Sozialrecht

Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz – persönliche Voraussetzung – Ingenieur-Abschluss in der UdSSR – Titelführungsbefugnis

Aktenzeichen  L 3 R 108/21

Datum:
10.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 3. Senat
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LSGST:2022:0210.L3R108.21.00
Normen:
§ 1 Abs 1 S 1 AAÜG
Anl 1 Nr 1 AAÜG
§ 1 ZAVtIV
§ 1 Abs 1 S 1 ZAVtIVDBest 2
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Der Ingenieur-Abschluss in der UdSSR, hier in Moskau, vermittelt nicht die Berechtigung iS der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz der DDR (AVItech), den Titel “Diplom-Ingenieur” zu führen (Anschluss an LSG Halle vom 31.3.2021 – L 1 RS 3/17 = juris RdNr 47 ff). (Rn.23)

Verfahrensgang

vorgehend SG Magdeburg, 8. April 2021, S 46 R 374/20, Gerichtsbescheid

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 8. April 2021 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) hat.
Der am … geborene Kläger wurde durch Urkunde des Ministers für Hoch-und Fachschulwesen der DDR vom 1. Juli 1972 zum Studium in die UdSSR delegiert. Ausweislich der aus dem Russischen übersetzten Urkunde der Ingenieurhochschule für Eisenbahntransport M. vom 28. März 1986 wurde der Kläger dort 1972 immatrikuliert und schloss 1977 das vollständige Lehrprogramm der Hochschule in der Fachrichtung „Diesellokomotiven und Diesellokomotivwirtschaft“ ab. Aufgrund dessen wurde ihm ausweislich dieser Urkunde mit Beschluss der Staatlichen Prüfungskommission vom 13. Juni 1977 die Qualifikation „Verkehrs- und Maschineningenieur“ zuerkannt. Anschließend war der Kläger als Entwicklungsingenieur bzw. -technologe, Abteilungsleiter Beschaffung und Absatz sowie Abteilungsleiter Service Kundendienst beschäftigt. Am 30. Juni 1990 war er Abteilungsleiter Beschaffung und Absatz beim Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) S. tätig. Eine schriftliche Versorgungszusage zur AVItech erhielt er während des Bestehens der DDR nicht.
Am 9. Mai 2019 beantragte der Kläger die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften. In diesem Zusammenhang reichte er die Urkunde der Gemeinsamen Einrichtung der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen für Aufgaben in Bildung und Wissenschaft gemäß Art. 14 des Einigungsvertrages vom 7. März 1991 ein. Danach erteilte der Leiter dieser Einrichtung dem Kläger das Recht, den akademischen Grad Diplom-Ingenieur zu führen.
Mit Bescheid vom 3. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2020 lehnte die Beklagte die Feststellung von Pflichtbeitragszeiten im Sinne des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech. Er habe seinen Hochschulabschluss außerhalb der DDR gemacht und habe keine Urkunde vorgelegt, wonach er in der DDR das Recht erworben habe, den Titel „Diplom-Ingenieur“ zu führen. Dazu habe es eines schriftlichen Antrages und der Ausführung eines Hoheitsaktes der DDR oder der zuständigen Nachfolgeeinrichtung bedurft. Der ausländische Abschluss als Diplom-Ingenieur entspreche nur dann dem Titel eines Ingenieurs oder Technikers im Sinne der AVItech, wenn vom Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen entschieden worden sei, dass der genannte Studienabschluss auch in der DDR zum Führen der Berufsbezeichnung Ingenieur berechtigt habe.
Dagegen hat der Kläger am 25. Juni 2020 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben und zur Begründung vorgetragen, es sei nicht nachvollziehbar, warum die Urkunde der Gemeinsamen Einrichtung der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen vom 7. März 1991 nicht anerkannt werde. Sein Hochschulabschluss sei damit anerkannt. Darüber hinaus habe es nach den gemeinsamen Vereinbarungen der Hochschulministerien der DDR und der UdSSR keiner besonderen Genehmigung über die Anerkennung des Abschlusses als Hochschulabschluss bedurft. Er – der Kläger – sei also schon zu DDR-Zeiten berechtigt gewesen, den Titel Diplom-Ingenieur zu führen, da die Ausbildung in der DDR als Hochschulausbildung anerkannt gewesen sei. Die Bescheinigung der Gemeinsamen Einrichtung vom 7. März 1991 sei insofern nachvollziehbar und bestätige den schon zu DDR-Zeiten anerkannten Qualifikationsstand. Die Hochschule für Eisenbahn, heute russische Universität für Transportwesen, werde auch in Deutschland als Hochschulinstitution betrachtet. Die dortigen Abschlüsse würden den bundesdeutschen Hochschulabschlüssen gleichgesetzt.
Mit Gerichtsbescheid vom 8. April 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger erfülle bereits nicht die erste (persönliche) Voraussetzung für eine Einbeziehung in die AVItech. Denn ihm sei die Berufsbezeichnung „Ingenieur“ nicht durch einen entsprechenden staatlichen Akt der DDR verliehen worden. Im Übrigen hat sich das Sozialgericht zur Begründung auf den Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 7. April 2014 (L 16 R 958/13) sowie das Urteil des Sächsischen LSG vom 20. Mai 2020 (L 7 R 128/20 ZV) bezogen.
Gegen den ihm am 16. April 2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 17. Mai 2021 Berufung beim LSG Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, der vom Sozialgericht zitierte Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 7. April 2014 treffe auf ihn nicht zu. Dort sei argumentiert worden, dass die Klägerin am 30. Juni 1990 nicht ingenieurtechnisch beschäftigt gewesen sei. Im Gegensatz zu der genannten Klägerin sei er zu diesem Zeitpunkt als Kundendienstleiter tätig und u.a. für die Erprobung von Gleisbaumaschinen in der Sowjetunion verantwortlich gewesen, welche in seinem Betrieb hergestellt worden seien. Diese Tätigkeit sei anders als bei der betreffenden Klägerin eine ingenieurtechnische Tätigkeit gewesen. Entgegen der Argumentation des LSG Berlin-Brandenburg sei die Bestätigung seines Abschlusses als Diplom-Ingenieur durch die Gemeinsame Einrichtung der Länder anhand „nachvollziehbarer Maßstäbe für die Behörden und Gerichte der Bundesrepublik Deutschland“ nachholbar und nicht der Wertung von bundesdeutschen Gerichten überlassen worden. Eine rechtspraktische Gleichsetzung seines Abschlusses mit Ingenieuren im Sinne der Ingenieurverordnung der DDR (Ing-VO) sehe er mindestens als gegeben an, da zum einen die ihm gestellte Arbeitsaufgabe höchste technische Sicherheitskriterien, nur verantwortbar durch einen Diplom-Ingenieur, zu erfüllen gehabt habe. Zum anderen sei er bereits bei seiner ersten Arbeitsstelle als Entwicklungsingenieur in der Versuchs- und Entwicklungsanstalt der Deutschen Reichsbahn in H. gegen den bisherigen kommissarischen Stelleninhaber ausgetauscht worden, welcher „nur“ den Abschluss eines Diplom-Ingenieurs der Verkehrshochschule D. besessen habe, da man seine – des Klägers – Qualifikationen offensichtlich als höherwertiger bzw. für die Stelle passender eingestuft habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 8. April 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 1. September 1977 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVItech mit den entsprechenden Arbeitsentgelten festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 8. April 2021 zurückzuweisen.
Der angefochtene Gerichtsbescheid sei richtig, er entspreche der Sach- und Rechtslage. Dem Kläger sei kein Ingenieurtitel durch eine Einrichtung der früheren DDR verliehen worden. Darüber hinaus hat sie auf die rechtskräftigen Urteile des Ersten Senats des LSG Sachsen-Anhalt vom 31. März 2021 (L 1 RS 3/17) sowie des Sächsischen LSG vom 20. Mai 2020 (L 7 R 128/20 ZV) verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz des Klägers vom 26. November 2021 sowie Schriftsatz der Beklagten vom 29. November 2021).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben bei der Entscheidungsfindung des Senats vorgelegen.

Entscheidungsgründe

Der Senat durfte den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech, insbesondere kann er nicht fiktiv in dieses Zusatzversorgungssystem einbezogen werden.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG), sodass das AAÜG auch in diesen Fällen Geltung beansprucht (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 5 RS 4/09 R -, juris, RdNr. 11). Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Art. 19 Einigungsvertrag (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R -, SozR 3-8570 § 1 AAÜG, Nr. 2 S. 11).
Nach der Rechtsprechung des früheren 4. Senats und des jetzigen 5. Senats des BSG hängt der Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. DDR, Nr. 93, S. 844, im Folgenden: VO-AVItech) i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech vom 24. Mai 1951 (GBl. DDR, Nr. 62, S. 487, im Folgenden: 2. DB) von drei Voraussetzungen ab, die alle zugleich – am 30. Juni 1990 – vorgelegen haben müssen.
Generell war dieses Versorgungssystem eingerichtet für
Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), und
die entsprechende Tätigkeiten tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar
in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).
An diesen Voraussetzungen gemessen hatte der Kläger am 1. August 1991 (dem Tag des Inkrafttretens des AAÜG) keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech. Denn er erfüllte insoweit nicht die abstrakt-generellen und zwingenden Voraussetzungen des hier betroffenen Versorgungssystems der AVItech. Bei ihm ist schon die persönliche Voraussetzung nicht gegeben. Der Ingeniuer-Abschluss in der UdSSR, hier in M., vermittelt nicht die Berechtigung im Sinne der AVItech, den Titel „Diplom-Ingenieur“ zu führen. Das hat der Erste Senat des LSG Sachsen-Anhalt in seinem Urteil vom 31. März 2021 (L 1 RS 3/17, juris) in einem sehr ähnlich gelagerten Fall zutreffend herausgearbeitet. Dessen Entscheidungsgründen ist nichts hinzuzufügen, so dass der erkennende Senat auf die den Beteiligten bekannten Ausführungen in dieser Entscheidung verweist (RdNr. 47 ff.). Diese macht er sich aufgrund eigener Urteilsbildung zu eigen. Ergänzend wird im Hinblick auf die Berufungsbegründung des Klägers darauf hingewiesen, dass die Gemeinsame Einrichtung der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen für Aufgaben in Bildung und Wissenschaft dem Kläger nicht das Recht verliehen hat, den Titel „Diplom-Ingenieur“ schon während des Bestehens der DDR zu führen. Das war auch gar nicht möglich, denn im Zeitpunkt der Errichtung dieser Behörde existierte die DDR schon nicht mehr. Einen Nachweis dafür, dass dem Kläger die Berechtigung zur Führung des Titels „Diplom-Ingenieur“ schon während des Bestehens der DDR von einer zuständigen Stelle ausdrücklich verliehen wurde, konnte dieser nicht erbringen. Darüber hinaus weist der Senat im Hinblick auf die Berufungsbegründung darauf hin, dass die persönliche Voraussetzung für eine fiktive Einbeziehung in die AVItech allein in der Berechtigung besteht, schon zu DDR-Zeiten einen bestimmten Titel zu führen. Ob eine besonders hervorragende Qualifikation für eine bestimmte Tätigkeit gegeben war, ist für die Prüfung der persönlichen Voraussetzung nicht relevant.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.


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