Sozialrecht

B 1 KR 15/20 R

Aktenzeichen  B 1 KR 15/20 R

Datum:
20.1.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2021:200121UB1KR1520R0
Spruchkörper:
1. Senat

Verfahrensgang

vorgehend SG Dortmund, 8. August 2016, Az: S 8 KR 504/15, Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 28. März 2019, Az: L 16 KR 676/16, Urteil

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. März 2019 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Obliegenheit, die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen mittels elektronischer Gesundheitskarte (eGK) nachzuweisen.
2
Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) gesetzlich versicherte und taubstumme Kläger, der zuvor mit einer auf unbefristete Weiternutzung seiner bisherigen Krankenversichertenkarte gerichteten Klage erfolglos geblieben war, beantragte für den Besuch eines Zahnarztes die Ausstellung eines Versicherungsnachweises in papiergebundener Form. Er wünsche nicht die Ausstellung der eGK und sei auch nicht zur Einsendung eines Fotos zu diesem Zwecke verpflichtet. Die Beklagte lehnte den Antrag ab und verwies den Kläger auf die Möglichkeit der Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 SGB V (Bescheid vom 16.1.2015, Widerspruchsbescheid vom 25.3.2015).
3
Die hiergegen gerichtete Klage, mit der der Kläger insbesondere datenschutz- und datensicherheitsrechtliche Einwände geltend machte, hat keinen Erfolg gehabt (Gerichtsbescheid des SG vom 8.8.2016). Im Berufungsverfahren hat der Kläger sein Vorbringen vertieft. Die gesetzlichen Regelungen zur eGK und zur Telematikinfrastruktur (TI) seien wegen Verstoßes gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht mit dem GG vereinbar. Die auf der eGK unverschlüsselt und nicht löschbar gespeicherten Daten könnten jederzeit unzulässig erweitert und damit ganze Persönlichkeitsprofile erstellt werden. Es bestehe eine erhebliche Missbrauchsgefahr. Ein den Eingriff rechtfertigender Nutzen der eGK sei demgegenüber nicht belegt. Es würden auch aktuell bereits Gesundheitsdaten ohne Kenntnis der Betroffenen auf der eGK gespeichert. Eine Beurteilung der Probleme, die sich aus der Erweiterung und Verarbeitung der Versichertendaten mit XML (Extensible Markup Language, erweiterbare Auszeichnungssprache) und XSD (XML Schema Definition) sowie neuer angepasster Software ergäben, sei ohne Hinzuziehung spezialisierter Gutachter nicht möglich.
4
Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 28.3.2019). Er habe keinen Anspruch auf Ausstellung eines papiergebundenen Ausweises zum Nachweis seiner Anspruchsberechtigung nach dem SGB V anstelle der eGK. Diese diene verpflichtend weiterhin lediglich dem Zweck der Identitätsfeststellung und dem Versicherungsnachweis. Eine maßgebliche Änderung zur Sachlage im Zeitpunkt der Entscheidung des BSG vom 18.11.2014 (B 1 KR 35/13 R) sei nicht eingetreten. Der Kläger habe keine Umstände vorgetragen, aus denen sich aktuell für ihn eine darüber hinausgehende, aus der Verpflichtung zur Nutzung der eGK folgende, konkrete Betroffenheit und Rechtsverletzung ergeben könnte. Soweit er ungeachtet des Regelungsgegenstandes der angefochtenen Bescheide und seines von der Beklagten beschiedenen Antrages die TI als solche inzidenter rechtlich überprüft wissen wolle, sei die gegen die Beklagte als gesetzliche KK gerichtete Klage hierfür ein von vornherein untaugliches Instrument. Hinsichtlich der Verarbeitung der ihn betreffenden Daten als Folge der Digitalisierung sei der Kläger in zumutbarer Weise insbesondere auf den Sozialdatenschutz zu verweisen.
5
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 124 Abs 1 SGG, § 103 SGG, Art 103 Abs 1 GG sowie des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG durch die Anwendung von § 15, § 291 Abs 2 Nr 7, § 291a Abs 7 und § 291b SGB V (aF). Das LSG habe nicht ohne vorherige Nachfrage in seiner Abwesenheit einseitig mündlich verhandeln dürfen. Die von ihm sinngemäß gestellten Beweisanträge zum Stand der konkreten Entwicklung der TI und zu den behaupteten Datensicherheitsmängeln habe das LSG nicht unberücksichtigt lassen dürfen. Die TI sei zwischenzeitlich hinreichend verfestigt und der durch § 15 Abs 2, § 291 und § 291a Abs 2 SGB V (aF) begründete Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aufgrund der unzureichenden Datensicherheit insgesamt nicht verhältnismäßig. Das im tatsächlichen Betrieb von eGK und TI vorhandene Schutzniveau habe jedenfalls zur Zeit noch nicht das für eine zumutbare Grundrechtseinschränkung erforderliche Ausmaß erreicht. Die Neuregelungen durch das Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) änderten daran nichts. Allein durch normative Akte könne die erforderliche faktische Datensicherheit nicht hergestellt werden. Die Frage der Datensicherheit der eGK und der TI betreffe generelle Tatsachen, die auch einer Aufklärung im Revisionsverfahren zugänglich seien.
6
Der Kläger beantragt,
        
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. März 2019 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 8. August 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm den Nachweis seiner Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen durch ein anderes für die Dauer des Versicherungsverhältnisses geltendes Nachweisdokument als die elektronische Gesundheitskarte ohne Lichtbild und ohne Chip zu ermöglichen,
hilfsweise,
        
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. März 2019 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückzuverweisen.
7
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
8
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.


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