Sozialrecht

Tätigkeit als Vorstandsassistent als vorübergehende berufsfremde Tätigkeit

Aktenzeichen  S 11 R 869/12

Datum:
22.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
AnwBl – 2020, 174
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

1. Es liegt eine vorübergehende berufsfremde Tätigkeit vor, für die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI aufrechterhalten bleibt, wenn innerhalb eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses für eine bestimmte Zeit (hier: 1,5 Jahre) die Tätigkeit als Vorstandsassistent übernommen wird. (Rn. 20 – 25)
2. Es steht einer Befreiung gem. § 6 Abs. 2 SGB VI nicht entgegen, dass die vorübergehende berufsfremde Tätigkeit innerhalb eines unbefristeten Arbeitsvertrags bei dem Arbeitgeber ausgeübt wird. (Leitsätze des Einsenders) (Rn. 26 – 28)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20.10.2011 in der Fassung des Bescheides vom 07.12.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2012 verurteilt, den Kläger für die Tätigkeit als Assistenten des Vorstandsvorsitzenden für die Zeit vom 01.07.2011 bis 31.12.2012 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Gründe

Das Sozialgericht München ist sachlich und örtlich zuständig. Die form- (§ 90 SGG) und fristgerecht (§ 87 SGG) erhobene Klage ist zulässig.
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger ist für seine Tätigkeit in der Zeit vom 01.07.2011 bis 31.12.2012 als Assistent des Vorstandsvorsitzenden der V… von der Versicherungspflicht zu befreien.
Unstreitig ist, dass eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht in Betracht kommt. Die Befreiung ergibt sich jedoch aus § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI. Nach dieser Vorschrift erstreckt sich die Befreiung in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese in Folge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet.
Wie die Beigeladene zu 1) mitgeteilt hat, wurden für den Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum einkommensbezogene Pflichtbeiträge zur Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung gezahlt.
Sinn und Zweck des § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI ist es, einen besonderen Aufwand für ersichtlich nur vorübergehende Tätigkeiten zu vermeiden (vgl. BayLSG vom 22.07.2015 – L 20 R 630/12). Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass § 6 Abs. 5 Satz 2 sicherstellen sollte, „dass eine vorübergehende berufsfremde Tätigkeit nicht zu einem Wechsel des Alterssicherungssystems führt. Die Regelung gilt insbesondere für die Zeit des Wehrdienstes“ (vgl. BT Drucksache 11/4124).
Der Kläger war für seine Tätigkeit bei der VKB ab 06.09.2006 bis 30.06.2011 befreit. Die Befreiung erstreckte sich auch auf die Tätigkeit als Stabsmitarbeiter (vgl. Schreiben der Beklagten vom 05.12.2008). Hierzu fällt auf, dass die Tätigkeitsbeschreibung für diese Tätigkeit in überwiegenden Punkten mit der Tätigkeitsbeschreibung vom 13.07.2011 übereinstimmt. Der Kläger wurde für seine nach dem 31.12.2012 ausgeübte Tätigkeit mit Bescheid vom 26.03.2013 als Rechtsanwalt bei der V… eingesetzt als Leiter der Abteilung „Schaden …“ wiederrum befreit.
Die vom 01.07.2011 bis 31.12.2012 ausgeübte Tätigkeit als Assistent des Vorstandesvorsitzenden ist eine andere – in diesem Fall nicht rechtsanwaltliche – Tätigkeit, für die nicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI eine Befreiung erteilt werden konnte. Jedoch erstreckt sich die zuvor ausgesprochene Befreiung auch auf diese zwischenzeitlich berufsfremde Tätigkeit, da die Tätigkeit als Assistent des Vorstandsvorsitzenden von vornherein zeitlich befristet war und im Übrigen auch ihrer Eigenart nach zeitlich befristet ist.
Das Gericht ist nach Einvernahme des damaligen Vorstandsvorsitzenden, dessen Assistent der Kläger war, zur Auffassung gelangt, dass die Tätigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum von vornherein befristet war. Der Zeuge hat überzeugend dargelegt, dass die Tätigkeit des Klägers als Assistent des Vorstandsvorsitzenden an die Dauer des Vorsitzes des Vorstandes geknüpft war. Zum Zeitpunkt 01.07.2011 war absehbar, wann der Vorstandsvorsitzende in etwa in Rente geht. Es war vereinbart worden, dass der Kläger bis zur Installation eines neuen Vorstandvorsitzenden diese Tätigkeit ausübt, um die Geschäfte ordnungsgemäß zu übergeben. Der Zeuge hat auch dargelegt, dass die Tätigkeit der Assistenten an die Person des jeweiligen Vorstandvorsitzenden geknüpft ist, dass also ein neuer Vorstandvorsitzender einen neuen Assistenten beruft.
Dass der Arbeitsvertrag ab 01.07.2011 unbefristet geschlossen wurde, steht einer Befristung der Tätigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum nicht entgegen. Wie die mündliche Verhandlung ergab, wurde ein neuer Arbeitsvertrag deshalb geschlossen, um dem Kläger eine außertarifliche Bezahlung zu garantieren. Zuvor war der Kläger nach PVT bezahlt worden. Auch der Zeuge hat für das Gericht nachvollziehbar dargelegt, dass die Vorstandsassistenten aus einer unbefristeten Anstellung kommen und auch nach ihrer Tätigkeit als Assistenten der Vorstände bzw. des Vorstandesvorsitzenden unbefristet bei der V… weiter tätig sein sollen.
Aus der Zeugenaussage und den Einlassungen des Klägers ergibt sich für das Gericht überzeugend, dass die Tätigkeit des Klägers als Assistent des Vorstandsvorsitzenden zeitlich im Voraus begrenzt war.
Aber auch aus der Eigenart der Tätigkeit ergibt sich eine Befristung. So hat der Zeuge überzeugend dargelegt, dass die Assistenten des Vorstandsvorsitzenden immer nur zwei bis drei Jahre in dieser Funktion tätig sind, um dann für „höhere Aufgaben“ eingesetzt zu werden. Aus den Darlegungen des Zeugen sowie des Klägers in der mündlichen Verhandlung, insbesondere auch in der Beschreibung der Tätigkeiten eines Vorstandsassistenten, ergibt sich für das Gericht, dass auch entsprechend der Eigenart der Tätigkeit diese von vornherein zeitlich befristet und begrenzt ist.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Kläger seit 01.05.2005 ununterbrochen bei der V… als Jurist beschäftigt ist. Er war vor dem streitgegenständlichen Zeitpunkt und ist ab dem 01.01.2013 wiederum gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht befreit. Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum eine vorübergehend nicht anwaltliche Tätigkeit ausgeübt und auch für diesen Zeitraum einkommensgerechte Pflichtbeiträge zur Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberatorversorgung gezahlt. Nach der Zeugeneinvernahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass diese Tätigkeit von vornherein zeitlich befristet bzw. entsprechend ihrer Eigenart zeitlich begrenzt war. Damit sind die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI erfüllt und der Kläger ist auch für diese Zeit von der Versicherungspflicht zu befreien.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostfolge ergibt sich aus § 193 SGG. Da die Beigeladenen keine Anträge gestellt haben und kein Kostenrisiko eingegangen sind, sind deren Kosten nicht zu erstatten.


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