Sozialrecht

Bedarfsgemeinschaft, Arbeitslosengeld, Leistungen, Beschwerde, Bescheid, Berufung, Gerichtsbescheid, Rechtsmittel, Regelbedarf, Mehrbedarf, Zulassung, Heizung, Abrechnung, Nebenkostenabrechnung, Arbeitslosengeld II, Zulassung der Berufung, SGB II

Aktenzeichen  L 7 AS 550/21 NZB

Datum:
10.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4398
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Wird ein Rechtsmittel bei der ersten Instanz eingelegt, ist es nicht verfristet, wenn genügend Zeit zur Weiterleitung an die Rechtsmittelinstanz vorhanden ist und erst dort geklärt werden kann, welches Rechtsmittel ein anwaltlich nicht Vertretener einlegen wollte.

Verfahrensgang

S 2 AS 2612/19 2021-10-25 GeB SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 25. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Streitig ist die Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 25. Oktober 2021.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin begehrt vom Beklagten und Beschwerdegegner aufgrund einer Heiz- und Nebenkostenabrechnung 357,33 EUR.
Die 1967 geborene Klägerin bezog in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem 2005 geborenen Sohn bis 30.04.2019 Arbeitslosengeld II. Der Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab 01.05.2019 wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 30.04.2019 wegen übersteigenden Einkommens abgelehnt.
Am 19.10.2019 stellte die Klägerin beim Beklagten Antrag auf Übernahme einer Nachforderung iHv 357,33 EUR aufgrund einer Heiz- und Nebenkostenabrechnung vom 21.05.2019.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16.10.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.11.2019 ab mit der Begründung, dass die Abrechnung im Mai oder Juni 2019 fällig gewesen sei, der Antrag aber erst im Oktober 2019 und somit zu spät gestellt worden sei, § 37 Abs. 1 und 2 SGB II. Seit 01.05.2019 bestehe kein gültiger Leistungszeitraum mehr.
Hiergegen erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht München. Die Abrechnung sei ihr erst im August 2019 ausgehändigt worden sei. Es handle sich um Mehrkosten für die Heizperiode 2018/2019, die für diesen Zeitraum in Rechnung gestellt worden seien.
Im Rahmen des Klageverfahrens legte der Beklagte den Antrag auf Übernahme der Abrechnung als Antrag auf Überprüfung des Ablehnungsbescheides vom 30.04.2019 nach § 44 SGB X aus und stieg in die Prüfung der Hilfebedürftigkeit im Monat August 2019 ein. Nachdem alle erforderlichen Unterlagen vorlagen, erließ der Beklagte mit Datum vom 18.08.2020 einen Änderungsbescheid für den Monat August 2019. Darin berücksichtigte der Beklagte als Bedarf für KdUH zusätzlich 238,35 EUR (zwei Drittel der Nachforderung anteilig für die beiden Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, nämlich die Klägerin und ihren Sohn; ein Drittel entfiel auf den nicht zur Bedarfsgemeinschaft zählenden und nicht bedürftigen Vater der Klägerin). Unter Berücksichtigung des Einkommens der Klägerin und ihres Sohnes im Monat August 2019 errechnete der Beklagte anschließend einen Anspruch in Höhe von 61,89 EUR, wovon 49,21 EUR auf die Klägerin und 12,68 EUR auf ihren Sohn entfielen.
Nachdem die Klägerin trotz richterlichen Hinweises, dass ihrem Klagebegehren damit entsprochen worden sei, die Klage nicht für erledigt erklärte, wies das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25. Oktober 2021 als unbegründet ab.
Der Überprüfungsbescheid vom 18.08.2019 sei gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Streitgegenständlich seien nur Leistungen für den Monat August 2019 entsprechend dem Antrag der Klägerin in Höhe der Nachforderung.
Die Klage sei unbegründet. Zutreffend habe der Beklagte mit Bescheid vom 18.08.2020 nicht wie von der Klägerin beantragt die gesamte Nachforderung iHv 357,33 EUR, sondern lediglich 61,89 EUR übernommen. Allein dieser Betrag ergebe sich als Bedarf für August 2019.
Der Beklagte habe den Bedarf der Klägerin und des mit ihr in Bedarfsgemeinschaft leben-den Sohnes zutreffend mit 1.541,74 EUR berechnet. Davon entfielen 424 EUR auf den Regelbedarf der Klägerin und 322 EUR auf den Regelbedarf des Sohnes. Darüber hinaus habe die Klägerin Anspruch auf Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe von 50,88 EUR. Des Weiteren bestehe ein Bedarf in Höhe von zwei Dritteln der Grundmiete, also 413,34 EUR. Das weitere Drittel entfalle nach dem Kopfteilprinzip auf den Vater der Klägerin, der ebenfalls mit in der Wohnung lebe. Hinzu kämen noch jeweils zwei Drittel der Abschläge für Nebenkosten und Heizung in Höhe von 55,86 EUR bzw. 37,31 EUR. Für den streitgegenständlichen Monat August 2019 kämen zusätzlich zwei Drittel der strittigen Nebenkostenabrechnung, also 238,35 EUR, als Bedarf hinzu. Somit errechne sich für August 2019 ein Gesamtbedarf in Höhe von 1.541,74 EUR.
Von diesem Bedarf sei Einkommen der Klägerin aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 1.785,44 EUR brutto, 1.333,85 EUR netto, abzüglich der Freibeträge, also letztlich 1.003,85 EUR zu berücksichtigen. Beim Sohn der Klägerin sei der Unterhaltsvorschuss iHv 272 EUR und das Kindergeld iHv 204 EUR zu berücksichtigen. Daraus habe der Beklagte unter Anwendung der Verteilregeln von § 9 Abs. 2 SGB II im Bescheid vom 18.08.2019 Leistungen der Klägerin in Höhe von 49,21 EUR und für ihren Sohn iHv 12,68 EUR zutreffend berechnet.
Die Berufung wurde im Gerichtsbescheid nicht zugelassen. In der Rechtsmittelbelehrung wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie entweder Antrag auf mündliche Verhandlung beim Sozialgericht stellen oder Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht einlegen könne.
Nachdem die Klägerin dem Sozialgericht unmittelbar nach Zustellung des Gerichtsbescheids am 28.10.2021 mitgeteilt hatte, dass sie mit dem Gerichtsbescheid nicht einverstanden sei, forderte das Sozialgericht die Klägerin mit Schreiben vom 18.11.2021 auf mitzuteilen, ob sie eine mündliche Verhandlung wünsche oder Beschwerde einlegen wolle.
Mit Schreiben vom 26.11.2021, eingegangen beim Sozialgericht am 29.11.2021 und anschließend beim Landessozialgericht am 02.12.2021, teilte die Klägerin mit, dass sie einen „Antrag“ stelle, aber aufgrund von Impffolgen nicht an einer mündlichen Verhandlung teilnehmen könne. Das Sozialgericht legte das Schreiben der Klägerin vom 28.10.2021 daraufhin als Beschwerde aus und leitete diese an das Bayerische Landessozialgericht weiter.
Auf entsprechendes richterliches Schreiben vom 12.12.2012 teilte die Klägerin mit, dass sie beim Bayerischen Landessozialgericht eine „Beschwerde“ verfolge. Der Beklagte habe alles falsch berechnet.
Die Beklagte hält die Beschwerde für verfristet, da das Schreiben der Klägerin vom 26.11.2021 zwar am Montag, den 29.11.2021, noch innerhalb der Rechtsmittelfrist beim Sozialgericht, jedoch erst nach Ablauf der Frist am 02.12.2021 beim zuständigen Landessozialgericht eingegangen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Akten verwiesen, auch soweit sie vom Sozialgericht München und dem Beklagten beigezogen wurden.
II.
Die Beschwerde auf Zulassung der Berufung ist zulässig.
Die Beschwerde ist statthaft, nachdem die Klägerin vom Beklagten für August 2019 Leistungen begehrt lediglich in Höhe der Nebenkosten- und Heizkostennachforderung von 357,33 EUR, § 144 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGG.
Die Beschwerde ist nicht verfristet. Die Klägerin hat bereits unmittelbar nach Zugang des Gerichtsbescheids am 28.10.2021 Rechtsmittel beim Sozialgericht eingelegt. Damit hatte das Sozialgericht einerseits ausreichend Zeit, das Schreiben innerhalb der Rechtsmittelfrist dem Landessozialgericht zuzuleiten (anders beim Eingang eines Rechtsmittels am Tag des Fristablaufs beim Sozialgericht, BayLSG Beschluss vom 17.12.2021, L 7 AS 545/21 B ER), musste aber andererseits auch versuchen zu klären, welches Rechtsmittel die Klägerin einlegen wollte. Auf das Schreiben der Klägerin vom 26.11.2021, das lediglich klarstellenden Inhalt hatte, kam es für die Fristwahrung ebenso wenig an wie auf das Schreiben der Klägerin im Beschwerdeverfahren mit Datum vom 15.01.2022, wo sie erstmals klar formulierte, dass sie eine „Beschwerde“ wolle.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Zulassungsgrund iS des § 144 Abs. 2 SGG benannt, geschweige denn inhaltlich auch nur annähernd angedeutet. Vielmehr hat sie nur vorgebracht, der Beklagte habe die Zahlung im Hinblick auf die Nebenkosten- und Heizkostenrechnung falsch berechnet.
Die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, stellt weder eine Frage grundsätzlicher Bedeutung iSd § 144 Abs. 2 Nr. 1 dar (Sächsisches Landessozialgericht Beschluss vom 14.12.2017, L 3 AL 133/15 NZB Rz 22) noch lassen sich hieraus Zulassungsgründe wegen Divergenz iSd § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG oder wegen eines Verfahrensfehlers iSd § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG ableiten.
Nach alledem ist die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.


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