Sozialrecht

Anrechnungszeiten nach europarechtlichen Vorschriften

Aktenzeichen  L 19 R 30/11

Datum:
27.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 126480
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4, § 58
SGB X § 44
VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 6
VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 45

 

Leitsatz

Zur Berücksichtigung von Aufschubzeiten nach europarechtlichen Vorschriften.
1 Lebt der Kläger in einem anderen Land der Europäischen Union, ist für die Feststellung versicherungsrechtlich relevanter Zeiten der dort belegene Sozialversicherungsträger zuständig. (Rn. 63) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die in anderen Mitgliedsstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten werden für den Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben eines Leistungsanspruchs mit den deutschen Zeiten zusammengerechnet, soweit diese nicht auf dieselbe Zeit entfallen. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 4 R 429/09 2010-10-15 SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 15.10.2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im maßgeblichen Zeitraum vom Jahr 2007 bis 30.06.2008, da er noch in der Lage war, wenigstens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen tätig zu sein.
Zunächst ist festzustellen, was Streitgegenstand dieses Verfahrens ist.
Der Bescheid vom 11.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2009 und des Änderungsbescheides vom 16.12.2008 trifft zwei Regelungen: Zum einen lehnt er einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Dabei nennt die Beklagte zwar ein Antragsdatum 18.03.2008, ein solcher Antrag ist in den Akten jedoch nicht enthalten. Der Senat geht davon aus, dass die Beklagte auf ein entsprechendes Schreiben des Klägers vom 20.06.2007 oder auch vom 24.01.2008 entschieden hat und ein falsches Antragsdatum genannt hat. Letzten Endes kann dies im Hinblick auf die fehlende Erfüllung der medizinischen Voraussetzungen des § 43 SGB VI dahingestellt bleiben.
Weiter hat die Beklagte eine Überprüfung des Bescheides vom 18.01.2007, der auf den Antrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung vom 22.12.2006 ergangen ist, im Rahmen des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) vorgenommen.
Dabei erweist sich der Bescheid vom 11.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2009 als rechtmäßig, denn der Kläger hat weder einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf seinen Antrag vom 20.06.2007 hin noch einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 18.01.2007 gem. § 44 SGB X.
Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1.teilweise erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Zunächst ist festzustellen, dass maßgeblich die Leistungsfähigkeit des Klägers bis Juni 2008 ist, da nur bis Juni 2008 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 SGB VI erfüllt sind.
Der Versicherungsverlauf des Klägers weist als letzte rentenrechtlich relevante Zeiten in Portugal folgende Zeiten auf:
01.01.2002 bis 31.10.2002 10 Monate Pflichtbeitragszeit
01.11.2002 bis 31.01.2004 15 Monate gleichgestellte Zeit
01.02.2004 bis 31.05.2006 28 Monate Pflichtbeitragszeit.
Damit ergibt sich, dass der maßgebliche Fünfjahreszeitraum, in dem 36 Monate Pflichtbeiträge verzeichnet sind, am 30.06.2008 endet.
Entgegen der Ansicht der Bevollmächtigten des Klägers liegt im Anschluss daran auch keine Anrechnungszeit im Sinne des § 58 SGB VI vor. Für die Feststellung versicherungsrechtlich relevanter Zeiten ist der portugiesische Sozialversicherungsträger zuständig, da der Kläger dort lebt.
Für die Frage, inwieweit diese berücksichtigt werden, ist für das Jahr 2008 Artikel 45 Abs. 1 der Verordnung 1408/71 anzuwenden. Gemäß Artikel 45 Abs. 1 der Verordnung 1408/71 heißt es: „Ist nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Anspruchs auf die Leistungen eines Systems, das kein Sondersystem des Absatzes 2 oder 3 ist, davon abhängig, dass Versicherungs- oder Wohnzeiten zurückgelegt worden sind, berücksichtigt der zuständige Träger dieses Mitgliedsstaates, soweit erforderlich, die nach den Rechtsvorschriften jedes anderen Mitgliedsstaates zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten; dabei ist unwesentlich, ob dies in einem allgemeinen oder in einem Sondersystem, in einem System für Arbeitnehmer oder in einem System für Selbstständige zurückgelegt worden sind. Zu diesem Zweck berücksichtigt er diese Zeiten, als ob es sich um nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Zeiten handelte.“ Das bedeutet, die in anderen Mitgliedsstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten werden für den Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben eines Leistungsanspruchs mit den deutschen Zeiten zusammengerechnet, soweit diese nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Eine Zusammenrechnung der deutschen mit den portugiesischen Versicherungszeiten hat daher nur zur Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für einen Rentenanspruch zu erfolgen. Die Beklagte ist jedoch nicht zuständig für die Feststellung von in Portugal zurückgelegten Zeiten. Deshalb ist dem Beweisantrag der Bevollmächtigten des Klägers, Auskunft über die Art der Leistungen, die der Kläger seit 2008 vom portugiesischen Staat erhält, nicht nachzukommen.
Soweit die Verordnung 1408/71 ab dem Tag des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung 987/2009, dem 01.05.2010, durch die Verordnung 883/2004 ersetzt worden ist, gilt nichts anderes. Artikel 6 der Verordnung 883/2004 entspricht im Ergebnis Artikel 45 der Verordnung 1408/71 (vergleiche Hausschild in Hauck/Noftz, Kommentar EU-Sozialrecht, Stand Juli 2015, Verordnung 883/2004 zu Artikel 6).
Das Leistungsvermögen des Klägers stellt sich im Zeitraum bis Juni 2008 folgendermaßen dar: Der Kläger war noch in der Lage, wenigstens sechs Stunden täglich leichte und mittelschwere Tätigkeiten bis dreistündig im Wechselrhythmus, im Freien und geschlossenen Räumen zu verrichten. Vermieden werden mussten Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung wie Akkord- oder Fließbandarbeit, Wechsel- oder Nachtschicht, Arbeiten unter Termindruck, Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen wie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr, Arbeiten an laufenden Maschinen, Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems wie überwiegendes Stehen oder Gehen, häufiges Bücken mit Heben und Tragen schwerer Lasten über 15 kg, Arbeiten in Zwangshaltungen oder Überkopfarbeiten, Tätigkeiten unter ungünstigen äußeren Bedingungen wie Tätigkeiten unter Einflüssen von Kälte, Nässe, starken Temperaturschwankungen, inhallativen Reizstoffen wie Gase, Dämpfe, Stäube und Rauch.
Der Senat stützt sich insoweit auf die Feststellungen des Internisten, Arbeitsmediziners und Sozialmediziners Dr. C. in seinem Gutachten vom 24.11.2011 und den ergänzenden Stellungnahmen vom 23.10.2012 und 03.08.2011 sowie von Dr. D., Dr. B., Dr. D. und Dr. B. im sozialgerichtlichen Verfahren sowie von Dr. B., Dr. N., Dr. D. und Dr. B. vom 01.08.2004 in dem Verfahren S 4 RJ 568/03.
Maßgebend ist dabei, dass im Jahr 2004 letztmalig eine ambulante Untersuchung des Klägers durch mit dem deutschen Recht der Erwerbsminderung vertrauten Sachverständigen stattgefunden hat. In seiner sozialmedizinischen Zusammenfassung dieser Gutachten hat Dr. D. folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
– chronisch obstruktive Bronchitis
– arterieller Bluthochdruck
– Lendenwirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen, lumbalen Bandscheibenschäden und Fehlstatik durch Beinverkürzung links, Somatisierungsstörung bei Psychastenie und Schwindel
– beginnende Polyneuropathie
– chronische Nasennebenhöhlenentzündung
– Parodontose mit sanierungsbedürftigem Zahnstatus
– Fistelbildung im rechten Oberkiefer.
Der Kläger sei noch in der Lage, wenigstens sechs Stunden täglich mit qualitativen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein.
Dr. C. hat nun nachvollziehbar und schlüssig, ebenso wie Dr. B., Dr. D., Dr. B. und Dr. D. dargelegt, dass die in den Akten vorliegenden Unterlagen jedenfalls keine nachweisbare Verschlechterung bis Juni 2006 belegen. Im Hinblick auf die Einschränkungen auf HNOärztlichem Fachgebiet sind keine neuen Unterlagen vorhanden. Insoweit ergebe es keine abweichende sozialmedizinische Stellungnahme zu dem Vorgutachten von Dr. N. nach ambulanter Untersuchung aus dem Jahr 2004.
Dr. B. stellt in seinem Gutachten vom 11.08.2010 die Diagnosen einer beginnenden Polyneuropathie (2004), Somatisierungsstörung bei Psychastenie, Schwindel bzw. Anpassungsstörung mit affektiver Komponente, Verhaltensstörung. Er gibt an, nach Aktenlage sei keine wesentliche Änderung festzustellen. Die deskriptiven Befunde auf dem psychiatrischen Sektor hätten alleine für sich keine sozialmedizinische Relevanz.
Dr. B. weist darauf hin, dass die Osteodensitometrie vom 27.05.2009 eine verminderte Knochendichte im Bereich der Wirbelkörper L1 bis L4 beschreibe. Die Röntgenaufnahme der Wirbelsäule vom 27.05.2009 beschreibe eine mäßige Unkonvertebralarthrose, vor allen Dingen in der unteren Halswirbelsäule. Darüber hinaus Scheuermannkrankheit, beginnende Diskoarthrose im unteren Bereich der Lendenwirbelsäule und skoliotische Körperhaltung. Der Hausarzt Dr. N. bestätige degenerative Veränderung der unteren Lendenwirbelsäule und funktionelle Einschränkung der Wirbelsäule. Dr. D. diagnostiziert insofern eine Schmerzsymptomatik der unteren Lendenwirbelsäule, belastungs- und bewegungsunabhängig bei degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule einschließlich Protrusionen der Bandscheiben L4 bis S1, Fehlstatik der Wirbelsäule mit linkskonvexe Skoliose der Lendenwirbelsäule und Beckentiefstand links, Schmerzsymptomatik der Hals- und Brustwirbelsäule bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, verminderte Knochendichte (Übergang Osteopenie zur Osteoporose). Gegenüber der Voruntersuchung von 2004 sei noch zusätzlich eine Schmerzsymptomatik im Bereich der Halswirbelsäule hinzugekommen. Festgestellt wurden in weiteren Bildverfahren mittelgradigen degenerativen Veränderungen. Diese degenerativen Veränderungen führen jedoch nicht zu einer Minderung des quantitativen Leistungsvermögens, sondern nur qualitativen Einschränkung
Dr. D. hat in seinem Gutachten vom 11.04.2010 eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, ein HWS-BWS-LWS-Syndrom bei degenerativen Veränderungen und Fehlhaltung, cervikale und lumbale Bandscheibenschäden ohne radikuläre Symptomatik, Grenzwerthypertonie, chronische Nasennebenhöhlenentzündung, Somatisierungsstörungen bei Psychasthenie, Schwindel bzw. Anpassungsstörung mit affektiver Komponente, Verhaltensstörung, beginnende Polyneuropathie (2004), Parodontose (2004), Fistelbildung im rechten Oberkiefer (2004), Osteopenie mit Übergang zur Osteoporose (2009) festgestellt. Eine wesentliche Verschlechterung der Gesundheit des Klägers sei nicht belegt. Beschrieben werde lediglich seit 2009 eine Kalksalzminderung in Form einer Osteopenie mit Übergang zur Osteoporose. Der psychiatrische Bericht vom 22.04.2006 durch Dr. T., der orthopädische Bericht vom 17.12.2007 durch Dr. A., das psychiatrische Gutachten von Dr. T. vom 14.05.2008 und der ärztliche Bericht vom 20.05.2008 durch Dr. R., des Arztberichtes vom 05.06.2009 durch Dr. N. und von Dr. R. vom 24.09.2009 ließen sich keine wesentlichen Veränderungen erkennen. Die orthopädischerseits erhobenen Befunde beschrieben im Wesentlichen die gleichen Befunde wie bereits im Jahr 2004. Die psychiatrischen Diagnosen lauteten etwas anders, meinten aber inhaltlich die gleiche Erkrankung. Nachgewiesen sei lediglich eine Kalksalzminderung des Knochens (durch Osteodensitometrie nachgewiesen). In den portugiesischen Befunden fehlten Angaben zu Therapien. Zu den relevanten internistischen Erkrankungen fehlten jegliche Angaben. Eine wesentliche Verschlechterung sei nicht belegt.
Dr. C. hat erneut ein Gutachten nach Aktenlage vorgenommen und ist zur gleichen sozialmedizinischen Beurteilung gekommen. Dr. C. führt dazu an, dass der Bericht der Psychiaterin Dr. T. vom 22.04.2006 keine Änderung der Leistungsbeurteilung zulässt. Diese beschreibe zwar in ihrem Bericht verschiedene Symptome betreffend den psychischen und vegetativen Bereich, wobei nicht in jeder Hinsicht klar sei, ob sie hierbei anamnestisch berichtete oder ob es sich um selbst beobachtete psychopathologische Befunde handle. Sie spreche in ihrem Bericht von vollständiger und permanenter Unfähigkeit des Klägers zur Verrichtung seiner beruflichen Tätigkeiten. Im Hinblick darauf, dass Frau Dr. T. angegeben hat, schon im Jahr 1999 sei der Kläger nicht in der Lage gewesen, irgendwelche Tätigkeiten zu verrichten, obwohl danach sowohl im Jahr 2000 wie auch im Jahr 2004 noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt worden ist, ist insoweit Dr. T. nicht zu folgen. Im Zeitraum von Dezember 2006 bis einschließlich Januar 2008 liegen ebenfalls keine Berichte vor, die eine wesentliche Verschlechterung belegen.
Dr. C. führt zum Bericht des Orthopäden Dr. A. mit Datum 17.12.2007 aus, dieser enthält eine aussagekräftige Beschreibung des klinischen Befundes betreffend die Wirbelsäule und eine Auswertung aktuell erstellter röntgenologischer Untersuchungen. Der Vergleich der 2003 und 2007 von Dr. A. beschriebenen klinischen Befunde weise keine wesentliche Abweichung, insbesondere keine Verschlechterung auf. Das Gleiche treffe auf den röntgenologischen Befund zu. Diese Diskrepanz zwischen objektivem Befund und den vom Kläger geklagten Beschwerden sei auch Dr. A. aufgefallen. So weise er nicht ohne Grund darauf hin, dass das „Knochen-Gelenke-Krankheitsbild“ durch eine Depression und Verhaltensstörungen des Klägers, also durch seelische Faktoren überlagert werde.
Dr. C. gibt an, hinsichtlich des psychischen Zustandes des Klägers sei ebenfalls keine wesentliche Änderung nachgewiesen. Das Gutachten von Dr. T. vom 14.05.2008 stimmt nahezu wörtlich überein mit dem Bericht vom 22.04.2006. Es stelle nun neben einer psychischen Verlangsamung auch eine motorischer Art dar und Hinweis auf wiederholte Selbstmordgedanken. Allerdings sei dieses Gutachten insoweit keine Grundlage für eine sozialmedizinische Beurteilung, fehle es doch an einer ausführlichen Anamnese, eine Beschreibung des psychopathologischen Befundes, sowie Angabe der therapeutischen Möglichkeiten (insoweit lediglich medikamentös).
Am zeitnächsten zur maßgeblichen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen habe Dr. R. ein Gutachten mit Datum vom 20.05.2008 erstellt. Das Gutachten von Dr. T. habe vorgelegen. Gleichwohl habe Dr. R. die Frage nach einer dauernden Unfähigkeit für die Ausübung des Berufs bzw. der Arbeit des Klägers verneint.
Aus dem Jahr 2009 stammende Berichte seien dem Grunde nach nicht relevant, es liege jedoch auch ein Gutachten von Dr. R. vom 24.09.2009 mit einer „ständigen Unfähigkeit seinen Beruf/seine Arbeit auszuüben“ vor. Das Gutachten von Dr. R. berücksichtige die Befunde aktuell vorgenommener röntgenologischer Untersuchungen der Halswirbelsäule, der Lendenwirbelsäule und einer Knochendichtemessung. Des Weiteren liege ein Bericht des Hausarztes Dr. N. vom 05.06.2009 vor. Das Gutachten von Dr. R. erwähne, dass der Kläger sich wegen Bewegungsstörungen und Schmerzen vor allem des linken Beines nur unter großen Schwierigkeiten mit Hilfe eines Stocks fortbewegen könne, dieser Schmerzen beim Abtasten und bei der Bewegung der Wirbelsäule zeige und innerlich unruhig sei. In diagnostischer Hinsicht weise Dr. R. auf die Deformierung und den Verschleiß der Wirbelsäule hin, er spreche von Symptomen einer schweren Depression. Allerdings gehe die Befunderhebung durch Dr. R. zu wenig ins Detail, um rückblickend eine sozialmedizinische Beurteilung zu ermöglichen. Offenbar sei nach der Überzeugung von Dr. R. nach der Beurteilung im Mai 2008 eine wesentliche Verschlechterung erfolgt. In dem Gutachten von September 2008 stehe in diagnostischer Hinsicht eine Fehlhaltung und Verschleißveränderung der Lendenwirbelsäule sowie eine depressive Störung im Vordergrund. Bei der Untersuchung im September 2008 habe der Kläger deprimiert und traurig gewirkt, ohne dass aus diesen Angaben gegenüber den Vorgutachten auf eine Verschlimmerung des psychischen Zustandes geschlossen werden könne. Bei der funktionellen Untersuchung der Wirbelsäule seien von dem Kläger starke Schmerzen angegeben worden, die allgemeine Beweglichkeit sei als steif und der Gang als schwerfällig bezeichnet worden bei insgesamt normal neurologischem Befund. Auch diese Befunde seien in den genannten Vorgutachten dokumentiert: Allgemein motorische Verlangsamung, Verwendung eines Stockes beim Gehen, Schmerzangabe bei der Untersuchung der Wirbelsäule. Aus den vorliegenden Gutachten sei nicht zwangsläufig nachvollziehbar, dass in der Zeit von Mai 2008 bis September 2008 eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes eingetreten ist, es sei allerdings möglich.
Die Beweislast für den Nachweis einer Erwerbsminderung obliegt jedoch dem Kläger. Von einer quantitativen Leistungsminderung bis Juni 2006 konnte sich der Senat nicht überzeugen.
Dem Antrag der Bevollmächtigten des Klägers, ein neurologisch-psychiatrisches und ein orthopädisches Sachverständigengutachten mit persönlicher Untersuchung des Klägers zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger seit mindestens Mai 2008 außerstande ist, unter den übliche Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes einer Tätigkeit von drei Stunden oder länger bzw. von drei bis unter sechs Stunden nachzugehen sowie erforderlichenfalls ein Gesamtgutachten auf Basis dieser Gutachten einzuholen, wird nicht nachgekommen.
Dr. C. hat nachvollziehbar angegeben, dass eine ambulante aktuelle Untersuchung, wie auch immer sie ausfallen würde, keinen Rückschluss auf das Ausmaß der Leistungsfähigkeit des Klägers im Jahre 2008 zuließe. Gutachten nach Aktenlage liegen für diesen Zeitraum jedoch vor, und zwar durch das Gutachten von dem Orthopäden Dr. B. vom 29.06.2010 wie auch dem Nervenarzt Dr. B. vom 11.08.2010.
Unter Zugrundelegung dieser sozialmedizinischen Einschätzung hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 18.01.2007 gem. § 44 SGB X.
Gemäß § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Maßgeblich ist hier der Bescheid vom 18.01.2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 16.12.2008. Diese Bescheide erweisen sich jedoch als rechtmäßig. Gegenstand der Regelung war die Entscheidung über einen Antrag des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 22.12.2006.
Nach dem oben Dargelegten bestand jedoch ein wenigstens sechsstündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen, so dass die Beklagte zu Recht den Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abgelehnt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen