Steuerrecht

Beiladung, Prozeßbevollmächtigter, Verwaltungsakte mit Doppelwirkung, Bekanntgabe eines Verwaltungsakts, Begünstigender Verwaltungsakt, Baugenehmigungsbescheid, Erteilte Baugenehmigung, Verwaltungsgerichte, Postzustellungsurkunde, Befähigung zum Richteramt, Aufhebung, Anderweitige Rechtshängigkeit, Klageerhebung, Anfechtungsklage gegen, Doppelte Rechtshängigkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Streitwertkatalog, Streitwertbeschwerde, Rechtsmittelbelehrung, Derselbe Streitgegenstand

Aktenzeichen  W 5 K 20.927

Datum:
25.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7790
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GVG § 17 Abs. 1 S. 2
VwGO § 90

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage war als unzulässig abzuweisen.
Die im hiesigen Verfahren gegen den an die Beigeladene gerichteten Baugenehmigungsbescheid der Stadt Würzburg, Az. 2223-2019, vom 13. Mai 2019 erhobene (Dritt-)Anfechtungsklage des Klägers vom 17. Juli 2020 erweist sich wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit als unzulässig.
Nach § 173 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG kann während der Rechtshängigkeit – im verwaltungsgerichtlichen Prozess ab Erhebung der Klage, § 90 Satz 1 VwGO – die Sache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG verbietet, die Sache „anderweitig“ anhängig zu machen. Dies ist dann der Fall, wenn der Streitgegenstand erneut gerichtlich geltend gemacht wird (vgl. Ehlers in Schoch/Schneider, VwGO, Stand 39. EL Juli 2020, § 17 GVG Rn. 43), sei es bei einem anderen Gericht desselben oder eines anderen Rechtswegs oder bei demselben Gericht (vgl. Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand 39. EL Juli 2020, § 90 VwGO Rn. 24). Eine doppelte Rechtshängigkeit führt zur Unzulässigkeit des zeitlich später anhängig gewordenen Verfahrens. Zweck der Vorschrift ist es, doppelte Prozesse mit gegebenenfalls divergierenden Entscheidungen zu vermeiden. Das Verbot ist Prozesshindernis; wegen seines zugleich objektiven Zwecks ist es von Amts wegen zu beachten. Die verbotswidrig erhobene zweite Klage ist als unzulässig abzuweisen (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 41 / §§ 17-17b GVG Rn. 11).
Mit Einreichung der Klageschrift des Klägerbevollmächtigten vom 15. Juni 2020 per Telefax am 15. Juni 2020 um 16:49 Uhr im Verfahren W 5 K 20.729 wurde die Streitsache rechtshängig (§ 90 i.V.m. § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dem steht auch nicht entgegen, dass eine (Nachbar-)Ausfertigung der Baugenehmigung (vgl. Art. 66 Abs. 1 Satz 4 BayBO) dem Kläger zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugestellt worden war, vielmehr der Zustellungsversuch vom 15. Mai 2020 erfolglos geblieben war, weil der Kläger unter der angegebenen Anschrift („… …, 97. …“) nicht zu ermitteln war (vgl. Zustellungsurkunde, Bl. 109 der Bauakte). Eine Anfechtungsklage, die vor Ergehen des Verwaltungsaktes erhoben wird, ist zwar grundsätzlich unzulässig und wird auch durch das Ergehen des Verwaltungsaktes nicht nachträglich zulässig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 74 Rn. 4a). Denn die Anfechtungsklage kann nur erhoben werden, wenn der Verwaltungsakt bereits äußerlich wirksam ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 11). Der Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekanntgegeben wird (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG). Allerdings muss der Kläger nicht Bekanntgabeadressat des Verwaltungsakts sein. Erst durch die Bekanntgabe an jedenfalls einen (ersten) Adressaten oder Betroffenen wird der Verwaltungsakt existent und kann von diesem Zeitpunkt an mit Rechtsbehelfen angegriffen werden (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 43 Rn. 4; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 11). Bedeutung hat dies bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung, wie der hier streitgegenständlichen Baugenehmigung. Hier kann sich der Dritte gegen den einen anderen begünstigenden Verwaltungsakt auch dann mit der Anfechtungsklage wenden, wenn ihm der Verwaltungsakt nicht bekannt gegeben wurde (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 11).
Die hiesige Klage betrifft auch dieselbe „Sache“ wie die im Verfahren W 5 K 20.729. Denn § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG betrifft die Streitsache (vgl. § 90 VwGO), meint also den Streitgegenstand. Dies ist im Verwaltungsprozess der prozessuale Anspruch, der einerseits durch den Klageantrag, d.h. durch die erstrebte Rechtsfolge (Klageanspruch) und andererseits durch den konkreten Sachverhalt, auf dem der Streit beruht (Klagegrund) gebildet wird (zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff, vgl. BVerwG, U.v. 10.5.1994 – 9 C 501.93 – BVerwGE 96, 24, 25; Wolff in BeckOK VwGO, 56. Edition, § 90 Rn. 11). Bei der Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist nach Auffassung der Rechtsprechung der Streitgegenstand die Behauptung des Klägers, der angefochtene Verwaltungsakt sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.1992 – 1 C 12.92 – BVerwGE 91, 256, 257). Die Drittanfechtungsklage im hiesigen Verfahren betrifft denselben Streitgegenstand wie die im Verfahren W 5 K 20.792, da jeweils die Aufhebung der Baugenehmigung der Beklagten vom 13. Mai 2020 (Az. 2223-2019) mit der Behauptung des Klägers, dieser Verwaltungsakt sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten, begehrt wird. Wenn der Klägerbevollmächtigte insoweit vom „Erlass eines neuen Bescheids“ oder eines „weiteren Bescheids“ spricht, verkennt er, dass hier lediglich ein einziger Bescheid erlassen wurde, nämlich die an die Beigeladene (Bauherrin) gerichtete Baugenehmigung vom 13. Mai 2020, die am 14. Mai 2020 zur Post gegeben wurde (zum Begriff des Erlasses und der Abgrenzung zur Bekanntgabe eines Verwaltungsakts vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 41 Rn. 18).
Dass es sich hier um ein- und denselben Bescheid handelt, musste für den Kläger und erst recht für den juristisch geschulten Bevollmächtigten des Klägers ohne Weiteres erkennbar sein. Form, Inhalt und Bescheidsdatum der den weiteren Klägern im Verfahren W 5 K 20.792 am 15. Mai 2020 zugestellten (Nachbar-)Ausfertigung (von der der Kläger wohl Kenntnis erlangt haben muss, wenn er hiergegen Klage erheben ließ) sowie der dem Bevollmächtigten des Klägers am 19. Juni 2020 zugestellten (Nachbar-)Ausfertigung erweisen sich als identisch. Damit musste aber dem Kläger wie auch seinem Bevollmächtigten klar sein, dass im hiesigen Verfahren eine zweite Anfechtungsklage gegen denselben Verwaltungsakt erhoben wird, der dann die Rechtshängigkeit der früher erhobenen Klage entgegensteht.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass nicht davon die Rede sein kann, dass – wie der Kläger vortragen lässt – der Bescheid „nochmals für den Kläger zu 3) zugestellt“ wurde und dass die Beklagte „nicht ordnungsgemäß reagiert“ habe. Zum einen wurde eine Ausfertigung der Baugenehmigung vom 13. Mai 2020 dem Kläger über dessen Bevollmächtigten am 19. Juni 2020 nicht nochmals, sondern erstmals zugestellt, nachdem der Zustellungsversuch vom 13. Mai 2020 gescheitert war. Zum anderen hat die Kammer keinerlei Zweifel daran, dass die Zustellung über den Bevollmächtigten des Klägers ordnungsgemäß und – mangels bisher erfolgter Bekanntgabe an den Kläger – auch notwendig war, um die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO in Gang zu setzen. Schließlich irrt die Klägerseite, wenn sie meint, dass die Situation von der Beklagten dadurch bereinigt werden könne, dass sie „den Bescheid gegen den hiesigen Kläger (…) alleine aufhebt“. Denn eine Aufhebung des Baugenehmigungsbescheids kann nicht isoliert gegenüber einem Nachbarn als Drittbetroffenen erfolgen, sondern nur uneingeschränkt. Auch die Aufhebung des Verwaltungsakts ist gemäß Art. 41 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, der von ihm betroffen wird, also dem Adressaten der Baugenehmigung, dem Bauantragsteller, hier also der Beigeladenen.
Nach allem war die Klage bereits als unzulässig abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beigeladene durch eigene Antragstellung am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entsprach es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Aufwendungen dem Kläger aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.


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