Sozialrecht

Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung nach Dienstunfall

Aktenzeichen  B 5 K 15.513

Datum:
7.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Der Verwertung eines fachärztlichen Gutachtens vor Gericht steht nicht entgegen, dass es sich um ein von der Beklagtenseite im behördlichen Verfahren eingeholtes Gutachten handelt, wenn der Sachverständige vom arbeitsmedizinischen Dienst der Beklagten als neutraler und objektiver Gutachter eingeschaltet wurde. (redaktioneller Leitsatz)
Für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung bedarf es einer eingehenden Berufserfahrung sowie einer vertieften Befassung mit den entsprechenden Diagnosekriterien. Divergierende Diagnosen lassen sich auch durch ein unterschiedliches Rollenverständnis des behandelnden Arztes einerseits, welcher sich mit dem Patienten gegen die Krankheit verbünde, mit diesem gewissermaßen sympathisiere und somit dessen Äußerungen eher unkritisch hinnehme, und dem Gutachter, der sich in der gegenüber dem Probanden neutralen Rolle des objektiven Beobachters befinde, andererseits erklären. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juni 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge des Dienstunfalls vom 10. Dezember 2011 (§ 113 Abs. 1 und 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
a) Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Dabei sind nach der von der Rechtsprechung entwickelten Theorie der wesentlichen Verursachung bzw. der zumindest wesentlich mitwirkenden Teilursache nur solche kausalen Bedingungen im naturwissenschaftlich philosophischen Sinn für den Schadenseintritt (mit-)ursächlich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. etwa BVerwG, U.v. 1.3.2007 – 2 A 9/04 – juris Rn. 8; U.v. 28.4.2002 – 2 C 22/01 – ZBR 2003 – juris Rn. 10, 140; B.v. 8.3.2004 – 2 B 54/03 – Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 13 – juris Rn. 7).
Vorliegend hat die Beklagte das Zusammentreffen der Klägerin mit einem Beschuldigten am 10. Dezember 2011, in dessen Rahmen es anlässlich einer Personenkontrolle zu massiven körperlichen Widerstandshandlungen und erheblichen Bedrohungen gegenüber der Klägerin und ihrem Streifenkollegen kam, mit bestandskräftigem Bescheid vom 25. September 2012 als Dienstunfall anerkannt. Das Vorliegen eines Dienstunfalls steht im hiesigen Verfahren somit außer Streit.
b) Neben einer Distorsion des Daumengrundgelenks, welche mit dem bestandskräftigen Bescheid vom 25. September 2012 als durch den Dienstunfall vom 10. Dezember 2011 verursachter Körperschaden festgestellt wurde, hat die Beklagte mit dem angegriffenen Bescheid vom 15. Januar 2014 in Gestalt des ebenfalls angegriffenen Widerspruchsbescheids vom 22. Juni 2015 eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Episode als Dienstunfallfolge anerkannt.
Mit ihrem Begehren, die Beklagte zu verpflichten, anstelle der anerkannten Anpassungsstörung eine posttraumatische Belastungsstörung als durch den Dienstunfall vom 10. Dezember 2011 verursachten Körperschaden anzuerkennen, kann die Klägerin nicht durchdringen, da bei ihr eine solche posttraumatische Störung nicht vorliegt.
Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. K… vom 7. Mai 2015 sowie dessen Erläuterungen hierzu im Rahmen der durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2016, denen das Gericht folgt. Das vorliegende Gutachten ist in sich stimmig und überzeugend. Es verwertet auch vorangegangene in das Verwaltungsverfahren eingeführten ärztlichen Atteste und Befunde und bietet keinen Anlass zu Zweifeln, welche die Einholung eines weiteren Gutachtens erforderlich machen könnten.
aa) Der Verwertung des Gutachtens steht nicht entgegen, dass es sich um ein von der Beklagten im behördlichen Verfahren eingeholtes Gutachten handelt. Der Sachverständige Dr. K… wurde vom arbeitsmedizinischen Dienst der Beklagten als neutraler und objektiver Gutachter eingeschaltet. Er ist als solcher weder behandelnder Arzt der Klägerin noch steht er im Lager der Beklagten.
bb) Aus dem Gutachten und den überzeugenden Erläuterungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung ergibt sich schlüssig und widerspruchsfrei, dass eine posttraumatische Belastungsstörung nach den zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung maßgebenden diagnostischen Kriterien des DSM-IV-TR (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Text revision, 2000) mangels Vorliegen objektivierbarer Eingangskriterien nicht gegeben ist. Der im Rahmen einer umfassenden testpsychologischen Untersuchung vorgenommene CAPS-Test gelangte zu dem Ergebnis, dass zwar das A-Kriterium einer posttraumatischen Belastungsstörung im Sinne einer Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit mit einer gefühlsmäßigen Reaktion der Hilflosigkeit und des Entsetzens im Rahmen des Ereignisses vom 10. November 2012 vorliege, dass die notwendige Anzahl der Kriterien B, C und D jedoch nicht erfüllt seien (vgl. Seite 20 des Gutachtens). Hierzu hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass es diesbezüglich an einem relevanten feststellbaren Leidensdruck der Klägerin im Rahmen des durchgeführten Untersuchungsgesprächs gefehlt habe und dass dieser nach einer vorgenommenen Konsistenz- und Plausibilitätsprüfung eher als gering einzuschätzen gewesen sei. Dies zeige sich unter anderem daran, dass die Klägerin in der Lage gewesen sei, monatlich ca. 12 Stunden telefonseelsorgerisch tätig zu sein. Dies sei mit der allgemeinen Erfahrung, dass Traumatisierte sich in der Regel nicht belastenden Situationen aussetzten, nicht in Einklang zu bringen. Vor allem habe sich auch im Rahmen einer Konfrontation der Klägerin mit dem Unfallgeschehen nicht im Ansatz eine Retraumatisierung gezeigt, was für die Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung jedoch erforderlich wäre. In nachvollziehbarer Weise hat der Sachverständige erläutert, dass es sich bei der diagnostizierten Anpassungsstörung um eine seelische Erkrankung handelt, an deren Diagnose gegenüber einer posttraumatischen Belastungsstörung geringere Anforderungen zu stellen sind. Eine solche Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion habe bei der Klägerin initial vorgelegen. Die Kammer gelangt aufgrund des in sich schlüssigen Gutachtens sowie der plausiblen und widerspruchsfreien Erläuterungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung insbesondere auch zu den für die Feststellung einer posttraumatische Belastungsstörung erforderlichen Diagnosekriterien und der diesbezüglichen testpsychologischen Ergebnisse der Klägerin zu der Auffassung, dass bei dieser keine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt bzw. vorgelegen hat.
cc) Die Klägerin ist den gutachterlichen Ausführungen auch nicht in substantiierter Form entgegengetreten. Insbesondere verfängt der Hinweis auf das Vorliegen von ärztlichen Stellungnahmen wie etwa jener von Frau Dipl.-Med. L…, von Dr. M… oder wie die sozialmedizinischen Gutachten des MOR R…, welche eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizieren, nicht. Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung insoweit überzeugend erläutert, dass es für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung einer eingehenden Berufserfahrung sowie einer vertieften Befassung mit den entsprechenden Diagnosekriterien bedürfe und dass sich divergierende Diagnosen auch durch ein unterschiedliches Rollenverständnis des behandelnden Arztes einerseits, welcher sich mit dem Patienten gegen die Krankheit verbünde, mit diesem gewissermaßen sympathisiere und somit dessen Äußerungen eher unkritisch hinnehme, und dem Gutachter, der sich in der gegenüber dem Probanden neutralen Rolle des objektiven Beobachters befinde, andererseits zu erklären sei. Daher sieht sich die Kammer auch nicht veranlasst, ein weiteres, eigenes Sachverständigengutachten einzuholen, sondern erachtet das vorliegende Gutachten zur eigenen Überzeugungsbildung im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung als ausreichend.
Die Klägerin kann somit über die bereits anerkannte Anpassungsstörung hinaus die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge des Dienstunfalls vom 10. Dezember 2011 nicht beanspruchen.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – dann allenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eventuell eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.
3. Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht nach § 124 Abs. 1, § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.


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