Steuerrecht

Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides

Aktenzeichen  2 V 705/17

Datum:
8.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2018, 586
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
UStG § 4 Nr. 9 a, § 9 Abs. 1, Abs. 2, § 13b

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 2011 vom 09.09.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.01.2017 wird für die Dauer der Rechtshängigkeit der Hauptsacheklage beim Finanzgericht Nürnberg ausgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

Gründe

I.
Streitig ist, ob das Finanzamt im streitigen Bescheid zu Recht eine Vorsteuerkorrektur gemäß § 15a Umsatzsteuergesetz (UStG) angesetzt hat.
Die Antragstellerin hat ein Gebäude umbauen und renovieren lassen und die in den Eingangsrechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer in den Steuererklärungen der Vorjahre geltend gemacht. Das Gebäude hat sie an eine Dritte (Betreiber) zwecks Betriebs eines „Boardinghauses“ verpachtet. Bereits im Pachtvertrag ist die Aufteilung des Gebäudes in Wohnungseigentum avisiert. Dementsprechend heißt es im „Vertrag über den Betrieb eines Boardinghauses“ (Betreibervertrag) u.a.:
§ 2 Betriebsstrukturen
Im Wege der Vermarktung wird [die Antragstellerin] einzelne bzw. mehrere Einheiten des Sondereigentums verbunden mit Grundstücksmiteigentum an Investoren veräußern.
Diese künftigen Sondereigentümer, deren Sondereigentum zur kurzfristigen Überlassung an Dritte bestimmt ist und die sich auf die Nummern 1 und 2 sowie 4-32 beziehen werden mit Abschluss ihrer Kaufverträge über Wohnungseigentum jeweils dem hier vorliegenden Vertragsverhältnis des Betreibervertrages beitreten.
Danach wird zur Vereinfachung, aufgrund erteilter Vollmacht, der gewählte Verwalter, die alltägliche Abwicklung des Vertragsverhältnisses des Betreibervertrages übernehmen und im Namen der Vollmachtgeber d.h. der Sondereigentümer gegenüber der Betreibergesellschaft auftreten.
§ 3 Geltungsbereich des Betreibervertrages
Dem Betreibervertrag treten die Sondereigentümer der Einheiten Nummern 1 und 2 sowie 4-32 bei…
§ 4 Ausdrücklicher Beitritt künftiger Sondereigentümer in den Betreibervertrag Zwischen den Parteien besteht Einigkeit, dass künftige Sondereigentümer durch Erklärung gegenüber dem jeweiligen Verwalter dem Betreibervertrag beitreten. Die sonstige Vertretung der Sondereigentümer erfolgt über die Verwaltung.
Jeder Sondereigentümer erhält sodann eine Ausfertigung des bereits geschlossenen Betreibervertrages unter Benennung seines Sondereigentumsanteils der jeweils gegengezeichnet ist und dem Gebot der Schriftlichkeit genügt.
§ 9 Pachtzins Es ist ein monatlicher Pachtzins vereinbart, den der Betreiber an [die Antragstellerin], später, die Sondereigentümergemeinschaft, zu zahlen hat.
Der monatlich auf das Konto der Sondereigentümergemeinschaft einzuzahlende Betrag für die Überlassung in Form einer Pacht beträgt 10,80 € netto/m² Wohnfläche der Appartements 1 und 2 sowie 4-32 (ohne Putzabzug). Die Wohnflächenberechnung ist dieser Urkunde als Anlage 8 beigefügt.
Die Vertragsteile gehen davon aus, dass diese Fläche 1.182,56 qm beträgt, was einen derzeitigen Netto-Quadratmeterpachtzins von monatlich 12.771,65 € ergibt.
§ 10 Nebenkosten
Der Betreiber trägt alle Nebenkosten, die für den Betrieb des Boardinghouses, der Wartung der Liegenschaft einschließlich der Allgemeinflächen und der damit verbundenen Kosten entstehen.
§ 12 Instandhaltung, Instandsetzung
Dem Betreiber obliegt auf eigene Kosten die regelmäßige Instandsetzung und Instandhaltung an Dach und Fach einschließlich aller weiteren Instandhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten innerhalb der überlassenen Sondereigentumseinheiten… Der Betreiber haftet ferner den Sondereigentümern für Schäden, die durch ihn seine Angestellten, Angehörigen, Bediensteten und von ihm beauftragten Handwerkern am Sondereigentum oder am Gebäude oder der Außenfläche entstehen. Der Betreiber haftet verschuldensunabhängig für diese Schäden, insbesondere auch für Gäste und Mieter.
Im Streitjahr teilte sie das Gebäude entsprechend der errichteten Appartements in Wohnungseigentum mit notarieller Urkunde vom 08.04.2011 auf und veräußerte die Einheiten sukzessive. Der Urkunde vom 08.04.2011 war als Anlage 3 eine Gemeinschaftsordnung beigefügt, die u.a. Folgendes bestimmt:
§ 3 Nutzung
1. Der Sondereigentümer hat das Recht der alleinigen Nutzung seines Sondereigentums, soweit sich nicht Beschränkungen aus dem Gesetz oder dieser Erklärung ergeben.
Für den Gebrauch des Sondereigentums gilt weiter folgende Gebrauchsvereinbarung:
Alle Sondereigentumseinheiten können – unabhängig von der Bezeichnung in dieser Urkunde zu jedem nach der sonstigen Rechtsordnung, insbesondere dem Baurecht, zulässigen Nutzungszweck genutzt werden.
Jeder Eigentümer der Sondereigentumseinheiten Nr. 1 und 2, sowie 4 bis 32 ist berechtigt und verpflichtet, sein Sondereigentum an Dritte zur vorübergehenden Nutzung zu überlassen. Diese Sondereigentumseinheiten werden als sogenanntes „Boardinghaus“ genutzt.
2. Die Sondereigentümer der Einheiten Nr. 1 und 2, sowie 4 bis 32 sind wechselseitig verpflichtet, ihre im Sondereigentum stehenden Appartements einschließlich des Inventars, sowie ihre Mitgebrauchs- und Nutzungsrechte am Gemeinschaftseigentum durch die Gemeinschaft der Sondereigentümer an eine Betreibergesellschaft zu überlassen, die gemäß dem Vertragsverhältnis an die Sondereigentümer für die Überlassung Zahlungen nach den dortigen vertraglichen Bestimmungen zu erbringen hat. Die Zahlungen erfolgen auf ein vom Verwalter eingerichtetes Gemeinschaftssonderkonto, welches treuhänderisch vom Verwalter zu führen und abzurechnen Ist.
In § 14 dieser Gemeinschaftsordnung ist dem jeweiligen Verwalter die rechtsgeschäftliche Vollmacht zum Abschluss eines Mietvertrages namens der Gemeinschaft der Sondereigentümer mit einer Betreibergesellschaft erteilt…
§ 3 a. Abrechnung der Miete
Die Sondereigentümer der Einheiten Nr. 1 und 2, sowie 4 bis 32 sind an der aus der Vermietung der Appartements erzielten Miete nach dem Verhältnis der auf die Sondereigentumseinheiten entfallenden Wohnfläche beteiligt. Auf die Belegungsfrequenz der einzelnen Sondereigentumseinheiten kommt es mithin nicht an…
§ 5 Veräußerung von Sondereigentum
1. Jeder Eigentümer der Sondereigentumseinheiten Nm. 1 bis 32 bedarf zur Veräußerung seines Sondereigentums oder Teilen desselben der Zustimmung des Verwalters…
2. Ein wichtiger Grund zur Verweigerung der Zustimmung liegt vor, wenn in der Person des Erwerbers liegende Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Verpflichtungen aus § 3 Abs. 1 und 2 nicht erfüllt werden, insbesondere kein Beitritt in einen Vertrag mit einer Betreibergesellschaft erfolgt.
§ 9 Ermittlung und Verteilung der laufenden Kosten und Lasten
1. Die Lasten werden nach Maßgabe des jährlich aufzustellenden Wirtschaftsplanes für den einzelnen Sondereigentümer berechnet und sind als „Hausgeld“ in monatlichen Raten zu bezahlen…
§ 11 Wiederaufbau
1. Im Falle der vollständigen oder teilweisen Zerstörung des Gebäudes ist die Gemeinschaft der Sondereigentümer zum Wiederaufbau verpflichtet. Sie hat etwaige Versicherungsleistungen zur Deckung der Baukosten zu verwenden.
2. Decken die Versicherungsleistungen nicht den vollen Wiederherstellungsaufwand, so Kann der Wiederaufbau mit 2/3 Mehrheit aller Miteigentumsanteile und aller Eigentümer beschlossen werden; für diesen Fall ist jeder Sondereigentümer verpflichtet, den nicht gedeckten Teil der Kosten in Höhe eines seinem Miteigentumsanteil entsprechenden Bruchteils zu tragen.
§ 14 Verwalter Zum ersten Verwalter für die Dauer von einem Jahr wird die [Antragstellerin] bestellt… In Erweiterung bzw. Ergänzung der gesetzlichen Bestimmungen hat der Verwalter folgende Befugnisse:

e) Ansprüche für die Gemeinschaft gerichtlich und außergerichtlich geltend zu machen,
f) namens der Gemeinschaft der Sondereigentümer mit einer Betreibergesellschaft einen Betreibervertrag über die Nutzung der Sondereigentumseinheit Nr. 1 und 2, sowie 4 bis 32 samt zugehörigen Sondernutzungsrechten zu schließen und einen geschlossenen Betreibervertrag zu beenden…
§ 15 Änderung der Gemeinschaftsordnung
Änderungen dieser Gemeinschaftsordnung können in rechtsgültiger Form grundsätzlich auch in Beschlußform mit einfacher Mehrheit der Stimmen aller Eigentümer getroffen werden…
Die Öffnungsklausel gestattet auch nicht die Änderung der Zweckbestimmung der Nutzung als „Boardinghaus“ gemäß § 3 Abs. 1 und 2 dieser Gemeinschaftsordnung…
Im exemplarisch vorgelegten „Kaufvertrag (Boardinghouse)“ vom 12.09.2011 über die Appartements Nr. 9 und 12 heißt es u.a.:
V. Kaufpreis
1. Der Kaufpreis für das Vertragsobjekt, laut Baubeschreibung ausgestaltet, beträgt… Der Verkäufer verzichtet hiermit nach § 9 Abs. 1 und 2 UStG auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 a UStG und optiert hinsichtlich des Grundstücksverkaufes zur Umsatzsteuer. Im Hinblick auf § 13 b UStG, wonach nur der Erwerber Steuerschuldner der Umsatzsteuer ist, wird der Verkäufer dem Erwerber die Umsatzsteuer nicht gesondert in Rechnung steilen und vereinnahmen…
VII. Besitzübergang, Abnahme

2. Nach Besitzübergang und bis zur Eigentumsumschreibung wird der Erwerber bevollmächtigt, alle Rechte eines Eigentümers wahrzunehmen.
Der Erwerber tritt mit Besitzobergang in die Teilungserklärung mit Gemeinschaftsordnung ein und verpflichtet sich, seine Eigentums- und Rechtsnachfolger in gleicher Weise zu binden…
XVI. Betreibervertrag
Zwischen dem Verkäufer und der […] wurde ein Vertrag über den Betrieb eines „Boardinghauses“ abgeschlossen, der der Teilungserklärung als Anlage 7 samt 1.Nachtrag, in der Anlage zu dieser Urkunde beigefügt ist. Der Erwerber erklärt gegenüber der [Antragstellerin] als Verwalter der Eigentümergemeinschaft, dass er dem Betreibervertrag beitritt.
Infolge einer Umsatzsteuersonderprüfung änderte das Finanzamt die Vorauszahlungsbescheide 1. und 2. Quartal 2011, weil es der Ansicht war, dass sich durch die Veräußerung an die einzelnen „Investoren“ die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse im Sinne des § 15a UStG geändert hätten.
Der fristgerechte Einspruch blieb erfolgslos. In der Anlage zur Einspruchsentscheidung vom 11.01.2017 wurde die während des Einspruchsverfahrens ergangene Umsatzsteuerfestsetzung für 2014 – auf 207.357,51 € geändert; dabei setzte das Finanzamt einen Berichtigungsbetrag gemäß § 15a UStG in Höhe von 159.210,11 € an. Die Anlage weist ein Zahlungssoll von 186.864,43 € aus. In diesem Zuge wurde auch der Vorsteueranspruch gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG auf 38.616,67 € gekürzt. In ihrer Jahreserklärung hatte die Antragstellerin den Betrag von 83.742,45 € geltend gemacht.
Ein – nach Ergehen der Einspruchsentscheidung gestellte – Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) blieb erfolglos.
Die Antragstellerin hat bei Gericht sinngemäß beantragt, die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheid für 2011 vom 09.09.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.01.2017 in Höhe von 186.864,43 € auszusetzen.
Sie begründet ihren Antrag im Wesentlich damit, dass die Erwerber der einzelnen Appartements ihrerseits durch die Vermietung an den Betreiber Unternehmer wären, weswegen die Veräußerung an sie umsatzsteuerpflichtig erfolgen konnte.
Das Finanzamt beantragt, den Antrag zurückzuweisen und begründet dies im Wesentlichen damit, dass die Wohnungseigentümer als Leistungsempfänger keine Unternehmer seien. Daher hätten die Veräußerungen nicht wirksam der Mehrwertsteuer unterworfen werden können. Die Wohnungen würden nicht durch die einzelnen Eigentümer an den Betreiber verpachtet, sondern durch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, zu der sich die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer verbunden habe. Die einzelnen Eigentümer überließen dieser die Wohnungen nicht im Rahmen eines umsatzsteuerpflichtigen Leistungsaustausches, sondern ausschließlich im Rahmen ihres Gesellschaftsverhältnisses.
II.
Der Antrag ist begründet. An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen bei der gebotenen überschlägigen Prüfung anhand des aktenkundigen Sachverhalts und der präsenten Beweismittel ernsthafte Zweifel.
Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag auszusetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem BFH-Beschluss vom 10.02.1967 III B 9/66, BStBl III 1967, 182; BFH-Beschluss vom 08.04.2009 I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 07.09.2011 I B 157/10, BStBl II 2012, 590, unter II.2.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss vom 19.03.2014 V B 14/14, BFH/NV 2014, 999).
Der Senat hat entgegen dem Antragsteller mit dem Finanzamt keine Zweifel daran, dass die Verpachtung an den Betreiber nicht isoliert durch die einzelnen Erwerber, sondern gemeinsam durch die Gemeinschaft der Erwerber erfolgte. Dies ergibt sich aus einer Vielzahl von expliziten Erwähnungen der Gemeinschaft in den entscheidenden Stellen der Verträge (insb. § 3 Nr. 2 Satz 3, § 14 Lit. f Gemeinschaftsordnung; § 2 Satz 3 Betreibervertrag) und entspricht auch dem realistisch durchführbaren Vorgehen. Der Betreiber ist darauf angewiesen, das Gebäude einheitlich zu pachten und zu betreiben. Eine Aufspaltung in eine Vielzahl von isolierten Pachtverhältnissen für einzelne Appartements und Anteile von gemeinschaftlichem Eigentum wäre tatsächlich nicht durchführbar. Der Senat schließt sich der überzeugenden Rechtsprechung des BFH im Beschluss vom 10.06.1999 V B 43/99 (BFH/NV 1999, 1646) und anschließend im Urteil vom 16.05.2002 V R 4/01 (BFH/NV 2002, 1347) an, die einen in allen wesentlichen Elementen vergleichbaren Sachverhalt aufwies.
Der Senat bezweifelt allerdings entgegen dem Finanzamt, dass mit der Veräußerung eine Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse eingetreten ist (§ 15a UStG). Dahinstehen kann dabei, ob die einzelnen Erwerber ihrerseits Unternehmer waren, da angesichts der umfassenden Verfügungs- und Benutzungsbeschränkungen, die den Erwerbern durch die Kaufverträge und die Gemeinschaftsordnung auferlegt wurden, es sehr zweifelhaft erscheint, ob im umsatzsteuerlichen Sinn an die einzelnen Erwerber geliefert worden ist.
Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die ein Unternehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Die Regelung setzt Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSysRL) in nationales Recht um. Dabei bezieht sich der Begriff „Lieferung eines Gegenstands“ nicht auf die Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen. Er umfasst vielmehr jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 16.02.2012 C 118/11, BFH/NV 2012, 686). Nach ständiger BFH-Rechtsprechung setzt die Verschaffung einer derartigen Verfügungsmacht die Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag voraus (vgl. z.B. Urteil vom 6.12.2007 V R 24/05, BFH/NV 2008, 713).
Eine Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag ohne zivilrechtlichen Eigentumsübergang kann z.B. dann vorliegen, wenn der dem zivilrechtlichen Eigentümer zustehende Herausgabeanspruch wertlos ist (BFH-Urteil vom 7.05.1987 V R 56/79, BFHE 150, 85, BStBl II 1987, 582) oder der Eigentümer den wirtschaftlichen Gehalt des Gegenstands dem Abnehmer auf sonstige Weise zuwendet (BFH-Urteil vom 23.10.1997 V R 36/96, BFHE 185, 71, BStBl II 1998, 584).
Ob die Verfügungsmacht in diesem Sinne übertragen wird, richtet sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Einzelfalls, d.h. den konkreten vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächlicher Durchführung unter Berücksichtigung der Interessenlage der Beteiligten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 9.02.2006 V R 22/03, BFHE 213, 83, BStBl II 2006, 727, m.w.N.).
Den Erwerbern der Sondereigentumsanteile verbleibt in einer Gesamtschau der Vertragsbeziehungen letztlich nur der Ertrag der dauerhaft und faktisch unkündbar verpachteten Appartements. Sie können die Wohnungen weder selbst nutzen oder frei über eine Fremdnutzung bestimmen, noch die Appartements frei weiterveräußern (vgl. insb § 3 Nr. 2, § 5 und § 15 Gemeinschaftsordnung; Art. 7 Nr. 2 Satz 2, Art. XVI Kaufvertrag).
Der Senat geht im summarischen Verfahren davon aus, dass umsatzsteuerlich an die Gemeinschaft der Sondereigentümer geliefert wurde. Zwar verbleiben auch auf dieser Ebene gravierende Verfügungsbeschränkungen (insb. § 15 der Gemeinschaftsordnung), deren Auswirkungen im Hauptsacheverfahren aufzuklären sein werden. Die Annahme, dass an die Gemeinschaft geliefert werde, rechtfertigt sich jedoch durch die weiterreichenden Befugnisse der Eigentümergemeinschaft und den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer.
Im Hauptsacheverfahren wird zu klären sein, ob abweichend davon den Erwerbern oder der Gemeinschaft faktisch weiterreichende Rechte eingeräumt wurden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.


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