Steuerrecht

Bescheid, Ermessensentscheidung, Rechtsanwaltschaft, Zulassung, Widerruf, Gerichtsvollzieher, Anwaltshaftung, Streitwertfestsetzung, Verwaltungsverfahren, Mitwirkungspflicht, Schuldnerverzeichnis, Stellungnahme, Vollstreckung, Klageverfahren, Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, Zulassung der Rechtsanwaltschaft, Gelegenheit zur Stellungnahme

Aktenzeichen  BayAGH I – 5 – 7/19

Datum:
9.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38462
Gerichtsart:
Anwaltsgerichtshof
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist im Kostenausspruch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 50.000 EUR festgesetzt.
V. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die gemäß §§ 112a Abs. 1, 112c Abs. 1 BRAO, 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthafte Anfechtungsklage ist zulässig. Die Klage ist auch form- und fristgerecht erhoben worden, § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO i.V.m. §§ 112 c Abs. 1 BRAO. Gemäß Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO war ein Vorverfahren nach § 68 VwGO nicht durchzuführen.
Der Senat konnte ohne den nicht erschienenen Kläger verhandeln. Er wurde mit der Ladung auf die Folgen seines Fernbleibens hingewiesen, § 102 Abs. 2 VwGO (Bl. 20 d. A.; AGH Hessen Beschluss vom 12.4.2010 – 1 AGH 14/09, BeckRS 2010, 29262, BAYERN.RECHT)
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet und war abzuweisen. Der streitgegenständliche Widerrufsbescheid vom 09.04.2019 ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 112c Abs. 1 BRAO.
1) Der Widerrufsbescheid ist formell rechtmäßig.
Dem Kläger wurde mit Schreiben vom 12.02.2019, zugestellt am 13.02.2019, Gelegenheit zur Stellungnahme zum beabsichtigten Widerruf der Zulassung wegen Vermögensverfalls gegeben, § 32 Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. Art. 28 BayVwVfG. Soweit der Kläger vorbringt, er hätte persönlich angehört werden müssen, ist festzustellen, dass gesetzlich nicht vorgegeben ist, in welcher Form die Anhörung zu erfolgen hat. Die Anhörung ist vielmehr formfrei (OVG Weimar NVwZ-RR 1997, 287 (288)). Insofern obliegt es der Ermessensentscheidung der Behörde, wie sie die Anhörung vornimmt, ob diese schriftlich, mündlich oder auch fernmündlich erfolgt. Ausreichend ist es, wenn dem Betroffenen die Gelegenheit gegeben wird, sich schriftlich – auch in elektronischer Form – zu äußern (vgl. bereits BVerwG DVBl 1986, 430). Ein Anspruch darauf, eine mündliche Anhörung durchzuführen, besteht grundsätzlich nicht (BeckOK VwVfG/Herrmann, 46. Ed. 1.1.2020, VwVfG § 28 Rn. 17). Die Stellungnahme des Klägers vom 28.02.2019 per E-Mail wurde von der Beklagten bei ihrer Entscheidung berücksichtigt. Damit wurde dem Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör Genüge getan.
Im Übrigen obliegt dem Kläger nach ständiger Rechtsprechung gemäß § 32 BRAO i.V. m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 2, 26 Abs. 2 BayVwVfG eine Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren. Er hat seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darzulegen (BGH Beschluss vom 06.07.2009 – AnwZ(B) 71/08, BeckRS 2009, 22020, BAYERN.RECHT).
2) Der Widerrufsbescheid ist auch materiell rechtmäßig.
Rechtsgrundlage des Widerrufs wegen Vermögensverfalls ist § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO. Nach dieser Vorschrift ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Diese Voraussetzungen für den Widerruf waren bei Erlass des angegriffenen Bescheids erfüllt.
a) Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Dabei ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Zulassungswiderrufs allein auf den Zeitpunkt des Ausspruchs des Widerrufsbescheids abzustellen, nachdem in Bayern die Durchführung eines Vorverfahrens entbehrlich ist. Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall sind die Erwirkung von Schuldtiteln und fruchtlose Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Rechtsanwalt (st. Rspr.; vgl. zum Beispiel BGH Beschluss vom 8.2.2010 – AnwZ (B) 11/09 unter II 1 a). Der Vermögensverfall wird nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO vermutet, wenn der Rechtsanwalt in das vom Insolvenzgericht oder Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 InsO, § 915 ZPO) eingetragen ist (BGH Beschluss vom 10.07.2014 – AnwZ (Brfg) 15/15 unter II 1 b).
So verhielt es sich hier. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids am 09.04.2019 war der Kläger in zwei Zwangsvollstreckungsverfahren in das Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts Hof eingetragen; bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung ist keine Löschung dieser Eintragungen erfolgt. Weitere Zwangsvollstreckungsaufträge waren anhängig. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Eintragung vom 03.05.2017 einen sehr niedrigen Restbetrag aus einer früheren Vollstreckung ausweist, allerdings schon seit langem besteht und bis zum Erlass des Widerrufsbescheides auch nicht gelöscht wurde.
b) Der Kläger hat die Vermutung des Vermögensverfalls auch nicht widerlegt. Um die Vermutung des Vermögensverfalls zu widerlegen, muss er seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darlegen. Insbesondere muss er eine Aufstellung sämtlicher gegen ihn erhobenen Forderungen vorlegen und im Einzelnen darlegen, ob diese Forderungen inzwischen erfüllt sind oder in welcher Weise er sie zu erfüllen gedenkt (BGH Beschluss vom 15.09.2008 – AnwZ (B) 70/07 unter 2 c). Eine derartige auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids bezogene substantiierte Vermögensaufstellung unter Angabe aller bestehenden Verbindlichkeiten sowie gegebenenfalls der Vorlage eines entsprechenden Tilgungsplans ist der Kläger schuldig geblieben. Eine solche Darstellung hatte der Kläger weder der Beklagten im Verwaltungsverfahren noch dem Senat im Klageverfahren vorgelegt. Er hat auch nicht dargelegt, dass die den Eintragungen im Schuldnerverzeichnis zugrunde liegende Forderungen gegen ihn erfüllt oder in anderer Weise erledigt waren. Insbesondere reichen die Ausführungen des Klägers in seiner Stellungnahme per E-Mail vom 28.02.2019 und in seiner Klagebegründung vom 17.10.2019 hierfür nicht aus. Auch zu der weiteren Entwicklung in dem Verfahren vor dem Landgericht München I unter dem Az. …, in dem im Dezember 2019 eine weitere Verhandlung hätte stattfinden sollen, trug der Kläger nicht weiter vor.
c) Der Hinweis auf bestehendes Immobilienvermögen vermag die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls nicht zu widerlegen. Unabhängig davon, dass die diesbezüglich vorgelegten Unterlagen unvollständig und damit wenig aussagekräftig sind, ist nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung Immobilienvermögen bei der Beurteilung der Vermögensverhältnisse nur dann von Bedeutung, wenn es dem Betroffenen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zulassungswiderrufs als liquider Vermögenswert zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten zur Verfügung stand (BGH, Beschluss vom 09.02.2015 – AnwZ (Brfg) 46/14, juris, Rn. 10 m. w. N.). Der Kläger hat aber nicht vorgetragen, dass Verkaufsbemühungen vor Erlass des Widerspruchsbescheides entfaltet worden seien, um durch Verwertung seines Immobilienvermögens ausreichend Geldmittel zur Erfüllung der fälligen Forderungen zur Verfügung zu haben, zumal dem Kläger offensichtlich auch nur ein Miteigentumsanteil an der Immobilie gehört. Mit seinem Verweis auf vorhandenes Immobilienvermögen bzw. sonstiges Vermögen kann er deshalb nicht durchdringen.
d) Anhaltspunkte dafür, dass ungeachtet des Vermögensverfalls die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet waren, waren bei Erlass des Widerrufsbescheids nicht erkennbar. Der Vermögensverfall führt regelmäßig zu einer derartigen Gefährdung, insbesondere im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Mandantengeldern und den darauf möglichen Zugriff seiner Gläubiger. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist von dem in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalt zu fordern, dass er die zum Schutz der Interessen Rechtssuchender erforderlichen Vorkehrungen trifft, sowie deren Einhaltung vertragsrechtlich und tatsächlich sicherstellt. Das setzt regelmäßig die Aufgabe einer Tätigkeit als selbständiger Anwalt und den Abschluss eines Anstellungsvertrags mit einer Anwaltssozietät voraus, der nach der Organisation der Sozietät, dem Umfang der Tätigkeitsverpflichtung des Rechtsanwalts gegenüber der Sozietät und den getroffenen Maßnahmen einen effektiven Schutz (auch in Vertretungsfällen) erwarten lässt (BGH Beschluss vom 04.01.2014 – AnwZ (Brfg) 62/13 unter II 1 b aa). Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger derartige Schutzmaßnahmen ergriffen hat.
Allein der Hinweis darauf, er sei „im Bereich des Äußerungsrechts bei Facebook“ tätig und hauptsächlich mit der „Abwehr von Abmahnungen“ beschäftigt, so dass Mandantengelder nicht in Gefahr seien (E-Mail vom 28.02.2019 an die Beklagte), reicht jedenfalls nicht aus.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 167 VwGO, 709 S. 2 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 194 Abs. 2 BRAO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung waren nicht gegeben, § 124 Abs. 2 VwGO.


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