Sozialrecht

Angelegenheiten nach §§ 6a und 6b BKGG

Aktenzeichen  S 9 BK 4/15

Datum:
15.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 158663
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 44, § 48
BKGG § 11 Abs. 4

 

Leitsatz

Bei der Überprüfung nach § 44 SGB X i.V.m. § 11 Abs. 4 BKGG hinsichtlich der Rücknahme für die Vergangenheit ist im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen, ob der Antragsteller Unterlagen nicht oder nicht vollständig eingereicht oder erforderliche Angaben nicht gemacht hat und die Familienkasse ihrer Beratungspflicht im Hinblick auf die erforderlichen Angaben bzw. Unterlagen nachgekommen ist. (Rn. 30 – 31)

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 5. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Januar 2015 wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Bescheide vom 5. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30. Januar 2015 sind rechtmäßig. Ein Anspruch des Klägers auf Rücknahme des Bescheides vom 7. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Januar 2008 und vom 19. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2008 kommt nicht in Betracht. Der Kläger ist dadurch nicht in seinen Rechten verletzt, vgl. § 54 Abs. 2 SGG.
Das Gericht konnte durch Urteil in der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2017 entscheiden. Bei zusammenfassender Würdigung geht das Gericht davon aus, dass die Terminsmitteilung vom 12. Oktober 2017 in den Herrschaftsbereich des Klägers gelangt ist. Nach Aktenlage sind bisher keine Unregelmäßigkeiten und Auffälligkeiten bei Übersendungen mit einfachem Brief im Zugangs- und Herrschaftsbereich des Klägers aufgetreten (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 23. Mai 2013 – B 4 AS 247/12 B -juris). Jedes Schreiben hat den Kläger erreicht. Die Terminsmitteilung vom 12. Oktober 2017 hat die Ehefrau des Klägers erhalten; Gegenteiliges wurde weder vom Kläger noch von seiner Ehefrau vorgetragen. Zudem geht das Gericht davon aus, dass der Kläger die Terminsmitteilung vom 12. Oktober 2017 erhalten hat, diese jedoch wegen der zahlreichen weiteren Rechtsstreitigkeiten vor dem Sozialgericht Bayreuth, dem Landessozialgericht München, dem Verwaltungsgericht A. und weiterer Gerichte, in den Aktenbergen von mehreren tausend Seiten in „Verstoß“ geraten ist. Zudem hat der Kläger kein Interesse am Ausgang des Verfahrens dokumentiert (vgl. BSG, Beschluss vom 23. Mai 2013 – B 4 AS 247/12 B – juris). Er begehrte eine Abladung des Erörterungstermins vom 19. Oktober 2017 und eine Entscheidung des Gerichts durch Gerichtsbescheid und somit ohne mündliche Verhandlung.
Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ablehnungsentscheidung ist ausgehend von § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X zu beurteilen. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt (1. Alternative) oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist (2. Alternative), und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Nach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X).
§ 11 Abs. 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) enthält eine Sonderregelung für Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X: ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt ist abweichend von § 44 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch für die Zukunft zurückzunehmen; er kann ganz oder teilweise auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger in bisher keinem Widerspruchsverfahren zum ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 7. November 2007 bzw. zum Ablehnungsentscheid vom 19. Mai 2008 und auch nicht im Überprüfungsantrag auf die fehlende Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten, Riesterrente, Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträge und die fehlerhafte Berücksichtigung von Elterngeldleistungen im Zuflussmonat hingewiesen hat. Ferner hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass in den Anträgen der Ehefrau des Klägers vom 29. August 2007 und 28. Dezember 2007 erklärt wurde, dass alle Angaben richtig und vollständig gemacht wurden und Änderungen insbesondere der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Familienkasse unaufgefordert und unverzüglich mitgeteilt werden. Die entsprechenden Nachweise für die Kinderbetreuungskosten, Riesterrente und die Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträge lagen dem Kläger bereits im August bzw. Dezember 2007 vor.
Es ist nicht zu erkennen, dass die Beklagte ihren Beratungspflichten nicht nachgekommen ist. Trotz eindeutiger Abfrage in den Anträgen vom 29. August 2007 und 28. Dezember 2007 erfolgten dort keine Angaben zu Riester-Rentenbeiträgen und zur Kfz-Versicherung. Eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit ist daher nicht geboten (vgl. Kühl in: jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 6a BKGG, Rd.-Nr. 79). Die Beklagte hat auch zutreffend ihr Ermessen ausgeübt und im Widerspruchsbescheid Ermessensgesichtspunkte nachgeholt, vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X (Schütze in: von Wulffen/Schütze, 8. Auflage 2014, SGB X, § 41, Rd.-Nr. 10).
Die Kinderbetreuungskosten können zudem nicht berücksichtigt werden, da sie nicht infolge der Erwerbstätigkeit des Klägers oder seiner Ehefrau entstanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 9. November 2010 – B 4 AS 7/10 R, juris-Rd.-Nr. 17). Der Kläger ging im streitgegenständlichen Zeitraum keiner Tätigkeit nach, sondern war arbeitslos. Die Ehefrau befand sich nach der Geburt der dritten Tochter in Elternzeit.
Die Berücksichtigung der Elterngeldzahlungen bzw. Elterngeldnachzahlungen an die Ehefrau des Klägers im Zuflussmonat ist nicht zu beanstanden, vgl. §§ 11, 13 SGB II i. V. m. § 2 Abs. 2 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosendgeld II/Sozialgeld (Alg II-V).
Eine anderweitige Bewilligung von Kinderzuschlagsleistungen für August 2007 bis Januar 2008 ergibt sich auch nicht aus § 48 SGB X.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Vorliegend ist jedoch keine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage (vgl. hierzu: Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, Rd.-Nr. 4 ff. – BAY-ERN.RECHT) nach dem Bewilligungsbescheid vom 7. November 2007 bzw. dem Ablehnungsbescheid vom 19. Mai 2008 bezüglich der Kinderbetreuungskosten, der RiesterRentenbeiträge und der Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträge eingetreten bzw. wird solch eine Änderung durch den Kläger geltend gemacht.
Die Bescheide vom 5. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2015 sind rechtmäßig.
Demzufolge war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Das Urteil kann mit der Berufung angefochten werden (Beschwerdewert 1.098,00 € = 2.520,00 € (420,00 € x 6 Monate) – 1.422 € (bewilligte Leistungen August bis Dezember 2007)).

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