Patent- und Markenrecht

Patentnichtigkeitsklageverfahren – “Vorrichtung wie Lasthebevorrichtung, Manipulator, Roboter” – zur Zulässigkeit einer Patentnichtigkeitsklage bei Konzernunternehmen – zur Zulässigkeit einer Nebenintervention eines Kooperationspartner

Aktenzeichen  3 Ni 22/17

Datum:
11.12.2018
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2018:111218U3Ni22.17.0
Normen:
§ 81 PatG
§ 242 BGB
§ 66 ZPO
Spruchkörper:
3. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das deutsche Patent 10 2012 212 337
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2018 durch den Vorsitzenden Richter Schramm sowie die Richter Kätker, Dr.-Ing. Fritze, Dr.-Ing. Schwenke und Dipl.-Ing. Univ. Gruber
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits und die Kosten der Nebenintervention.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 13. Juli 2012 beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldeten Patents 10 2012 212 337 (Streitpatent), dessen Erteilung am 25. Juni 2015 veröffentlicht wurde. Das Streitpatent, das in vollem Umfang und hilfsweise beschränkt mit einem Hilfsantrag verteidigt wird, trägt die Bezeichnung „Manipulator oder dergleichen“ und umfasst fünf Patentansprüche, deren Patentanspruch 1 wie folgt lautet:
2
„Vorrichtung wie Lasthebevorrichtung, Manipulator, Roboter, die zur Verwendung in der metallurgischen Industrie beim Freiformschmieden, beim Gesenkschmieden, in Ringwalzanlagen, in Wärmebehandlungsanlagen, bei Abschlackungsvorgängen in Stahlwerken und bei Reduktionsöfen und dergleichen bestimmt ist, mit einer, gegebenenfalls verfahrbaren und/oder um eine Hochachse drehbaren, Basis (2) und mit zumindest zwei Armen, wobei der erste Arm (4) um eine horizontale Basisachse (3) der Basis (2) verschwenkbar gelagert ist und der zweite Arm (6) um eine am freien Ende des ersten Arms (4) parallel zur Basisachse (3) verlaufende Armachse (5) verschwenkbar gelagert ist, wobei die Winkellage zwischen den Armen (4, 6) durch ein Getriebe zwangläufig mit der Winkellage des ersten Arms bezüglich der Basis (2) gekoppelt ist, wodurch die Bewegung des freien Endes des zweiten Arms im Wesentlichen horizontal erfolgt, derart, dass die beiden Arme eine Durchschwenkkinematik bilden, bei der bei fluchtenden Armen das freie Ende des zweiten Arms (6) der Basis (2) näher liegt als das freie Ende des ersten Arms (4), wobei am freien Ende des zweiten Arms (6) ein Hebel (18) um eine zur Basisachse (3) parallele Handachse (7) schwenkbar gelagert ist, dadurch gekennzeichnet, dass am zweiten Arm (6), um die Handachse (7) drehbar, ein weiterer Hebel (8) gelagert ist, dessen Drehung durch einen am Hebel (18) angreifenden Antrieb (19) erfolgt und an dessen freiem Ende ein Lastträger (9) ausgebildet ist.“
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Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen weiteren Patentansprüche wird auf die Patentschrift DE 10 2012 212 337 verwiesen.
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Die Klägerin, die das Streitpatent in vollem Umfang angreift, ist ein niederländisches Unternehmen, das 2015 mitsamt der weitere Unternehmen umfassenden Holding von einer zum (deutschen) Konzern der Beklagten gehörenden Holding übernommen und in diese eingegliedert worden ist.
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Die Klägerin macht den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend. Sie stützt ihr Vorbringen auf folgende Dokumente:
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E1 Anlagenkonvolut E1.1 – E1.10 betreffend die Geltendmachung der offenkundigen Vorbenutzung eines Crustbreakers (Angebot und Lieferung
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an C…)
8
E2 Anlagenkonvolut E2.1 – E2.4 betreffend die Geltendmachung der offenkundigen Vorbenutzung eines Crustbreakers (G…)
9
E3 Anlagenkonvolut E3.1 – 3.5 betreffend die Geltendmachung der offenkundigen Vorbenutzung eines Crustbreakers (Messeausstellung)
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D1 CH 380469 A
11
D2 DE 33 17 443 C2
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D3 DE 39 13 655 A1
13
D4 EP 0 158 722 B1
14
D5 EP 0 181 490 B1
15
D6 GB 1 244 940 A
16
D7 GB 2 022 046 A
17
D8 US 3,995,746 A
18
D9 US 4,019,256 A
19
D10 US 4,548,544 A
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D11 WO 2006/090015 A1
21
D12 WO 2010/024689 A1
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Die Klägerin hält den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht für patentfähig. Bei zutreffender Auslegung der Merkmale des Anspruchs sei er durch die offenkundige Vorbenutzung eines von der Klägerin hergestellten und ausgelieferten sowie auf einer Messe ausgestellten Crustbreakers gemäß den Anlagen-Konvoluten E1 und E3 neuheitsschädlich vorweggenommen, ebenso durch einen von einem anderen Hersteller produzierten an einem Kran angeordneten Manipulatorarm gemäß dem Anlagen-Konvolut E2. Insbesondere sei das Merkmal 1.7, wonach am zweiten Arm ein weiterer Hebel um die Handachse drehbar gelagert sei, verwirklicht, da der an einem dreieckförmigen Hebel drehbar gelagerte zweite Hebel zwangsläufig zusammen mit einem um die Handachse drehbar gelagerten (ersten) Hebel gedreht werde.
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Der Crustbreaker gemäß Anlagenkonvolut E1 sei vor dem Anmeldetag des Streitpatents von der Klägerin vorbehaltlos und ohne Geheimhaltung angeboten und damit offenkundig geworden. Zudem sei er in einem unverpackten Zustand an das Frachtunternehmen überführt worden und spätestens durch seinen Einsatz beim Kunden einer unbeschränkten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Zudem sei er auf der Messe M… 2003 in D… öffentlich ausgestellt worden, wie
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aus dem Konvolut E3 hervorgehe.
25
Weiter sei der Gegenstand des Patentanspruchs 1 durch die offenkundige Vorbenutzung eines an einem Kran angeordneten Manipulatorarms gemäß dem Anlagenkonvolut E2 vorweggenommen, der bereits im Jahr 1996 von der G…
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GmbH hergestellt und auch öffentlich benutzt worden sei.
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Zum Beleg der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen verweist die Klägerin auf die o.g. Anlagenkonvolute E1 bis E3. Ergänzend hat sie eine eidesstattliche Versicherung ihres Sales Director / Sales Manager vom 7. Dezember 2018 vorgelegt und bietet die Vorlage weiterer eidessstattlicher Versicherungen an.
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Sofern der Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung nicht bereits als neuheitsschädlich anzusehen sein sollte, lege er den Gegenstand des Patentanspruchs 1 zumindest nahe, so dass dieser jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Die willkürliche Anordnung des Manipulatorarms bzw. des Hebels 8 am (ersten) Hebel 18 könne keine erfinderische Tätigkeit begründen. Es sei unerheblich, an welcher Stelle der Hebel 18 angeordnet sei bzw. um welche Achse herum er drehbar gelagert sei. Da die durch den ersten und zweiten Arm und ihre Koppelung miteinander gebildete Durchschwenkkinematik der horizontalen Bewegung des Manipulatorarms diene, wobei die Arm-Drehgelenke im Sinne eines Hebelparallelogramms mit einem Hebel miteinander verbunden seien, sei es unerheblich, an welchem seiner Punkte dieser Hebel mit den Teilen der Durchschwenkkinematik verbunden werde. Der Manipulatorarm könne im Grunde an jedem beliebigen Punkt des Hebels, der letztlich nur eine Art Montageplatte darstelle, angeordnet werden. Das Streitpatent gebe angesichts der willkürlichen Anordnung des Hebels 8 irgendwo am Hebel 18 auch keine Wirkung des Merkmals 1.7 an. Eine Doppelverbindung von zwei Elementen über eine einzige Verbindungsstelle sähen auch die offenkundig vorbenutzten Maschinen vor.
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Die bloße Auswahl aus zwei auf der Hand liegenden Verbindungsmöglichkeiten könne keine erfinderische Leistung begründen. Im Übrigen wäre der Fachmann auch zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 gelangt, wenn er eine Kraftverringerung bewirken wollte, wobei er den Abstand zwischen den Verbindungspunkten des Hebels und dessen Antriebstange vergrößern würde.
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Auch die Gegenstände der Unteransprüche seien nicht patentfähig. Entsprechendes gelte für die Gegenstände des Hilfsantrags.
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Die Klägerin beantragt,
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das deutsche Patent 10 2012 212 337 für nichtig zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung des Hilfsantrags 1 gemäß Schriftsatz vom 29. Oktober 2018 erhält.
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Die Nebenintervenientin beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 entspricht dem erteilten Patentanspruch 1 mit dem Unterschied, dass folgendes Merkmal angehängt wird:
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„… und dass das Getriebe ein Gestänge, oder eine Verzahnung oder biegeschlaffe Zugmittel mit Umlenkrollen umfasst.“
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Patentanspruch 2 wird gestrichen. Die Nummerierung und die Rückbezüge der weiteren Patentansprüche werden angepasst.
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Die Beklagte und die Nebenintervenientin treten dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie verweisen auf folgende Dokumente:
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Beklagte:
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Stellungnahme von Herrn Ing. E… (undatiert)
43
Nebenintervenientin:
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Anlage 1: Kooperationsvertrag zwischen E1…GmbH und D…
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GmbH vom Juni 2012 mit Anlagen 1
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und 2
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Anlage 2: Screenshot mit Artikel aus Südwestfalen Manager
48
Anlage 3: Auszug aus JAHRBUCH STAHL 2017 Bd. 2, S. 39-41
49
Anlage 4: Auszug aus dem niederländischen Handelsregister, KvK-nummer 09114043
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Anlage 5: Auszug aus dem niederländischen Handelsregister, KvK-nummer 09083033
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Nach Auffassung der Nebenintervenientin, die mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2018 dem Verfahren auf Seiten der Beklagten beigetreten ist und bei der es sich um das Unternehmen des Erfinders handelt, fehlt der Klägerin die „Aktivlegitimation“. Als Konzernschwester der Beklagten müsse sie sich diejenigen Einwendungen entgegen halten lassen, die gegenüber einer Nichtigkeitsklage der Patentinhaberin erhoben werden könnten, so dass das Rechtsschutzbedürfnis der Nichtigkeitsklägerin in gleicher Weise zu verneinen sei wie das Rechtsschutzbedürfnis der Patentinhaberin an einer eigenen Nichtigkeitsklage gegen ihr Patent. Die Nebenintervenientin weist auf einen zwischen ihr und der Beklagten abgeschlossenen Kooperationsvertrag hin, nach dem ihr eine umsatzorientierte Erfindervergütung zusteht. Nach § 4 Nr. 8 des Vertrags hat die Beklagte, wenn sie das Patent nicht mehr weiterführen will, dieses der Nebenintervenientin kostenfrei anzubieten und bedarfsweise kostenfrei an sie zu übertragen. Nachdem zwischen der Beklagten und der Nebenintervenientin ein Rechtsstreit über deren Erfindervergütung anhängig sei, habe die Nebenintervenientin Anlass zu der Befürchtung, dass die Beklagte der Nichtigkeitsklage nicht mit der gebotenen Sorgfalt entgegen trete.
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Die Beklagte bestreitet die von der Klägerin geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung gemäß Anlagenkonvolut E1, während die Nebenintervenientin sämtliche der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen bestreitet. Im Übrigen sei der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber den geltend gemachten Vorbenutzungen auch patentfähig, selbst wenn man diese zugunsten der Klägerin als offenkundig vorbenutzt unterstelle. Nach Auffassung der Beklagten ist zumindest das Merkmal 1.7 nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Klägerin könne die darin geforderte Lagerung des weiteren Hebels (8) um die Handachse (7) nur als unmittelbare Lagerung verstanden werden. Ansonsten wäre der Inhalt des Anspruchs angesichts der darin mehrfach vorgesehenen Lagerungen völlig unbestimmt und würde nahezu jede denkbare Kinematik erfassen.
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Nach Auffassung der Nebenintervenientin ist auch das Merkmal 1.4, wonach die Winkellage zwischen den Armen durch ein Getriebe zwangsläufig mit der Winkellage des ersten Arms bezüglich der Basis gekoppelt ist, nicht erfüllt. Den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen sei nicht eindeutig entnehmbar, ob und ggf. wie eine Bewegung des „zweiten Arms“ mit der Bewegung des „ersten Arms“ gekoppelt sei. Eine direkte Bewegungsübertragung von der Lenkstange an den zweiten Arm erfolge – entgegen der im vorterminlichen Hinweis geäußerten Vermutung des Senats – nicht.
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Zudem beruhe der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auf erfinderischer Tätigkeit. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei nicht ersichtlich, welchen Anlass der Fachmann gehabt haben sollte, die Konfiguration gemäß der angeblichen Vorbenutzung so abzuändern, dass er zum Gegenstand des Streitpatents gelangt wäre. Der angeblich vorbenutzte Crustbreaker der Klägerin weise keine erfindungsgemäße Durchschwingkinematik mit einer Zwei-Arm-Durchschwenk-Kinematik auf sondern zeige eine Drei-Arm-Brücken-Kinematik, d.h. eine Parallelführung mit drei Armen, bei der ein Durchschwenken des zweiten Arms nicht vorgesehen sei.
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Auch die Gegenstände der Unteransprüche seien patentfähig. Erst recht seien die Gegenstände des Hilfsantrags patentfähig. Die in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag enthaltene Ausgestaltung des Getriebes werde in der angeblichen Vorbenutzung weder offenbart noch nahe gelegt.

Entscheidungsgründe

I.
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1. Die auf den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit (§ 2 Abs. 1 PatG i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) gestützte Klage ist zulässig. Entgegen der Auffassung der Nebenintervenientin ist die Klägerin nicht an der Klage gehindert. Die Nichtigkeitsklage ist als Popularklage ausgestaltet, so dass sich die Frage der Aktivlegitimation und der Klagebefugnis nicht stellt.
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Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass die Klage vorliegend unzulässig ist. Die Ausgestaltung der Nichtigkeitsklage als Popularklage setzt der Möglichkeit, einem Kläger den Zutritt zum Nichtigkeitsverfahren aus in seiner Person liegenden Gründen zu versagen, von vornherein enge Grenzen. Zulässig ist die Klage jedenfalls dann, wenn die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Klägers aus dem angegriffenen Patent besteht. Die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage kann hier nur verneint werden, wenn lediglich das theoretische Risiko einer Inanspruchnahme besteht (BGH GRUR 2010, 992, 993 – Ziehmaschinenzugeinheit II; Busse, PatG, 8. Aufl., § 81 Rn. 82 m. w. N.).
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Nach diesen Grundsätzen fehlen hier zureichende Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin kollusiv mit der Beklagten als ihrer Konzernschwester versucht, mit Hilfe der Nichtigkeitsklage die Rechtsposition der Nebenintervenientin zu schwächen, indem sie einerseits durch die erstrebte Nichtigerklärung die vertragliche Vergütung der Nebenintervenientin (§ 4 Nr. 1 Kooperationsvertrag) – jedenfalls für die Zukunft – vermeidet, andererseits die Pflicht zur Übertragung des Patents auf die Nebenintervenientin (§ 4 Nr. 8 Kooperationsvertrag) umgeht, was für eine Klagehinderung nach Treu und Glauben sprechen könnte.
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Denn auch wenn sich das Patent in der Hand der Beklagten und damit einer Konzernschwester der Klägerin befindet, so weist es aus der Sicht der Klägerin den „Makel“ auf, dass es mit der in § 4 Nr. 8 des Kooperationsvertrages geregelten Klausel behaftet ist, wonach die Beklagte, sollte sie das Patent nicht mehr weiterführen wollen, dieses der Nebenintervenientin anzubieten und ggf. an sie zu übertragen hat. Sollte diese Bestimmung zur Anwendung gelangen, so muss die Klägerin damit rechnen, dass das Schutzrecht an die Nebenintervenientin, also den Betrieb des Erfinders, zurückfällt und von ihr anderweitig verwertet wird. Dies würde – wie der Erfinder und Geschäftsführer der Nebenintervenientin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – naheliegend dadurch geschehen, dass das Patent bzw. eine Lizenz daran einem Unternehmen angeboten wird, das mit der Klägerin und ihrem Konzern konkurriert. Die Klägerin müsste dann befürchten, von diesem konkurrierenden Unternehmen aus dem Streitpatent in Anspruch genommen zu werden.
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Nachdem zwischen der Beklagten und der Nebenintervenientin bereits Rechtsstreitigkeiten über die Vergütung wegen unterschiedlicher Vorstellungen über die Werthaltigkeit des Patents vor dem Hintergrund von Vorbenutzungen (auch eines konkurrierenden Unternehmens) anhängig sind, muss die Klägerin inzwischen auch befürchten, dass die Beklagte und die Nebenintervenientin ihre Geschäftsbeziehungen in absehbarer Zeit beenden, so dass der in § 4 Nr. 8 des Kooperationsvertrags vorgesehene Fall eintreten kann und das Patent an den Betrieb des Erfinders „zurückfällt“. Angesichts der zu erwartenden Dauer eines Nichtigkeitsverfahrens wird ihr ein Zuwarten bis zu einer etwaigen Übertragung des Schutzrechts auf die Nebenintervenientin auch kaum zugemutet werden können.
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Zudem besteht keine enge Konzernverflechtung zwischen der Klägerin und der Beklagten. Die niederländische H… B.V., zu der die Klägerin gehört,
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ist erst 2015 aufgekauft und unter Erhalt ihrer Konzernstruktur mit ihren Tochterunternehmen (darunter die Klägerin) in den Konzern der Familien D1… und
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D2… eingegliedert worden, dort wiederum in eine Holding (D3…
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GmbH & Co. KG). Angesichts dieser gewissen Eigenständigkeit, die
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die Hencon-Unternehmensfamilie innerhalb des D1… und D2 …– Konzerns
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behalten hat, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die niederländische Unternehmensfamilie der Klägerin ganz oder teilweise wieder veräußert werden kann, womit sich für diese wieder ein Konkurrenzverhältnis zur Beklagten ergeben würde. Für eine Klagehinderung aus Treu und Glauben fehlen damit zureichende Anhaltspunkte.
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Aus den gleichen Gründen muss sich die Klägerin auch nicht nach Treu und Glauben die in der Person der Beklagten begründeten Einwendungen entgegenhalten lassen, wonach diese an der Klage gehindert ist, sei es nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, wonach der Patentinhaber nicht selbst Kläger sein kann (vgl. Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 6. Aufl., S. 98 (Rn. 134) m. w. N.), sei es – was hier offen bleiben kann – dass sich aus den Bestimmungen des Kooperationsvertrages eine Nichtangriffspflicht ergibt. Voraussetzung hierfür wäre, dass die Klägerin als Strohmann vorgeschoben ist, der ohne jedes eigene Interesse zwar im eigenen Namen, aber im Auftrag und Interesse eines Dritten (hier: der Patentinhaberin) klagt (vgl. Busse, a. a. O., § 81 Rn. 94). Es kann jedoch schon nicht festgestellt werden, dass die Klägerin wie ein Beauftragter den Weisungen der Beklagten als Hintermann unterworfen ist. Jedenfalls schließt ein ins Gewicht fallendes eigenes Interesse an der Nichtigerklärung die Strohmanneigenschaft aus. Dieses kann aus den o. g. Gründen nicht verneint werden.
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2. Zulässig ist auch der Beitritt der Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten (§ 66 ZPO i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG). Insbesondere hat die Nebenintervenientin ein rechtliches Interesse am Obsiegen der Beklagten dargetan. Sie hat unwidersprochen und belegt durch Vorlage eines Kooperationsvertrages vorgetragen, dass sie als Unternehmen des Erfinders Kooperationspartnerin der Beklagten ist und an deren Umsatz mit patentgeschützten Produkten beteiligt ist (§ 4 Nr. 1 Kooperationsvertrag). In dem Fall, dass die Beklagte ihr Patent nicht mehr weiterführen will, hat die Nebenintervenientin ein Recht auf kostenfreien Erwerb und Übertragung des Patents auf sich (§ 4 Nr. 8 Kooperationsvertrag). Damit hat die Nebenintervenientin kein bloßes Popularinteresse bzw. ein nur wirtschaftliches oder tatsächliches Interesse am Bestand des Streitpatents. Vielmehr stehen ihr vertragliche Rechte aus dem Patent zu, die sie im Falle der Nichtigerklärung verlieren würde. Sie hat daher ein rechtliches Interesse am Obsiegen der Beklagten, was die Hauptparteien im Übrigen auch nicht in Abrede gestellt haben.
II.
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1. Das Streitpatent betrifft einen Manipulator oder dergleichen mit einer ebenen Kinematik, welcher zur Verwendung in der metallurgischen Industrie beim Freiformschmieden, beim Gesenkschmieden, in Ringwalzanlagen, in Wärmebehandlungsanlagen, bei Abschlackungsvorgängen in Stahlwerken und bei Reduktionsöfen und dergleichen günstig, insbesondere energiesparend, zur möglichst geradlinigen Bewegung in zwei unterschiedlichen Richtungen eingesetzt werden kann (Abs. [0001]).
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Gemäß der Beschreibung ist im Stand der Technik eine große Zahl von Anwendungen für das Bewegen von Lasten aller Art bekannt, worunter auch Werkzeuge und ähnliches verstanden würden, bei denen es darauf ankomme, mittels einer möglichst massearmen Vorrichtung die Last über möglichst große Strecken zu bewegen und dabei über die gesamte Bewegungslänge eine möglichst gleichmäßige Kraft zu benötigen. Eine zusätzliche Forderung sei es, die (ebene) Bewegung der Last entlang zweier zueinander orthogonaler Achsen, meist der horizontalen und der vertikalen, zuzulassen und dabei Vorkehrungen zu treffen, die es auf einfache Weise ermöglichten, eine Bewegung in der einen Richtung unabhängig von der Bewegung in der anderen Richtung durchführen zu können, ohne dabei umfangreiche und komplexe Steuerungen mit den dabei notwendigen Sensoren etc. zu benötigen. Aus der Druckschrift DE 39 13 655 A1 sei eine Knickarm-Schwenkvorrichtung bekannt, die eine Basis mit einem ersten Arm und einem zweiten Arm aufweise, wobei der erste Arm um eine horizontale Basisachse verschwenkbar gelagert sei und der zweite Arm um eine am freien Ende des ersten Arms parallel zur Basisachse verlaufende Armachse verschwenkbar gelagert sei. Die Winkellage zwischen den Armen und einem am zweiten Arm angeordneten Hebel sei durch ein Getriebe zwangläufig gekoppelt, so dass die Bewegung des freien Endes des zweiten Arms im Wesentlichen horizontal erfolge, derart, dass eine mit dem Hebel verbundene Greifzange zwangläufig in einer horizontalen Ebene verfahren werde (Abs. [0012]).
71
2. Vor diesem Hintergrund stellt sich das Streitpatent die Aufgabe, eine derartige Vorrichtung anzugeben (Abs. [0016]).
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3. Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 durch eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen:
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1.1 Vorrichtung wie Lasthebevorrichtung, Manipulator, Roboter, die zur Verwendung in der metallurgischen Industrie beim Freiformschmieden, beim Gesenkschmieden, in Ringwalzanlagen, in Wärmebehandlungsanlagen, bei Abschlackungsvorgängen in Stahlwerken und bei Reduktionsöfen und dergleichen bestimmt ist, mit einer, gegebenenfalls verfahrbaren und/oder um eine Hochachse drehbaren, Basis (2) und mit zumindest zwei Armen,
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1.2 wobei der erste Arm (4) um eine horizontale Basisachse (3) der Basis (2) verschwenkbar gelagert ist und
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1.3 der zweite Arm (6) um eine am freien Ende des ersten Arms (4) parallel zur Basisachse (3) verlaufende Armachse (5) verschwenkbar gelagert ist,
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1.4 wobei die Winkellage zwischen den Armen (4, 6) durch ein Getriebe zwangläufig mit der Winkellage des ersten Arms bezüglich der Basis (2) gekoppelt ist,
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1.5 wodurch die Bewegung des freien Endes des zweiten Arms im Wesentlichen horizontal erfolgt, derart, dass die beiden Arme eine Durchschwenkkinematik bilden, bei der bei fluchtenden Armen das freie Ende des zweiten Arms (6) der Basis (2) näher liegt als das freie Ende des ersten Arms (4),
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1.6 wobei am freien Ende des zweiten Arms (6) ein Hebel (18) um eine zur Basisachse (3) parallele Handachse (7) schwenkbar gelagert ist,
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dadurch gekennzeichnet, dass
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1.7 am zweiten Arm (6), um die Handachse (7) drehbar, ein weiterer Hebel (8) gelagert ist,
81
1.8 dessen Drehung durch einen am Hebel (18) angreifenden Antrieb (19) erfolgt und an dessen freiem Ende ein Lastträger (9) ausgebildet ist.
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4. Bei dem vorliegend zuständigen Fachmann handelt es sich um einen Fachhochschulabsolventen der Fachrichtung Maschinenbau oder mit entsprechendem akademischen Grad, der über eine mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung und Konstruktion von Handhabungsvorrichtungen, insbesondere für die metallurgische Industrie verfügt.
III.
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1. Sowohl für die Prüfung der Patentfähigkeit als auch für die Bestimmung des Schutzbereichs sind Begriffe in den Patentansprüchen so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung der in ihr objektiv offenbarten Lösung versteht (BGH GRUR 2001, 232 – Brieflocher).
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Bei der Auslegung des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist aus Sicht des zuvor unter Punkt II.4 definierten Fachmanns der technische Wortsinn der Merkmale somit nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung der in ihr objektiv offenbarten Lösung zu ermitteln.
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Merkmal 1.1
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Vorrichtung wie Lasthebevorrichtung, Manipulator, Roboter, die zur Verwendung in der metallurgischen Industrie beim Freiformschmieden, beim Gesenkschmieden, in Ringwalzanlagen, in Wärmebehandlungsanlagen, bei Abschlackungsvorgängen in Stahlwerken und bei Reduktionsöfen und dergleichen bestimmt ist, mit einer, gegebenenfalls verfahrbaren und/oder um eine Hochachse drehbaren, Basis (2) und mit zumindest zwei Armen,
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Durch das Merkmal 1.1 des Patentanspruchs 1 ist zunächst gefordert, dass eine Vorrichtung eine Basis und zumindest zwei Arme aufzuweisen hat, wobei die Vorrichtung räumlich und körperlich für den Einsatz in der metallurgischen Industrie, also in einem thermisch belasteten Umfeld, ausgebildet sein soll. Die beanspruchten Arme stellen für den Fachmann längliche Bauteile, Hebel, Stäbe oder Stangen dar. Im Einklang mit diesem fachmännischen Verständnis werden in der Beschreibung der Streitpatentschrift (SPS) und der Offenlegungsschrift (OS) die Begriffe Arm, Stange, Hebel, Achse oder Hand synonym verwendet (vgl. Arme 4, 6, Abs. [0034], Handachsen 4, 6, Abs. [0042]; Steuerstab 16, Steuerarm 16, Abs. [0043]; Hebel 8, Abs. [0035] jeweils der SPS, Hand 8, Abs. [0033] der OS). Dass ein Arm zwingend auch einen an ihm angreifenden Antrieb aufweisen muss, wie von der Nebenintervenientin vorgetragen, ist nicht erkennbar. Unter der lediglich fakultativ definierten Hochachse ist eine Vertikalachse zu verstehen. Der Begriff der Basis bedarf keiner weiteren Erläuterung.
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Merkmal 1.2
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wobei der erste Arm (4) um eine horizontale Basisachse (3) der Basis (2) verschwenkbar gelagert ist,
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Zwischen einer horizontalen Achse 3 der Basis 2 und dem ersten Arm 4 ist ein Lager ausgebildet, über das der Arm 4 mit der Achse 3 verbunden ist und um diese verschwenkt werden kann. Die geforderte Lagerung impliziert für den Fachmann, dass der Arm 4 unmittelbar an der Achse 3 festgelegt und auch unmittelbar um diese verschwenkbar ist. Sicherlich mag, wie von der Klägerin vorgetragen, grundsätzlich ein Arm unter Zwischenschaltung von weiteren Armen, Gestängen, Gelenken oder Lagern auch um eine Achse, wie bspw. eine Azimut- oder Hochachse mittelbar schwenkbar sein, allerdings wäre ein solcher Arm dann für den Fachmann nicht, wie merkmalsgemäß definiert, auch um oder an dieser Achse gelagert. Auch die Beschreibung des Streitpatents i. V. m. dessen Figuren lässt mit Blick auf die weiteren, zur Definition der patentgemäßen Kinematik, insbesondere der einzelnen Arme und Hebel (vgl. Arme 6, Hebel 18 und 8) und deren Schwenkachsen (vgl. Achsen 5, 7 und 21), der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 dienenden Merkmale 1.4, 1.6 und 1.7, entgegen der Auffassung der Klägerin, kein anderes Verständnis zu (vgl. insb. Abs. [0033] bis [0035], [0039] bis [0044] i. V. m den Figuren 1 bis 5 der SPS, schwenkbar oder gelenkig gelagert), als dass der Arm 4 unmittelbar an der Achse 3 schwenkbar festgelegt ist. Ließe man hier eine, wie von der Klägerin vertreten, breite Auslegung dahingehend zu, dass auch ein mittelbar um eine Achse schwenkbarer Arm auf eine schwenkbare Lagerung zwischen Arm und Achse lesbar sein könnte, so wäre dem Patentanspruch 1 keine verständliche Lehre hinsichtlich der patentgemäßen Kinematik mehr zu entnehmen.
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Merkmal 1.3
92
und der zweite Arm (6) um eine am freien Ende des ersten Arms (4) parallel zur Basisachse (3) verlaufende Armachse (5) verschwenkbar gelagert ist,
93
Am nicht über die Basisachse 3 festgelegten Ende oder Endbereich des ersten Arms 4 ist eine ebenfalls horizontale und parallel zur Basisachse 3 orientierte Armachse 5 ausgebildet, an der verschwenkbar ein zweiter Arm 6 unmittelbar festgelegt bzw. gelagert ist (vgl. diesbezüglich obige Ausführungen zum Merkmal 1.2).
94
Merkmal 1.4
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wobei die Winkellage zwischen den Armen (4, 6) durch ein Getriebe zwangläufig mit der Winkellage des ersten Arms bezüglich der Basis (2) gekoppelt ist,
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In Abhängigkeit des Schwenkwinkels des ersten Arms 4 um die Basisachse 3 wird über ein Getriebe stets ein definierter Winkel zwischen den Armen 4, 6 vorgegeben bzw. eingestellt. Ausführungsbeispiele im Streitpatent zeigen hierzu Zahnradgetriebe (vgl. Abs. [0036], Fig. 2, 11, 12) und Gestänge-Konstruktionen (vgl. Abs. [0039], Fig. 3, 4, 5 und 9 der SPS) als mögliche Ausgestaltungen des geforderten Getriebes. Alternativ werden zusätzlich auch biegeschlaffe Zugmittel mit Umlenkrollen (vgl. Patentanspruch 2) im Streitpatent benannt.
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Merkmal 1.5
98
wodurch die Bewegung des freien Endes des zweiten Arms im Wesentlichen horizontal erfolgt,
99
Bei Rotation des ersten Arms 4 um die Basisachse 3 bewegt sich, bedingt durch die Getriebekoppelung, der Endbereich des zweiten Arms 6 im Wesentlichen auf einer Horizontalen (vgl. Abs. [0036], Fig. 4, 9 und 11 der SPS).
100
derart, dass die beiden Arme eine Durchschwenkkinematik bilden, bei der bei fluchtenden Armen das freie Ende des zweiten Arms (6) der Basis (2) näher liegt als das freie Ende des ersten Arms (4),
101
Um die Ausführung der gekoppelten Bewegung zur horizontalen Führung des freien Endes des zweiten Arms 6 gewährleisten zu können, ist definiert, dass die Arme 4, 6 derart ausgebildet bzw. angeordnet sein sollen, dass sie eine Durchschwenkkinematik bilden, die es den Armen 4, 6 ermöglicht, auch eine relativ zueinander fluchtende Position einzunehmen. In dieser fluchtenden Position soll das freie Ende des zweiten Arms 6, also das nicht über die Armachse 5 festgelegte Ende des zweiten Arms 6, näher an der Basis 2 liegen als das freie Ende des ersten Arms 4, also das Ende des ersten Arms 4, an dem die Armachse 5 angeordnet ist. Unter fluchtenden Armen bzw. einer fluchtenden Lage der Arme 4, 6 versteht der Fachmann, dass die Mittelachsen der Arme 4, 6 in einer Seitenansicht zumindest annähernd in einer Ebene liegen und somit fluchten. Bei Drehung des ersten Arms 4 rotiert der zweite Arm 6 gekoppelt um die Armachse 5 relativ zum ersten Arm 4, kann dabei aber auch eine fluchtende Position hinter bzw. vor dem ersten Arm 4 einnehmen, schwingt also bzgl. des ersten Arms 4 durch, ohne dass dies durch eine Kollision der Armkonturen verhindert würde.
102
Entsprechend dieser Sichtweise ist im Streitpatent hierzu im Abs. [0017] beschrieben,
103
„…Unter Durchschwenkkinematik versteht man, dass am freien Ende des ersten Arms der zweite Arm drehbar angelenkt ist, dies allerdings in einer Ebene, die es ihm ermöglicht eine Lage fluchtend (in Seitenansicht) mit dem ersten Arm einzunehmen, wobei das freie Ende des zweiten Arms der Basis des ersten Arms näher liegt als das freie Ende des ersten Arms, der Winkel zwischen den Armen beträgt 180°…“
104
und bspw. in der unten wiedergegebenen Figur 7 eine fluchtende Position des ersten und zweites Arms gezeigt:
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105
Die Ausführungen aus Abs. [0017] der Streitpatentschrift hinsichtlich eines 180°- Winkels zwischen den Armen im Zusammenhang mit der fluchtenden Lage sind dahingehend zu verstehen, dass, um eine fluchtende Position zu erreichen, der zweite Arm relativ zum ersten Arm aus einer Lage, in der der zweite Arm eine zum ersten Arm gerade Verlängerung bildet, um 180° verschwenkt werden muss.
106
Die Klägerin teilt in ihrem Klageschriftsatz vom 13. April 2017 grundsätzlich die obenstehende Auslegung des Begriffs „Durchschwenkkinematik“ (vgl. Klageschriftsatz, S. 9 und 10, „2.1 Vorbemerkung zum Merkmal 1.5“) und merkt zutreffend an, dass nur durch eine konzentrische Lagerung von zwei Armen technisch überhaupt diese Arme eine in der Seitenansicht fluchtende Position einnehmen können.
107
In Übereinstimmung mit der Ansicht der Klägerin impliziert das Merkmal 1.5 eine konzentrische Anordnung der Arme 4, 6 um die Armachse 5. Das Streitpatent zeigt dementsprechend auch in allen Ausführungsbeispielen (vgl. jeweils Armachse 5 in allen Fig. der SPS) eine solche konzentrische Lagerung der Arme 4, 6.
108
Merkmal 1.6
109
wobei am freien Ende des zweiten Arms (6) ein Hebel (18) um eine zur Basisachse (3) parallele Handachse (7) schwenkbar gelagert ist,
110
Am nicht über die Armachse 5 festgelegten Ende oder Endbereich des zweiten Arms 6 ist eine ebenfalls horizontale und parallel zur Basisachse 3 orientierte Handachse 7 ausgebildet, an der verschwenkbar ein nicht näher definierter Hebel 18 unmittelbar festgelegt bzw. gelagert ist (vgl. obige Ausführungen zum Merkmal 1.2).
111
Merkmal 1.7
112
am zweiten Arm (6), um die Handachse (7) drehbar, ein weiterer Hebel (8) gelagert ist,
113
Zusätzlich zum Hebel 18 soll ein weiterer Hebel 8 ebenfalls um die Handachse 7 schwenkbar und an dieser unmittelbar gelagert vorgesehen werden. Es sind also zwei Hebel um dieselbe Achse 7 schwenkbar auszubilden und direkt an der Handachse 7 zu lagern. Wie oben bereits zur Auslegung des Merkmals 1.2 ausgeführt, kann entgegen der Auffassung der Klägerin ein mittelbar um die Handachse 7 schwenkbarer, also bspw. ein mit einem an der Handachse 7 unmittelbar und verschwenkbar gelagerten Zwischenhebel über eine weitere Schwenkachse verbundener Hebel nicht auf den anspruchsgemäßen Hebel 8 und dessen um die Handachse 7 schwenkbare Lagerung am zweiten Arm 6 gelesen werden.
114
Merkmal 1.8
115
dessen Drehung durch einen am Hebel (18) angreifenden Antrieb (19) erfolgt und an dessen freiem Ende ein Lastträger (9) ausgebildet ist.
116
Der Hebel 8 wird nun weiter dahingehend spezifiziert, dass an seinem freien und nicht über die Handachse 7 schwenkbar festgelegten Ende bzw. Endabschnitt ein Lastträger 9 ausgebildet ist. Ein Lastträger könnte beispielsweise ein Zangenelement zum Greifen und Tragen einer Last in Form eines Werkstücks oder eines Werkzeugs sein. Der Hebel 8 wird über einen Antrieb 19 um die Achse 7 gedreht, wobei der Antrieb 19 hierzu an dem anderen Hebel 18 festgelegt ist.
117
2. Das Streitpatent hat in der gemäß Hauptantrag verteidigten Fassung Bestand.
118
2.1 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist neu.
119
Zugunsten der Klägerin kann hier die Offenkundigkeit der von ihr dargelegten Vorbenutzungen dahingestellt bleiben, denn die Vorrichtung gemäß dem Patentanspruch 1 erweist sich ihnen gegenüber als patentfähig.
120
a) Dokumente E1.1 bis E.10
121
Die Vorrichtung gemäß dem Patentanspruch 1 des Streitpatents ist neu gegenüber den Dokumenten E1.1 bis E1.10.
122
Gemäß dem Dokument E1.3 (vgl. S. 4, ITEM 2) ist die vorbenutzte Vorrichtung ein Manipulator zur Verwendung in der metallurgischen Industrie, nämlich bei der Aluminiumschmelze (Crustbreaker for Crust Soderberg Cell). Die wesentlichen Teilansichten aus den Dokumenten E1.2 und E1.10 sind hier als untenstehende Figuren 1 a bis 1 c wiedergegeben und mit Bezugszeichen wie in dem Streitpatent versehen. Sie zeigen, dass dieser Manipulator eine Basis 2 sowie zwei Arme 4, 6 umfasst [Merkmal 1.1], wobei Teile der Vorrichtung von einem ausgefahrenen (vgl. Fig. 1 b) in einen eingeklappten Zustand (vgl. Fig. 1 c) schwenkbar sind. Für den Fachmann erkennbar sind hierzu ein erster Arm 4 um eine horizontale Basisachse 3 der Basis 2 [Merkmal 1.2] und ein zweiter Arm 6 um eine am freien Ende des ersten Arms 4 parallel zur Basisachse 3 verlaufende Armachse 5 verschwenkbar gelagert [Merkmal 1.3], und ebenso geht aus den Darstellungen hervor, dass auch die Winkellage zwischen den Armen 4, 6 durch ein Getriebe in Form einer dort angedeuteten Koppelungs- bzw. Lenkstange 20 zwangsläufig mit der Winkellage des ersten Arms 4 bezüglich der Basis 2 gekoppelt ist [Merkmal 1.4].
123
Aufgrund der konzentrischen Lagerung der Arme 4, 6 um die Armachse 5 rotiert beim Einklappen von der in Figur 1 b in die in Figur 1 c gezeigte Position der zweite Arm 6 im Uhrzeigersinn um die Armachse 5 und schwenkt dabei durch bzw. am ersten Arm 4 vorbei. Dabei nehmen die Arme 4, 6 zwischenzeitlich eine fluchtende Position ein, in der das freie Ende des zweiten Arms 6 der Basis 2 näher liegt als das freie Ende des ersten Arms 4 (vgl. Fig. 1 c). Beide Arme 4, 6 bilden demnach eine anspruchsgemäße Durchschwenkkinematik aus [Merkmal 1.5].
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124
Fig. 1 a
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125
Fig. 1 b Fig. 1 c
126
Am freien Ende des zweiten Arms 6 ist ein dreieckförmiger Hebel 18 um eine zur Basisachse 3 parallele Handachse 7 schwenkbar gelagert [Merkmal 1.6].
127
Darüber hinaus ist auch ein zweiter Hebel 8 gezeigt, der allerdings nicht, wie über das Merkmal 1.7 der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 definiert, um die Handachse 7, sondern um eine weitere, hierzu exzentrische Achse 21 drehbar gelagert ist. Zur Drehung des Hebels 8 greift am Hebel 18 ein Antrieb 19 an, wobei am freien Ende des Hebels 8 auch ein Lastträger 9 vorgesehen ist [Merkmal 1.8].
128
Die Dokumente E1.1 bis E.1.10 offenbaren demnach zumindest nicht das Merkmal 1.7 der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 des Streitpatents.
129
Die Nebenintervenientin hat vorgetragen, die Dokumente E1.1 bis E1.10 würden keine Durchschwenkkinematik im Sinne des Streitpatents bzw. gemäß Merkmal 1.5 der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 offenbaren, da der Arm 4 nicht auf den anspruchsgemäßen ersten Arm gelesen werden könne. Bei dem ersten Arm müsse es sich um einen direkt angetriebenen Arm, wie hier den in Figur 1 b mit dem Bezugszeichen 24 bezeichneten Arm, handeln. Der Nebenintervenientin ist zwar insbesondere mit Blick auf Figur 1 c insoweit zuzustimmen, dass der zweite Arm 6 mit dem Arm 24 keine anspruchsgemäße Durchschwenkkinematik ausbildet, allerdings lässt weder der Anspruchswortlaut eine Einschränkung des ersten Arms auf einen direkt angetriebenen Arm zu, noch kann aus dem übrigen Inhalt des Streitpatents auf eine derartig kategorische Beschränkung geschlossen werden (vgl. obige Ausführungen zum Merkmal 1.1). Demnach bildet der in den Figuren 1 a bis 1 c zu erkennende Arm 4 auch den anspruchsgemäßen ersten Arm aus.
130
Die Nebenintervenientin ist weiterhin der Auffassung, dass aber, selbst bei einer derartigen Zuordnung des Arms 4 auf den geforderten ersten Arm, die Arme 4 und 6 nicht die definierte Durchschwenkkinematik ausbilden würden, da der zweite Arm 6 zwar bezüglich des ersten Arms 4 nicht aber des Arms 24 durchschwenken würde. Diese Argumentation vermag ebenfalls nicht zu überzeugen, da weder dem Anspruchswortlaut noch der Definition im Abs. [0017] der Streitpatentschrift zu entnehmen ist, dass zur Ausbildung einer Durchschwenkkinematik eines ersten und eines zweiten Arms der zweite Arm nicht nur bezüglich des ersten Arms durchschwenkbar sein muss, sondern der zweite Arm zusätzlich auch hinsichtlich eines Hebelparallelogramms (vgl. Bezugszeichen 2, 4, 23, 24 in Fig. 1 b), mit dem ersten Arm als dessen Bestandteil, durchschwenkbar ausgebildet sein soll. Das Merkmal 1.5 der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 ist demnach, entgegen dem Vortrag der Nebenintervenientin, in den Dokumenten E1.1 bis E1.10 offenbart.
131
Die Klägerin vertritt die Auffassung, das Merkmal 1.7 der Vorrichtung des Patentanspruchs 1 sei aus den Dokumenten E1.1 bis E1.10 bekannt, da der Hebel 8 über seine drehbare Lagerung um die Achse 21 am Hebel 18 auch um die Handachse 7 drehbar sei. Dem kann nicht gefolgt werden, da der Hebel 8 nicht im Sinne des Streitpatents unmittelbar schwenkbar am Arm 6 bzw. der Handachse 7 festgelegt oder gelagert ist (vgl. obigen Ausführungen zur Auslegung der Merkmale 1.2, 1.3 und 1.7).
132
Die Klägerin greift das Streitpatent aber auch basierend auf einer von der vorstehend dargelegten abweichenden Lesart der Zeichnungen E1.2 und E1.10 auf die Merkmale der Vorrichtung des Patentanspruchs 1 an. Sie ordnet dabei die in den untenstehenden Figuren 2 a und 2 b grau über ihre Bezugszeichen hervorgehobenen Bauteile alternativ (vgl. Fig. 1 a bis 1 c) der Armachse 5, dem zweiten Arm 6 und der Handachse 7 gemäß Patentanspruch 1 zu (vgl. Klageschriftsatz, S. 11 bis 15, „2.2 Mangelnde Neuheit gegenüber E1.1 bis E1.10“). So gesehen wäre neben den Merkmalen 1.1, 1.2, 1.4, 1.6 und 1.8 auch das Merkmal 1.7 der Vorrichtung des Patentanspruchs 1 in den Zeichnungen E1.2 und E1.10 offenbart, da beide Hebel 8, 18 um die gemeinsame Handachse 7 am freien Ende des zweiten Arms 6 schwenkbar gelagert sind.
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133
Fig. 2 a Fig. 2 b
134
Nach Meinung der Klägerin ist darüber hinaus auch das Merkmal 1.3 der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 in der Zeichnung E1.10 offenbart, da ein Zwischenstück 23 (vgl. Fig. 2 a) als freies Ende des ersten Arms 4 anzusehen und daher der zweite Arm 6 auch um die am Zwischenstück 23 und somit am freien Ende des ersten Arms 4 verlaufende Armachse 5 verschwenkbar sei. Nach Auffassung des Senats ist das Zwischenstück 23 aber zusammen mit der Basis 2, dem ersten Arm 4 und einem im Wesentlichen zum ersten Arm 4 parallel angeordneten Arm bzw. Gestänge 24 (vgl. Fig. 2 a) Bestandteil eines Hebel-Parallelogramms und bildet demnach gegenständlich und funktional ein/en eigenständiges/en Gestänge, Hebel oder Arm aus und kann nicht auf das freie Ende des ersten Arms 4 gelesen werden. Diesbezüglich ist auch auf das Streitpatent zu verweisen, in dem eine Wippe 17 (vgl. Streitpatentschrift, Fig. 5) auch nicht das freie Ende des Arms 4 bildet. Der zweite Arm 6 ist somit bei der von Klägerin vorgestellten Lesart auch nicht im Sinne des Streitpatents, wie es das Merkmal 1.3 der Vorrichtung des Patentanspruchs 1 fordert, verschwenkbar und unmittelbar an der Armachse 5 gelagert (vgl. obige Ausführungen zur Auslegung der Merkmale 1.2, 1.3 und 1.7).
135
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, das Merkmal 1.5 der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 sei bei der von ihr gewählten Zuordnung (vgl. Fig. 2 a und 2 b) ebenfalls den Dokumenten E1.2 und E1.10 zu entnehmen, da die Arme 4 und 6 beim Einschwenken von der in Figur 2 a in die in Figur 2 b gezeigten Position auch eine fluchtende Position einnehmen würden. Bei einem Blickwinkel von vorne auf die Vorrichtung, also vom Lastträger 19 aus in Richtung auf die Basis 2 (vgl. Fig. 2 a), würden nach Meinung der Klägerin die Arme 4 und 6 dabei die anspruchsgemäße, fluchtende Position zueinander einnehmen.
136
Dieser Auffassung kann der Senat nicht beitreten. Aus der Figur 2 b ist bereits eindeutig ersichtlich, dass der zweite Arm 6 bezüglich des ersten Arms 4 in einer Richtung senkrecht zur Zeichnungsebenen zurückversetzt ist (vgl. auch Draufsicht und dreidimensionale Ansichten im Dokument E1.10). Bei einem Blickwinkel senkrecht zu dieser Richtung, also vom Lastträger 19 aus in Richtung der Basis 2, liegen die Arme 4 und 6 stets in voneinander beabstandeten Parallelebenen. Wie diese Ebenen bzw. die Arme 4, 6 dabei eine überdeckende bzw. im technischen Sinn fluchtende Position einnehmen könnten, ist nicht erkennbar.
137
Auch die hier in den Figuren 2 a und 2 b gezeigte Seitenansicht der vorbenutzten Vorrichtung lässt keine anspruchsgemäße Durchschwenkkinematik erkennen, mit der die Arme 4 und 6 eine fluchtende Position einnehmen könnten. Gemäß der klägerseitigen Interpretation der Zeichnung E1.10 ist die Armachse 5 exzentrisch zum ersten Arm 4 angeordnet. Dies bedingt beim Einschwenken des zweiten Arms 6 in die hier in Figur 2 b gezeigte Position, dass der zweite Arm 6 den ersten Arm 4 in Seitenansicht lediglich kreuzt. In Übereinstimmung mit der diesbezüglichen Meinung der Klägerin (vgl. Klageschriftsatz, S. 10, zweiter vollständiger Absatz) ist, bedingt durch die exzentrische Lagerung der Arme 4, 6, ein anspruchsgemäßes Fluchten der Arme 4, 6 beim Einschwenken ausgeschlossen.
138
Selbst unter Zugrundelegung der von der Klägerin alternativ gewählten Lesart offenbaren die Dokumente E1.1 bis E.10 zumindest die Merkmale 1.3 und 1.5 der Vorrichtung nach Patentanspruchs 1 somit nicht.
139
b) Konvolute E2 und E3
140
Die Vorrichtung gemäß dem Patentanspruch 1 des Streitpatents ist auch neu gegenüber den aus den Konvoluten E2 und E3 hervorgehenden Vorrichtungen.
141
Das Konvolut E3 betrifft die bereits aus den Dokumenten E1.1 bis E1.10 bekannte Vorrichtung der Klägerin. Die im Konvolut E2 offenbarte Vorrichtung eines anderen Herstellers zeigt eine mit der Vorrichtung der Dokumente E1.1 bis E1.10 konzeptionell vergleichbare, weitgehend damit übereinstimmende Vorrichtung. Dies hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch nicht in Abrede gestellt.
142
Die Konvolute E2 und E3 können folglich, insbesondere hinsichtlich der Anordnung der Armachse 5 in Bezug auf die Arme 4, 6 aber auch bezüglich der Anordnung der Handachse 7 im Hinblick auf den zweiten Arm 6 und die Hebel 8, 18 und somit in puncto der Merkmale 1.3, 1.5 und 1.7 der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 keine über die bereits aus den Dokumenten E1.1 bis E1.10 hinausgehenden Erkenntnisse liefern.
143
2.2 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
144
Die in den Dokumenten E1.1 bis E1.10 sowie den Konvoluten E2 und E3 offenbarten Vorrichtungen unterscheiden sich, unter Zugrundelegung der Zuordnung gemäß den oben stehenden Figuren 1 a bis 1 c der offenbarten Bauteile auf die Merkmale der Vorrichtung nach Patentanspruch 1, von der anspruchsgemäßen Vorrichtung zumindest durch das Merkmal 1.7, wonach der Hebel 8 um die Handachse 7 am zweiten Arm 6 drehbar gelagert ist.
145
Die Klägerin hat hierzu eingewandt, die Lagerung des Hebels 8 um die Achse 7 stelle für den Fachmann lediglich eine auf der Hand liegende Alternative zur Lagerung an der Achse 21 dar. Der Fachmann könne, ggf. im Bestreben, die durch die Antriebsstange 19 aufzubringenden Kräfte verringern zu wollen, hierzu veranlasst gewesen sein, da sich durch eine solche Maßnahme der Abstand zwischen dem Verbindungspunkt des Hebels 8 mit dem Hebel 18 und dem Verbindungspunkt der Antriebsstange 19 mit dem Hebel 18 vergrößern ließe.
146
Diese Argumentation der Klägerin überzeugt nicht, schon weil aus den Dokumenten E1.1 bis E1.10 aber auch den Konvoluten E2 und E3 nicht unmittelbar hervorgeht, dass eine Anbindung des Hebels 8 an der Achse 7 überhaupt zu einer nennenswerten Abstandsvergrößerung bezüglich des Verbindungspunkts zwischen Antriebsstange 19 und Hebel 18 oder zu einer Verringerung der erforderlichen Verstellkraft führt. Somit fehlt selbst bei Zugrundelegung der von der Klägerin genannten Aufgabenstellung die Veranlassung zur „Umlagerung“ des Hebels 8 von der Achse 21 an die Achse 7.
147
Dem Naheliegen einer solchen Umgestaltung stehen zudem folgende vom Fachmann anzustellende Überlegungen entgegen:
148
Die untenstehende Fig. 3 a zeigt die Lage der Arme 6, 6’ bzw. der Hebel 8, 18 und der Achsen 7, 21 sowie des Lastträgers 9 in einer Draufsicht in einem ausgefahrenen Zustand, ausgehend von der obenstehenden Fig. 1 b, wie sie der Fachmann den Dokumenten E1/E2/E3 auch mit dem dort gezeigten relativen Versatz in x- und y- Richtung zueinander entnehmen kann (vgl. hierzu auch die Draufsicht und die dreidimensionalen Ansichten im Dokument E1.10), wobei der Arm 6 lediglich bereichsweise wiedergegeben ist. Das Verlagern des Hebels 8 an die Achse 7 kann dann in den Alternativen 1 und 2, die die Fig. 3 b bzw. 3 c zeigen, umgesetzt werden.
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149
Fig. 3 a Fig. 3 b Fig. 3 c
150
Beide weisen aber zunächst gegenüber dem Stand der Technik nach den Konvoluten E1/E2/E3 den Nachteil auf, dass die maximale Verfahrbarkeit des Hebels 8 und somit auch des Lastträgers 9 in Y-Richtung reduziert ist. Darüber hinaus bildet in der Alternative 1 die Achse 21 eine Störkontur für den Hebel 8 aus, so dass dieser nicht mehr, wie in Fig. 1 b gezeigt, in eine horizontale Stellung bzw. über diese horizontale Stellung hinaus nach unten verschwenkt werden kann. Die Alternative 2 umgeht zwar dieses Problem, baut aber dafür in x –Richtung unvorteilhaft breiter, insbesondere wenn von einer vorgegebenen Breite des Lastträgers 9 in x-Richtung auszugehen ist. Entgegen dem Vortrag der Klägerin stellt die Lagerung des Hebels 8 an der Achse 7 ausgehend vom Stand der Technik nach den Dokumenten E1/E2/E3 somit keine auf der Hand liegende Lösung für den Fachmann dar, vielmehr würde der Fachmann diese Möglichkeit aufgrund der zu erwartenden Nachteile nicht in Betracht ziehen.
151
Geht man bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von der dem alternativen Neuheitsangriff der Klägerin zugrundeliegenden Zuordnung der Merkmale der patentgemäßen Vorrichtung auf die in den Dokumenten E1.1 bis E1.10 (bzw. den Konvoluten E2 und E3) offenbarten Bauteile wie sie die obenstehenden Figuren 2 a und 2 b wiedergeben aus, so unterscheidet sich die mit dieser Darstellungsweise offenbarte Vorrichtung vom Gegenstand des Patentanspruchs 1 zumindest durch die Merkmale 1.3 und 1.5. Eine Veranlassung entsprechende Modifikationen an der aus den Dokumenten E1.1 bis E1.10 (bzw. den Konvoluten E2 und E3) jeweils hervorgehenden Vorrichtung in Richtung auf den Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents vorzunehmen, ist nicht gegeben, da derartige Maßnahmen aus Sicht des Fachmanns kinematisch unsinnig sind. Denn, angenommen man legte hierzu die Achse 5‘ (vgl. Fig. 2 a) als neue Armachse 5 für den zweiten Arm 6 fest und löste hierdurch das durch die Arme 6, 6‘, den Hebel 18 und das Zwischenstück 23 aufgespannte Hebelparallelogramm auf, könnten als Folge davon der Hebel 8 und mit ihm der Lastträger 9 nicht mehr ohne weiteres horizontal geführt werden.
152
Die patentgemäß vorgeschlagene Lösung lag demnach im Lichte der Dokumente E1.1 bis E1.10 sowie der Konvolute E2 und E3 nicht nahe.
153
Aus den im Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschriften D1 bis D12 hat die Klägerin keine Nichtigkeitsgründe geltend gemacht. Eine Stellungnahme zu diesem Stand der Technik ist somit nicht veranlasst (vgl. BGH GRUR 2013, 1272, Rn. 36 – Tretkurbeleinheit; GRUR 2015, 365, LS 1 – Zwangsmischer).
154
Bei dieser Sachlage kommt es auf den Hilfsantrag nicht mehr an.
IV.
155
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
156
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.


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