Sozialrecht

Befreiung einer Syndikusanwältin von der Befreiung in der gesetzlichen Rentenversicherung – Streitgegenstand

Aktenzeichen  L 13 R 525/17

Datum:
13.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 4551
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 231
SGB VI § 6 Abs. 1
SGG § 96

 

Leitsatz

Die Entscheidung über die rückwirkende Befreiung einer Syndikusrechtsanwältin von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b und 4c SGB VI idF ab 01.01.2016 wird nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand eines Gerichtsverfahrens, in dem Gegenstand die Befreiung einer Syndikusanwältin nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. SGB VI (hier idF vom 09.12.2004) ist.

Verfahrensgang

S 27 R 2997/11 2012-10-12 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 12. Oktober 2012 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 19.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2011 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat konnte auch in Abwesenheit der Klägerin aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, da die Klägerin in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass im Falle ihres Ausbleibens auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 126 Rn. 4). Im Übrigen hat sie sich mit Schreiben mit ihres Bevollmächtigten vom 13.02.2019 mit einer solchen Verfahrensweise ausdrücklich einverstanden erklärt.
Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143,151 SGG zulässig, insbesondere statthaft und form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.10.2012 ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 19.05.2011 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 22.11.2011 abzuweisen. Mit diesen Bescheiden hat die Beklagte zu Recht abgelehnt, die Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeit für die C. (nunmehr Beigeladene zu 2.) von der Rentenversicherungspflicht zu befreien. Die Frage, ob die Klägerin nach der zum 01.01.2016 eingeführten Regelung in § 231 Abs. 4b SGB VI rückwirkend von der Versicherungspflicht zu befreien ist, ist nicht Streitgegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens. Für die Zeit ab 22.11.2016 hat sich die Berufung dadurch erledigt, dass die Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 27.02.2017 ab der Zulassung der Klägerin als Syndikusrechtsanwältin nach § 46 BRAO von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung befreit hat. Insoweit steht der Klage bereits kein Rechtsschutzbedürfnis mehr zur Seite.
1. Streitgegenstand ist damit nur der Bescheid vom 19.05.2011 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 22.11.2011, nicht aber der Bescheid vom 17.07.2017, der auf der Grundlage während des Berufungsverfahrens erlassener neuer Rechtsvorschriften ergangen ist. Die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG für eine Einbeziehung dieses Bescheids in das Berufungsverfahren sind nicht gegeben. Hinsichtlich des Bescheids vom 27.02.2017, der unmittelbar zur Erledigung des Rechtsstreits für die Zeit ab 22.11.2016 geführt hat, bedarf es ohnehin keiner formalen Einbeziehung.
Nach § 96 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt (VA) nach Klageerhebung nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen VA abändert oder ersetzt. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar ist der Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide nicht beschränkt. Auch ist der Bescheid vom 17.07.2017 nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2011 sowie bei noch nicht beendeter Rechtshängigkeit des Berufungsverfahrens ergangen. Er ändert den Bescheid vom 19.05.2011 jedoch weder ab noch ersetzt er diesen. Abändern oder ersetzen setzt allgemein voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden VA mit dem des früheren identisch ist, was durch Vergleich der in beiden VA getroffenen Verfügungssätze festzustellen ist (BSG, Urteil vom 24.11.1978 – 11 RA 9/78 -, BSGE 47, 168-172; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 96 Rn. 4a mwN). Dabei reicht bei der Abänderung eines teilbaren VA eine Identität des streitbefangenen Teils aus. Diese Identität ist vorliegend nicht gegeben.
Mit dem Bescheid vom 19.05.2011 hat die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 23.03.2011 auf Befreiung von der Versicherungspflicht für die Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) unter Bezugnahme auf die zum 20.01.2011 erfolgte Zulassung als Rechtsanwältin abgelehnt, da die Klägerin bei der Beigeladenen zu 2) keine anwaltliche Tätigkeit ausübe. Diese Entscheidung ist auf der Grundlage von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung und einer Tätigkeit der Klägerin als Syndikusanwältin ergangen.
Mit Bescheid vom 17.07.2017 hat die Beklagte den Antrag vom 08.04.2017 auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Syndikusrechtsanwältin nach § 231 Abs. 4b des (SGB VI) für die vom 01.07.2005 bis 21.11.2016 ausgeübte Beschäftigung als Mitarbeiterin bei der der C. aus formalen Gründen abgelehnt. Diese Entscheidung ist auf der Grundlage der zum 01.01.2016 geschaffenen Regelungen in § 231 Abs. 4b und 4c SGB VI ergangen.
Die Auslegung eines VA hat ausgehend von seinem Verfügungssatz und der Heranziehung des in § 133 BGB ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedankens zu erfolgen, dass es nicht auf den Buchstaben, sondern auf den wirklichen Willen der Behörde bzw. des Verwaltungsträgers ankommt, soweit er im Bescheid greifbar seinen Niederschlag gefunden hat. Für die Ermittlung des erklärten Willens sind dabei auch die Umstände und Gesichtspunkte heranzuziehen, die zur Aufhellung des Inhalts der Verfügung beitragen können und die dem Beteiligten bekannt sind, wenn der VA sich erkennbar auf sie bezieht. Maßstab der Auslegung ist insofern der verständige und Zusammenhänge berücksichtigende Beteiligte (BSG Urteil vom 20.03.2013 – B 5 R 16/12 R -).
Den in den Bescheiden verlautbarten Umständen lässt sich zwar im Wege der Auslegung entnehmen, dass beide die Ablehnung der Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht regeln. Allerdings ist der Bescheid vom 19.05.2011 dahin zu verstehen, dass er die Ablehnung der Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht wegen Nichtausübens einer anwaltlichen Beschäftigung bei der C. ab dem 05.01.2011 regelt. Auch der Befreiungsantrag war auf diese Tätigkeit einerseits und die nachträglich erfolgte Zulassung als Rechtsanwältin andererseits bezogen. Der Bescheid vom 17.07.2017 regelt dagegen die Ablehnung der Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht für die geltend gemachte Tätigkeit als Rechtsanwältin bereits für die Zeit ab 01.07.2005, wobei sich diese Ablehnung im Unterschied zu dem Bescheid vom 19.05.2011 auf den neu erworbenen Status der Klägerin als Syndikusrechtsanwältin bezieht. Eine Identität der Regelungsgegenstände beider Bescheide liegt damit schon aufgrund der unterschiedlichen Statusbezogenheit nicht vor (so ausdrücklich zur vorliegenden Konstellation BSG, Beschluss vom 22.03.2018 – B 5 RE 12/17 -). Schließlich sind beide Bescheide unter Anwendung unterschiedlicher Rechtsgrundlagen ergangen. Hinzukommt, dass die Beklagte die rückwirkende Befreiung schon deshalb abgelehnt hat, weil die Klägerin den Antrag nicht fristgerecht gestellt habe. Maßgebend waren in diesem Fall also formale Gründe.
Für eine enge Auslegung der VA im dargelegten Sinn spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 96 Abs. 1 SGG heutiger Fassung i.V.m. der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur alten Rechtslage. Das BSG hat § 96 Abs. 1 SGG in der bis zum 31.03.2008 geltenden Fassung unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie über seinen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus entsprechend angewendet (vgl. hierzu etwa BSG Urteil vom 17.11.2005 – B 11a/11 AL 57/04 R -). Mit Wirkung zum 01.04.2008 ist § 96 Abs. 1 SGG durch Art. 1 Nr. 16 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 (BGBl. I S. 444) neu gefasst worden. Die Gesetzesänderung („nur dann“) diente der Einschränkung des Anwendungsbereichs der Norm. Eine Einbeziehung des neuen VA sollte danach nur noch möglich sein, wenn der ursprüngliche Bescheid nach Klageerhebung durch ihn ersetzt oder abgeändert wird (BT-Drucks 16/7716 S. 19). Eine entsprechende Anwendung der Norm kommt seitdem nicht mehr in Betracht. Allerdings hatte das BSG schon unter der Geltung alten Rechts eine ausdehnende Anwendung des § 96 SGG abgelehnt, wenn zwar die späteren Entscheidungen auf derselben Rechtsgrundlage ergangen waren und es auch um dieselbe Rechtsfrage ging, die rechtlich relevanten Sachverhaltsumstände und Tatsachengrundlagen aber nicht oder nur teilweise deckungsgleich waren (vgl. etwa zum Vertragsarztrecht BSG, Urteil vom 20.03.1996 – 6 RKa 51/95 -; zur Beitragserhebung in der Unfallversicherung BSG, Urteil vom 24.06.2003 – B 2 U 21/02 R -; zu Betriebsprüfungen BSG, Urteil vom 14.07.2004 – B 12 KR 10/02 R -). Vorliegend hätte ungeachtet der fortbestehenden Beschäftigung der Klägerin bei der Beigeladenen zu 2) und der beiden Bescheiden zugrundeliegenden Frage der Rentenversicherungspflicht in dieser Tätigkeit schon nach früherem Recht die Veränderung der maßgeblichen Tatsachengrundlagen eine Anwendung des § 96 SGG ausgeschlossen. Wenn dies aber schon nach altem Recht der Fall war, muss dies erst recht unter der Geltung neuen Rechts gelten, vor allem wenn sich wie vorliegend nicht nur die Tatsachengrundlagen, sondern auch die maßgebenden Rechtsgrundlagen verändert haben.
Entsprechend der fehlenden Identität des Regelungsgehalts fehlt es auch an der Voraussetzung einer Änderung oder Ersetzung des Ursprungsbescheids durch den späteren VA. Der Bescheid vom 19.05.2011 ist durch den Bescheid vom 17.07.2017 weder ganz noch teilweise aufgehoben worden. Vielmehr ist der Bescheid vom 17.07.2017 neben den Bescheid vom 19.05.2011 getreten und entfaltet die oben aufgezeigte eigene Regelungswirkung.
Der Bescheid vom 17.07.2017 ist auch nicht im Wege der gewillkürten Klageänderung (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 99 SGG) zulässiger Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Die Beklagte hat einer Einbeziehung des Bescheids in das Berufungsverfahren ausdrücklich widersprochen. Sie erscheint auch nicht sachdienlich. Insbesondere sind hinsichtlich des Bescheids vom 17.07.2017, der auf einer anderen Rechtsgrundlage ergangen ist als die hier streitigen Bescheide, zahlreiche weitere tatsächliche und rechtliche Fragen zu klären, so insbesondere die Frage der Erforderlichkeit eines Antrags und die Frage, wann dieser Antrag gestellt worden ist. Diese Fragen werden in dem beim Sozialgericht anhängigen Klageverfahren zu klären sein. Dass die Klägerin dadurch prozessuale Nachteile erfahren könnte, ist nicht erkennbar. Vielmehr wird ihr durch diese Auslegung der Instanzenzug erst vollständig eröffnet.
2. Der Bescheid vom 19.05.2011 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 22.11.2011 ist gegenüber der Klägerin rechtmäßig ergangen, weil diese nach dem damals anwendbaren Recht keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung hatte. Dies folgte insbesondere aus den Entscheidungen des BSG vom 03.04.2014 (B 5 RE 3/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 13/14 R). Darin hat das BSG grundlegend entschieden, dass wer als Rechtsanwalt zugelassen und zugleich rentenversicherungspflichtig beschäftigt ist, wegen seiner berufsständischen Versorgung für diese Beschäftigung nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden kann. Es hat darin zugleich ausdrücklich der von der Beklagten zuvor angewandten „Vier-Kriterien-Theorie“, auf die noch das Sozialgericht seine Entscheidung gestützt hat, eine Absage erteilt und erklärt, dass diese vom Gesetz abweichende rechtswidrige Verwaltungspraxis auch nicht geeignet ist, einen Vertrauensschutz für diejenigen Personen zu begründen, die – wie die Klägerin – noch keine Befreiung erhalten haben (vgl. etwa BSG, a.a.O. – B 5 RE 13/14 R – Rn. 58). Materiellrechtlich einschlägig ist danach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung. Danach werden von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn
a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1.1.1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,
b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.
Die Klägerin war im streitigen Zeitraum abhängig beschäftigt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – SGB IV) als juristische Mitarbeiterin in einem Arbeitsverhältnis bei der C. e.V. (§ 611 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB -) und aufgrund dieser Beschäftigung auch rentenversicherungspflichtig (§ 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 1 Alt. 1 SGB VI). Die Zulassung als Rechtsanwältin bei der Rechtsanwaltskammer für den OLG-Bezirk A-Stadt mit gleichzeitiger verpflichtender Mitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 1) führte zwar dazu, dass die formalen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfüllt sind. Allerdings gibt § 6 Abs. 1 Satz Nr. 1 SGB VI versicherungspflichtig Beschäftigten, die gleichzeitig verkammerte Mitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind, einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nur für die „Beschäftigung, wegen der“ sie auf Grund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, das ist aber ausschließlich die anwaltliche Tätigkeit. Auch wenn die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft weder im Blick auf eine „Beschäftigung“ noch auf einen bestimmten Kreis anwaltlicher Betätigungen erfolgt, sondern mit der statusbegründenden Zulassung stets der volle Umfang anwaltlicher Berufsausübung eröffnet ist, der damit auch zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung führt, muss das Erfordernis einer anwaltlichen Tätigkeit aufgrund des Tatbestandselements derselben Beschäftigung (vgl. hierzu ausführlich BSG, a.a.O. Rn. 29ff) auch für die streitige Beschäftigung geprüft werden und vorliegen. Dazu hat das BSG die Auffassung vertreten, dass dies bei einer neben einer anwaltlichen Tätigkeit ausgeübten abhängigen Beschäftigung von vornherein ausscheidet. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an. Es handelt sich bei der Tätigkeit für einen Arbeitgeber schon mangels Tätigkeit in einer konkreten fremden Angelegenheit für die Erbringung von Rechtsdienstleistungen um keine Tätigkeit, die einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bedürfte (§ 2 Abs. 1, § 3 des Gesetzes über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen – RDG). Die im Rahmen der Beschäftigung erbrachte Erwerbstätigkeit ist damit für ihre Mitgliedschaft bei der Beigeladenen und die hierdurch parallel zur gesetzlichen Rentenversicherung begründete öffentlich-rechtliche Sicherung ohne Bedeutung, sodass es bereits deshalb an der Grundvoraussetzung von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI fehlt und sich eine weitergehende inhaltliche Prüfung erübrigt. Verfassungsrechtliche oder europarechtliche Bedenken bei dieser Auslegung sind vom BSG nicht gesehen worden und auch im Verfahren nicht vorgetragen worden. Auch die Bezeichnung „Syndikusanwalt“ für einen zugleich als Rechtsanwalt zugelassen Beschäftigten steht dieser Auslegung nicht entgegen. So hat der Bundesgerichtshof (BGH) in jahrzehntelanger Rechtsprechung stets darauf hingewiesen, dass in diesem Fall beide Arbeitsbereiche streng zu trennen sind und dass die Eigenschaft als Rechtsanwalt nichts daran ändert, dass das Arbeitsverhältnis von dem Prinzip der Über- und Unterordnung beherrscht wird. (vgl. exemplarisch BGH Urteil vom 25.2.1999 – IX ZR 384/97 – BGHZ 141, 69, 71 mit Hinweis auf BT-Drucks III/120 S. 77 und Beschluss vom 7.2.2011 – AnwZ (B) 20/10 – NJW 2011, 1517, 1518 RdNr. 6). Der Syndikusanwalt wird daher, wenn er im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses agiert, gerade nicht als Rechtsanwalt tätig. Im Beschluss vom 07.02.2011 hat der BGH – unter ausdrücklicher Erweiterung dieser Rechtsprechung auf das Berufsbild des europäischen Rechtsanwalts (§ 2 Abs. 1 EuRAG) bestätigt, dass die mit dem Dienst- oder Anstellungsverhältnis verbundenen Bindungen und Abhängigkeiten nicht im Einklang mit dem in §§ 1 bis 3 BRAO normierten Berufsbild des Rechtsanwalts als freiem und unabhängigem Berater und Vertreter aller Rechtsuchenden stehen. In Übereinstimmung hiermit hat das BVerfG (Beschluss vom 04.11.1992 – 1 BvR 79/85 ua – BVerfGE 87, 287, 294 f) unter Verweis auf die BT-Drucks III/120, S. 56 f ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ungeachtet im Einzelfall arbeitsrechtlich eröffneter Möglichkeiten, auch gegenüber dem Arbeitgeber sachlich selbständig und eigenverantwortlich zu handeln, allein die Eingliederung in die von diesem vorgegebene Arbeitsorganisation mit dem Berufsbild des Rechtsanwalts unvereinbar ist. Das für die Zulassung unverzichtbare Berufsbild des Rechtsanwalts kann sich damit nur daraus ergeben, dass der Syndikus rechtlich und tatsächlich in der Lage ist, neben (!) seiner Tätigkeit im Unternehmen Rechtsuchende als freier Anwalt zu beraten und zu vertreten. Der Syndikusanwalt ist Rechtsanwalt, nicht weil er Syndikus ist, sondern weil er sich aufgrund einer nur deshalb zu erteilenden Zulassung unabhängig hiervon und daneben gesondert als Rechtsanwalt betätigt. Beide Tätigkeiten sind grundsätzlich getrennt zu betrachten.
Rechtlich unerheblich ist daher auch, ob die in Frage stehende Beschäftigung inhaltlich „Elemente“ der anwaltlichen Berufstätigkeit aufweist. Unterschiedliche Absicherungen in unterschiedlichen Systemen sind Konsequenz des Umstandes, dass synchron und diachron eine Vielzahl von Erwerbstätigkeiten betrieben werden kann, und deren hieran anknüpfende Absicherung nicht ihrerseits im Sinne eines einheitlichen Gesamtkonzepts durch zwingendes Recht koordiniert ist. Es gibt deshalb auch keinen Rechtssatz des Inhalts, dass stets nur die Zugehörigkeit zu einem einzigen Sicherungssystem in Betracht kommen könnte oder es ungeachtet einer Änderung der hierfür rechtlich maßgeblichen Umstände stets bei der einmal begründeten Zuständigkeit eines Systems zu verbleiben habe. Nur soweit der Gesetzgeber hierfür im Einzelfall Anlass gesehen hat und im Anwendungsbereich der jeweiligen Koordinierungsregelung kann hiervon ausnahmsweise abgesehen werden (BSG, a.a.O., Rn. 45).
§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ist als abschließende Ausnahmeregelung einer weiten, erweiternden oder analogen Anwendung weder bedürftig noch fähig. Die Klägerin gehört als abhängig Beschäftigte i.S. von § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV zum Kernbereich der typisiert Schutzbedürftigen und deshalb grundsätzlich in allen Zweigen der Sozialversicherung (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV) und insbesondere in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 1 SGB VI) Zwangsversicherten. Die gesetzlichen Voraussetzungen einer Tatbestandsreduktion, die Anlass gegeben hätten, von vornherein von der Anordnung der Rechtsfolge Versicherungspflicht abzusehen (z.B. § 1 Satz 3 SGB VI) oder trotz Eröffnung des Anwendungsbereichs der Beschäftigtenversicherung ausnahmsweise unmittelbar kraft Gesetzes Versicherungsfreiheit anzuordnen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – Nr. 3 SGB VI), sind erkennbar nicht erfüllt. Die vorliegend allein in Frage stehende Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI gehört zu einem Kreis von Bestimmungen, die den betroffenen Pflichtversicherten unter den im Gesetz jeweils im Einzelnen umschriebenen Voraussetzungen nach eigenem „Entschließungsermessen“ einen Anspruch auf eine konstitutive Befreiung von der Rentenversicherungspflicht durch einen gebundenen Verwaltungsakt des Rentenversicherungsträgers mit grundsätzlich auf die in Frage stehende Beschäftigung begrenzter Wirkung (§ 6 Abs. 5 SGB VI) gewähren, um nachfolgend allein im berufsständischen Versorgungswerk zu verbleiben. Eine vollständige Entlassung aus der öffentlichen Sozialversicherung ist dagegen nicht möglich (vgl. BVerfG Beschluss vom 05.05.2008 – 1 BvR 1060/05). Dieses Ergebnis verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19.06.2017 – 1 BvR 2584/14 -). Zuvor hat das BVerfG bereits mehrfach entschieden, dass der Gesetzgeber zur Bestimmung der Schutzbedürftigen typisierend an den Sachverhalt der Beschäftigung anknüpfen und in Verbindung hiermit Versicherungszwang anordnen darf und dass die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung die Betroffenen insbesondere nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt (vgl. etwa BVerfG Beschluss vom 26.06.2007 – 1 BvR 2204/00, 1 BvR 1355/03 -). Mangels eines unmittelbar berufsregelnden Charakters wird danach auch der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG nicht berührt.
3. Der Bescheid vom 19.05.2011 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 22.11.2011 ist auch nicht dadurch nachträglich rechtwidrig geworden, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015 (BGBl I 2015, 2517) Regelungen erlassen hat, mit denen nunmehr auch die Klägerin als sog. Syndikusrechtsanwältin zugelassen (§ 46a BRAO) und in dieser Funktion befreit werden konnte, da beide Regelungen unabhängig nebeneinander bestehen (vgl. auch oben unter 1).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens. Eine davon abweichende Kostenentscheidung war auch nicht unter dem Gesichtspunkt der teilweisen Erledigung des Rechtsstreits durch die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht ab 22.11.2016 zu treffen. Auch bei einer ausdrücklichen teilweisen Erledigterklärung wären dabei die Grundsätze des § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG zu beachten, wonach im Falle der Erledigung der Hauptsache das Gericht nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens entscheidet. Dabei ist vor allem die bisherige Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen, d.h. welcher der Beteiligten ohne das zur Erledigung führende Ereignis (hier die Neuregelungen zum 01.01.2016) voraussichtlich obsiegt hätte bzw. unterlegen wäre. Danach hätte vorliegend die Beklagte obsiegt, die die Neuregelung im Übrigen auch unverzüglich anerkannt und umgesetzt hat (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 29.08.2011 – B 6 KA 18/11 R – und zur Frage des „sofortigen Anerkenntnisses“ bei geänderter Sach- und Rechtslage Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 193, Rn. 6). Die Frage, ob die Klägerin danach auch einen Anspruch auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht gehabt hätte, ist nicht Gegenstand des streitigen Verfahrens und entsprechend auch nicht Gegenstand der zu treffenden Kostenentscheidung (vgl. auch Bayer. Landessozialgericht, Beschluss vom 21.03.2017 – L 19 R 723/11).
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Die Entscheidung ergeht auf der Grundlage der Rechtsprechung des BSG, insbesondere der Urteile vom 03.04.2014 (Az. B 5 RE 7/14 R u.a.) sowie hinsichtlich der Frage der Anwendung des § 96 SGG auf der Grundlage des Beschlusses vom 22.03.2018 (Az. B 5 RE 12/17), der seinerseits auf gefestigte Rechtsprechung des BSG Bezug nimmt. Es ist daher weder der Tatbestand der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGG) noch der der Divergenz (§ 160 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGG) gegeben.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen