Steuerrecht

Anspruch von Grundbuchamt auf die Vorlage einer Vollwertigkeitsbescheinigung

Aktenzeichen  34 Wx 221/17

Datum:
9.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZfIR – 2017, 851
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GBO § 15 Abs. 2, § 18 Abs. 1, § 19, § 20, § 29 Abs. 1 S. 2 u. Abs. 3, § 71 Abs. 1, § 73
RPflG § 11 Abs. 1
BGB § 134, § 925, § 2205, § 2216
BayGO Art. 75 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S.1 u. 2 u. Abs. 5
BV Art. 12 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Zum Nachweis dafür, dass ein gemeindliches Grundstück nicht unter Wert veräußert worden ist, genügt in der Regel die schriftliche Feststellung des Vertretungsberechtigten der Gemeinde in der Form des § 29 Abs. 3 GBO, dass dies nicht der Fall ist (Anschluss an BayObLGZ 1995, 225). (Rn. 16)

Tenor

I.Auf die Beschwerde der Beteiligten wird die Zwischenverfügung des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) – Grundbuchamt – vom 28. April 2017 konkretisierend dahingehend abgeändert, dass die geforderte Vollwertigkeitsbescheinigung in der Form des § 29 Abs. 3 GBO vorzulegen ist. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II.Die Beteiligten tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 100 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligte zu 1, eine bayerische Gemeinde, ist im Grundbuch als Eigentümerin eines Grundstücks eingetragen. Sie verkaufte zu notarieller Urkunde vom 16.11.2016 das Grundstück, eine 603 qm große Landwirtschaftsfläche, für insgesamt 12.420 € an die Beteiligten zu 2 bis 5. Die Vertragsteile erklärten in der Urkunde zugleich die Auflassung.
Das Grundbuchamt hat mit fristsetzender Zwischenverfügung vom 28.4.2017 den Vollzugsantrag beanstandet: Es fehle eine Vollwertigkeitsbescheinigung der Gemeinde „in der Form des § 29 GBO“.
Mit der dagegen notariell eingelegten Beschwerde machen die Beteiligten geltend, eine Vollwertigkeitserklärung dürfe nur verlangt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Veräußerung unter Wert bestünden. Dies sei hier nicht der Fall. Im übrigen fehle es für das Verlangen des Grundbuchamts an einer gesetzlichen Grundlage.
Das Grundbuchamt hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.
II.
1. Das gegen die Zwischenverfügung nach § 18 Abs. 1 GBO gerichtete Rechtsmittel ist als unbeschränkte Beschwerde (§ 11 Abs. 1 RPflG, § 71 Abs. 1 GBO) statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 73, 15 Abs. 2 GBO).
2. Die Beschwerde hat jedoch in der Sache nur zum Teil Erfolg. Das vom Grundbuchamt angenommene Hindernis besteht. Zu dessen Beseitigung genügt allerdings eine Erklärung des Vertretungsberechtigten der Gemeinde (lediglich) in der Form des § 29 Abs. 3 GBO.
a) Das Grundbuchamt hat von Amts wegen die Verfügungsbefugnis einer bayerischen Gemeinde zu prüfen, wenn sie als Eigentümerin die Auflassung und die Bewilligung der Eintragung erklärt (BayObLGZ 1983, 85/88; 1995, 225/227).
Das Grundbuchamt darf die Auflassung eines Grundstücks nur eintragen, wenn ihm die Einigung über den Rechtsübergang (Auflassung, § 925 BGB) nachgewiesen ist (§ 20 GBO). Die Auflassung ist auf der Veräußererseite von dem Verfügungsbefugten zu erklären (BayObLG NJW- RR 1989, 587). Erklärt eine Gemeinde als Veräußerin die Auflassung, hat das Grundbuchamt deren Verfügungsbefugnis zu prüfen. Neben der Auflassung bedarf es zudem der Eintragungsbewilligung des Betroffenen gemäß § 19 GBO (Hügel GBO 3. Aufl. § 20 Rn. 3). Die verfahrensrechtliche Bewilligungsbefugnis knüpft als Ausfluss der sachlich-rechtlichen Verfügungsbefugnis ebenfalls an diese an (BayObLGZ 1988, 229/231; Demharter GBO 30. Aufl. § 19 Rn. 56); sie kann somit in der Regel nicht ohne Beantwortung der Frage nach der Verfügungsbefugnis beantwortet werden.
b) Die Verfügungsmacht einer bayerischen Gemeinde wird durch Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BayGO beschränkt. Nach dieser Vorschrift darf eine Gemeinde Vermögensgegenstände in der Regel nur zu ihrem vollen Wert veräußern.
aa) Nach Art. 75 Abs. 3 Satz 1 GO, der auf das Verbot des Art. 12 Abs. 2 Satz 2 BV verweist, sind die „Verschenkung“ und die unentgeltliche Überlassung von Gemeindevermögen unzulässig. Eine gegen dieses Verbot verstoßende Verfügung der Gemeinde ist, sofern nicht der Ausnahmetatbestand des Art. 75 Abs. 3 Satz 2 BayGO erfüllt ist, nach § 134 BGB nichtig (BayObLGZ 1983, 85/91; Bauer/Böhle/Ecker Bayerische Kommunalgesetze Stand 2017 Art. 75 GO Rn. 11; MüKo/Armbrüster BGB 7. Aufl. § 134 Rn. 101; DNotI-Report 2017, 83/85).
Als gemischte Schenkung wird es angesehen, wenn bei einem einheitlichen Vertrag der Wert der Leistung des Einen dem Wert der Leistung des Anderen nur zu einem Teil entspricht, die Vertragsparteien dies wissen und übereinstimmend wollen, dass der überschießende Wert unentgeltlich gegeben wird (Palandt/Weidenkaff BGB 76. Aufl. § 516 Rn. 13). Die Veräußerung eines Vermögensgegenstandes durch eine Gemeinde zu einem erheblich unter dem Verkehrswert liegenden Preis wird daher oft zugleich als teilweise unentgeltliche Zuwendung gesehen (vgl. BGHZ 47, 31/39). Im Staats- und Verwaltungsrecht gilt jedoch der sich aus dem Verfassungsrecht ergebende Grundsatz, dass der Staat kein Recht zu „Geschenken“ hat. Daher hat das Bayerische Oberste Landesgericht das nach Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BayGO in der Regel geltende Verbot, Vermögensgegenstände unter ihrem Wert zu veräußern, insoweit als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB angesehen, als es sich auf unentgeltliche Zuwendungen an Private bezieht, die unter keinerlei Gesichtspunkten als durch die Verfolgung legitimer öffentlicher Aufgaben im Rahmen einer an den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit orientierten Verwaltung gerechtfertigt erachtet werden können (BayObLGZ 1995, 225/226; Bauer/Böhle/Ecker Bayerische Kommunalgesetze Stand 2017 Art. 75 GO Rn. 11; a.A. Staudinger/Jörg Mayer BGB Stand 2012 Art. 119 EGBGB Rn. 87 und 89). Dies schließt es aber nicht aus, Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BayGO auch als Beschränkung der Verfügungsmacht zu verstehen. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zur Frage der (Teil-)Unentgeltlichkeit von Verfügungen des Testamentsvollstreckers (§§ 2205, 2216 BGB) hat das Bayerische Oberste Landesgericht daher im Grundbuchverfahren eine Erklärung des Vertretungsberechtigten der Gemeinde, dass eine solche Teilunentgeltlichkeit nicht vorliege, als erforderlich, aber auch ausreichend erachtet (BayObLGZ 1995, 225/227 f.; ablehnend DNotI-Report 2017, 83/85).
Nach anderer Ansicht ist Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BayGO mit Blick darauf, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift gemeindliche Vermögensgegenstände nur „in der Regel“ nicht unter Wert veräußert werden „dürfen“, zwar kein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB (Mayer MittBayNot 1996, 251/253; Staudinger/Mayer Art. 119 EGBGB Rn. 89). Nach wohl herrschender Ansicht kommt in der Norm aber – auch nach Wegfall des Art. 75 Abs. 5 BayGO mit Wirkung zum 1.9.1990 – eine gemeinderechtliche Verfügungsbeschränkung zum Ausdruck (Schöner/Stöber GBO 15. Aufl. Rn. 4078; Knothe in Bauer/von Oefele GBO 3. Aufl. § 29 Rn. 48; zur früheren Vorschrift des Art. 75 BayGO: Bleutge MittBayNot 1975, 4/5). Als Nachweis ausreichender Verfügungsmacht wird deshalb die Vorlage einer Erklärung des Vertretungsberechtigten der Gemeinde verlangt, dass eine solche Teilunentgeltlichkeit nicht vorliege.
c) Das Grundbuchamt verlangt folglich nach beiden Ansichten zu Recht zur Prüfung der Frage, ob die Gemeinde keine Veräußerung unter Wert vorgenommen hat, die Vorlage einer Bescheinigung der Vollwertigkeit (vgl. AllMBl 1992, 535/536). Diese kann erfolgen durch eine entsprechende Feststellung des Ersten Bürgermeisters in der Form des § 29 Abs. 3 GBO (AllMBl 1992, 535/536; Schöner/Stöber Rn. 4078; ablehnend DNotI-Report 2017, 83/85 f.).
aa) Zwar ist auch die Verfügungsbefugnis grundsätzlich durch öffentliche Urkunden nach § 29 Abs. 1 Satz 2 GBO nachzuweisen (Meikel/Hertel GBO 11. Aufl. § 29 GBO Rn. 113 f.). Geht es um die Frage des Nichtvorliegens einer unzulässigen Unterwertveräußerung, ist es jedoch zulässig, die negative Tatsache anhand nicht förmlich nachgewiesener Tatsachen frei zu würdigen und einen formstrengen Nachweis erst dann zu verlangen, wenn konkrete Anhaltspunkte zu berechtigten Zweifeln Anlass geben (vgl. Demharter § 29 Rn. 63).
Die schriftliche Feststellung des Vertretungsberechtigten der Gemeinde, dass keine Veräußerung unter Wert vorliege, wird in diesem Sinne trotz fehlender gesetzlicher Bestimmung in Bayern als geeignetes Mittel anerkannt. Sie ist erforderlich, da sie als Glaubhaftmachung den Erfahrungssatz verstärkt, dass die Bestimmungen der Gemeindeordnung in der Regel eingehalten werden und ihre Nichtbeachtung sich auf Ausnahmen beschränkt. Im Regelfall tritt somit an die Stelle eines urkundlichen Nachweises für den grundbuchamtlichen Vollzug, der an sich nach § 29 Abs. 1 Satz 2 GBO erforderlich wäre, der Erfahrungssatz in Verbindung mit der verantwortlichen Erklärung des Bürgermeisters (Bleutge MittBayNot 1975, 4/7). Die Erklärung ist also – als Minus zu dem grundsätzlich in der Form des § 29 Abs. 1 Satz 2 GBO vorzulegenden Nachweis – Voraussetzung für die Anwendung des oben dargelegten Beweiserleichterungsgrundsatzes (BayObLGZ 1995, 225/228; a.A. DNotI-Report 2017, 83/85 f.). Einen darüber hinausgehenden Nachweis kann das Grundbuchamt erst dann verlangen, wenn greifbare, an bestimmten Tatsachen erhärtete Zweifel bestehen.
bb) Mit dem Vollzugsantrag wurde lediglich der Kaufvertrag vorgelegt, aus dessen Angaben zum veräußerten Gemeindevermögen und dem hierfür zu entrichtenden Kaufpreis der Kaufpreis pro qm errechnet werden kann. Konkrete Hinweise für eine Veräußerung unter Wert ergaben sich für das Grundbuchamt daraus zwar offensichtlich nicht, andererseits ist allein aus dem Kaufpreis nicht ohne weiteres ersichtlich, ob dieser dem Verkehrswert des Grundstücks entspricht. Daher ist es erforderlich, aber auch ausreichend, die Negativtatsache einer Veräußerung nicht unter Wert mit der entsprechenden schriftlichen Erklärung des Bürgermeisters als Vertretungsberechtigtem der Gemeinde in der Form des § 29 Abs. 3 GBO belegen zu lassen (BayObLGZ 1995, 225/228; OLG Dresden NotBZ 2015, 306 mit Anm. Primaczenko; AllMBl 1992, 535/536; Schöner/Stöber Rn. 4078; Knothe in Bauer/von Oefele § 29 Rn. 48). Deshalb hat der Senat die Zwischenverfügung des Grundbuchamts in Bezug auf die Form der Vollwertigkeitserklärung konkretisiert.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Ihre – klarstellende – Notwendigkeit folgt aus § 25 Abs. 1 GNotKG. Die Beschwerde ist mit ihrem Ziel, von dem auferlegten Nachweis befreit zu werden, nicht durchgedrungen.
Der Senat bemisst den Beschwerdewert gemäß dem geschätzten Aufwand für die Beseitigung des Hindernisses (in der Form des § 29 Abs. 3 GBO) nach billigem Ermessen, §§ 61, 36 Abs. 1 GNotKG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 Abs. 2 GBO) liegen nicht vor.
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG): Übergabe an die Geschäftsstelle am 10.10.2017.  


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