Sozialrecht

Beitragsrecht: Versicherungspflicht eines Fahrtrainers

Aktenzeichen  L 7 BA 166/18

Datum:
24.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32653
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 7, § 7a

 

Leitsatz

Bei gleichzeitiger Berichtigung nach § 138 SGG und § 139 SGG ist die Berichtigung durch alle Berufsrichter vorzunehmen.
Für eine faktische Eingliederung in den Betrieb spricht es, wenn ein Auftragnehmer erst nach Schulung durch den Auftraggeber, nach dessen Vorgaben, auf dessen Betriebsgelände und unter Verwendung der Betriebsmittel tätig wird, sich “markenkonform” zu verhalten hat, eine Tagespauschale erhält und nicht direkt mit den Kunden des Auftraggebers abrechnet. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 56 R 771/17 2018-08-09 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufungen der Kläger werden zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässigen Berufungen sind unbegründet.
Das Sozialgericht München hat mit seinem Urteil vom 09.08.2018 zutreffend entschieden, dass die Bescheide der Beklagten vom 10.08.2016 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 05.04.2017 rechtmäßig sind und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzen, soweit die Beklagte festgestellt hat, dass der Kläger bei seiner Tätigkeit für die Klägerin als Instruktor im Fahrtraining, Trainer sowie Präzisionsfahrer nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt.
Statthafte Klageart ist vorliegend die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt., § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG (vgl. Bay. LSG vom 16.7.2015, L 7 R 181/15), die auch im Übrigen zulässig ist.
Zutreffend hat die Beklagte entschieden, dass der Kläger als Student nur versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung ist. Eine geringfügige Beschäftigung ist nicht gegeben, wie das Sozialgericht in seiner Entscheidung zutreffend dargelegt hat.
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG vom 24.1.2007, B 12 KR 31/06 R; BSG vom 4.7.2007, B 11 AL 5/06 R) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (vgl. BSG vom 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R, Rn 15; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit siehe BVerfG SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Dies bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen, zu denen die rechtlich relevanten Umstände gehören, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben (vgl. BSG vom 28.9.2011, B 12 R 17/09 R; vom 11.3.2009, B 12 KR 21/07 R; vom 28.5.2008, B 12 KR 13/07 R; vom 24.1.2007, B 12 KR 31/06 R; vom 22.6.2005, B 12 KR 28/03 R; vom 18.12.2001, B 12 KR 10/01 R).
Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Die tatsächlichen Verhältnisse geben den Ausschlag, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. hierzu insgesamt BSG vom 24.1.2007, a.a.O., BSG vom 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R, Rn 16).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ausgehend von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls überwiegen vorliegend im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung die Merkmale, die für eine selbständige Tätigkeit sprechen. Bei der Gesamtschau sind im Ergebnis gewichtige Argumente für eine abhängige Beschäftigung einerseits und gewichtige Argumente für eine selbständige Tätigkeit andererseits gegeben, wobei aus Sicht des Senats letztlich der Gesichtspunkt, ob ein Unternehmerrisiko besteht, im Rahmen der Abwägung den Ausschlag für die Annahme einer nicht selbständigen Tätigkeit gibt.
Zunächst ist hier zu berücksichtigen, dass die Kläger einvernehmlich eine selbständige Tätigkeit des Klägers bei der Klägerin wollten (BSG Urteil vom 14.03.2018, B 12 R 3/17 R). Für eine selbständige Tätigkeit sprechen vor allem auch folgende Gesichtspunkte:
– Der Kläger kann von der Klägerin angebotene Einzelaufträge nach Belieben ablehnen und bietet ggf auch von sich aus Termine an.
– Der Kläger ist auch für andere Auftraggeber tätig.
– Der Kläger hat auch nach Annahme eines Einzelauftrags umfangreiche eigene Gestaltungsmöglichkeiten bei Ausführung seines Auftrags.
– Der Kläger setzt auch eigene Arbeitsmittel (zB Helm, Handschuhe) ein.
– Der Kläger wurde mittels einer Pauschale entlohnt.
– Der Kläger hat eine eigene Risikoversicherung abgeschlossen.
Demgegenüber sprechen gerade im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 04.06.2019, B 12 R 11/18 R, wonach es insbesondere auf die faktische Eingliederung in den Betrieb ankommt (vgl. zur Überlagerung des Willens von Vertragspartner durch die faktischen Gegebenheiten BSG aaO Rz 24), vor allem folgende Gesichtspunkte für eine abhängige Beschäftigung:
– Der Kläger kann für die Klägerin erst nach entsprechender Schulung durch die Klägerin, dh Teilnahme an entsprechenden von der Klägerin angebotenen Kursen, tätig werden.
– Der Kläger erbringt seine Leistung ausschließlich auf dem Gelände der Klägerin im Rahmen der von ihr angebotenen Kurse und verwendet ausschließlich Kfz der Klägerin.
– Der Kläger hat die Teilnehmer an den Kursen entsprechend den Leitlinien der Klägerin, wie sie im Instruktorenhandbuch niedergelegt sind, zu unterrichten, wobei dies ausschließlich in den Räumen der Klägerin geschieht.
– Auch wenn der Kläger bei seinem Fahrunterricht und theoretischen Unterricht nicht kontrolliert wird und weitgehende Freiheiten genießt, bedeutet dies nicht, dass der Kläger in einem von einer möglichen Steuerung durch die Klägerin völlig unbeeinflussten, ggf sogar weisungsfreien Raum tätig wird. Letztlich hat er sich „markenkonform“ im Hinblick auf die Automarke der Klägerin zu verhalten, wie sich insbesondere aus der Konkurrenzklausel ergibt, wonach der Kläger für andere Automobilanbieter nicht vergleichbar tätig werden darf.
– Der Kläger erbringt seine Leistung gegenüber Kunden der Klägerin, die diese mit den Endkunden, den Teilnehmern an den Kursen, abrechnet.
– Die Tagespauschale, die der Kläger von der Klägerin erhält, ist in ihrer Höhe nach Stunden gestaffelt und kommt daher einem Stundenlohn sehr nahe. Das wirtschaftliche Risiko minimiert sich durch die Pauschale. Der Kläger erhält letztlich seine Dienstleistung entsprechend seinem zeitlichen Einsatz vergütet. Auf der anderen Seite hat der Kläger aufgrund der Pauschale und der damit verbundenen Stundenvorgabe im Ergebnis keine hinreichenden Gewinnmöglichkeiten, wie sie für eine selbständige Tätigkeit typisch sind.
Diese tatsächlichen Gesichtspunkte bedeuten eine Eingliederung des Klägers in den Betriebsablauf der Klägerin in einer die Tätigkeit an sich prägenden Weise (vgl BSG Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 11/18 R Rz 28), verbunden mit geringen unternehmerischen Gewinnchancen aufgrund der eng an die Stundenzahl anknüpfenden Pauschale und einem – wenn auch nicht oder kaum ausgeübten, aber letztlich doch vorhandenem – Weisungsrecht.
Bei der Abwägung dürfen die Besonderheiten des Einzelfalls nicht außer Betracht gelassen werden (vgl BSG Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 11/18 R Rz 35). Hier ergeben sich allerdings keine wesentlichen Umstände, die angesichts der bereits festgestellten Umstände, die überwiegend für eine abhängige Beschäftigung sprechen, im Ergebnis doch noch den Ausschlag geben könnten zugunsten einer selbständigen Tätigkeit. Soweit ein Einzelgesichtspunkt bei der Abwägung dergestalt Berücksichtigung finden kann, dass die Abwägung im Ergebnis zur Annahme einer selbständigen Tätigkeit führt, wie es nach der Rechtsprechung des BSG in Zusammenschau mit weiteren typischen Merkmalen einer selbständigen Tätigkeit, zB dem werbenden Auftreten am Mark für die angebotenen Leistungen (BSG Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 11/18 R Rz 35) der Fall sein kann, sind solche Gesichtspunkte hier nicht ersichtlich. Insbesondere ein besonderes wirtschaftliches Risiko des Klägers ist nicht gegeben,da der Kläger Student ist und als solcher nicht wie ein hauptberuflich im Fahrerbereich Tätiger seiner besonderen Befähigung als Fahrer entsprechende Aufträge von verschiedenen Auftraggeber in ausreichendem Maße zur Bestreitung seines Lebensunterhalts erhalten muss (vgl Bay LSG Urteil vom 23.11.2015, L 7 R 387/14 Rz 45). Vielmehr stellt der Kläger der Klägerin seine Arbeitskraft als Dienstleister wie ein abhängig Beschäftigter nach Annahme eines Einzelauftrags ohne wirtschaftliches Risiko zur Verfügung. Wie bei jedem anderen Studentenjob bzw jeder anderen Nebentätigkeit, bei der lediglich die Arbeitskraft im Rahmen von Dienstleistungen zur Verfügung gestellt wird, ergibt sich kein besonderes finanzielles Risiko.
Im Ergebnis haben die Berufungen keinen Erfolg, da die Tätigkeit des Klägers für die Klägerin als abhängige Beschäftigung zu werten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.


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