Patent- und Markenrecht

Patentnichtigkeitsklageverfahren – „Biege- und Härtevorrichtung für Glasscheiben (europäisches Patent)“ – keine rechtsmissbräuchliche Klage

Aktenzeichen  3 Ni 29/13 (EP)

Datum:
9.12.2014
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 81 Abs 1 PatG
§ 242 BGB
Spruchkörper:
3. Senat

Verfahrensgang

nachgehend BGH, 13. Juni 2017, Az: X ZR 55/15, Urteil

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 0 679 613
(DE 695 14 029)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schramm, des Richters Guth, der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Münzberg, des Richters Dipl.-Chem. Dr. Jäger und der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Wagner
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 0 679 613 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass sein Anspruch 6 nur auf Anspruch 1 rückbezogen ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 25. April 1995 beim Europäischen Patentamt in englischer Sprache angemeldeten Patents 0 679 613 (Streitpatent), das die finnische Priorität FI 941931 vom 26. April 1994 in Anspruch nimmt und vom Deutschen Patentamt unter der Nummer DE 695 14 029 geführt wird. Das Streitpatent, das beschränkt mit einem Hauptantrag und sechs Hilfsanträgen verteidigt wird, trägt die Bezeichnung „Bending and tempering station for glass sheets“ (Biege- und Härtevorrichtung für Glasscheiben) und umfasst 7 Patentansprüche, von denen die Anspruche 2 bis 7 unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen sind. Die erteilten Ansprüche 1 bis 7 lauten in deutscher Übersetzung folgendermaßen:
2
„1. Biege-und-Härt-Station für Glasscheiben, die einen Rollenförderer (3), bei dem die vertikale Position der Rollen (4) zueinander verstellt werden kann, um den Förderer zu einer Krümmung zu wölben, die einem gewünschten Grad der Biegung entspricht, untere Härtkästen (5) mit Oberseiten (9), die mit Härtdüsen (6) versehen sind, und obere Härtkästen (7) mit Unterseiten (10) umfasst, die mit Härtdüsen (8) versehen sind, wobei die Härtkästen (5, 7) bewegt werden können, um die Ober- und die Unterseite (9, 10) an die Wölbung des Förderers (3) anzupassen, dadurch
gekennzeichnet, dass eine Reihe von Presswalzen (11) an den oberen Härtkästen (7) angebracht sind, wobei die Walzen (11) zwischen einer oberen Ruheposition und einer unteren Arbeitsposition bewegt werden können, in der die Walzen (11) durch eine Federkraft elastisch nach unten gedrückt werden.
3
2. Biege-und-Härt-Station nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Federkraft mit Luftdruckfedern (17) erzeugt wird, die jeweils zu einer Walze (11) gehören.
4
3. Biege-und-Härt-Station nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Druckluftfedern Druckluftzylinder (17) sind, die nicht nur die Federkraft erzeugen, sondern gleichzeitig auch die Walzen (11) zwischen der Ruheposition und der Arbeitsposition bewegen.
5
4. Biege-und-Härt-Station nach einem der Ansprüche 1-3, dadurch gekennzeichnet, dass in der Arbeitsposition der Abstand des untersten Punktes der Walze (10) zu einer Förderhöhe, die durch den höchsten Punkt der Förderrollen (4) bestimmt wird, ungefähr 2-3 mm beträgt, und der entsprechende Abstand in der Ruheposition ungefähr 8-10 mm beträgt, wenn sich die Härtkästen (5, 7) in einer Härtposition befinden.
6
5. Biege-und-Härt-Station nach einem der vorangehenden Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass die Walzen (11) aus der Ruheposition in die Arbeitsposition bewegt werden, nachdem eine zu biegende Glasscheibe aus einem Ofen (1) auf den Förderer (3) und unter die Walzen (11) gelangt ist.
7
6. Biege-und-Härt-Station nach einem der Ansprüche 1-5, dadurch gekennzeichnet, dass eine Vielzahl von Presswalzen (11) an einer gemeinsamen horizontalen Achse (13) angebracht ist, die mit dem Druckluftzylinder (17) vertikal hin und her bewegt wird.
8
7. Biege-und-Härt-Station nach einem der Ansprüche 1-6, gekennzeichnet durch Begrenzungsanschläge (15, 16), die die Arbeitsposition und die Ruheposition der Walzen (11) bestimmen.“
9
Die Klägerin, die das Streitpatent in vollem Umfang angreift, macht die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung, der mangelnden Ausführbarkeit des erteilten Patentanspruchs 6 und der mangelnden Patentfähigkeit geltend. Sie stützt ihr Vorbringen im Wesentlichen auf folgende Dokumente:
10
NK1 EP 0 679 613 B1
11
NK3/D1 US 4 822 398
12
NK4/D2 EP 0 114 168 A1
13
NK5/D3 US 4 881 962
14
NK6/D4 US 3 701 644
15
NK7/D5 US 4 540 426
16
NK8 EP 0 679 613 A2
17
Die Klägerin, die nach der beschränkten Verteidigung gemäß Hauptantrag den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit nicht weiter verfolgt, ist der Ansicht, der Patentanspruch 1 sei in Bezug auf das Merkmal wonach die Walzen in ihrer unteren Arbeitsposition durch eine Federkraft elastisch nach unten gedrückt werden, sowie durch das Weglassen des im ursprünglichen Patentanspruch 1 enthaltenen Merkmals „the rollers (11) being capable of moving out of the bottom working position against a spring force“ unzulässig erweitert.
18
Ferner macht sie mangelnde erfinderische Tätigkeit unter Verweis auf die Dokumente NK3/D1 bis NK7/D5 geltend.
19
Entsprechendes gelte für die unzulässig erweiterten Gegenstände gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 6.
20
Die Klägerin stellt den Antrag,
21
das europäische Patent 0 679 613 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
22
Die Beklagte stellt den Antrag,
23
die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung des Hauptantrags, hilfsweise des Hilfsantrags 1, beide gemäß Schriftsatz vom 6. Februar 2014, weiter hilfsweise die Fassung eines der Hilfsanträge 2 bis 6 gemäß Schriftsatz vom 13. Oktober 2014, erhält.
24
Die Patentansprüche gemäß Hauptantrag unterscheiden sich dadurch von der erteilten Fassung, dass Anspruch 6 nunmehr lediglich auf Anspruch 1 rückbezogen ist.
25
Hinsichtlich des Wortlauts der Patentansprüche gemäß Hilfsantrag 1 bis 6 wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 6. Februar 2014 und vom 13. Oktober 2014 verwiesen
26
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie verweist auf folgende Dokumente:
27
NB 1 Zustellungszeugnis der chinesischen Behörden vom November 2013
28
NB 2 Fotos 1bis 5 (vgl. Schriftsatz vom 17. März 2014)
29
NB 3 Kopie der Website http://en.northglass.com/contact.html vom 27. Februar 2014
30
Sie ist der Meinung, die Erhebung der Klage sei rechtsmissbräuchlich, weil die Zustellung der Verletzungsklage der Patentinhaberin von den chinesischen Behörden vereitelt werde und die deutschen Vertreter der Klägerin im hiesigen Nichtigkeitsverfahren ausdrücklich eine Mitwirkung an der Zustellung verweigerten.
31
Der Gegenstand des Streitpatents beruhe zudem auf erfinderischer Tätigkeit. Denn die Entgegenhaltungen offenbarten jeweils zahlreiche wesentliche Merkmale des Streitpatents nicht und es sei auch keine Veranlassung für den Fachmann ersichtlich, die verschiedenen Lehren miteinander zu kombinieren, ohne erfinderisch tätig zu werden. Zudem sei der jeweilige Patentanspruch 1 der geltenden Anträge nicht unzulässig erweitert.

Entscheidungsgründe

I.
32
1. Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Ausführbarkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit b EPÜ), der unzulässigen Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit c EPÜ) und der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ) gestützte Klage ist zulässig, erweist sich jedoch im Wesentlichen als unbegründet.
33
1.1. Die Klage ist nicht rechtsmissbräuchlich. Es ist bereits fraglich, inwieweit der Einwand des Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) bei einer Popularklage wie der Nichtigkeitsklage eingreifen kann, für die ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nicht erforderlich ist.
34
Aber auch wenn man die grundsätzliche Möglichkeit bejaht, rechtsmissbräuchliches Verhalten geltend zu machen, so kann der von der Beklagten dargelegte Sachverhalt ein solches nicht begründen. Soweit sich der Einwand auf eine Vereitelung der Zustellung durch die chinesischen Behörden bezieht, kann dieses der Nichtigkeitsklägerin nicht zugerechnet werden, zumal die Klägerin behauptet, die Bezeichnung der Verletzungsbeklagten sei auf Grund einer falschen Übersetzung nicht korrekt gewesen. Die Weigerung der deutschen Vertreter der Klägerin im Nichtigkeitsverfahren, an der Zustellung der Verletzungsklage mitzuwirken, kann ebenfalls nicht als der Klägerin zurechenbares rechtsmissbräuchliches Verhalten angesehen werden. Denn diese sind nur für die Nichtigkeitsklage mandatiert, nicht aber für eventuelle Verletzungsklagen vor dem Zivilgericht. Die Verletzungsklage und eine Nichtigkeitsklage bewegen sich auf unterschiedlichen rechtlichen Ebenen, betreffen andere Prozessrechtsverhältnisse und stehen in keinem unmittelbaren Zusammenhang zueinander. Bei dieser Ausgangslage besteht keine Verpflichtung der patentanwaltlichen Vertreter der Nichtigkeitsklägerin, bei der Zustellung der Verletzungsklage aktiv mitzuwirken.
35
1.2. Die Klage hat lediglich Erfolg, soweit die erteilte Fassung über den Umfang der beschränkten Verteidigung gemäß Hauptantrag hinausgeht.
36
Soweit die Beklagte das Streitpatent im Wege der zulässigen Selbstbeschränkung nicht mehr verteidigt, ist es mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären (zur st. Rspr. im Nichtigkeitsverfahren vgl. z. B. BGH GRUR 2007, 404, 405 – Carvedilol II; Busse/Keukenschrijver, PatG, 7. Aufl., § 82 Rdn. 90 m. w. Nachw.; Schulte/Voit, PatG, 9. Aufl., § 81 Rdn. 128). Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
37
1.3. Das Streitpatent betrifft eine Biege-und-Härt-Station für Glasscheiben, die einen Rollenförderer umfasst, bei dem die vertikale Position der Rollen zueinander verstellt werden kann, um den Förderer dergestalt zu wölben, dass dessen Wölbung einem gewünschten Biegegrad der Glasscheibe entspricht. Die Vorrichtung umfasst darüber hinaus untere Härtkästen mit Oberseiten, die mit Härtdüsen versehen sind, und obere Härtkästen mit Unterseiten, die ebenfalls mit Härtdüsen versehen sind, wobei die Härtkästen bewegt werden können, um die Oberseiten der unteren Härtkästen und die Unterseiten der oberen Härtkästen an die Wölbung des Förderers anzupassen.
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Wie in der Streitpatentschrift ausgeführt ist, erfolgt das Biegen einer Glasscheibe durch Schwerkraft in einer Biege-und-Härt-Station, die sich außerhalb eines Heizofens befindet. Daher sei es erforderlich, das Glas in Bezug auf die erforderliche Härttemperatur zu überhitzen, da die Glastemperatur sinke, bevor das Glas vollständig in die gewünschte Form gebogen sei, und mit dem Härten des Glases begonnen werden könne. Je nach Glastyp und den vorherrschenden Bedingungen werde das Glas zwischen 10° C und 25° C abgekühlt. Das Überhitzen habe aber den Nachteil, dass optische Fehler des Glases verstärkt würden und im Enderzeugnis stärker wahrnehmbar seien (vgl. NK1, Sp. 1, Abs. [0001 bis 0005]).
39
1.4. Davon ausgehend liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, die erwähnte vorbekannte Vorrichtung dahingehend zu verbessern, dass auf das mit Nachteilen verbundene Überhitzen verzichtet werden kann, und folglich die Temperatur einer aus einem Ofen austretenden Glasscheibe zu verringern und dadurch die optischen Eigenschaften des Glases zu verbessern (vgl. NK1, Sp. 1, Abs. [0006]).
40
1.5. Die Aufgabe wird durch die Biege-und-Härt-Station nach Patentanspruch 1 mit den folgenden Merkmalen gelöst:
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1. Biege-und-Härt-Station für Glasscheiben,
42
1.1 die einen Rollenförderer (3) umfasst,
43
1.1.1 bei dem die vertikale Position der Rollen (4) zueinander verstellt werden kann, um den Förderer zu einer Krümmung zu wölben, die einem gewünschten Grad der Biegung entspricht,
44
1.2 untere Härtkästen (5)
45
1.2.1 mit Oberseiten (9), die mit Härtdüsen (6) versehen sind, und
46
1.3 obere Härtkästen (7)
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1.3.1 mit Unterseiten (10), die mit Härtdüsen (8) versehen sind,
48
2. wobei die Härtkästen (5, 7) bewegt werden können, um die Ober- und die Unterseite (9, 10) an die Wölbung des Förderers (3) anzupassen,
49
3. wobei eine Reihe von Presswalzen (11) an den oberen Härtkästen (7) angebracht ist und
50
4. die Walzen (11) zwischen einer oberen Ruheposition und einer unteren Arbeitsposition bewegt werden können,
51
4.1 in der die Walzen (11) durch eine Federkraft elastisch nach unten gedrückt werden.
52
1.6. Bei dem vorliegend zuständigen Fachmann handelt es sich um einen Diplomingenieur (FH) der konstruktiven Mechanik mit mehrjähriger Berufserfahrung im Bau von Anlagen der Glasveredelung, Glasformung und Glashärtung.
II.
53
Der Senat konnte nicht feststellen, dass die Gegenstände der Patentansprüche 1 bis 7 nach Hauptantrag nicht bestandsfähig sind.
54
1. Die von der Klägerin geltend gemachte unzulässige Erweiterung liegt nicht vor.
55
Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag entspricht dem erteilten Patentanspruch 1 und geht auf den ursprünglichen Anspruch 1 i. V. m. den Angaben in Spalte 2, Zeile 57 bis Spalte 3, Zeile 2, Spalte 3, Zeilen 30 bis 48 und Spalte 4, Zeilen 10 bis 13 der Beschreibung in den ursprünglich eingereichten Unterlagen zurück (vgl. NK8).
56
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist das Merkmal 4.1 des Patentanspruchs 1, nach dem die Walzen in ihrer unteren Arbeitsposition durch eine Federkraft elastisch nach unten gedrückt werden, ursprünglich offenbart. Denn gemäß dem ursprünglichen Merkmal „the rollers (11) being capable of moving out of the latter against a spring force“ können die Walzen gegen eine Federkraft aus der unteren Arbeitsposition bewegt werden, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Walzen in der unteren Arbeitsposition durch eine gleich große Federkraft auch nach unten gedrückt werden. Die Elastizität der Krafteinwirkung im Merkmal 4.1 ergibt sich aus der in der Streitpatentschrift wie auch in den ursprünglichen Unterlagen offenbarten elastischen Aufhängung der Walzen – „resilient suspension … of the press rollers“ – (vgl. NK1, Sp. 4, Abs. [0018]; NK8, Sp. 2, Z. 9 bis 14, Sp. 4, Z. 10 bis 13 i. V. m. Fig. 1).
57
Zu keiner anderen Beurteilung der Sachlage führt auch der weitere Einwand der Klägerin, dass in Merkmal 4 von Patentanspruch 1 der Ausdruck „einer unteren Arbeitsposition“ durch „der untersten Arbeitsposition“ ersetzt werden müsse, da dieser Ausdruck dem ursprünglichen Wortlaut des Anspruchs 1, nämlich „a bottom working position“, in den Erstunterlagen entspräche (vgl. NK8, Patentanspruch 1). Nach Merkmal 4 des geltenden Anspruchs 1 können die Walzen (11) zwischen einer oberen Ruheposition und einer unteren Arbeitsposition bewegt werden – „the rollers (11) are movable between an upper rest and a lower working position“ (vgl. NK1, Patentanspruch 1). Der Ausdruck „eine untere Arbeitsposition“ stellt die wörtliche Übersetzung von „a lower working position“ dar. Die Verwendung des Ausdrucks „a lower working position“ anstelle des ursprünglichen Ausdrucks „a bottom working position“ führt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht dazu, dass eine andere Arbeitsposition im Hinblick auf den Abstand der Walzen von der Scheibe bestimmt wird. Denn beide Ausdrücke definieren gleichbedeutend die Arbeitsposition als untere Position der Walzen relativ zur oberen Position, der Ruheposition (vgl. NK8, Sp. 2, Z. 57 bis Sp. 3 Z. 7 i. V. m. Sp. 3, Z. 26 bis 29 und Z. 56 bis 58).
58
Auch der Auffassung der Klägerin, dass die Kombination der Merkmale 4 und 4.1 in der ursprünglichen Offenbarung keine Stütze fände, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Denn wie oben gezeigt ist diese Lehre auch in Kombination in der Gesamtlehre des Streitpatents ursprünglich offenbart (vgl. NK8, Patentanspruch 1 i. V. m. Sp. 3/4, übergr. Satz, Sp. 3, Z. 56 bis 58, Sp. 4 Z. 10 bis 13).
59
Die Patentansprüche 2 bis 7 nach Hauptantrag basieren auf den erteilten Patentansprüchen 2 bis 7 der Streitpatentschrift (vgl. NK1) bzw. auf den Patentansprüchen 2 bis 7 der Erstunterlagen (vgl. NK8), wobei in Patentanspruch 6 der Rückbezug „nach einem der Ansprüche 1-5“ in „nach Anspruch 1“ geändert worden ist.
60
Die Anspruchsfassung gemäß Hauptantrag weist somit keine unzulässige Erweiterung auf.
61
2. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit wurde gegenüber der nunmehr geltenden beschränkten Fassung nach Hauptantrag nicht mehr aufrechterhalten und es sind auch von Seiten des Senates keine Gründe ersichtlich, an der Ausführbarkeit der Ansprüche zu zweifeln.
62
3. Die Biege-und-Härt-Station nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ist nach Auffassung des Senats neu, was auch von der Klägerin weder schriftsätzlich noch in der Verhandlung in Abrede gestellt worden ist.
63
4. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
64
Zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist zu klären, ob der Fachmann Veranlassung hatte, den Stand der Technik weiter zu entwickeln. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die technische Entwicklung erfahrungsgemäß nicht notwendigerweise diejenigen Wege geht, die sich bei nachträglicher Analyse der Ausgangsposition als plausibel oder sogar mehr oder weniger zwangsläufig darstellen bzw. dass nicht bereits die Kenntnis eines zum allgemeinen Fachwissen gehörenden technischen Sachverhaltes von vornherein eine Veranlassung impliziert. Vielmehr ist es erforderlich, dass dieser Stand der Technik dem Fachmann Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstige Anlässe dafür vermittelt, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (vgl. BGH GRUR 2009, 746 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; BGH GRUR 2009, 743 – Airbag-Auslösesteuerung).
65
Diesen Grundsätzen folgend bedurfte es eines erfinderischen Zutuns, die im Patentanspruch 1 angegebene Biege-und-Härt-Station zur Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe bereitzustellen. Denn keines der vorliegenden Dokumente vermittelt dem Fachmann eine Anregung dahingehend, eine Reihe von Presswalzen entsprechend dem patentgemäßen Merkmal 4.1 in einer unteren Arbeitsposition durch eine Federkraft elastisch nach unten zu drücken, um so zur Verbesserung der optischen Eigenschaften des Glases ein Überhitzen der Glasscheibe zu vermeiden.
66
Dies trifft auch auf die einleitend in der Streitpatentschrift im Zusammenhang mit der Darlegung des zum Prioritätstag des Streitpatentes bekannten Standes der Technik zitierten (vgl. NK1, Sp. 1, Abs. [0001], Sp. 2/3, Abs. [0012]) und von der Klägerin im vorliegenden Fall als Ausgangspunkt für die Bereitstellung des streitpatentgemäßen Gegenstandes nach Patentanspruch 1 diskutierten Druckschrift NK5/D3 zu.
67
Diese Druckschrift betrifft eine Biege-und-Härt-Station für Glasscheiben, die einen Rollenförderer aufweist, der aus Rollen besteht, denen jeweils ein Zylinder zugeordnet ist (vgl. NK5/D3, Patentanspruch 1 i. V. m. Sp. 1, Z. 12 bis 24, Fig. 3 und 4). Durch Einstellung der Erweiterung der Kolbenstangen der Zylinder lassen sich die Rollen relativ zueinander in vertikaler Richtung bewegen, um den Rollenförderer entsprechend der gewünschten Wölbung der Glasscheibe zu wölben (vgl. NK5/D3, Sp. 5, Z. 50 bis 55 i. V. .m. Fig. 4). Die Biege-und-Härt-Station umfasst des Weiteren untere und obere Härtkästen, die an ihren Ober- bzw. Unterseiten mit Härtdüsen ausgerüstet sind (vgl. NK5/D3, vgl. Sp. 5, Z. 56 bis 67, Sp. 6, Z. 11 bis 14 i. V. m. Fig. 4). An den oberen Härtkästen sind Heißluftdüsen angebracht, die einen zusätzlichen Druck aufbringen (vgl. NK5/D3, Sp. 3, Z. 30 bis 32, Sp. 6, Z. 26 bis 42). Die Anwendung eines mechanischen Pressdruckes auf die zu biegende Glasscheibe ist zudem nicht erwünscht, weil dieser zu Fehlstellen im Glas führt (vgl. NK5/D3, Sp. 1, Z. 34 bis 68 i. V. m. Sp. 3, Z. 30 bis 32). Demzufolge regt die Lehre der NK5/D3 weder ein zusätzliches mechanisches Pressbiegen mittels einer Reihe von Presswalzen an, noch ein elastisches nach unten Drücken der Walzen durch eine Federkraft. Eine Biege-und-Härt-Station für Glasscheiben, wie im geltenden Patentanspruch 1 des Hauptantrages angegeben, kann die Entgegenhaltung NK5/D3 demnach nicht nahelegen.
68
Hinweise zur Lösung der Aufgabe die patentgemäßen Maßnahmen zu ergreifen, erhält der Fachmann auch nicht aus dem Dokument NK4/D2.
69
Aus der Entgegenhaltung NK4/D2 ist ebenfalls eine Vorrichtung zum Wölben von Glasscheiben bekannt (vgl. NK4/D2, Patentanspruch 1, Fig. 1, 2, 5 und 6), bei der die vom Ofen kommende und auf Erweichungstemperatur erwärmte Glasscheibe durch mehrere gerade Transportstäbe in den eigentlichen Verformungsbereich befördert wird. Wenn sich die Scheibe im Verformungsbereich befindet, wird zunächst eine Anpressvorrichtung von oben auf die Oberfläche der Glasscheibe abgesenkt. Zeitlich abgestimmt mit der nach unten gerichteten Bewegung der Anpressvorrichtung werden die Transportstäbe in eine Verformungsstellung gebracht, wodurch sich die plastische Glasscheibe in die gewünschte Form biegt (vgl. NK4/D2, Patentansprüche 1 und 5, S. 4, Z. 10 bis Z. 20, S 4/5, übergr. Abs., S. 11, Z. 1 bis 5). Die Anpressvorrichtung gemäß NK4/D2 wird durch eine Andruckrolle mit einem Andruckzylinder gebildet, die sich exakt senkrecht über einer geraden Transportrolle, entsprechend einem Gegenlager, befindet, so dass kein Biegemoment entstehen kann, das zu einer Querwellenverformung der Glasscheiben führen könnte (vgl. NK4/D2, Patentansprüche 2 bis 4, S. 4, Z. 20 bis 24, Fig. 2). Die Andruckrolle dient einerseits zur Führung der noch planen Glasscheibe und andererseits zur Gewährleistung einer gleichmäßigen Wölbung ohne optische Fehler auch extrem dünner Glasscheiben (vgl. NK4/D2, S. 3, Z. 30 bis 33). Damit führt die Lehre der NK4/D2 vom Patentgegenstand jedoch weg, da diese entgegen der streitpatentgemäßen Vorrichtung die Verwendung lediglich einer einzigen Andruckrolle vorschlägt, um den Wärmeübergang zwischen Rolle und Glasscheibe, sowie den Gegenwalzeffekt zu minimieren (vgl. NK4/D2, S. 2, Z. 8 bis 19 i. V. m. S. 6, Z. 3 bis 8).
70
Folglich liefert die Druckschrift NK4/D2 dem Fachmann selbst bei einer kombinierten Betrachtung mit der Lehre der NK5/D3 keine Hinweise dafür, die oberen Härtkästen mit einer Reihe von Presswalzen auszurüsten, wobei die Walzen in einer unteren Arbeitsposition durch eine Federkraft elastisch nach unten gedrückt werden.
71
Der Einwand der Klägerin, dass die NK5/D3 alle Merkmale des verteidigten Patentanspruchs 1 mit Ausnahme der patentgemäßen Merkmale 3 bis 4.1 vorwegnehme und dem Fachmann ohne weiteres die Möglichkeit zur Verfügung gestanden habe, den durch die Heißluftdüsen zusätzlich aufgebrachten Druck durch Andruckrollen, wie sie in NK4/D2 beschrieben seien, zu realisieren, vermag den Senat nicht zu überzeugen. Der Klägerin ist zwar insofern zu zustimmen, als in Spalte 6, Zeilen 38 bis 42 der NK5/D3 entnommen werden kann, dass das Schwerkraftbiegen durch den Blasdruck der Heißluftdüsen unterstützt wird. Allerdings haben die Heißluftdüsen den weiteren Zweck, dass sie die Abkühlrate der Glasscheibe verlangsamen. Dies bietet zum einen den Vorteil, dass das Glas nicht – wie es beim kombinierten Press-Gravitationsbiegen – überhitzt werden muss und dadurch eine Glaserweichung vermieden wird. Zum anderen können die Fehlstellen im Glas minimiert werden, da kein mechanisches Pressbiegen zur Formgebung angewendet wird (vgl. NK5/D3, Sp. 3, Z. 33 bis 38 i. V. m. Sp. 6, Z. 34 bis 38). Der Fachmann war damit nicht veranlasst, anstelle der Heißluftdüsen einen zusätzlichen mechanischen Druck aufzubringen, denn nach NK5/D3 soll ein mechanisches Pressbiegen gerade vermieden werden (vgl. NK5/D3, Sp. 3, Z. 30 bis 32). Auch in der NK4/D2 wird darauf hingewiesen, dass zur Minimierung des Wärmeaustausches der Kontakt der Andruckrolle mit der Glasscheibe nur in einem sehr kleinen Flächenbereich bestehen soll, um die Scheibe auf der gewünschten hohen Biegetemperatur zu halten (vgl. NK4/D2 S. 6 Z. 3 bis 8). Von daher bestand für den Fachmann selbst bei einer kombinierten Betrachtung der NK5/D3 und der NK4/D2 keine Veranlassung, die Heißluftdüsen durch eine Vielzahl von Presswalzen zu ersetzen.
72
Anregungen, die in Richtung der patentgemäßen Lösung weisen, erhält der Fachmann auch aus den ebenfalls mit der Herstellung von gebogenen Glasscheiben befassten Druckschriften NK6/D4, NK7/D5 und NK3/D1 nicht.
73
Aus der NK6/D4 ist ihm eine Pressbiege-Station bekannt, bei der die Glasscheibe zwischen Presswalzen gebogen wird (vgl. NK6/D4, Patentanspruch 1 i. V. m. Sp. 7, Z. 66 bis 75, Sp. 12, Z. 44 bis 49, Fig. 2, 5 bis 8 und 15 bis 19), wobei die oberen Presswalzen durch eine Federkraft elastisch nach unten gedrückt werden können (vgl. NK6/D4, Sp. 15, Z. 22 bis 36 i. V. m. Fig. 22, Bezugszeichen 46 und 262). Nachdem die Vorrichtung weder eine kombinierte Biege-und-Härt-Station mit einem Rollenförderer umfasst, bei dem die vertikale Position der Rollen zueinander verstellbar ist, um den Förderer zu einer Krümmung zu wölben, die einem gewünschten Grad der Biegung entspricht, noch an den oberen Härtkästen angebrachte Presswalzen aufweist, erschließen sich dem Fachmann daraus zwar die patentgemäßen Merkmale 4 und 4.1, nicht aber die patentgemäßen Merkmale 1 bis 3.
74
Bei der Vorrichtung der Druckschrift NK7/D5 handelt es sich um eine Biege-und-Härt-Station mit einem Rollenförderer, der eine vorgegebene Krümmung aufweist. Die Biegung der Glasscheibe erfolgt zwischen paarweise übereinander angeordneten Förder- und Halterollen, wobei die Position der oberen Halterollen in Abhängigkeit von der Glasdicke einstellbar ist (vgl. NK7/D5, Patentanspruch 1 i. V. m. Sp. 3, Z. 2 bis 19, Sp. 3, Z. 29 bis 46, Sp. 5, Z. 66 bis Sp. 6, Z. 2, Fig. 1 und 2). Nachdem bei der Vorrichtung weder die vertikale Position der Rollen bzw. der Härtkästen zueinander verstellt werden kann, um den Förderer zu einer Krümmung zu wölben, noch die oberen Halterollen an den oberen Härtkästen angebracht sind und diese durch eine Federkraft elastisch nach unten gedrückt werden, erschließt sich dem Fachmann die patentgemäße Merkmalskombination 1.1.1, 2, 3 und 4.1 auch durch die Angaben der NK7/D5 nicht.
75
Schließlich führt die Berücksichtigung der Druckschrift NK3/D1 ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage. In diesem Dokument wird eine Biege-und-Härt-Station für Glasscheiben beschrieben, die eine obere und eine untere Biegeplatte umfasst, wobei beide Platten Quenchrohre mit Quenchöffnungen für die Härtung der Glasscheibe aufweisen. Die untere Biegeplatte wird mittels Aktuatoren entsprechend der gewünschten Biegung der Glasscheibe verformt. Die obere Biegeplatte verformt sich aufgrund ihres Eigengewichtes entsprechend der Krümmung der unteren Platte (vgl. NK3/D1, Patentanspruch 1 i. V. m. Sp. 4 Z. 20 bis 34, Fig. 1, 4, 9 und 10). Während des Biegevorganges wird die Glasscheibe durch Laufräder, die an den oberen Quenchrohren befestigt sind, hin- und her bewegt, um die Biegekraft auf eine größere Oberfläche zu verteilen und dadurch mögliche Fehlstellen im Glas durch Rollenmarkierung und Pressflächenverzerrung zu vermeiden (vgl. NK3/D1, Sp. 2, Z. 24 bis 28, Sp. 5, Z. 58 bis Sp. 6, Z. 8 i. V. m. Fig. 4 und 6). Da mit dieser Biege-und-Härt-Station die Glasscheibe durch Schwerkraftbiegen gebogen wird und zudem Rollenmarkierungen durch die oberen Walzen vermieden werden sollen, wird dem Fachmann keine Anregung dahingehend vermittelt, ausgehend von einer Vorrichtung gemäß NK3/D1, die Laufräder an den oberen Quenchrohren als Presswalzen auszugestalten, die durch eine Federkraft elastisch nach unten gedrückt werden, um eine zusätzliche Presskraft auf die Glasscheibe aufzubringen.
76
5. Der Patentanspruch 1 in der gemäß Hauptantrag verteidigten Fassung hat daher Bestand. Mit ihm haben die darauf rückbezogenen, vorteilhaften Ausführungsformen des Patenanspruchs 1 betreffenden Patentansprüche 2 bis 7 ebenfalls Bestand.
III.
77
Die Kostenentscheidung im beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
78
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.


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