Patent- und Markenrecht

Patentbeschwerdeverfahren – „Vorrichtungen zur Bestimmung des Blutvolumens und/oder Blutvolumenstroms und Verfahren zum Betreiben derselben“ – Zulässigkeit der Beschwerde – keine Notwendigkeit mündlicher Verhandlung

Aktenzeichen  10 W (pat) 4/12

Datum:
26.2.2013
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 73 PatG
§ 1 Abs 3 PatG
§ 1 Abs 4 PatG
Spruchkörper:
10. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2008 026 708.2-35
wegen Erteilungsbeschluss
hat der 10. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 26. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Rauch, die Richterin Püschel und die Richterin Dr. Kober-Dehm
beschlossen:
1. Auf die Beschwerde wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A 61 B des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. Dezember 2011 aufgehoben und die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.
1
Die Patentinhaberin reichte am 4. Juni 2008 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) eine Patentanmeldung mit der Bezeichnung „Vorrichtungen zur Bestimmung des Blutvolumens und/oder Blutvolumenstroms und Verfahren zum Betreiben derselben“ ein.
2
Auf den Prüfungsbescheid der Prüfungsstelle für Klasse A 61 B vom 16. Juni 2009, in dem die Patentinhaberin darauf hingewiesen wurde, dass eine Patenterteilung auf der Grundlage der eingereichten Unterlagen nicht in Aussicht gestellt werden könne, weil der Gegenstand der Erfindung nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe, reichte die Patentinhaberin mit Schreiben vom 22. Oktober 2009 neue Patentansprüche 1 bis 23 ein. In einem Telefonat am 29. November 2011 teilte die Prüfungsstelle der Patentinhaberin mit, dass dieser Anspruchssatz im Grundsatz zulässig, jedoch im Hinblick darauf, dass Ansprüche klar zu formulieren seien und eine Anmeldung nur eine einzige Erfindung enthalten dürfe, in einigen Punkten zu überarbeiten sei. Die insoweit von der Prüfungsstelle vorgeschlagenen Änderungen waren in einer Telefonnotiz der Prüfungsstelle vom 29. November 2011 aufgelistet und betrafen die Ansprüche 1, 2, 3, 10, 12, 17, 22 und 23. Die Patentinhaberin reichte hierauf mit Schreiben vom 8. Dezember 2011, das am selben Tag beim DPMA eingegangen ist, neue Ansprüche 1 bis 23 sowie neue Beschreibungsseiten 7, 7a und 7b ein, die die Seite 7 der ursprünglichen Beschreibung ersetzen sollen.
3
Mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 erteilte die Prüfungsstelle für Klasse A 61 B des DPMA das Patent, wobei sie der Erteilung die Ansprüche der am 8. Dezember 2011 eingegangenen Fassung zugrunde legte. In Patentanspruch 4 nahm die Prüfungsstelle allerdings eine als „redaktionelle Änderung“ bezeichnete Streichung vor. Patentanspruch 4 hat danach nunmehr folgenden Wortlaut (Änderung durch die Prüfungsstelle gegenüber der Anspruchsfassung vom 8. Dezember 2011 ist kursiv wiedergegeben):
4
4. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 3,
5
dadurch gekennzeichnet, dass die zu bestimmende Eigenschaft die Temperatur der Messflüssigkeit (3)
und
im Blutkreislauf ist.
6
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Patentinhaberin gegen den Erteilungsbeschluss insoweit, als die Prüfungsstelle in Patentanspruch 4 in der Fassung vom 8. Dezember 2011 das Wort „und“ gestrichen hat. Sie macht geltend, dass diese Änderung im Widerspruch zum eigentlichen Erfindungsgedanken stehe. Eine Messung der Temperatur „der Messflüssigkeit im Blutkreislauf“ sei in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht offenbart und im Übrigen auch nicht möglich, da sich die Messflüssigkeit im Blutkreislauf mit dem Blut vermischen würde und somit nur noch die Temperatur der Mischung bestimmt werden könnte. Schließlich unterschieden auch die in den Ansprüchen 1 und 2 beanspruchten Vorrichtungen jeweils u. a. zwischen „Mitteln zur Bestimmung mindestens einer Eigenschaft der Messflüssigkeit (3) vor der Injektion in den Blutkreislauf“ einerseits und „Mitteln zur Bestimmung der betreffenden Eigenschaft im Blutkreislauf stromab der Injektionsstelle“ andererseits.
7
Die Patentinhaberin beantragt sinngemäß,
8
1. den Erteilungsbeschluss der Prüfungsstelle für Klasse A 61 B vom 20. Dezember 2011 in vollem Umfang,
9
2. hilfsweise, im Umfang der beanstandeten Änderungen aufzuheben;
10
3. weiter hilfsweise, Patentanspruch 4 gemäß dem mit der Beschwerdebegründung vom 15. März 2012 eingereichten Hilfsantrag 1 zu fassen,
11
4. die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen sowie
12
5. eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
II.
13
Die Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache insoweit Erfolg, als der Erteilungsbeschluss ohne Sachentscheidung aufzuheben und die Sache an das Patentamt zurückzuverweisen ist (§ 79 Abs. 3 Nr. 2 PatG).
14
1. Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat die Patentinhaberin mit der Darlegung, dass der angefochtene Beschluss abweichend von ihrem Erteilungsantrag ergangen sei, auch schlüssig eine Beschwer geltend gemacht. Dies reicht für die Bejahung der Zulässigkeit der Beschwerde aus (vgl. Schulte, PatG, 8. Aufl., § 73 Rn. 50).
15
2. Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt.
16
Ein Patent darf grundsätzlich nur so erteilt werden, wie es beantragt ist. Jede Änderung der Unterlagen, die nicht nur in geringfügigen redaktionellen Korrekturen wie der Berichtigung von Schreibfehlern oder offensichtlichen grammatikalischen oder sprachlichen Unrichtigkeiten besteht, setzt das schriftlich erklärte Einverständnis des Anmelders voraus (vgl. Schulte, a. a. O., Einleitung Rn. 6; Busse/Schwendy, PatG, 6. Aufl., § 48 Rn. 17, vor § 34 Rn. 52; Benkard/Schäfers, PatG, 10. Aufl., § 49 Rn. 2; BPatGE 25, 141, 143).
17
Die im Erteilungsbeschluss vorgenommene und von der Patentanmelderin allein beanstandete Streichung des Wortes „und“ in Patentanspruch 4 stellt nicht nur eine bloß redaktionelle Änderung im vorgenannten Sinne dar. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine von der beantragten Fassung des Patentanspruchs 4 abweichende inhaltliche Beschränkung der mit diesem Anspruch beanspruchten Vorrichtung und gegebenenfalls sogar um die Aufnahme eines Merkmals, das technisch nicht ausführbar ist.
18
Die Prüfungsstelle hat weder im Prüfungsbescheid noch in dem Telefonat, in dem letzte Änderungen und Anpassungen der Anmeldeunterlagen vor der Erteilung besprochen wurden, auf eine aus ihrer Sicht etwa erforderliche Änderung des Patentanspruchs 4 im Sinne des Erteilungsbeschlusses hingewiesen, so dass die Prüfungsstelle das Wort „und“ in Patentanspruch 4 nicht hätte streichen dürfen, ohne der Patentinhaberin vorher Gelegenheit zur Äußerung gegeben zu haben.
19
Nachdem das nachgesuchte Patent abweichend vom Erteilungsantrag erteilt worden ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben, ohne dass der Senat in der Sache selbst entscheidet, § 79 Abs. 3 Nr. 2 PatG. Die Prüfungsstelle wird nunmehr über die Erteilung des Patents nach Maßgabe des von der Patentinhaberin gestellten Hauptantrags und gegebenenfalls des Hilfsantrags erneut zu beschließen haben.
III.
20
Die Anordnung der Rückzahlung der Beschwerdegebühr beruht auf § 80 Abs. 3 PatG. Danach ist die Rückzahlung anzuordnen, wenn dies der Billigkeit entspricht.
21
So liegt der Fall hier. Die Erhebung der Beschwerde und die Entrichtung der Beschwerdegebühr hätten bei ordnungsgemäßer und angemessener Sachbehandlung vermieden werden können (vgl. Schulte, a. a. O., § 73 Rn. 124 f.). Der angefochtene Beschluss erging unter Verletzung des Grundsatzes der Bindung an den Erteilungsantrag, womit die Patentinhaberin zugleich auch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden ist. Diese Verfahrensfehler sind für die Erhebung der Beschwerde ursächlich gewesen.
IV.
22
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Zwar hat die Patentinhaberin den Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nicht nur hilfsweise für den Fall gestellt, dass eine für sie nachteilige Entscheidung der Beschwerde ergehen sollte. Jedoch kann auch im Falle eines unbedingten Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne eine solche entschieden werden, wenn dem Beschwerdeantrag in der Hauptsache stattgegeben wird (BPatG, Beschluss vom 25. Oktober 1961 – 5 W 195/61, BPatGE 1, 163, 165; Beschluss vom 29. Juli 1971 – 20 W (pat) 2/71, BPatGE 13, 69, 71).
23
Die Beschwerde führt hier zur Aufhebung des Erteilungsbeschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das DPMA. Da hiermit dem Hauptantrag der Patentinhaberin stattgegeben wurde, erübrigt sich eine Entscheidung über den Hilfsantrag zur Fassung des Patentanspruchs 4, den die Patentinhaberin bereits mit der Beschwerdebegründung eingereicht hat und in der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht stellen wollte, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nicht geboten ist. Im Übrigen bleibt es der Patentinhaberin unbenommen, den Hilfsantrag in dem nunmehr wieder eröffneten Verfahren vor dem DPMA einzubringen.


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