Steuerrecht

Disziplinarrechtliche Notarsache: Beurteilungsspielraum des Notars bei der Prüfung eines berechtigten Sicherungsinteresses für eine Hinterlegung von Geld auf einem Notaranderkonto

Aktenzeichen  NotSt (Brfg) 2/19

Datum:
16.11.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:161120UNOTST.BRFG.2.19.0
Normen:
§ 54a Abs 2 Nr 1 BeurkG vom 31.08.1998
§ 57 Abs 2 Nr 1 BeurkG vom 01.06.2017
Spruchkörper:
Senat für Notarsachen

Leitsatz

1. Dem Notar steht bei der Prüfung der Frage, ob ein berechtigtes Sicherungsinteresse für eine Hinterlegung von Geld auf einem Notaranderkonto besteht, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.
2. Dementsprechend kommt ein Einschreiten der Dienstaufsicht nur in eindeutigen Fällen in Betracht, etwa wenn der Notar seinen Beurteilungsspielraum ersichtlich nicht ausgeübt oder überschritten hat oder sich allein von dem nicht berechtigten Wunsch der Beteiligten hat leiten lassen. Der Aufsichtsbehörde ist es verwehrt, ihr eigenes Beurteilungsermessen an die Stelle desjenigen des Notars zu setzen.

Verfahrensgang

vorgehend KG Berlin, 14. Mai 2019, Az: Not 6/18, Urteil

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Senats für Notarsachen des Kammergerichts vom 14. Mai 2019 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Der Kläger ist seit 1986 als Rechtsanwalt zugelassen. Seit Anfang 1996 ist er Notar mit Amtssitz in Berlin.
2
Nach einer turnusmäßigen Prüfung seiner Amtsgeschäfte Anfang 2017 leitete die Präsidentin des Landgerichts ein Disziplinarverfahren gegen den Kläger ein. Gegenstand waren Beanstandungen im Zusammenhang mit verschiedenen vom Kläger übernommenen Verwahrungsgeschäften.
3
Im Berufungsverfahren geht es noch um folgende Vorgänge:
4
1. Am 21. April 2016 beurkundete der Kläger zu UR-Nr. 393/2016 einen Vertrag über die Veräußerung einer damals in Abteilung III des Grundbuchs unbelasteten Eigentumswohnung nebst zweier – ebenso lastenfreier – Stellplätze zum Kaufpreis von insgesamt 780.000 €. Davon war ein “erster Kaufpreisteilbetrag” in Höhe von 50.000 € binnen 14 Tagen seit der Beurkundung auf einem Notaranderkonto des Klägers zu hinterlegen. Dieser Betrag sollte im Zeitpunkt der (näher konkretisierten) Fälligkeit des – im Übrigen direkt zu zahlenden – Restkaufpreises auf ein Konto des Verkäufers gezahlt werden. In § 2 Nr. III Abs. 3 der Vertragsurkunde heißt es weiter:
“Zahlt der Käufer einen Kaufpreisteilbetrag bei jeweiliger Fälligkeit nicht, kann der Verkäufer vom Vertrag zurücktreten, wenn er dem Käufer erfolglos eine Frist von 7 Kalendertagen zur Zahlung bestimmt hat. (…) Sofern der Verkäufer aus diesem Grund vom Vertrag zurücktritt, hat er Anspruch auf einen pauschalen – und abschließenden – Schadensersatz in Höhe von 50.000,00 €. Der Notar wird von den Vertragsparteien – einseitig nicht widerruflich – angewiesen, in diesem Fall die bei ihm hinterlegte Anzahlung an den Verkäufer auszukehren.”
5
2. Bereits am 11. Januar 2016 zu UR-Nr. 52/2016 hatte der Kläger in ähnlicher Weise einen Kaufvertrag über ein mit einem Mehrfamilienhaus bebautes Grundstück zum Preis von 2.150.000 € beurkundet, demzufolge ebenfalls ein “erster Kaufpreisteilbetrag” von 300.000 € auf einem Anderkonto des Klägers zu hinterlegen war, der bei Fälligkeit auszukehren war und im Fall eines berechtigten Rücktritts der Verkäuferin als pauschaler Schadensersatz verfallen sollte (§ 2 Ziffer IV Abs. 4 der Vertragsurkunde).
6
3. Am 11. Juli 2016 beurkundete der Kläger zu UR-Nr. 713/2016 einen Vertrag über den Kauf und die Abtretung eines Gesellschaftsanteils an einer GmbH zu einem Kaufpreis von 4.025.000 €. Auch hier vereinbarten die Parteien die Abwicklung des Vertrags über ein Anderkonto des Klägers. In § 2 Abs. 2 der Urkunde ist Folgendes geregelt:
“Auf Verlangen des Verkäufers hat der Käufer den Kaufpreis bereits auf dem Notaranderkonto mit der Bezeichnung (…) zu treuen Händen des Notars hinterlegt, was der Notar hiermit bestätigt.
Der Notar wird von den Vertragsparteien unwiderruflich angewiesen, den Kaufpreis innerhalb von drei Bankarbeitstagen nach Unterzeichnung dieses Anteilskaufvertrages auf das Konto (…) [Verkäufer] auszuzahlen.”
7
Gemäß § 3 der Urkunde sollte die Abtretung des Geschäftsanteils aufschiebend bedingt auf den Tag der vollständigen Auszahlung des Kaufpreises vom Notaranderkonto (Übertragungsstichtag) erfolgen.
8
4. Ferner beurkundete der Kläger in der Zeit zwischen August und Oktober 2015 im Zusammenhang mit verschiedenen Verträgen über die Veräußerung von Baugrundstücken nebst Miteigentumsanteilen an Gemeinschaftsflächen eine Reihe von – gleichzeitig abgeschlossenen – sogenannten “Erschließungsvereinbarungen” zwischen den Käufern der jeweiligen Grundstücke (“Erschließungsnehmern”) und einer mit der Verkäuferin verbundenen Gesellschaft (“Erschließungsgeberin”). Darin verpflichtete sich die Erschließungsgeberin, Maßnahmen zur Erschließung der Baugrundstücke (Verlegung von Hauptversorgungsleitungen, Hausanschlussleitungen, Telefonanschluss etc.) gegen ein jeweils vereinbartes Entgelt von 25.000 € zu erbringen. Im Gegenzug hatten die Erschließungsnehmer das für die Baumaßnahmen zu entrichtende Entgelt auf einem Anderkonto des Klägers zu hinterlegen. Die die Erschließungsverträge betreffenden Urkunden (UR-Nr. 759/15, 810/15, 894/15, 918/15, 920/15 und 967/15) enthalten jeweils folgende Passage:
“Der Notar belehrt darüber, dass der Erschließungsvertrag auch ohne Hinterlegung des Entgelts auf einem Notaranderkonto abgewickelt werden könnte. Weil der Erschließungsnehmer ein besonderes Interesse daran hat, dass die Erschließung seines Baugrundstücks alsbald erfolgt, und der Erschließungsgeber zur Durchführung der Erschließungsleistungen nur bereit ist, wenn das Entgelt sichergestellt ist, wünschen die Parteien die Abwicklung über ein Notaranderkonto.”
9
5. Alle aufgeführten Verträge wurden problemlos abgewickelt.
II.
10
Wegen der dem Kläger angelasteten Dienstpflichtverletzungen – unter anderem wegen des Vorwurfs, Gelder zur Verwahrung entgegen genommen zu haben, ohne dass ein berechtigtes Sicherungsinteresse bestanden habe – erteilte ihm die Präsidentin des Landgerichts mit Disziplinarverfügung vom 17. April 2018 einen Verweis und verhängte eine Geldbuße von 3.500 €.
11
Dagegen richtet sich die Anfechtungsklage des Klägers, mit der er – soweit im Berufungsverfahren noch von Bedeutung – dem Vorwurf, Verwahrungsgeschäfte ohne berechtigtes Sicherungsinteresse vorgenommen zu haben, entgegentritt.
12
1. Er hat geltend gemacht, einem Notar stehe bei der Frage, ob im Einzelfall ein berechtigtes Sicherungsinteresse für ein Verwahrungsgeschäft vorliege, ein Beurteilungsspielraum zu, der nicht vollumfänglich überprüfbar sei. Disziplinarrechtliche Maßnahmen seien nur dann zulässig, wenn der Notar formularmäßig und ohne berechtigtes Sicherungsinteresse Anderkonten verwende. Seine Standardvertragsmuster sähen jedoch generell Direktzahlungen vor. Eine Anderkontenregelung nehme er stets nur ausnahmsweise aufgrund der von den Parteien genannten besonderen Umstände des Einzelfalls in die Verträge auf. Dies ergebe sich auch aus dem Verhältnis zwischen der Anzahl der Urkundennummern pro Jahr und den angelegten Anderkonten. In der Sache zu UR-Nr. 393/2016 sei die aus Russland stammende Verkäuferin, die es aus ihrer Heimat gewohnt gewesen sei, dass die Zahlung bereits bei Vertragsschluss entweder direkt erfolge oder bei einem Treuhänder hinterlegt werde, äußerst misstrauisch gewesen. Die Vertragsparteien seien daher übereingekommen, dass die erste Teilzahlung von 50.000 € zur Sicherung der tatsächlichen Kaufpreiszahlung auf ein Notaranderkonto gezahlt werde. Durch den pauschalen Schadensersatz habe die Käuferin gleichfalls dazu angehalten werden sollen, den restlichen Kaufpreis zu zahlen, um die Anzahlung nicht zu verlieren. Ohne die vereinbarte, auf das Anderkonto zu leistende Teilzahlung wäre die Verkäuferin nicht bereit gewesen, weiteren Kaufinteressenten – die den gesamten Kaufpreis zu hinterlegen bereit gewesen seien – abzusagen. Der dem Kaufvertrag zu UR-Nr. 52/16 zugrundeliegende Sachverhalt sei gleichgelagert gewesen.
13
Bei dem Anteilskauf gemäß UR-Nr. 713/2016 habe sein erster Vertragsentwurf zwar kein Notaranderkonto vorgesehen. Die Beteiligten hätten sich jedoch auf die Hinterlegung des Kaufpreises verständigt. Trotz Hinweises auf die Kosten und den nicht erkennbaren Sicherungszweck hätten sie mitgeteilt, die Verkäuferin sei nicht bereit, den Kaufvertrag zu beurkunden, wenn nicht die Käuferin – die mit einem weit unterhalb des Kaufpreises liegenden Stammkapital ausgestattet gewesen sei – zuvor den Kaufpreis hinterlegt hätte.
14
Die Erschließungsverträge könnten nicht losgelöst von den jeweiligen Grundstückskaufverträgen betrachtet werden. Es sei eine schnellstmögliche Erschließung gewünscht worden, damit die Käufer die Grundstücke hätten bebauen können. Aus diesem Grund hätten auch die Kaufverträge eine Zahlung des Kaufpreises über ein Anderkonto und eine unmittelbare Übergabe der Grundstücke samt Nutzen- und Lastenübergang am Tag nach vollständiger Kaufpreishinterlegung vorgesehen. Beide Verträge hätten miteinander stehen und fallen sollen. Die grundsätzlich bestehende Endfälligkeit des Werklohns nebst der erforderlichen Abnahme der Leistung besagten nichts darüber, ob und wie der Anspruch abgesichert werden dürfe.
15
2. Das Kammergericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage die Disziplinarverfügung des Beklagten teilweise dahin abgeändert, dass es die Geldbuße auf 2.000 € herabgesetzt hat. Der Vorwurf, der Kläger hätte Gelder zur Verwahrung entgegengenommen, ohne dass dafür ein berechtigtes Sicherungsinteresse bestanden habe, sei nicht begründet.
16
3. Mit der von der Vorinstanz zugelassenen Berufung verfolgt der Beklagte seinen Klagabweisungsantrag – soweit er erfolglos geblieben ist – weiter.
17
Das Kammergericht habe die den Beurkundungen zu UR-Nr. 52/2016 und 393/2016 zugrundeliegenden Sachverhalte nicht umfassend gewürdigt. In Bezug auf die Urkunde zu UR-Nr. 393/2016 habe es den Inhalt eines E-Mail-Schreibens der die Verkäuferin vertretenden Rechtsanwältin vom 3. April 2016 nicht berücksichtigt. Danach sei es der Verkäuferin nur um die Sicherung möglicher Schadensersatzansprüche gegangen und nicht um eine Anzahlung im Sinne einer teilweise vorgezogenen Erfüllung der Kaufpreisschuld. Die Anzahlung sichere zudem nicht die Zug-um-Zug-Abwicklung des Kaufvertrags, sondern allein die Interessen des Verkäufers für den Fall eines vertragswidrigen Verhaltens des Käufers. Das Sicherungsinteresse des Käufers entstehe erst durch das Verlangen des Verkäufers nach einer Anzahlung zur Sicherung von potentiellen Sekundäransprüchen. Bei dem Liegenschaftskaufvertrag zur UR-Nr. 52/2016 lägen die Dinge nicht anders. Die sogenannte Druckfunktion, die die Anzahlung für den Käufer hinsichtlich weiterer Kaufpreisraten entfalte, könne die Hinterlegung nicht rechtfertigen.
18
Im Fall des Geschäftsanteilskauf- und -abtretungsvertrags zur UR-Nr. 713/2016 hätte die Abwicklung ebenso gut objektiv durch die auf die Kaufpreiszahlung aufschiebend bedingte Abtretung gesichert werden können. Es sei nicht um die sichere Abwicklung der gewollten Transaktion gegangen, sondern allein darum, dem Wunsch der Verkäuferin nach Hinterlegung des Kaufpreises Rechnung zu tragen. Der Aspekt, dass das Stammkapital der – vermutlich erst zur Durchführung des Geschäfts gegründeten – Gesellschaft zur Begleichung des Kaufpreises nicht ausreichend gewesen sei, sei nicht geeignet, die Durchführung des Vertrags als überdurchschnittlich unsicher erscheinen zu lassen. Die Höhe des Stammkapitals besage für sich genommen nichts über die Wahrscheinlichkeit der Kaufpreiszahlung.
19
Den Erschließungsverträgen habe eine besondere Konstellation zugrunde gelegen. Hätte sich hingegen die Verkäuferin – der der Wertzuwachs zugute gekommen wäre – den Käufern gegenüber selbst zur Erbringung der Erschließungsleistungen verpflichtet, wäre die Makler- und Bauträgerverordnung anwendbar gewesen. Hiernach hätte allenfalls für die letzte Kaufpreisrate ein berechtigtes Sicherungsinteresse bejaht werden können. Erst die Aufspaltung des beabsichtigten Geschäfts in den Grundstückskauf- und den Erschließungsvertrag habe dazu geführt, dass die Makler- und Bauträgerverordnung nicht anzuwenden gewesen sei. Die Auszahlungsanweisungen trügen den berechtigten Sicherungsinteressen der Erschließungsnehmer darüber hinaus nicht hinreichend Rechnung. Sie verkürzten – indem sie auf die Fertigstellung und nicht die Abnahme abstellten – deren Rechte für den Fall der nicht mangelfreien Herstellung des Werks.
20
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Kammergerichts die Klage gegen die Disziplinarverfügung der Präsidentin des Landgerichts Berlin vom 17. April 2018 – NotRev II D IV F SH 1/17 – insgesamt abzuweisen.
21
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
22
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akten des disziplinarrechtlichen Ermittlungsverfahrens sowie der Personalakten nebst Sonderheften verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

24
Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Ein über die vom Kläger der Sache nach akzeptierten Vorwürfe hinausgehender weiterer schuldhafter Pflichtverstoß wegen der Entgegennahme von Geldern zur Verwahrung trotz fehlenden berechtigten Sicherungsinteresses ist ihm nicht zur Last zu legen.
I.
25
Das Kammergericht (veröffentlicht in RNotZ 2019, 492) hat – soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung – ausgeführt, bei dem nach objektiven Kriterien zu bestimmenden “berechtigten Sicherungsinteresse” handele es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen der Notar eigenverantwortlich unter Abwägung der an ihn herangetragenen Wünsche der Beteiligten und einer Prognose der künftigen Abwicklungsmöglichkeiten im jeweiligen Einzelfall zu prüfen habe. Dabei stehe ihm ein nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Entgegen der Auffassung des Klägers seien disziplinarrechtliche Maßnahmen aber nicht auf solche Fälle beschränkt, in denen der Notar die Abwicklung über ein Notaranderkonto regelmäßig ohne berechtigtes Sicherungsinteresse vorsehe. Dass nach dem Willen des Gesetzgebers formularmäßige Abwicklungen über Notaranderkonto vermieden werden sollten, stehe der Ahndung einer amtspflichtwidrigen Verwahrung im Einzelfall nicht grundsätzlich entgegen. Bei den fraglichen Urkundsgeschäften habe jedoch ein berechtigtes Sicherungsinteresse bestanden. In den Fällen der UR-Nr. 393/2016 und 52/2016 habe die – jeweils auf das Notaranderkonto geleistete – Anzahlung nicht nur der Sicherung eines pauschalierten Schadensersatzanspruchs, sondern auch der Teilerfüllung der Hauptleistungspflicht des jeweiligen Käufers gedient. Es könne daher offengelassen werden, ob auch die Sicherung von Sekundäransprüchen die Verwahrung hätte rechtfertigen können. Nur für den Fall des Rücktritts des jeweiligen Verkäufers wegen nicht rechtzeitiger Zahlung des Kaufpreises habe nach erfolgloser Nachfristsetzung ein pauschalierter Schadensersatzanspruch entstehen sollen. Hätte der Vertrag hingegen aus von dem Verkäufer zu vertretenden Gründen nicht durchgeführt werden können, wäre dem jeweiligen Käufer ein – anderenfalls ungesicherter – Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung entstanden. Es sei daher naheliegend gewesen, die Hinterlegung der Anzahlung auf dem Anderkonto des Klägers vorzusehen. Ein berechtigtes Sicherungsinteresse im Zusammenhang mit dem Unternehmenskaufvertrag zu UR-Nr. 713/2016 habe in dem – durch die geringe Kapitalausstattung der Erwerberin – begründeten Risiko gelegen, dass der Vertrag letztlich doch nicht durchgeführt werde. Dem Kläger könne auch in Bezug auf die von ihm beurkundeten Erschließungsvereinbarungen nicht vorgeworfen werden, dass kein berechtigtes Sicherungsinteresse für die Verwahrung der jeweiligen Werklohnforderung bestanden habe. Durch die Sicherheit werde die Vorleistungspflicht des Werkunternehmers nicht berührt. Der Kläger habe davon ausgehen dürfen, dass die gesetzlichen Regelungen dem Sicherungsinteresse der Erschließungsgeberin nur unvollkommen entsprochen hätten. Auch die dem Kläger erteilten Auszahlungsanweisungen widersprächen nicht dem gesetzlichen Leitbild des Werkvertrags.
II.
26
Diese Ausführungen halten einer Überprüfung im Ergebnis stand. Ein Dienstvergehen (§ 95 BNotO), das – zusammen mit den weiteren der Sache nach nicht angegriffenen Pflichtverletzungen – eine höhere Geldbuße als 2.000 € rechtfertigen würde, liegt nicht vor.
27
1. Nach § 54a Abs. 2 Nr. 1 BeurkG (in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze vom 31. August 1998, BGBl. I S. 2585, 2595 [a.F.]; jetzt [inhaltlich unverändert] § 57 Abs. 2 Nr. 1 BeurkG, eingefügt durch Art. 2 Nr. 17 des Gesetzes zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom 1. Juni 2017, BGBl. I S. 1396, 1407 [n.F.]) darf der Notar Geld zur Verwahrung nur entgegennehmen, wenn hierfür ein berechtigtes Sicherungsinteresse der am Verwahrungsgeschäft beteiligten Personen besteht. Hierdurch sollte einer “formularmäßig” vorgesehenen – kostenpflichtigen – Verwahrung entgegengewirkt und die Zahl der Verwahrungsgeschäfte reduziert werden (Begründung des Entwurfs des Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze vom 21. März 1996, BT-Drs. 13/4184, S. 37 f; Renner in NotBZ 2008, 142 mwN; Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler BNotO, 8. Aufl., § 23 Rn. 49). Bis zum Erlass dieser Regelung bestand vor allem im norddeutschen Raum eine weit verbreitete, aber beträchtlichen Haftungsrisiken unterliegende Praxis, Grundstückskaufverträge unterschiedslos über Notaranderkonto abzuwickeln. Dies sollte unterbunden und die direkte Abwicklung als Standardmodell implementiert werden (vgl. zB BNotK – Rundschreiben 1/1996 vom 11. Januar 1996 [zum Regierungsentwurf der später in Kraft getretenen Textfassung des § 54a BeurkG], abgedruckt bei Weingärtner/Gassen/Sommerfeldt, DONot, 13. Aufl., Anhang 5; bestätigt durch Rundschreiben 31/2000 vom 4. September 2000; vgl. auch Verlautbarung der Notarkammer Hamm und des Präsidenten des OLG Hamm, u.a. abgedruckt in ZNotP 2002, 137 f; OLG Celle, RNotZ 2011, 367, 371; OLG Frankfurt, BeckRS 2014, 16741 Rn. 101; Renner aaO S. 145; Grziwotz in Grziwotz/Heinemann, Beurkundungsgesetz, 3. Aufl., § 57 Rn. 5). Die Frage des berechtigten Sicherungsinteresses ist daher vor allem beim Grundstückskauf von Bedeutung, kann sich aber auch in anderen Konstellationen stellen (Hertel in Frenz/Miermeister, Bundesnotarordnung, 5. Aufl., § 57 BeurkG Rn. 23; Sandkühler aaO).
28
a) Ob ein berechtigtes Sicherungsinteresse besteht, ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen (BT-Drs. 13/4184 aaO; OLG Celle aaO; Hertel aaO Rn. 6; ders. in Ganter/Hertel/Wöstmann, Handbuch der Notarhaftung, 4. Aufl., Rn. 1569; Renner in Armbrüster/Preuß/Renner, Beurkundungsgesetz und Dienstordnung für Notarinnen und Notare, 8. Aufl., § 57 BeurkG Rn. 9; Tönnies, ZNotP 1999, 419; jeweils mwN; abweichend: Möhrle, DB 2000, 605; Tröder, ZNotP 1999, 462 f; Weingärtner, DNotZ 1999, 393, 395). Es steht mithin nicht zur Disposition der Beteiligten (Hertel in Ganter/Hertel/Wöstmann aaO).
29
Ein berechtigtes Sicherungsinteresse ist anzunehmen, wenn eine Absicherung der Beteiligten allein durch die notarielle Verwahrung gewährleistet ist oder diese gegenüber der Direktzahlung zumindest deutlich erleichtert, die Verwahrung mithin ein “Plus an Sicherheit” bietet (vgl. zB Hertel in Frenz/Miermeister aaO Rn. 7; ders. in Ganter/Hertel/Wöstmann aaO Rn. 1568; Renner in Armbrüster/Preuß/Renner aaO § 57 BeurkG Rn. 10). Dies ist etwa der Fall, wenn bei einer direkten Abwicklung eine Absicherung der Beteiligten nur durch Gewährung von Sicherheiten außerhalb des Vertragsobjekts oder durch Einschaltung eines anderen Treuhänders möglich wäre (Hertel in Ganter/Hertel/Wöstmann aaO). Das Sicherungsinteresse fehlt, wenn das Geschäft ebenso gut ohne die Einschaltung eines Notars im Wege der Direktzahlung abgewickelt werden könnte (BT-Drs. 13/4184 aaO; OLG Celle aaO sowie BeckRS 2010, 22387, unter II 2a; Hertel jeweils aaO; Winkler, Beurkundungsgesetz, 19. Aufl., § 57 Rn. 10; Grziwotz aaO). Der demgegenüber vertretenen Auffassung, eine Abwicklung über ein Notaranderkonto sei auch dann zulässig, wenn es eine nur “gleichwertige Sicherheit” biete (etwa Weingärtner aaO; allgemein kritisch zur Direktzahlung Möhrle aaO S. 606), ist schon deswegen nicht zu folgen, weil anderenfalls dem Anliegen des Gesetzgebers, die Zahl der Verwahrungsgeschäfte zu reduzieren, nicht hinreichend Rechnung getragen werden würde.
30
Allein der einvernehmliche Wunsch der Beteiligten nach einer Verwahrung genügt daher nicht (so auch Verlautbarung der Notarkammer Hamm und des Präsidenten des OLG Hamm aaO; Handreichung der Schleswig-Holsteinischen Notarkammer zur ordnungsgemäßen Durchführung von Verwahrungsgeschäften gemäß §§ 54a – 54e BeurkG, Stand: Mai 2002; Hertel in Frenz/Miermeister aaO Rn. 6; ders. in Ganter/Hertel/Wöstmann aaO; Winkler aaO; Franken, in Müller-Engels, BeckOGK, Beurkundungsgesetz, § 57 Rn. 7; Elsing in Kilian/Sandkühler, Praxishandbuch Notarrecht, 3. Aufl., § 13 Rn. 17; Brambring in DNotZ 1999, 381, 384; Lerch, Beurkundungsgesetz, 5. Aufl., § 54a Rn. 2; abweichend zB Weingärtner aaO; einschränkend auch Grziwotz aaO Rn. 5 f; Blaeschke, RNotZ 2005, 330, 349). Dies schließt indessen nicht von vornherein aus, dass bei der Bestimmung des objektiven Sicherungsinteresses auch subjektive Elemente (etwa Geschäftsungewandtheit, Alter, Krankheit oder Ortsabwesenheit) eine Rolle spielen können (vgl. Handreichung der Notarkammer Schleswig-Holstein aaO; Franken aaO Rn. 8).
31
b) Ein berechtigtes Sicherungsinteresse an einer Verwahrung ist unter Berücksichtigung dieser Grundsätze in Anlehnung an die von der Bundesnotarkammer (Rundschreiben 1/1996) und einigen Ländernotarkammern (Notarkammer Hamm aaO; Notarkammer Schleswig-Holstein aaO) entwickelten Fallgruppen, denen sich auch die Vertreter der Literatur (vgl. zB Sandkühler aaO Rn. 53; Renner aaO Rn. 14; Hertel in Frenz/Miermeister aaO Rn. 9 ff; Franken aaO Rn. 13 ff) und die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. KG MittBayNot 2005, 430, 431; OLG Bremen MittBayNot 2005, 428, 429) – von Abweichungen im Detail abgesehen – im Wesentlichen angeschlossen haben, in folgenden (nicht abschließenden) Konstellationen regelmäßig zu bejahen: Verringerung des Vorleistungsrisikos einer Vertragspartei, Sicherung einer Mehrheit von Grundpfandgläubigern, die zu einer Abstimmung untereinander nicht bereit sind, freihändige Veräußerung eines Grundstücks während eines Zwangsversteigerungsverfahrens, Einbehalt eines Teils der Gegenleistung als Sicherheit oder Fälle, in denen von vornherein Probleme bei der Abwicklung, verbunden mit der Gefahr des Scheiterns des Vertrags, zu erwarten sind (vgl. zB Handreichung der Schleswig-Holsteinischen Notarkammer aaO; Verlautbarung der Notarkammer Hamm und des Präsidenten des OLG Hamm aaO; Brambring aaO S. 388 ff; ders. in DNotZ 1990, 615 ff, 621; Winkler aaO Rn. 16 ff; Franken aaO Rn. 12 ff; Renner in Armbrüster/Preuß/Renner aaO Rn. 14).
32
Demgegenüber rechtfertigen die typischerweise bei der Abwicklung eines jeden (Immobilien-)Kaufvertrags bestehenden allgemeinen Risiken regelmäßig keine notarielle Verwahrung (vgl. zB Renner aaO Rn. 13). Beim Grundstückskaufvertrag wird ein Sicherungsinteresse daher grundsätzlich zu verneinen sein, wenn das verkaufte Grundstück lastenfrei ist, die Belastungen vom Käufer übernommen oder sie vom Verkäufer mit eigenen Mitteln zur Löschung gebracht werden, wenn der Käufer den Kaufpreis aus eigenen Mitteln aufbringen kann oder nur ein finanzierender und/oder ein abzulösender Gläubiger vorhanden ist (vgl. zB BNotK, Rundschreiben 1/1996 aaO S. 710, Brambring, DNotZ 1999 S. 386 f; Sandkühler aaO Rn. 54; Hertel in Ganter/Hertel/Wöstmann aaO Rn. 1590).
33
c) Fehlt ein berechtigtes Sicherungsinteresse hat der Notar die Amtspflicht, die Verwahrungstätigkeit abzulehnen (Brambring aaO S. 383; Winkler aaO Rn. 10; anders zB Grziwotz aaO Rn. 5 f).
34
Allerdings steht dem Notar bei der Auslegung des Begriffs des “berechtigten Sicherungsinteresse” – ein unbestimmter Rechtsbegriff (vgl. zB Sandkühler aaO Rn. 52; Renner in Armbrüster/Preuß/Renner aaO Rn. 10) – ein aufgrund der sachlichen Unabhängigkeit seiner Amtsführung (§ 1 BNotO) von der Dienstaufsicht nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (vgl. Senat, Beschlüsse vom 14. Dezember 1992 – NotZ 3/91, DNotZ 1993, 465, 467 und vom 13. Dezember 1971 – NotZ 2/71, BGHZ 57, 351, 354; OLG Celle, RNotZ 2011 S. 371; Hertel, aaO, § 57 BeurkG Rn. 8; Renner aaO Rn. 22; Sandkühler aaO). Insoweit hat er in jedem Einzelfall die vorhandenen Interessen abzuwägen und zu bewerten sowie eine Prognose der künftigen Abwicklungsmöglichkeiten vorzunehmen (vgl. Zimmermann, DNotZ 2000, 164, 166; Sandkühler aaO). Da die in der Praxis auftretenden Konstellationen und die möglichen Motive für die gewählte Vertragsgestaltung ganz unterschiedlich sein können, darf die Dienstaufsicht einen Verstoß gegen § 54a Abs. 2 Nr. 1 BeurkG a.F./§ 57 Abs. 2 Nr. 1 BeurkG n.F. nur in eindeutigen Fällen beanstanden (Renner, NotBZ 2008 S.145, ders. in Armbrüster/Preuß/Renner aaO Rn. 22; Zimmermann aaO S. 167; Sandkühler aaO). Ein Pflichtverstoß wird vor allem – aber nicht ausschließlich – dann in Betracht zu ziehen sein, wenn sich Anzeichen für eine formularmäßig systematische Vorgehensweise wegen einer atypisch häufig vorkommenden Verwahrungstätigkeit ergeben (vgl. Hertel in Ganter/Hertel/Wöstmann aaO Rn. 1571; ders. in Frenz/Miermeister aaO Rn. 8) oder es sich um eine sonstige eindeutige Fallgestaltung handelt, in der eine Verwahrung keine bessere Absicherung der Beteiligten bedeutet. Solche Umstände werden üblicherweise nahelegen, dass der Notar den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum nicht genutzt oder ihn überschritten hat. Der Aufsichtsbehörde ist es aber verwehrt, ihr eigenes Beurteilungsermessen an die Stelle desjenigen des Notars zu setzen (Rack, ZNotP 2008, 474, 478). Hat der – mit dem Einzelfall und den Beteiligten vertraute – Notar daher auf der Basis einer von ihm vorgenommenen Risikoprognose das Vorliegen eines berechtigten Sicherungsinteresses bejaht, ist ein rational nachvollziehbares Ergebnis als Ausdruck notarieller Unabhängigkeit zu akzeptieren (vgl. auch BNotK Rundschreiben 31/2000 vom 4. September 2000; Verlautbarung der Notarkammer Hamm und des Präsidenten des OLG Hamm, aaO S. 137; Rack aaO). Selbst wenn ein Fall vorliegt, in dem normalerweise eine Abwicklung ohne Notaranderkonto angezeigt ist, kann daher nicht von vornherein unterstellt werden, der Notar habe keine – seinem Beurteilungsspielraum unterfallende – Prüfung vorgenommen (Zimmermann aaO).
35
Entgegen der Auffassung des Klägers wird es dem eindeutigen Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 54a Abs. 2 Nr. 1 BeurkG a.F. (§ 57 Abs. 2 Nr. 1 BeurkG n.F.) jedoch nicht gerecht, die Annahme eines Dienstvergehens allein auf die Fälle zu beschränken, in denen der betroffene Notar in seiner Praxis eine standardisierte (“formularmäßige”) Einrichtung von Notaranderkonten bei der Abwicklung von (Immobilienkauf-)Verträgen vornimmt. Dies würde zudem die Gefahr in sich bergen, dass die gebotene Beurteilung des Einzelfalls – ungeachtet der ohnehin bestehenden Abgrenzungsschwierigkeiten – durch eine abstrakte Betrachtung der Anzahl der Verwahrungsgeschäfte ersetzt werden würde.
36
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann dem Kläger im Ergebnis ein disziplinarrechtlicher Vorwurf nicht gemacht werden.
37
Anhaltspunkte für eine systematische Verwendung von Notaranderkonten lassen sich in Bezug auf das vom Kläger geführte Notariat – mit einem regelmäßigen Geschäftsanfall von mehr als 1.000 Urkunden pro Jahr – nicht feststellen. Die beanstandeten Verwahrungsgeschäfte betreffen im Verhältnis zu dem gesamten Geschäftsvolumen des Klägers nur wenige Fälle, in denen zudem streitig ist, ob der Kläger das berechtigte Sicherungsinteresse der Beteiligten zu Recht bejaht hat oder nicht. Aber auch die – drei unterschiedliche Konstellationen betreffenden – konkret beanstandeten Fälle lassen keine eindeutigen beziehungsweise keine schuldhaften Verstöße gegen das Erfordernis des berechtigten Sicherungsinteresses erkennen.
38
a) Grundstückskaufverträge (UR-Nrn. 393/2016 und 52/2016):
39
aa) Der der Beurkundung vom 21. April 2016 (UR-Nr. 393/2016) zugrundeliegende Sachverhalt zeichnete sich dadurch aus, dass die verkaufte Eigentumswohnung – ebenso wie die Stellplätze – in Abteilung III des Grundbuchs lastenfrei war. Bei dieser Konstellation stand nach den oben aufgezeigten Grundsätzen der direkten Abwicklung des Kaufvertrags an sich nichts im Wege. Allerdings hatten die Beteiligten eine – binnen einer Frist von 14 Tagen nach der Beurkundung zu leistende und damit von der Eintragung der Auflassungsvormerkung unabhängige – Anzahlung der Käuferin auf den Kaufpreis vereinbart, weshalb insoweit für die Käuferin zumindest zeitweilig die Gefahr einer ungesicherten Vorleistung bestand (vgl. dazu auch Renner, NotBZ 2008, S. 144). Wie das Kammergericht zu Recht angenommen hat, erfolgte die Verwahrung daher ungeachtet des Wunsches der Verkäuferin, zugleich eine etwaige zukünftige Schadensersatzforderung abzusichern, gerade auch zugunsten der Käuferin. Eine solche Anzahlung zu vereinbaren, stand zur Disposition der Beteiligten. Dass es sich dabei im Ergebnis um ein – rechtlich zulässiges – wirtschaftliches Druckmittel des Verkäufers handelte, das den Käufer zu ordnungsgemäßer Vertragserfüllung anhalten sollte, stand der Hinterlegung nicht entgegen, sondern begründete gerade ein Interesse daran.
40
Die Vorinstanz hat insoweit zu Recht offengelassen, ob die Sicherung etwaiger Sekundäransprüche ein berechtigtes Interesse an einer notariellen Verwahrung begründen kann. Dass die Klausel – wie der Beklagte behauptet – tatsächlich nicht der Sicherung der Anzahlung auf die Kaufpreisschuld, sondern allein des (pauschalisierten) Schadensersatzanspruchs zugunsten der Verkäuferin dienen sollte, lässt sich auch unter Berücksichtigung des in Bezug genommenen E-Mail-Verkehrs nicht feststellen. Dagegen spricht nicht nur die Bezeichnung der zu hinterlegenden Anzahlung als “erster Kaufpreisteilbetrag”, sondern auch, dass das Interesse der Urkundsbeteiligten üblicherweise vorrangig auf eine erfolgreiche Abwicklung des geschlossenen Vertrages gerichtet sein wird. Soweit in dem E-Mail-Schreiben der die Verkäuferin vertretenden Rechtsanwältin vom 3. April 2016 der Wunsch formuliert worden ist, im Fall der nicht ordnungsgemäßen Vertragserfüllung möglicherweise entstehende Schäden durch die Hinterlegung der ersten Kaufpreisrate abzusichern, steht dies dem gleichzeitigen Bedürfnis der Beteiligten – insbesondere der Käuferin -, die Anzahlung abzusichern, nicht entgegen. Im Übrigen hat die Käuferin – selbst wenn es der Verkäuferin subjektiv nur um den Schadensersatzanspruch gegangen wäre – objektiv auf den Kaufpreis gezahlt.
41
Der Frage, ob die Verwendung der Vertragsklausel durch den Kläger, soweit sie auch der Sicherung einer pauschalen Schadensersatzleistung in beträchtlicher Höhe für den Fall des Rücktritts des Verkäufers wegen Zahlungsverzugs des Käufers diente, eine Verletzung seiner Amtspflichten aus § 17 Abs. 1 BeurkG, § 14 Abs. 2 und 3 BNotO begründete, braucht der Senat nicht weiter nachzugehen. Denn solche Verstöße sind nicht Gegenstand der angefochtenen Disziplinarverfügung.
42
bb) Der Hinterlegung der Anzahlung im Zusammenhang mit dem Geschäft zu UR-Nr. 52/2016 vom 11. Januar 2016 über ein in Berlin belegenes und mit einem Mehrfamilienhaus bebautes Grundstück zum Kaufpreis von 2.150.000 € lag ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde, für den die vorstehenden Erwägungen entsprechend gelten.
43
cc) Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger unabhängig von der konkreten Situation bei der Beurkundung ähnlicher Verträge regelmäßig und ohne Einzelfallprüfung entsprechende Anzahlungsklauseln nebst Hinterlegung vorgesehen hat, was die Gefahr der systematischen Begünstigung von institutionellen Verkäufern gegenüber den – häufig in einer schlechteren Verhandlungsposition befindlichen – (nicht gewerblichen) Käufern, die auf diese Weise von der Rückabwicklung eines Vertrages abgehalten werden könnten, in sich bergen könnte, gibt es nicht.
44
b) Gesellschaftsanteilskaufvertrag (UR-Nr. 713/2016):
45
In Bezug auf den Anteilskauf- und -abtretungsvertrag über einen Gesellschaftsanteil an einer GmbH zum Preis von rund 4 Mio. € war – ungeachtet grundsätzlich bestehender Zweifel – die Annahme eines objektiv berechtigten Sicherungsinteresses an der Hinterlegung des Kaufpreises auf der Grundlage nachfolgender Umstände von dem Beurteilungsspielraum des Klägers gedeckt: Die Kaufvertragsverhandlungen hatten sich – wie auch den Handakten zu entnehmen ist – über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr hingezogen. Für den Unternehmenskauf gab es mehrere Interessenten. Das Stammkapital der Käufergesellschaft lag deutlich unter dem Kaufpreis. Eine Finanzierungszusage einer Bank gab es nicht.
46
Ein eindeutiger Verstoß, der ein Einschreiten der Dienstaufsicht geboten hätte, ergibt sich trotz des in § 3 des Unternehmenskaufvertrages vereinbarten durch die Kaufpreiszahlung aufschiebend bedingten Übergangs der Gesellschaftsanteile vor diesem Hintergrund nicht. Der Beklagte bestreitet diesbezüglich zu Unrecht, dass der Verkäufer unter den geschilderten Umständen nicht bereit war, den Vertrag ohne die vorherige Hinterlegung des Kaufpreises abzuschließen. Dieses – in der gegebenen Situation nachvollziehbare – Verlangen ergibt sich schon aus dem Urkundeninhalt (§ 2 Abs. 2 der Urkunde: “Auf Verlangen des Verkäufers hat der Käufer den Kaufpreis bereits hinterlegt “). Wenn der Kläger unter Berücksichtigung dieser konkreten Einzelfallumstände eine gesteigerte Gefahr des Scheiterns des Vertrages bejaht hat, ist dies ausnahmsweise nicht zu beanstanden. In einem solchen Fall kann sich die subjektive Weigerung eines Vertragsbeteiligten zu einem objektiven Sicherungsinteresse verdichten, etwa wenn – trotz entsprechender Belehrung – kein Vertragsschluss möglich ist, weil der Beteiligte vermeintliche Gefahren sieht (vgl. Hertel in Ganter/Hertel/Wöstmann aaO Rn. 1587). Dass die Dienstaufsicht die Sach- und Rechtslage nunmehr anders bewertet als der Kläger, macht sein Vorgehen nicht dienstpflichtwidrig.
47
Die vor Vertragsschluss und damit ohne Verwahrungsanweisung erfolgte Entgegennahme von Geldern, die von dem Beklagten mit der Disziplinarverfügung ebenfalls beanstandet worden ist (Masse 20/2016), ist hingegen nicht mehr Teil des Berufungsverfahrens.
48
c) Erschließungsvereinbarungen (UR-Nr. 759/15, 810/15, 894/15, 918/15, 920/15 und 967/15):
49
Es kann im Ergebnis offenbleiben, ob die Bejahung eines berechtigten Sicherungsinteresses auch in diesen Fällen vom Beurteilungsspielraum des Klägers gedeckt war. Jedenfalls kann dem Kläger insoweit ein Verschulden nicht zur Last gelegt werden.
50
aa) Die – jeweils gleichzeitig mit den dazu gehörigen Grundstückskaufverträgen – beurkundeten Erschließungsvereinbarungen wiesen die Besonderheit auf, dass die Erschließungsleistungen nicht von der Verkäuferin, sondern von einer mit ihr zwar verbundenen, aber nicht identischen Gesellschaft (Erschließungsgeberin) erbracht werden sollten. Da die formelle Planreife (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) zwar erwartet wurde, aber noch ausstand, war den Käufern unter bestimmten Voraussetzungen ein Rücktrittsrecht gegenüber der Verkäuferin eingeräumt worden. Von dem Bestand des jeweiligen Kaufvertrages sollten auch die damit korrespondierenden Erschließungsvereinbarungen abhängen. Bis zu einer – noch nicht absehbaren – Eintragung der Käufer als Eigentümer kamen die Erschließungsleistungen ausschließlich der Verkäuferin zugute. Die Erschließungsnehmer, denen der Besitz an dem jeweiligen Grundstück zum Zwecke des Baubeginns vorzeitig übergeben werden sollte, waren gleichwohl an einer alsbaldigen Erschließung der Baugrundstücke interessiert.
51
bb) In dieser Situation war es grundsätzlich nachvollziehbar, dass die Erschließungsgeberin das mit ihrer Vorleistungspflicht (§ 631 Abs. 1, § 641 BGB) verbundene Risiko, das vereinbarte Entgelt nicht zu erhalten, absichern wollte, zumal sie, solange die Erschließungsnehmer nicht Eigentümer des jeweiligen Grundstücks waren, von diesen weder – jedenfalls nach damaliger Gesetzeslage einen Wertzuwachs beim Auftraggeber erfordernde – Abschlagszahlungen (§ 632a BGB in der bis 31. Dezember 2017 gültigen Fassung gemäß Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen vom 23. Oktober 2008, BGBl. I S. 2022) noch die Einräumung einer Sicherungshypothek gemäß § 648 Abs. 1 BGB (in der bis 31. Dezember 2017 gültigen Bekanntmachung der Neufassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs vom 2. Januar 2002; jetzt: § 650e BGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts, zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, zur Stärkung des zivilprozessualen Rechtsschutzes und zum maschinellen Siegel im Grundbuch- und Schiffsregisterverfahren vom 28. April 2017, BGBl. I S. 969) an dem Baugrundstück verlangen konnte.
52
cc) Ob Bedenken gegen die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Klauseln bestehen und ihre Verwendung durch den Kläger etwaig einen Verstoß gegen seine sich aus § 17 Abs. 1 BeurkG, § 14 Abs. 2 BNotO ergebenden Amtspflichten darstellte, betrifft eine andere – dem Verwahrungsgeschäft vorgelagerte – Fragestellung.
53
Der Beklagte macht insoweit nunmehr einen Verstoß gegen § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB geltend, weil die verwendeten Klauseln mit den wesentlichen Grundgedanken des Werkvertragsrechts – insbesondere der Vorleistungspflicht des Werkunternehmers – nicht in Einklang stünden. Ist eine Klausel unwirksam, muss der Notar die Beurkundung des Vertrages jedenfalls dann ablehnen, wenn er dies eindeutig erkennen kann (vgl. Sandkühler aaO § 14 Rn. 122). Eine solche unwirksame Klausel beurkundet zu haben, war jedoch nicht Gegenstand des disziplinarrechtlichen Vorwurfs in der angefochtenen Verfügung.
54
Es kann daher dahinstehen, ob es sich bei den in allen Erschließungsvereinbarungen verwendeten Klauseln um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelte (vgl. dazu zB Sandkühler aaO Rn. 114) und ob die Klauseln die Erschließungsnehmer als Verbraucher unangemessen benachteiligten oder möglicherweise ein Umgehungsgeschäft im Sinne von § 306a BGB – bezogen auf das Leistungsverweigerungsrecht aus § 320 BGB (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 11. Oktober 1984 – VII ZR 248/83, NJW 1985, 852 unter d) oder wegen einer künstlichen Aufspaltung eines anderenfalls als Bauträgervertrag zu bewertenden Geschäfts – vorlag.
55
Selbst wenn die Klauseln über die Hinterlegung aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksam wären und man deswegen ein berechtigtes Sicherungsinteresse an einer darauf beruhenden Verwahrung verneinen wollte, würde sich insoweit nur ein bereits auf der Ebene des Beurkundungsgeschäfts begangener Fehler fortsetzen, dem in Bezug auf das dem Vollzug dienende – und insoweit akzessorische – Verwahrungsgeschäft kein eigenständiges disziplinarisches Gewicht mehr zukäme.
56
dd) Ob unabhängig von vorstehenden Erwägungen die oben beschriebene Interessenlage der Beteiligten die Annahme eines berechtigten Sicherungsinteresses unter Berücksichtigung des dem Kläger zustehenden Beurteilungsspielraums rechtfertigte, braucht ebenfalls nicht abschließend entschieden werden. Denn jedenfalls wäre dem Kläger insoweit ein Verschulden nicht vorzuwerfen.
57
Die Rechtsanwendung durch den Notar bei der Auslegung einer Rechtsvorschrift – wie der des § 54a Abs. 2 Nr. 1 BeurkG a.F./§ 57 Abs. 2 Nr. 1 BeurkG n.F. – fällt in den Schutz der Unabhängigkeit des Amts. Daher darf der Vorwurf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung nicht bereits deshalb erhoben werden, weil ein Gericht – oder wie hier die Dienstaufsicht – eine andere Ansicht vertreten hat (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juli 2015 – NotSt(Brfg) 3/15, DNotZ 2016, 72 Rn. 19). Bei einer lediglich fehlerhaften Rechtsanwendung darf die Dienstaufsicht erst dann einschreiten, wenn dem Notar eine schuldhafte Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann (Senat, Beschluss vom 13. Dezember 1971, NotZ 2/71, BGHZ 57, 351, 354). Es fehlt an einem Verschulden des Notars, wenn die von ihm vorgenommene Gesetzesauslegung zwar möglicherweise objektiv unrichtig, aber nach gewissenhafter Prüfung der zu Gebote stehenden Hilfsmittel auf vernünftige Erwägungen gestützt ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn es sich um eine Bestimmung handelt, die für die Auslegung Zweifel in sich trägt und bei der die Zweifelsfragen noch nicht ausgetragen sind (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juli 2015 aaO; siehe auch Senat, Beschluss vom 13. Dezember 1971 aaO S. 355).
58
Die Übernahme der jeweiligen Verwahrungsgeschäfte durch den Kläger war jedoch – wie die obige Erörterung zeigt – von vernünftigen Erwägungen getragen. Dass die Auslegung der Vorschrift des § 54a Abs. 2 Nr. 2 BeurkG a.F./§ 57 Abs. 2 Nr. 2 BeurkG n.F. – von eindeutigen Ausnahmefällen abgesehen – (einzelfallabhängige) Zweifel beinhaltet, ergibt sich schon aus der von der Einschätzung der Dienstaufsicht abweichenden Bewertung der Diensthandlungen des Klägers durch den mit zwei Berufsrichtern und einem Notar besetzten fachkundigen Senat für Notarsachen des Kammergerichts, der die Beurteilung des Sicherungsinteresses durch den Kläger gebilligt und sein Vorgehen als amtspflichtgemäß erachtet hat. Der Begriff des “berechtigen Sicherungsinteresses” hat bisher noch wenig Ausformung durch die Rechtsprechung erfahren, woran der Kläger sich hätte orientieren können. Eindeutige Judikate zu vergleichbaren Fallgestaltungen wie denjenigen, die den Beurkundungen des Klägers zugrunde lagen, gab es nicht. Auch die von der Bundesnotarkammer und den Ländernotarkammern entwickelten und in der Literatur diskutierten Fallgruppen boten keine eindeutige, in eine bestimmte Richtung weisende Entscheidungshilfe für die Einschätzung des berechtigten Sicherungsinteresses in den hier gegebenen Konstellationen, sondern ließen Raum für die vom Kläger vorgenommene Einzelfallbewertung.
59
ee) Die Gestaltung der Auszahlungsvoraussetzungen (vgl. § 54a Abs. 2 Nr. 2 BeurkG a.F., § 57 Abs. 2 Nr. 2 BeurkG n.F.) in der Verwahrungsanweisung, die der Beklagte beanstandet, betrifft schließlich wiederum eine von dem Vorliegen eines berechtigten Sicherungsinteresses zu unterscheidende Frage, die ebenfalls nicht Gegenstand der angefochtenen Disziplinarverfügung war.
III.
60
Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 BNotO, § 96 Abs. 1 BNotO, § 77 BDG, § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Streitwertentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. Senat, Beschluss vom 28. August 2019 – NotSt(Brfg) 1/18, juris Rn. 134, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 223, 335; BVerwG NVwZ-RR 2010, 166; Wittkowski in Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl., § 78 Rn. 3).
Herrmann     
      
Roloff     
      
Böttcher
      
Brose-Preuß     
      
Hahn     
      


Ähnliche Artikel

Steuererklärung für Rentner

Grundsätzlich ist man als Rentner zur Steuererklärung verpflichtet, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird. Es gibt allerdings Ausnahmen und Freibeträge, die diesen erhöhen.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben