren aus Fischöl, sowie von oral verabreichter Hyaluronsäure in Nahrungsergänzungsmitteln bei der Behandlung von Gelenkserkrankungen bekannt. Dabei ist aber die Wirksamkeit dieser Inhaltsstoffe lediglich für Glucosamin bei Osteoarthritis und Chondroitin bei der Verbesserung der Gelenksmobilität sowie der Schmerzreduktion belegt, während für Omega-3-Fettsäuren kaum und für oral verabreichte Hyaluronsäure keine klinischen Belege für deren Wirksamkeit bei Arthritis vorliegen (vgl. (2) S. 2, 3., 5. und 9. Abs., S. 2/3, übergr. Abs., S. 3. letzt. Abs., S. 4, 2. Abs.).
76
Die weiteren dem Senat vorliegenden, die in der mündlichen Verhandlung nicht mehr diskutierten Entgegenhaltungen (3) und (4), sowie (7), (8) und (11) enthalten nichts, was zu einer anderen Beurteilung der Sachlage führen könnte.
77
5. Die Verwendung nach geltendem Patentanspruch 1 erfüllt somit alle Kriterien der Patentfähigkeit. Der geltende Patentanspruch ist daher gewährbar.
78
Das gleiche gilt für die auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8, die besondere Ausgestaltungen der Verwendung nach Patentanspruch 1 betreffen.


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