Sozialrecht

Bewilligung, Arbeitslosengeld, Bescheid, Leistungen, Widerspruchsbescheid, Pflegeversicherung, Zuschuss, Verwaltungsakt, Arbeitslosigkeit, Widerspruch, Klageverfahren, Leistung, Kinder, Ehefrau, Treu und Glauben, einmalige Leistung, rechtswidriger Verwaltungsakt

Aktenzeichen  S 17 AL 238/20

Datum:
5.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 47293
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid vom 26.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.07.2020 ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat zutreffend die rechtswidrige Bewilligung eines Zuschusses zu den Kosten der privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Ehefrau und Kinder des Klägers mit Wirkung für die Zukunft ab 01.04.2020 zurückgenommen.
Rechtsgrundlage hierfür ist § 45 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Hiernach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Nr. 3) (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X).
Ein rechtswidriger Verwaltungsakt darf danach nach Treu und Glauben nur zurückgenommen werden, wenn das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung das durch den Erlass des fehlerhaften Aktes begründete Vertrauen des Begünstigten auf die Beständigkeit behördlicher Entscheidungen überwiegt. Das öffentliche Interesse besteht im Interesse der Solidargemeinschaft an der Vermeidung ungerechtfertigter Belastungen und nicht zu rechtfertigender Aufwendungen zu Lasten der Allgemeinheit. Ausgehend davon ist das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes bei Dauerleistungen in der Regel höher einzuschätzen als bei der Gewährung einmaliger Leistungen, weil eine Dauerleistung die Allgemeinheit in der Regel stärker belastet als eine einmalige Leistung. Dieses Interesse wiegt umso schwerer, je länger ohne Korrektur Leistungen gewährt werden müssten. Sind Leistungen nicht erbracht oder Vermögensdispositionen nicht getroffen worden, überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an der Herstellung der wahren Rechtslage (vgl. Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 45 Rn. 46, 47).
Liegen die Rücknahmevoraussetzungen nach Maßgabe der Absätze 1 bis 4 vor, „darf“ nach Abs. 1 der rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Dadurch ist Rücknahmeermessen eröffnet (vgl. Schütze, a. a. O., § 45 Rn. 101). Der Vorgabe des § 39 Abs. 1 SGB I nach ist das nach Abs. 1 eröffnete Ermessen unter Einhaltung seiner Grenzen dem Zweck der Ermächtigung entsprechend auszuüben; hierauf hat der Betroffene einen Rechtsanspruch. Dazu sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles zunächst zu ermitteln und zu berücksichtigen, soweit sie einen unmittelbaren Bezug auf Vertrauen und Schutzwürdigkeit des Betroffenen sowie das öffentliche Interesse haben (Schütze, a. a. O., § 45 Rn. 102). Eine ausreichende Ermessensbetätigung liegt vor, wenn die Behörde einen Bescheid nur für die Zukunft, nicht auch für die Vergangenheit zurücknimmt (Schütze, a. a. O., § 45 Rn. 104).
Vorliegend hat die Beklagte zwar mit dem angefochtenen Ausgangsbescheid vom 26.03.2020 zunächst einen standardisierten „Änderungsbescheid“ erlassen und die Bewilligung des Zuschusses betreffend die Ehefrau und die Kinder mit der Begründung einer eingetretenen Änderung ab 01.04.2020 mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 SGB X aufgehoben. Der Kläger wurde jedoch mit Schreiben vom 29.04.2020 nochmals zum Sachverhalt angehört. Zudem hat die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 01.07.2020 die Entscheidung zulässigerweise dahingehend abgeändert, dass eine Rücknahme der Bewilligung auf Grundlage von § 45 Abs. 1 SGB X erfolgt ist. Auch hat sie die zuvor unterbliebene Ermessensausübung nachgeholt.
Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 SGB X zur Rücknahme der Bewilligung mit Bescheid vom 23.12.2019 lagen zur Überzeugung der erkennenden Kammer vor. Der Bescheid vom 23.12.2019 war ein anfänglich rechtwidriger begünstigender Verwaltungsakt. Denn der Kläger hat vorliegend keinen Anspruch auf Übernahme von KV/PV-Beiträgen für seine Familienmitglieder, weil nicht er, sondern seine Ehefrau Versicherungsnehmer bei der D. ist. Der Gesetzeswortlaut des § 174 Abs. 2 SGB III ist insofern eindeutig. Hiernach übernimmt die Bundesagentur die von der Leistungsbezieherin oder dem Leistungsbezieher an das private Krankenversicherungsunternehmen zu zahlenden Beiträge. Der Leistungsbezieher muss damit formal rechtlich Schuldner der Beiträge sein (so auch Peter-Bernd Lüdtke/Sandra Ewig in Böttiger/Körtek/Schaumberg, Sozialgesetzbuch III, 3. Auflage 2019, § 174 Rn. 4). Dies ist vorliegend hinsichtlich der an die D. zu zahlenden Beiträge nicht der Fall.
Ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers steht der Rücknahme für die Zukunft nicht entgegen. Da es sich bei der rechtswidrigen Bewilligung um eine Dauerleistung handelt und der Kläger für die Zukunft keine Vermögensdisposition getroffen hatte bzw. die Leistungen noch nicht erbracht waren, überwog das öffentliche Interesse an der Herstellung des rechtmäßigen Zustands für die Zukunft. Da die Beklagte die fehlerhafte Bewilligung nur für die Zukunft und nicht auch für die Vergangenheit zurückgenommen hat, ist bereits hierin eine ausreichende Ermessensbetätigung zu sehen. Zudem hat sie im Widerspruchsbescheid weitere Ermessenserwägungen angestellt. Die erkennende Kammer kann diese nur auf Ermessensfehler überprüfen. Derartige Ermessensfehler sind vorliegend nicht ersichtlich.
Die Klage konnte aus den genannten Gründen keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.


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