Sozialrecht

Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  B 3 K 16.183

Datum:
17.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB I SGB I § 8
SGB VIII SGB VIII § 1 Abs. 1, Abs. 3, § 27 Abs. 1, Abs. 2a, § 33, § 39 Abs. 1, Abs. 2 S. 4, Abs. 4, § 44 Abs. 2
VwGO VwGO § 88, § 113 Abs. 5, § 117 Abs. 3 S. 2, § 166

 

Leitsatz

Die Tatbestandsmerkmale des § 27 Abs. 1 SGB VIII sind als unbestimmte Rechtsbegriffe gerichtlich voll überprüfbar. (redaktioneller Leitsatz)
Die Wahl der konkreten Hilfe stellt das Ergebnis eines kooperativen, pädagogischen Prozesses dar und erhebt selbst nicht den Anspruch auf objektive Richtigkeit. Sie beinhaltet eine wertende Prognose über den in Zukunft auftretenden Hilfebedarf. Insoweit besteht ein Beurteilungsspielraum des Jugendhilfeträgers (Anschluss an BVerwG NVwZ 2000, 325). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Vollzeitpflege für seinen Sohn … bei Frau …, seiner Schwiegermutter.
Der Kläger ist Vater zweier Kinder, …, geb. am …, und …, geb. am … Er kam Ende 2008 aus dem Kosovo nach Deutschland. Seine Frau … … war in Deutschland aufgewachsen. Sie starb am … bei einem Autounfall, bei dem auch die beiden gemeinsamen Kinder mit ihr auf der Rückbank des verunglückten Autos saßen.
Auch die Kinder wurden bei dem Unfall verletzt. … erlitt laut dem vorläufigen Arztbrief der … Klinik, …, vom … ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Impressions-Kalottenfraktur parieto occipital rechts, eine kleine Epiduralblutung links und eine sehr kleine intraparenchymatöse Blutung links frontal paramedian. In der Behandlung zeigte … Krampfanfälle und eine (Blutungs-) Anämie sowie Rumpfhypotonie und Linksseitenschwäche. Zum Entlassungszeitpunkt ist laut vorläufigem Arztbrief der … Klinik, …, vom … noch eine leichte Schwäche des linken Armes bei regelrechter Vigilanz und adäquater Trinkmenge feststellbar gewesen. … Allgemeinzustand wurde als gut beschrieben. Bei den Untersuchungen sind Hinweise auf eine leichte, nicht interventionsbedürftige Impressionsfraktur rechts parieto-occipitalohne und der Nachweis eines Kontusionsherdes rechts temporal entdeckt worden. Ein Blutungsnachweis war für die kleine Parenchymblutung links frontal paramedian und die kleine Epiduralblutung linksseitig im Kontroll-MRT vom 07.08.2014 nicht mehr feststellbar. Ebenso fand sich die Schädelfraktur rechts parieto-occipital ohne Nachweis einer Impression. Der Nachweis einer Blutungsanämie konnte nicht mehr erbracht werden. Cerebrale Krampfanfälle stellten sich nicht mehr ein. Es lag ein adäquates Kontaktverhalten vor, … trank seine Nahrung regelrecht. Linksseitig zeigte sich bei der Motorik der Arme eine leichte Schwäche, die im Behandlungsverlauf rückläufig war. Wie sich die Unfallverletzungen auf … weitere Entwicklung auswirken würden, konnte noch nicht abgeschätzt werden. Es werde daher eine regelmäßige entwicklungsneurologische Kontrolle empfohlen. Ansonsten liege insgesamt eine altersentsprechende motorische Entwicklung vor.
Im Abschlussbericht der Abteilung Logopädie der … Klinik, …, vom … wurde festgehalten, dass sich … gut von den Unfallfolgen erholt habe und eine logopädische Therapie aktuell nicht notwendig sei, da er aus logopädischer Sicht altersgerecht entwickelt sei.
… zog sich bei dem Unfall sich eine Unterarmfraktur zu.
Seit dem Unfall ist der Kläger alleiniger Inhaber der elterlichen Sorge. Am 09.08.2014 bevollmächtigte er Frau …, das elterliche Sorgerecht für ihn wahrzunehmen.
Am 08.10.2014 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er auf Grund seiner Berufstätigkeit nur die Pflege seines Kindes … leisten könne. Das Kind … befinde sich bei seiner Großmutter. Es brauche Mutterliebe.
Ein Antrag auf Vollzeitpflege wurde nicht gestellt.
Mit Schreiben vom 09.12.2014 teilte Rechtsanwalt … mit, dass er für seine Mandantin, Frau …, einen rechtsmittelfähigen Bescheid über das beantragte Pflegegeld für … fordere.
Mit Schreiben vom 15.12.2014 teilte die Beklagte mit, dass kein Antrag auf Pflegegeld vorliege. Einen solchen müsse der Kläger stellen.
Mit Schreiben vom 20.01.2015 leitete Rechtsanwalt … den Antrag des Klägers auf Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege an die Beklagte weiter.
Den Antrag begründete der Kläger damit, dass er sich wegen seines Deutschkurses nicht um … kümmern könne. Ab Juli müsse er wieder arbeiten, sodass sich Frau … während der Arbeitszeit um beide Kinder kümmern müsse.
Diesen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.02.2015 ab.
Sie ist der Ansicht, dass die Erziehung des Kindes … gesichert sei. Die bloße Berufstätigkeit reiche als Grund für Erziehungshilfe nicht aus.
Am 31.03.2015 beendete der Kläger seine Elternzeit und begann ab 01.04.2015 als Staplerfahrer bei dem Unternehmen …-Service in Vollzeit zu arbeiten.
Mit Schreiben vom 28.05.2015 stellte Frau … einen Antrag auf Vollzeitpflege.
Daraufhin teilte ihr die Beklagte mit Schreiben vom 03.06.2015 mit, dass sie nicht antragsberechtigt sei.
Mit Schreiben vom 26.06.2015 stellte der Kläger einen Antrag auf Erziehungshilfe in Form von Vollzeitpflege, ohne ihn zu begründen.
Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom … ab.
Dies begründete sie damit, dass die bloße Berufstätigkeit eines alleinerziehenden Elternteils noch keinen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung gebe. Es müssten weitere Gründe in Form von erzieherischen Schwierigkeiten hinzukommen. Dies sei jedoch nicht der Fall. Andere Hilfearten wie die Unterbringung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege seien abgelehnt worden.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 03.08.2015 Widerspruch ein.
Nicht seine Berufstätigkeit, sondern der Tod seiner Frau und die damit verbundenen Probleme, die Kinder zu ihrem Wohl zu erziehen, seien ausschlaggebend für seinen Antrag. … benötige auf Grund des Verlustes mehr Aufmerksamkeit, als vergleichbare Kinder. Ambulante Hilfen reichten nicht aus, da sie die aktuellen Bindungen zerstörten, was für … traumatisch wäre.
Am 30.09.2015 fand ein Hausbesuch bei Frau … statt.
In der Zusammenfassung hiervon vom 12.10.2015 wurde festgehalten, dass laut Aussage von Frau … die krankengymnastische Behandlung beendet sei und die Kinderärztin keine weiteren medizinischen Hilfen empfohlen habe. Frau … habe erklärt, dass sie keine sozialpädagogische Anleitung für die Betreuung und Versorgung von … benötige. … sehe seinen Bruder täglich und seinen Vater alle zwei Tage. Frau … arbeite selbst nicht und erhalte nur das Kindergeld für … Ihr Mann arbeite als Gabelstaplerfahrer. Dass … mehr Aufmerksamkeit benötige als andere Kinder, könne weder aus den Angaben von Frau …, noch aus den Beobachtungen beim Hausbesuch abgeleitet werden.
Am 06.10.2015 erfolgte ein Gespräch der Beklagten mit dem Kläger, der erklärte, dass seine berufliche Tätigkeit der Hauptgrund sei, weshalb … bei Frau … sei. Er zahle an sie keinen Unterhalt auf freiwilliger Basis, da er zunächst den Kindergarten und jetzt die Mittagsbetreuung für … zahle; deshalb benötige sie Geld.
Die Beklagte half dem Widerspruch nicht ab und legte ihn mit Schreiben vom 16.10.2015 der Regierung von … zur Entscheidung vor, die ihn mit Widerspruchsbescheid vom … zurückwies.
Im Wesentlichen begründete sie dies damit, dass bei dem Hausbesuch keine erhöhten Fürsorge- und Aufmerksamkeitsbedürfnisse bei … festgestellt worden seien. Dies habe sich aus den Beobachtungen und einem Gespräch mit Frau … ergeben. Weiterhin sei an der Geeignetheit von Frau … nach §§ 27 Abs. 2a, 44 Abs. 2 SGB VIII als Pflegestelle für … zu zweifeln, denn sie habe im Rahmen des Hausbesuchs angegeben, dass sie keine sozialpädagogische Anleitung bei der Betreuung benötige.
Mit Schriftsatz vom 02.03.2016, bei Gericht eingegangen am 03.03.2016, erhob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten vom …, Nr. …, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von … vom …, Az.: …, aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Erziehung in Vollzeitpflege in Form von Verwandtenpflege nach §§ 27, 33 SGB VIII zu gewähren und Pflegegeld nach § 39 SGB VIII zu zahlen.
Mit Schriftsatz vom 29.03.2016 beantragte er die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe.
Er behauptet, dass bezüglich des Kindes … nicht von einer vollständigen Genesung auszugehen sei. Bei den Krabbelversuchen hätten sich motorische Probleme, insbesondere Kraftprobleme, gezeigt. Mit dem Laufen habe … erst mit 14/15 Monaten, also vergleichsweise spät begonnen. Es bestehe seitens des Klinikums … die nachdrückliche Empfehlung, mit … sehr vorsichtig umzugehen, da etwaige weitere Kopftraumata im Hinblick auf die unfallbedingten Verletzungen und deren Folgen kritisch seien. Es sei wohl noch ein kleines Hämatom vorhanden. Unter Berücksichtigung des Alters von … sei noch nicht abschätzbar, inwieweit sich der Unfall auch auf seine kognitiven Fähigkeiten ausgewirkt habe.
… sei durch den Unfall verletzt, aber vor allem psychisch traumatisiert worden. Die daraus resultierende Verarbeitungsproblematik bedürfe kontinuierlicher und andauernder besonderer Behandlung und Zuwendung.
Auch der Kläger bedürfe psychotherapeutischer Hilfestellung zur Bewältigung der Ereignisse und der hieraus resultierenden besonderen Erziehungsaufgaben gegenüber seinen Kindern. Eine solche Hilfestellung habe sich der Kläger bislang nicht beschaffen können. Allein Frau … habe ihm Hilfe geleistet. Er habe Elternzeit genommen, um für sich psychischen Freiraum zu schaffen, er sei aber mit der Situation, insbesondere der in dieser Zeit anfallenden Behördenkorrespondenz, überfordert gewesen.
Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege seien offenkundig gegeben. Dem Ablehnungsbescheid liege ein schweres Ermessensdefizit in Form eines Ermessensausfalles zu Grunde: Er berücksichtige nicht die schweren unfallbedingten Verletzungen von … und deren Folgen wie Krampfanfallneigung, Rumpfhypotonie und Linksseitenschwäche. Hieraus folge ein überdurchschnittlicher Betreuungsaufwand. Weiterhin seien bereits konkrete Entwicklungsdefizite aufgetreten und ein beobachtungsbedürftiger Befund gegeben. Insoweit reichten weder eine ambulante Hilfe noch die Betreuung in einer Kindertagesstätte aus. Vielmehr sei nur eine individuelle Beobachtung durch eine mit der konkreten Problematik vertrauten Person ausreichend. Nur die Großmutter könne eine solche leisten. Dies stelle auch sicher, dass das Kind sich nicht an geänderte Umstände anpassen müsse, was es möglicherweise nicht hinreichend psychisch verarbeiten könnte, und entspreche dem Förderungs- und Kontinuitätsprinzip.
Auch sei der Kläger zusätzlich mit der von ihm zu leistenden überdurchschnittlichen, anspruchsvollen Erziehung von … belastet. Die Erziehung beider Kinder könne er nicht bewerkstelligen. Eine Überlastung und ein damit verbundener erzieherischer Totalausfall des Klägers sei zu befürchten.
Die Ablehnung von Frau … in Bezug auf die sozialpädagogische Anleitung könne eine fehlende Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit nicht begründen. Vielmehr habe diese nur klar machen wollen, dass sie sich in der Lage sehe, für das Kind zu sorgen; auf Grund ihres nur gebrochenen Deutsches sei es zu einem Missverständnis gekommen. Sie sei nach wie vor grundsätzlich kooperationsfähig und –willig. Unabhängig davon sei der Schwerpunkt der Hilfeleistung durch das Jugendamt nicht im sozialpädagogischen Bereich, sondern insbesondere bei Hilfestellungen für die weitere gesundheitliche Versorgung und zur Gewährleistung einer adäquaten Heilbehandlung sowie sonstigen Behördengängen zu setzen.
Mit Schriftsatz vom 12.04.2016 beantragt die Beklagte, die Klage abzuweisen.
Die Hilfe richte sich nach dem erzieherischen Bedarf. Bei dem Hausbesuch seien keine erhöhten Fürsorge- und Aufmerksamkeitsbedürfnisse bei … festzustellen gewesen. Dies ergebe sich aus der fachlichen Stellungnahme vom 12.10.2015. Das verspätete Laufen-Lernen an sich begründe noch keine Entwicklungsverzögerung; eine solche wäre sicher auch von der Kinderärztin festgestellt worden. Der erhöhte Betreuungsaufwand sei weder im Hilfeantrag, noch bei den Gesprächen thematisiert worden, noch habe die Fachkraft beim Hausbesuch einen solchen erkennen können. Eine entsprechende ärztliche Stellungnahme liege ebenfalls nicht vor. Die angeführten Verletzungsfolgen seien bereits im Abschlussbericht der …-Klinik vom 11.08.2014 als rückläufig bzw. nicht mehr auftretend beschrieben worden. Weitere Hilfemaßnahmen seien nicht verordnet worden. Auch psychische Folgen seien nicht erkennbar gewesen. Ein besonderer, nur durch die Erziehung durch die Großmutter zu deckender erzieherischer Bedarf sei nicht ersichtlich.
Dem Kläger seien ambulante Hilfen zur Erziehung in Form von Tagespflege oder Unterbringung in einer Kindertagesstätte für die Zeit seiner berufsbedingten Abwesenheit angeboten worden. Gründe, warum der Kläger sich in seiner arbeitsfreien Zeit nicht selbst um seine Söhne kümmern könne, seien ebenso wenig wie eine Einschränkung der Erziehungseignung des Klägers ersichtlich. Soweit sich der Kläger nicht in der Lage sehe, beide Kinder zu erziehen, sei eine sozialpädagogische Familienhilfe denkbar.
Dass ambulante Hilfen für … ungeeignet seien, sei nicht nachgewiesen. Der Kläger habe vielmehr die angebotenen Hilfen von vorne herein abgelehnt.
Soweit er die Hilfen nicht im sozialpädagogischen, sondern im medizinischen Bereich setzen wolle, wäre er auf die Krankenkasse zu verweisen; im Übrigen könne dieser Bedarf auch über ambulante Hilfen abgedeckt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird gemäß § 117 Abs. 3 S. 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Dem Kläger kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, da die mit der Klage beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Auf die Fragen der Mutwilligkeit und der Bedürftigkeit kommt es damit nicht an.
Gemäß § 166 VwGO, §§ 114 ff ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht mindestens von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Es muss also aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Kläger mit seinem Begehren durchdringen wird.
Gemessen an diesen Grundsätzen kommt der Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht zu. Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Nach § 88 VwGO ist der Klageantrag so zu verstehen, dass der Kläger die Vollzeitpflege des Kindes … wünscht.
2. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom … in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom … ist rechtmäßig und verletzt den Kläger damit nicht in seinen Rechten. Ein Anspruch auf die Gewährung der begehrten Vollzeitpflege ist nicht gegeben (§ 113 Abs. 5 VwGO).
§ 27 Abs. 1 SGB VIII setzt das Vorliegen eines erzieherischen Bedarfs, die Geeignetheit der Hilfe zur Erziehung sowie ihre Notwendigkeit voraus. Die Auswahl der konkreten Hilfe hängt von pädagogischen Gesichtspunkten und dem konkreten erzieherischen Bedarf ab. Die einzelnen Hilfearten stehen grundsätzlich gleichrangig nebeneinander.
Die Tatbestandsmerkmale sind als unbestimmte Rechtsbegriffe gerichtlich voll überprüfbar. Die Wahl der konkreten Hilfe stellt das Ergebnis eines kooperativen, pädagogischen Prozesses dar und erhebt selbst nicht den Anspruch auf objektive Richtigkeit. Auch beinhaltet die Auswahl eine wertende Prognose über den in Zukunft auftretenden Hilfebedarf auf Grund der Erfahrungen der Fachkräfte (OVG NRW, B. v. 18.06.2014, Az. 12 A 898/14; BayVGH, B. v. 17.06.2004, Az. 12 CE 04.578). Insoweit besteht ein Beurteilungsspielraum des Jugendhilfeträgers, der nur dahingehend überprüft werden kann, ob allgemein gültige Maßstäbe beachtet wurden, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und ob die Entscheidung im Rahmen eines kooperativen Entscheidungsprozesses erfolgte (BVerwG, Urt. v. 24.06.1999, Az. 5 C 24/98; BayVGH, Urt. v. 24.06.2009, Az. 12 B 09.602, und B. v. 17.08.2015, Az. 12 AE 15.1591; B. v. 17.06.2004, Az. 12 CE 04.578; Wiesner, SGB VIII, 4. Auflage, § 27 Rn. 52 ff.). Soweit der Prozessvertreter des Klägers von einem bloßen Ermessen ausgeht, trifft dies nicht zu.
Ein gebundener Anspruch auf eine konkrete Hilfe besteht grundsätzlich nicht (Kepert/Kunkel, Praxis der Kommunalverwaltung, S. 186, Januar 2015; Wiesner, SGB VIII, 4. Auflage, § 27 Rn. 63 ff., § 27 Rn. 55). Ausnahmsweise kommt ein solcher in Betracht, wenn nur diese Hilfeart als notwendige und geeignete Maßnahme in Frage kommt (Wiesner, SGB VIII, 4. Auflage, § 27 Rn. 55).
2.1 Nach summarischer Prüfung besteht schon kein für die Gewährung einer Vollzeitpflege ausreichender erzieherischer Bedarf. Wie der Kläger bei seiner Antragstellung vom 20.01.2015, bei dem Gespräch vom 06.10.2015 und durch seinen Prozessvertreter im Schriftsatz vom 29.03.2016 angibt, liegt die Mangelsituation darin, dass er neben seiner Berufstätigkeit keine Zeit für die Kinder hat. Ein echter erzieherischer Bedarf …, der zur Gewährung der Vollzeitpflege führen könnte, ist auf Grund der vorgelegten Akten jedoch nicht ersichtlich. Hiervon geht selbst der Prozessvertreter des Klägers aus, wenn er ausführt, dass auf Grund des Alters noch nicht absehbar sei, welche Langzeitschäden der Unfall bei … ausgelöst habe. Dies entspricht auch den vorliegenden medizinischen Einschätzungen, die seine Entwicklung als altersgerecht einstufen, aber etwaige Folgeschäden nicht ausschließen können. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass eben noch kein Bedarf gegeben ist, aber es nicht auszuschließen ist, dass ein solcher möglicherweise später noch auftritt. Diese Einschätzung traf auch die Fachkraft der Beklagten bei ihrem Hausbesuch. Ein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung ist aber nur bei einem entsprechenden Bedarf gegeben. Allein ein (angeblich) verspätetes Laufen-Lernen kann die ärztliche und fachliche Einschätzung jedenfalls nicht erschüttern, zumal wenn die Verspätung wie hier nicht nur auf erzieherischen Defiziten, sondern auch – und wahrscheinlicher – auf medizinischen Indikationen beruht.
2.2 Weiterhin kommt der Beklagten als Jugendhilfeträger für die konkrete Hilfemaßnahme ein Entscheidungsspielraum zu. Dieser ist nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Die Beklagte stellt nicht nur die Zahlstelle im Rahmen der Jugendhilfe dar, sondern sie kann und muss im Fall eines bestehenden Bedarfes auch zum Wohle des Kindes die notwendige Hilfe im Rahmen ihres Entscheidungsspielraumes ermitteln.
Fehler bei der Auswahl der vorgeschlagenen Hilfen zur Erziehung für … bzw. für beide Kinder sind nicht ersichtlich.
Eine Verengung des Spielraums auf die Vollzeitpflege durch Frau … als einzige taugliche Maßnahme ist jedenfalls nicht ersichtlich. Soweit der Kläger anführt, dass nur durch die kontinuierliche Pflege einer mit der Gesamtsituation vertrauten Person eine ausreichende Versorgung von … sichergestellt werden könne, ist dem entgegenzuhalten, dass sich aus den medizinischen Gutachten und fachlichen Einschätzungen ergibt, dass … weitgehend normal entwickelt ist. Damit gibt es keinerlei Anhaltspunkte für die vorgebrachten Befürchtungen.
Weiterhin stellt eine bloße Arbeitserleichterung im Umgang mit den Kindern ohne Hilfe im erzieherischen oder entwicklungsbezogenen Bereich, wie es der Prozessvertreter für die Unterstützung der „Vollzeitpflege“ durch Frau … fordert, keine Maßnahme der Hilfe zur Erziehung und für die Entwicklung des Kindes dar. Dass diese aber bei Leistungen nach dem SGB VIII im Vordergrund steht, zeigen § 8 SGB I und §§ 1 Abs. 1 und 3, 27 SGB VIII.
2.3 Auf die Frage der Geeignetheit von Frau … als Pflegeperson kommt es damit nicht an.
2.4 Darüber hinaus ist in Bezug auf das Pflegegeld, das einen Annex zu der Vollzeitpflege darstellt, anzumerken, dass nach § 39 Absätze 1, 2 Satz 4 und 4 SGB VIII die finanzielle Leistung für den Unterhalt anhand der dem Kläger tatsächlich entstandenen Kosten zu berechnen wäre. Solche sind aktuell nicht ersichtlich.


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