Steuerrecht

Eintritt von Festsetzungsverjährung zum Erlasszeitpunkt des Erbschaftssteuerbescheides

Aktenzeichen  4 K 1444/18

Datum:
14.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51526
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
ErbStG § 33, § 34
ErbStDV § 7

 

Leitsatz

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass bei Ergehen des Erbschaftsteuerbescheides vom 12.01.2015 die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war.
2. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I. Es wird durch Zwischenurteil festgestellt, dass bei Ergehen des Erbschaftsteuerbescheides vom 12.01.2015 die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen war.
Nach § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht über eine entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfrage durch Zwischenurteil vorab entscheiden, wenn dies sachdienlich ist und nicht der Kläger oder der Beklagte widersprechen. Durch Zwischenurteil nach § 99 Abs. 2 FGO darf nur über solche Vorfragen entschieden werden, über die mit Sicherheit auch in einem Endurteil zu entscheiden wäre. Entscheidungserheblich sind danach nur solche Vorfragen, ohne deren Beantwortung ein Urteil über die geltend gemachte Rechtsbeeinträchtigung nicht möglich ist.
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Frage des Verjährungseintritts ist für den ganzen Rechtsstreit entscheidungserheblich. Über die tatsächlichen Voraussetzungen zur Beantwortung dieser Rechtsfrage kann der Senat bereits jetzt durch ein Zwischenurteil abschließend entscheiden. Die Beteiligten haben nicht widersprochen und der Senat hält ein Zwischenurteil für sachdienlich angesichts der streitigen und noch aufklärungsbedürftigen Höhe der einzelnen Vermögenswerte und Nachlassverbindlichkeiten.
II. Der angefochtene Bescheid über Erbschaftsteuer konnte am 12.01.2015 noch ergehen, denn im Zeitpunkt der erstmaligen Festsetzung der Erbschaftsteuer war die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen.
Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO sind eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist.
1. Der Beginn der Festsetzungsfrist richtet sich nach § 170 AO.
a) Die Festsetzungsfrist beginnt vorliegend nach § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahres 2007, mithin am 31.12.2007. Nach § 170 Abs. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsteht die Steuer bei Erwerben von Todes wegen mit dem Tode des Erblassers, im Streitfall also am 25.02.2007.
b) Die Prüfung der Vorschrift des § 170 Abs. 2 AO ergibt keinen anderen Zeitpunkt. Ist eine Steuererklärung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten, beginnt die Festsetzungsfrist abweichend hiervon erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung oder die Anzeige eingereicht wurde, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Die Anlaufhemmung dient dem Sicherungszweck, eine Verkürzung der Bearbeitungszeit des Finanzamts – ggf. gezielt – durch Verzögerung beispielsweise einer Anzeige zu vermeiden (BFH-Urteil vom 27.08.2008 II R 36/06, BStBl II 2009, 232).
aa) Das Finanzamt hat den Kläger nicht zur Abgabe einer Erklärung nach § 31 ErbStG aufgefordert.
bb) Auch eine Anzeige ist nicht zu erstatten.
Nach § 30 Abs. 1 ErbStG ist jeder der Erbschaftsteuer unterliegende Erwerb vom Erwerber binnen einer Frist von drei Monaten nach erlangter Kenntnis von dem Anfall dem für die Verwaltung der Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt schriftlich anzuzeigen. Der Soll-Inhalt der Anzeige ergibt sich aus § 30 Abs. 4 ErbStG.
Im Streitfall entfiel die bestehende Anzeigepflicht gemäß § 30 Abs. 1 ErbStG des Klägers nach § 30 Abs. 3 Satz 1 ErbStG i. d. bis zum 31.12.2008 gültigen Fassung bzw. durch Anzeigen Dritter.
Einer Anzeige bedarf es nach § 30 Abs. 3 S. 1 ErbStG i.d.F. bis 31.12.2008 nicht, wenn der Erwerb auf einer von einem deutschen Gericht oder einem deutschen Notar eröffneten Verfügung von Todes wegen beruht und sich aus der Verfügung das Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser unzweifelhaft ergibt.
Im Streitfall beruhte der Erwerb des Klägers auf einer von einem deutschen Gericht am 27.03.2007 eröffneten Verfügung von Todes wegen. Aus dem Gemeinschaftlichen Testament ergibt sich das Verhältnis des Erwerbers (Kläger)/ Alleinerben zur Erblasserin (hier: Ehefrau).
Dies wurde dem Finanzamt auch vom Nachlassgericht mit Schreiben vom 09.07.2007 angezeigt.
Mithin bedurfte es keiner weiteren Anzeige und der Beginn der Festsetzungsverjährung verbleibt beim 31.12.2007.
c) Selbst bei Verzicht auf die Anforderung einer Erbschaftsteuererklärung gemäß § 31 Abs. 1 ErbStG aufgrund einer unrichtigen Anzeige gegenüber der Erbschaftsteuerstelle, würde die Verjährungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnen, in dem der Sachbearbeiter entschieden hat, keine Erbschaftsteuererklärung anzufordern.
Im Streitfall erfolgte die Entscheidung des Finanzamtes am 09.11.2007.
Die Festsetzungsfrist beginnt somit am 31.12.2007.
2. Im Zeitpunkt des Erlasses des Erbschaftsteuerbescheids vom 12.01.2015 war die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen; sie beträgt im Streitfall 10 Jahre und endete erst mit Ablauf des 31.12.2017.
a) Die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre und nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, deren er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient, es sei denn, der Steuerschuldner weist nach, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass sie auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat (§ 169 Abs. 2 Satz 3 AO).
b) Die Festsetzungsfrist beträgt 10 Jahre, da eine Steuerhinterziehung durch den Kläger vorliegt.
aa) Nach § 370 Abs. 1 AO begeht eine Steuerhinterziehung, wer (1) den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder (2) die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Steuern sind nach § 370 Abs. 4 Satz 1 AO namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht.
Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von Normen des materiellen Strafrechts – wie des § 370 AO – bei der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften von den Finanzbehörden und den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit festzustellen, sind verfahrensrechtlich die Vorschriften der AO und der FGO maßgebend und nicht die Strafprozessordnung (BFH-Urteil vom 15.01.2013 VIII R 22/10, BStBl II 2013, 526). Bezüglich des Vorliegens einer Steuerhinterziehung ist allerdings kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt (BFH-Urteil 07.11.2006 VIII R 81/04, BStBl II 2007, 364).
Diese Grundsätze gelten auch für die Beurteilung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 370 AO im Rahmen der Bestimmung der Festsetzungsfrist.
bb) Im Streitfall sind sowohl der objektiv als auch der subjektive Tatbestand der Verkürzung von Erbschaftsteuer erfüllt.
i Zwar hat der Kläger selbst hinsichtlich der Erbschaftsteuer weder gegenüber der Finanzbehörde selbst noch gegenüber einer entsprechend anderen Behörde unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO). Denn der Kläger hat gegenüber dem Finanzamt weder eine Anzeige noch eine Erklärung abgegeben.
Der Kläger hat zwar gegenüber dem Nachlassgericht Werte erklärt; hierbei handelt es sich jedoch nicht um steuerliche Tatsachen.
Tatsachen i.S.d. § 370 Abs. 1 AO sind konkrete Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind. Hiervon abzugrenzen sind Werturteile, d.h. Äußerungen, bei denen Tatsachen einer Wertung unterzogen werden, wie z.B. Schlussfolgerungen, Schätzungen, rechtliche Beurteilungen usw. Werturteile sind nicht dem Beweis zugänglich und keine Tatsachen. Auch Rechtsauffassungen sind keine Tatsachen. Steuerlich erheblich sind alle Tatsachen, die für die Besteuerung von Bedeutung sind, also steuerlichen Zwecken dienen, insbesondere die Ermittlung, Erhebung oder Beitreibung einer Steuer betreffen.
Die Ermittlungen des Geschäftswerts durch das Nachlassgericht dient ausschließlich der Festsetzung von Gerichtsgebühren, nicht aber der Feststellung des Nachlasswerts im steuerlichen Interesse (BFH-Urteil vom 30.01.2002 II R 52/99, BFH/NV 2002, 917). Der entsprechende Vordruck und die Ausfüllhilfe sprechen von einer Wertanfrage in Testaments- und Erbscheinsangelegenheiten. Mithin sind die vorsätzlich falschen Angaben gegenüber dem Nachlassgericht keine (falschen) steuerlichen Tatsachen.
Zudem ist das Nachlassgericht keine andere Behörde i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Hierzu zählen nur solche Behörden, die steuerlich erhebliche Entscheidungen treffen. Die Ermittlungen des Geschäftswerts durch das Nachlassgericht dient ausschließlich der Festsetzung von Gerichtsgebühren, nicht aber der Feststellung des Nachlasswerts im steuerlichen Interesse (BFH-Urteil vom 30.01.2002 II R 52/99, BFH/NV 2002, 917).
ii Der Kläger hat auch nicht in mittelbarer Täterschaft – unter Verwendung des Nachlassgerichts als undoloses Werkzeug – gegenüber der Finanzbehörde falsche Angaben hinsichtlich der Erbschaftsteuer gemacht.
Nach § 25 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) wird als Täter bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht. Bei mittelbarer Täterschaft begeht der Täter die Tat „durch einen anderen“. Der Hintermann beherrscht die die Tathandlung ausführende Person und setzt sie als Werkzeug ein. Das Gesamtgeschehen stellt sich als Werk des steuernden Willens des Hintermanns dar, nicht als das Werk des in eigener Person Handelnden.
Zwar hat das Nachlassgericht am 09.07.2007 entsprechend seiner Mitteilungspflicht dem Finanzamt nach § 34 ErbStG i.V.m. § 7 ErbStDV die Kopie des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute, den Erbschein und das vom Kläger unterschriebene Nachlassverzeichnis übersandt. Es hat allerdings hierbei keine steuerlichen Pflichten des Klägers erfüllt.
Auch aus dem Urteil des FG Nürnberg vom 16.06.2016 (4 K 1902/15, juris) ergibt sich nichts anders, denn es ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Dort wurde die Klägerin (Beschenkte) vom Finanzamt zur Abgabe einer Erklärung aufgefordert und der Ehemann der Klägerin (Schenker) hat mittels der Steuerberaterin unvollständige Angaben über die Zuwendungsgegenstände gegenüber dem Finanzamt gemacht. Das Machen unvollständiger Angaben setzt zwar nicht voraus, dass die unvollständigen Angaben im Rahmen einer Steuererklärung im Sinn des § 149 AO gemacht worden sind. Der Tatbestand der Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO wird auch erfüllt, wenn die unvollständigen Angaben außerhalb einer förmlichen Steuererklärung, etwa im Vorfeld einer Steuererklärung gemacht wurden, aber dennoch Auswirkungen auf die Festsetzung von Steuer haben. Dies ist wie bereits oben ausgeführt vorliegend nicht der Fall, da keine Steuererklärung nach § 31 ErbStG angefordert wurde.
iii Der Kläger hat auch keine Erbschaftsteuer durch Unterlassen der entsprechenden Anzeige gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hinterzogen.
Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen kann nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen verpflichtet ist (BGH-Beschluss vom 23.03.2017 1 StR 451/16, juris).
Die Anzeige nach § 30 ErbStG bezieht sich auf den der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerb i.S.d. § 1 ErbStG. § 1 ErbStG beschreibt ganz allgemein die steuerpflichtigen Vorgänge. Damit bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass nicht der einzelne Vermögensgegenstand, sondern nur die Tatsache des Erwerbes als solches Gegenstand der Anzeigepflicht ist. Dies ergibt sich auch aus der folgenden Vorschrift des § 31 ErbStG, der die Möglichkeit des Finanzamtes regelt, von den Beteiligten eine Erbschaftsteuererklärung zu verlangen. Die Anzeige soll die Steuerverwaltung lediglich erst in die Lage versetzen, beurteilen zu können, ob und wen sie zur Abgabe einer Steuererklärung auffordern (BFH-Urteil vom 27.08.2008 II R 36/06, BStBl II 2009, 232 und FG Nürnberg Urteil vom 03.09.2015 4 K 317/14, juris). Diese Erbschaftsteuererklärung muss gemäß § 31 Abs. 2 ErbStG ein Verzeichnis der zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenstände enthalten.
Die Anzeige dient der Sicherung des Erbschaftsteueraufkommens und soll dem Finanzamt ermöglichen festzustellen, ob ein Besteuerungsverfahren eingeleitet werden soll und der Steuerpflichtige zu einer Erklärung aufgefordert werden soll. Aus dieser Zwecksetzung ergibt sich, dass die Anzeigepflicht des Erwerbers immer dann entfällt, wenn die zuständige Dienststelle des organisatorisch zuständigen Finanzamtes bereits auf andere Weise von dem Erwerb Kenntnis erlangt hat. Da u.a. die deutschen Gerichte zur Anzeige an das Erbschaftsteuer-Finanzamt gemäß § 34 ErbStG verpflichtet sind, bedarf es keiner Verpflichtung des Erwerbers. Dies gilt aber nur, soweit die Informationen, die das Gericht oder der Notar erhalten, das Finanzamt ausreichend in die Lage versetzen, beurteilen zu können, ob in ein erbschaftsteuerrechtliches Verfahren einzutreten ist. Hierzu reicht regelmäßig die namentliche Bezeichnung des Erblassers und des Erwerbers sowie die Mitteilung des Rechtsgrundes für den Erwerb aus (BFH-Urteil vom 05.02.2003 II R 22/01, BStBl II 2003, 502). Soweit § 30 Abs. 3 ErbStG den Wegfall der Anzeigepflicht davon abhängig macht, dass sich aus der amtlich eröffneten Verfügung von Todes wegen „das Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser“ ergibt, sind damit die Rechtsverhältnisse zwischen dem Erwerber und dem Erblasser gemeint, die den Erbschaftsteuertatbestand ausgelöst haben (BFH-Beschluss vom 09.06.1999 II B 101/98, BStBl II 1999, 529 und BFH-Urteil vom 16.10.1996 II R 43/96, BStBl II 1997, 73). Es bedarf also nicht aller Angaben, die gemäß § 30 Abs. 4 ErbStG eine Anzeige enthalten soll. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass in der Anzeige die genauen Steuerwerte enthalten sind. Lassen sich aus der Anzeige die Angaben entnehmen, die das Finanzamt zu einer weiteren Prüfung benötigt, so ist der Erwerber von seiner Anzeigepflicht vollständig befreit (Jochum in: ErbStG – eKommentar, § 30, Rz. 25). Das Finanzamt hat die weiteren Angaben im Wege einer Steuererklärung zu erfragen (BFH-Urteil vom 30.01.2002 II R 52/99, BFH/NV 2002, 917).
Vorliegend hat das Nachlassgericht mit Schreiben vom 09.07.2007 gegenüber dem beklagten Finanzamt den Erwerb von Todes wegen gemäß § 34 ErbStG angezeigt. Aus den übersandten Unterlagen, insbesondere der am 27.03.2007 eröffneten Verfügung von Todes wegen/dem gemeinschaftlichen Testament ergibt sich das Verhältnis des Erwerbers (Kläger)/Alleinerben zur Erblasserin (hier: Ehefrau). Soweit das beklagte Finanzamt ausführt, dass der Erwerber von seiner Anzeigepflicht nur befreit ist, soweit zum Erwerb kein Grundbesitz, kein Betriebsvermögen, keine Anteile an Kapitalgesellschaften, die der Vermögensverwahrung oder Verwaltung nach § 33 ErbStG unterliegen, und kein Auslandsvermögen gehört, ist dem im Streitjahr nicht zu folgen, denn der durch die Erbschafsteuerform geänderten § 30 Abs. 3 ErbStG gilt erst für Erwerbe, für die die Steuer nach dem 31.12.2008 entstanden ist, vgl. § 37 Abs. 1 ErbStG.
Besteht weder eine Anzeigepflicht noch eine Erklärungspflicht und sind auch gegenüber der Finanzbehörde (oder einer anderen Behörde, die steuerlich erhebliche Entscheidungen trifft) über steuerlich erhebliche Tatsachen keine Angaben gemacht worden, kommt auch eine Anzeigepflicht oder Richtigstellungspflicht nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nicht in Betracht (BFH-Urteil vom 30.01.2002 II R 52/99, BFH/NV 2002, 917).
iv Allerdings führt die Steuerhinterziehung durch Unterlassen hinsichtlich der unterbliebenen Anzeige gemäß § 30 ErbStG der (Vor-)Schenkungen vom 22.02.2007 – entgegen der Ansicht des Klägervertreters – auch zu einer (zweiten) Hinterziehung der Erbschaftsteuer. Denn die mangelnde Kenntnis von den Vorschenkungen zum Zeitpunkt der Mitteilung durch das Nachlassgericht am 09.07.2007 führte kausal zu einer Fehleinschätzung des Finanzamtes und somit zum einstweiligen Unterbleiben der Festsetzung der Erbschaftsteuer (Taterfolg).
Durch eine Tathandlung können auch mehrere Taterfolge erzielt werden (BGH-Urteil vom 10.02.2015 10.02.2015 1 StR 405/14, NJW 2015, 2354).
Wer einen (ersten) Erwerb verschwiegen hat, begeht zwei Steuerhinterziehungen, wenn er anlässlich einer weiteren, innerhalb von zehn Jahren erfolgenden Schenkung den Vorerwerb nicht angibt. Denn der Erwerber soll unrichtige bzw. unvollständige Angaben sowohl in Bezug auf den ersten Erwerb (d.h. insoweit erneute Steuerhinterziehung) als auch wegen der Nichtanwendung des § 14 ErbStG in Bezug auf den neuen Erwerb machen (BGH-Urteil vom 10.02.2015 1 StR 405/14, NJW 2015, 2354; a.A. Krumm in: Tipke/Kruse, AO, § 370, Rz. 48). Auch wenn die frühere Schenkungsteuerhinterziehung bereits verjährt ist, kann u.U. noch die Schenkungsteuer festgesetzt werden (§ 170 Abs. 5 Nr. 2 AO). Selbst bei steuerlich bereits verjährtem Vorerwerb löst das Verschweigen des Vorerwerbs eine erneute Steuerhinterziehung aus, deren Verjährung erst mit der Beendigung dieser neuen Tat beginnt.
Eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begeht, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt. Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 AO).
Über die tatsächlichen Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung hat das Finanzgericht nach Maßgabe des § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO nach freier Überzeugung zu entscheiden. Die Feststellungslast trägt das Finanzamt, da es sich um steuerbegründende Tatsachen handelt.
Die unterlassene Anzeige der Vorschenkungen führt zu mehreren Taterfolgen. Zum einen Hinterziehung der Schenkungsteuer und zum anderen auch zur Hinterziehung der Erbschaftsteuer, da diese zunächst nicht festgesetzt wurde.
Der Kläger hat die Finanzbehörde auch pflichtwidrig über steuerliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen, denn nach § 30 ErbStG war er verpflichtet die (Vor-)Schenkung anzuzeigen. Er hätte hierzu auch tatsächlich die Möglichkeit gehabt.
Das Unterlassen der Anzeige der Vorschenkung ist auch kausal für die Nichtfestsetzung der Erbschaftsteuer. Die Tatsachen (Vorschenkungen) sind auch steuerlich erheblich für die Festsetzung und Höhe der Erbschaftsteuer.
Nach der in der Rechtsprechung vorherrschenden Bedingungs- oder Äquivalenztheorie ist jede Handlung kausal, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (BGH-Urteil vom 23.10.1981 2 StR 263/81, NJW 1982, 295). Jede Handlung, die „condicio sine qua non“ für den konkreten Erfolg ist, ist gleichwertig (äquivalent).
Auch wenn an eine Ursache eine Zweithandlung des Täters oder das freiverantwortliche Verhalten eines Dritten anknüpft, das den tatbestandlichen Erfolg herbeiführt, bleibt die Vorbedingung kausal, wenn sie bis zum Erfolgseintritt fortwirkt (BGH-Urteil vom 30.03.1993 5 StR 720/92, NJW 1993, 1723). Von einer Unterbrechung des Kausalverlaufs spricht man vielmehr nur, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung einer früheren Ursachenkette beseitigt und nunmehr alleine unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeiführt (BGH-Urteil vom 14.03.1989 1 StR 25/89, MDR 1989, 752). Die neue bis zum Erfolgseintritt führende Ursachenkette bezeichnet man als überholende Kausalität.
Im Falle des Unterlassens liegt Ursächlichkeit vor, wenn die unterlassene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der tatbestandsmäßige Schadenserfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele (BGH-Urteil vom 06.07.19910 2 StR 549/89, NJW 1990, 2560 und vom 12.01.2010 1 StR 272/09, NJW 2010, 1087). Das Unterlassen einer Anzeige oder Erklärung ist also kausal, wenn der Täter durch die Erfüllung seiner steuerlichen Mitwirkungspflicht dem Sachbearbeiter die erforderlichen Kenntnisse verschafft hätte und daraufhin die Steuer zutreffend festgesetzt worden wäre (Krumm in: Tipke/Kruse, AO § 370, Rz. 123).
Hätte der Kläger die Vorschenkung beim Finanzamt angezeigt, hätte es die Vorschenkung in einer entsprechenden Datenbank erfasst und bei der Überprüfung, ob eine Erbschaftsteuererklärung angefordert werden soll, nach Abruf der Daten aus der Datenbank, eine Erbschaftsteuererklärung angefordert, so dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Erbschaftsteuer (rechtzeitig) festgesetzt worden wäre. Mangels angezeigter Vorschenkung kam der Bearbeiter des Finanzamtes am 09.11.2007 zu dem Ergebnis, die Erbschaft sei steuerfrei und forderte daher keine Erbschaftsteuererklärung an. Dass der Bearbeiter es aufgrund der Berechnung unterlassen hat, die Erbschaftsteuererklärung anzufordern, unterbricht den Kausalzusammenhang nicht.
Die Tat ist dem Kläger auch objektiv zurechenbar.
Objektiv zurechenbar kann ein durch menschliche Handlung verursachter Erfolg danach nur dann sein, wenn die Handlung eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat und sich diese in dem Erfolg niedergeschlagen hat. Ein tatbestandstypischer Risikozusammenhang scheidet dann aus, wenn ein Dritter oder der Täter selbst an das gefährliche Erstverhalten anknüpft, durch diese Zweithandlung aber eine völlig neue Gefahr und damit einen Erfolg schafft, der nicht mehr im Wertungszusammenhang zur Ersatzhandlung steht. Auch für die Unterlassungsdelikte gilt die haftungseinschränkende Formel der objektiven Zurechnung, wonach für einen von ihm verursachten Erfolg nur haftet, wer durch sein Verhalten eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich in tatbestandstypischer Weise in dem Erfolg niedergeschlagen hat (sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang, BGH-Urteil vom 06.07.1990 2 StR 549/89, NJW 1990, 2560). Die Pflichtwidrigkeit des Unterlassens des Steuerpflichtigen wird durch das Untätigbleiben der Finanzbehörde nicht aufgehoben. Es ist nach wie vor gerade das pflichtwidrige Verhalten des Steuerpflichtigen, das wertungsmäßig den Erfolg herbeigeführt hat und aufrechterhält (Krumm in: Tipke/Kruse, AO, § 370 Rz. 122).
Vorliegend ist das pflichtwidrige Unterlassen der Anzeige der (Vor-)
Schenkung durch den Kläger das Verhalten, das den wertungsmäßigen Erfolg der Nichtfestsetzung der Erbschaftsteuer herbeigeführt hat.
Der Kläger hat auch vorsätzlich gehandelt.
Bei Steuerhinterziehung muss sich der Vorsatz auf sämtliche äußeren Tatbestandsmerkmale erstrecken, d.h. auf die jeweiligen Tathandlungen des § 370 Abs. 1 Nr. 1 – 3 AO, den Hinterziehungserfolg und den Zurechnungszusammenhang. Der Täter muss den Sinngehalt des Tatbestandsmerkmals und des darunter zu subsumierenden Verhaltens zutreffend erfassen.
Bei der Begehungsform des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO muss der Unterlassungstäter Vorsatz haben in Ansehung des Erfolgseintritts und des Kausalverlaufes in seinen wesentlichen Umrissen. Darüber hinaus muss er den Willen zum Untätigbleiben bei Kenntnis der Handlungsmöglichkeit umfassen.
Der Vorsatz wird durch Absicht (direkter Vorsatz ersten Grades), wissentliche Tatbestandsverwirklichung (direkter Vorsatz zweiten Grades) oder bedingten Vorsatz verwirklicht. Bedingter Vorsatz liegt vor, wenn der Täter ernsthaft mit der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung rechnet und den Erfolg billigend in Kauf nimmt. Fahrlässigkeit hingegen ist gegeben, wenn der Täter auf das Ausbleiben des Erfolges vertraut hat.
Der Senat ist nach § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO vom Vorliegen eines zumindest bedingten Vorsatzes hinsichtlich der Hinterziehung von Erbschaftsteuer beim Kläger überzeugt.
Er hat beim Unterlassen der Anzeige der steuerlich erheblichen Tatsache der (Vor-)Schenkung, ernsthaft mit der Möglichkeit gerechnet, dass das Unterlassen und die Angaben gegenüber dem Nachlassgericht betreffend die Erbschaft, dazu führen, dass das Finanzamt keine Erbschaftsteuererklärung anfordert. Er hat ernsthaft mit der Möglichkeit gerechnet, dass dadurch Steuern verkürzt werden und diesen Erfolg billigend in Kauf genommen. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senates insbesondere aus dem zeitlichen Ablauf des Geschehen, d.h. der Schenkung zum 22.02.2007, 3 Tage vor dem Todeszeitpunkt (25.02.2007), der Nichtanzeige der Schenkung innerhalb von 3 Monaten und den am 18.04.2007 gegenüber dem Nachlassgericht gemachten Angaben. Dem Kläger waren die Werte des geschenkten Vermögens und die Werte der Erbschaft bekannt und er wusste, dass bei Zusammenrechnung eine Steuerfreiheit der Erbschaft nicht gegeben ist.
Der Kläger hat die Erbschaftsteuer, durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO der Anzeige der Vorschenkung, hinterzogen.
Folglich beträgt die Festsetzungsfrist zehn Jahre, endete am 31.12.2017 und war bei Ergehen des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids am 12.01.2015 noch nicht abgelaufen.
III. Die Revision ist zuzulassen, da die Rechtssache wegen Steuerhinterziehung der Erbschaftsteuer durch Unterlassen der Anzeige der Vorschenkung grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) hat und daneben auch eine Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
IV. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.


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