Steuerrecht

Erlass von Ergänzungsbescheiden zu den Gewerbesteuermessbescheiden

Aktenzeichen  12 K 3389/14

Datum:
23.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2722
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 233a Abs. 2a
EGAO Art. 97 § 15 Abs. 12 S. 1
EStG § 7g Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. a

 

Leitsatz

1. Ein Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag ist Grundlagenbescheid nicht nur für den Gewerbesteuerbescheid, sondern auch für eine eventuelle Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO zur Gewerbesteuer durch die Gemeinde.
2. § 7g Abs. 3 Satz 4 EStG wonach § 233a Abs. 2a AO nicht anzuwenden ist, wenn die Rückgängigmachung der Gewinnminderung aufgrund der unterbliebenen  Anschaffung erfolgt, gilt erst ab dem Veranlagungszeitraum 2013.
3. Für den Zinslauf gemäß § 233a Abs. 2a AO ist die Entscheidung darüber, ob die  Änderung eines Gewinnfeststellungsbescheids auf einem rückwirkenden Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis i.S. von § 233a AO beruht, gegenüber allen Feststellungsbeteiligten mit  bindender Wirkung einheitlich zu treffen.
4. Aus § 239 Abs. 3 Nr. 1 AO (BGBl I 2016, 1679) kann erst ab dem 1.1.2017 ein  Anspruch auf eine gesonderte Feststellung eines rückwirkenden Ereignisses beim Gewerbesteuermessbetrag abgeleitet werden.
5. Soweit in AEAO zu § 233a AO, Nr. 74 für die Jahre bis 2016 bereits eine Feststellung über die Auswirkungen eines rückwirkenden Ereignisses auch im  Gewerbesteuermessbescheid vorsah, fehlte es hierfür an einer  gesetzlichen Grundlage.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

II.
Die Klage ist unbegründet.
1. Zu Recht hat das … den Erlass von Ergänzungsbescheiden zu den Gewerbesteuermessbescheiden 2007 und 2008 abgelehnt.
2. Das … hat zu Recht den Abzug der Investitionsabzugsbeträge in den Streitjahren rückgängig gemacht und aufgrund der Erhöhungen des jeweiligen Gewerbeertrages (§ 7 Satz 1 GewStG) die Gewerbesteuermessbescheide geändert; die Gewerbesteuermessbescheide 2007 und 2008 vom 13. November 2013 sind auch bestandskräftig geworden.
Gemäß § 7g Abs. 1 EStG kann ein Investitionsabzugsbetrag für die künftige Anschaffung oder Herstellung eines beweglichen Wirtschaftsguts des Anlagevermögens unter dort näher bestimmten Voraussetzungen gewinnmindernd in Anspruch genommen werden. Vorausgesetzt wird insbesondere, dass der Steuerpflichtige beabsichtigt, das begünstigte Wirtschaftsgut in den dem Wirtschaftsjahr folgenden drei Wirtschaftsjahren anzuschaffen oder herzustellen (§ 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a EStG). Im Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder Herstellung ist der in Anspruch genommene Abzugsbetrag bis zur Höhe von 40% der Anschaffungs- oder Herstellungskosten dem Gewinn hinzuzurechnen (§ 7g Abs. 2 Satz 1 EStG). Soweit der Investitionsabzugsbetrag nicht bis zum Ende des Investitionszeitraums nach § 7g Abs. 2 EStG hinzugerechnet wurde, ist gemäß § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG der gewinnmindernde Abzug rückgängig zu machen.
3. Nach dieser Maßgabe hat das … zutreffend die Gewerbesteuermessbetragsfestsetzungen mit den Bescheiden vom 13. November 2013 geändert (§ 7g Abs. 3 Satz 2 und 3 EStG). Das … hat aber in den bestandskräftigen Änderungsbescheiden vom 13. November 2013 über die Gewerbesteuermessbeträge 2007 und 2008 fehlerhaft als Begründung für die Änderung die Korrekturvorschrift des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO angegeben, obwohl die Änderung auf einem rückwirkenden Ereignis beruht (Bundesfinanzhof -Urteil vom 11. Juli 2013 IV R 9/12, BFHE 242, 14, BStBl II 2014, 609). In den Streitjahren kommt wegen der Rückgängigmachung des gewinnmindernden Abzugs des Investitionsabzugsbetrags grundsätzlich ein Beginn des Zinslaufs nach § 233a Abs. 2a AO in Betracht (BFH-Urteil in BFHE 242, 14, BStBl II 2014, 609).
Nach § 233a AO sind Steuernachforderungen und Steuererstattungen – und gemäß dessen Abs. 1 auch bei der Gewerbesteuer – zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt grundsätzlich 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO). Soweit die Steuerfestsetzung auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO) beruht, beginnt der Zinslauf abweichend hiervon 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist (§ 233a Abs. 2a AO). § 7g Abs. 3 Satz 4 EStG (angefügt durch Art. 2 Nr. 7 Amtshilfsrichtlinie-Umsatzungsgesetz vom 26. Juni 2013, BGBl I 2013, 1809), wonach § 233a Abs. 2a AO nicht anzuwenden ist, wenn die Rückgängigmachung der Gewinnminderung aufgrund der unterbliebenen Anschaffung erfolgt, gilt erst ab dem Veranlagungszeitraum 2013 und ist daher für den Streitzeitraum ohne Bedeutung (BFH-Urteil in BFHE 242, 14, BStBl II 2014, 609).
4. Eine gesonderte Feststellung, dass die Änderung auf einem rückwirkenden Ereignis i.S. des § 233a Abs. 2a AO beruht, war in den Streitjahren nicht durchzuführen.
a) Ein Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag ist Grundlagenbescheid nicht nur für den Gewerbesteuerbescheid, sondern auch für eine eventuelle Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO zur Gewerbesteuer durch die Gemeinde. Mit der Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge wird auch über die persönliche und sachliche Steuerpflicht entschieden (§ 184 Abs. 1 Satz 2 AO). Die Entscheidung des … über die sachliche Steuerpflicht i.S. des § 184 Abs. 1 Satz 2 AO erfasst als Steuergegenstand sowohl die Frage des festzusetzenden Gewerbesteuermessbetrags als solchen als auch die Frage, ob Nachforderungszinsen wie im Regelfall nach § 233a Abs. 2 AO oder unter Zugrundelegung eines rückwirkenden Ereignisses gemäß § 233a Abs. 2a AO zu berechnen sind. Zinsen stellen zwar keine Steuern dar, sie teilen aber deren rechtliches Schicksal, wenn die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags geändert wird. Daraus leitet sich ab, dass die Gewerbesteuermessbescheide somit auch Grundlagenbescheide für die Zinsfestsetzung zur Gewerbesteuer sind (ebenso Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 15. August 2014, BStBl I 2014, 1174, Nr. 2a; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Januar 2015 OVG 9 N 149.12, n.v. juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 6. November 2013 1 M 173/13, n.v. juris).
b) Aus § 239 Abs. 3 Nr. 1 AO (in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18. Juli 2016, BGBl I 2016, 1679) kann der Kläger keinen Anspruch auf eine gesonderte Feststellung eines rückwirkenden Ereignisses ableiten. Denn die Regel, dass bei Verpflichtungsklagen auf die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts abzustellen ist, gilt nicht ausnahmslos (BFH-Beschluss vom 24. Juli 2017 VII B 165/16, BFH/NV 2017, 1637). § 239 Abs. 3 AO der die gesonderte Feststellung der Grundlagen für eine Festsetzung von Zinsen nun ausdrücklich regelt, ist erst seit 1. Januar 2017 in Kraft (Art. 97 § 15 Abs. 12 Satz 1 Einführungsgesetz zur AO) und deshalb für die Streitzeiträume nicht anwendbar.
c) Gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AO sind die Vorschriften über die Steuern – und mithin auch die Regelungen der §§ 155 ff. AO (Steuerfestsetzung) und §§ 179 ff. AO (Feststellung von Besteuerungsgrundlagen) – auf Zinsen nicht unmittelbar, sondern lediglich entsprechend anzuwenden sind. Hieraus hat der BFH (BFH-Urteile vom 19. April 1989 X R 3/86, BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596; vom 13. Juli 1994 XI R 21/93, BFHE 175, 13, BStBl II 1994, 885) abgeleitet, dass über die Frage, ob und in welchem Umfang Steuernachforderungen auf Hinterziehungshandlungen beruhen und somit tatbestandlich den Zinsanspruch des § 235 AO auslösen, im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung zu entscheiden ist. Auch für den Zinslauf gemäß § 233a Abs. 2a AO ist er zu dem Ergebnis gelangt, dass die Entscheidung darüber, ob die Änderung eines Gewinnfeststellungsbescheids auf einem rückwirkenden Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis i.S. von § 233a AO beruht, gegenüber allen Feststellungsbeteiligten mit bindender Wirkung einheitlich zu treffen ist (BFH-Urteil vom 19. März 2009 IV R 20/08, BFHE 225, 292, BStBl II 2010, 528).
Die Entscheidungen des BFH betreffen jedoch Fälle, in denen ein Feststellungsverfahren gesetzlich vorgesehen ist. Für eine – mit der Festsetzung eines Messbetrags verbundene – gesonderte Feststellung gibt es jedoch im Streitzeitraum keine gesetzliche Grundlage. Denn gemäß § 179 Abs. 1 AO werden die Besteuerungsgrundlagen durch Feststellungsbescheid (nur dann) gesondert festgestellt, soweit dies in diesem Gesetz oder sonst in den Steuergesetzen bestimmt ist. Eine solche Bestimmung besteht im Streitfall nicht. Weder sind die Voraussetzungen des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und 2 Buchst. b AO erfüllt, noch sind andere Rechtsgrundlagen, die die erforderliche Form eines formellen Gesetzes erfüllen (BFH-Beschluss vom 11. April 2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679, juris Rn. 37 m.w.N.; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vorbemerkungen zu §§ 179–184 AO Rz. 1 [April 2017] und § 179 AO Rz. 1 [April 2017]), ersichtlich. Soweit die Verwaltung in ihrem Anwendungserlass in der für die Streitjahre gültigen Fassung zu § 233a AO unter Nummer 74 bereits eine Feststellung über die Auswirkungen eines rückwirkenden Ereignisses auch im Gewerbesteuermessbescheid vorsah, fehlte es hierfür an einer gesetzlichen Grundlage.
5. Da für den Streitzeitraum keine gesonderte Feststellung hinsichtlich des Zinslaufs i.S. des § 233a Abs. 2a AO durchzuführen war, kommt auch der Erlass von Ergänzungsbescheiden im Streitfall nicht in Betracht. Hierfür müsste gemäß § 179 Abs. 3 AO eine notwendige Feststellung in einem Feststellungsbescheid unterblieben sein.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.


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