Steuerrecht

Ermittlung eines Wohnwertes

Aktenzeichen  4 K 802/19

Datum:
15.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StEd – 2021, 668
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 174 Abs. 4, § 176
BewG § 162 Abs. 4, § 166
FGO § 100 Abs. 1

 

Leitsatz

Bei Einsprüchen gegen Sammelbescheide erfolgt die Auslegung eines Einspruchs anhand der erklärten Zielrichtung des Rechtsbehelfs (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 08. Mai 2008 – VI R 12/05 -, BFHE 222, 196, BStBl II 2009).  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

Die Klage gegen die gesonderte Feststellung des Wertes des Wohnteils ist unzulässig.
Der Bescheid vom 18.12.2018 ist ein Sammelbescheid, da über die gesonderte Festsetzung des Grundbesitzwertes für die wirtschaftliche Einheit „Betrieb der Land- und Forstwirtschaft in 1, Straße 1“ hinaus in den Anlagen 1 und 2 weitere gesonderte Feststellungen enthalten sind.
Gemäß Anlage 1 des Bescheides handelt es sich um eine „Feststellung für den Grund und Boden“ einer bezeichneten Flurnummer für die ausdrücklich ein „Wert des Grund und Bodens“ „festgestellt“ wird.
Unter Anlage 2 findet sich eine „Feststellung für den Wohnteil in Straße 1“. Es wird dort explizit ein „Wert des Wohnteils“ „festgestellt“.
Es handelt sich nicht um bloße Berechnungen für die Festsetzung des Grundbesitzwertes. Dies wäre zwar die richtige Vorgehensweise gewesen, aber über eine bloße Berechnung, die in der Anlage auch enthalten ist, hinaus werden ausdrücklich „Feststellungen“ getroffen („festgestellt“) (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 02.07.1997 I R 32/95, BStBl II 1998, 176, Rn. 11). Der Umstand, dass neben einer Berechnung auch ein ausdrücklich als „Feststellung“ bezeichneter Teil vorhanden ist, steht der Annahme entgegen, dass es sich aus Sicht eines objektiven Empfängers nur um eine Berechnung gehandelt haben könnte. Ob die Klägerin (bzw. ihre steuerliche Vertretung) oder das Finanzamt diese Feststellung als solche tatsächlich erkannt haben, ist hingegen nicht von entscheidender Bedeutung. Zwar ist von mehreren möglichen Auslegungen aus Rechtsschutzgründen der weniger belastenden der Vorzug zu geben (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 27.11.1996 X R 20/95, BStBl II 1997, 791), eine Auslegung dahingehend, dass die Anlagen keine eigenen Feststellungen enthielten, ist jedoch mit deren Wortlaut nicht vereinbar.
Auch dass diese Feststellungen keine eigene Rechtsbehelfsbelehrung:enthalten und dass eine Rechtsgrundlage hierfür prima facie nicht ersichtlich ist (vgl. § 179 AO in Verbindung mit §§ 2, 151 Abs. 1 Nr. 1, 157 Abs. 2, 158 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 6 sowie §§ 162 Abs. 4, 166 Bewertungsgesetz – BewG), nimmt ihnen nicht die Qualität eines verbindlichen Verwaltungsakts, da sich die Auslegung behördlichen Handelns nicht (quasi Palmström’isch) nach dessen Zulässigkeit richten kann.
Es handelt sich auch nicht um Scheinfeststellungen, da das Finanzamt den (Sammel-)bescheid aus Empfängersicht (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10.05.2012 IV R 34/09, BStBl II 2013, 471) unzweifelhaft mit Regelungswillen erlassen hat. Eine Aufspaltung des Reglungswillens hingegen auf einzelne Teile des Sammelbescheides widerspräche der dargelegten Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont.
Der Einspruch der Klägerin richtete sich nur gegen die Feststellung des Grundbesitzwertes für den Betrieb der Land- und Forstwirtschaft. Die weiteren Feststellungen in den Anlagen zum angegriffenen Bescheid hat die Klägerin hingegen nicht angegriffen und wurden dementsprechend bestandskräftig.
Die Klägerin wurde bereits im Verwaltungsverfahren von ihrem jetzigen Prozessvertreter, einem nach eigener Kenntnis des Gerichts prozess erfahrenen Steuerberater, vertreten. Dieser nannte im Einspruch vom 31.12.2018 nur die Feststellung des Grundbesitzwertes „für den Betrieb der Land- und Forstwirtschaft“ und unter Nennung des Gesamtwertes vom 668.528 € als Gegenstand des Einspruchs, obwohl die Formulierungen in den Anlagen zum Bescheid vom 18.12.2018 keinen Zweifel zulassen, dass dort weitere gesonderte Feststellungen enthalten sind. Die Notwendigkeit, selbständige Feststellungen, welche häufig gebündelt in einem Bescheid zusammengefasst werden, gesondert anzugreifen, muss einem Berufsvertreter bekannt sein.
Entgegen den Ausführungen des Prozessvertreters in der mündlichen Verhandlung kann bei einem Berufsvertreter gerade nicht unterstellt werden, dass sämtliche in einem Sammelbescheid zusammengefassten Feststellungen angegriffen seien, wenn gegen einen Bescheid Einspruch erhoben werde. Vielmehr ist gelten die allgemeinen Auslegungsregeln, da sich die Bestandskraft einer rechtswidrigen Festsetzung auch zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken kann.
Auch bei Einsprüchen gegen Sammelbescheide erfolgt die Auslegung eines Einspruchs anhand der erklärten Zielrichtung des Rechtsbehelfs (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 08. Mai 2008 – VI R 12/05 -, BFHE 222, 196, BStBl II 2009). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen. Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger oder rechtskundig beratener Personen. Die Auslegung kann hingegen nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte finden lassen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 28.11.2018 I R 61/16, HFR 2019, 839, und vom 19. August 2013 X R 44/11, BStBl II 2014, 234).
Die Klägerin hat sich in ihrem Einspruch nicht grundsätzlich gegen eine Wertfeststellung für den Wohnteil gewendet, sondern im Gegenteil dem Finanzamt vorgeworfen, diese sei fehlerhaft im Erstbescheid unterblieben und könne nun nicht mehr nachgeholt werden. So hat sie im Einspruchsschreiben auf Seite 4 ausgeführt, dass „bei dieser Erklärungslage […] die Steuerpflichtige vorgetragen [habe], dass ein Wohnteil vorhanden“ sei, um daran die Schlussfolgerung anzuschließen, dass „der Tatbestand eines Wohnteils […] keine neue Tatsache“ sei. Die Wertermittlung selbst hingegen hat die Klägerin mit keinem Wort angegriffen.
Der Klägervertreter irrt, wenn er meint, die bloße Nennung des Wohnteils in seinem Einspruchsschriftsatz genüge, um seinen Einspruch auch auf diese Wertfeststellung zu erweitern, denn es kommt für die Auslegung auf die erkennbare Zielrichtung des Einspruches an, aus der sich der wirkliche Wille des Einspruchsführers ableiten lässt (vgl. BFH-Urteil vom 29. Oktober 2019 IX R 4/19, BFHE 266, 126, BStBl II 2020, 368).
Die rechtsschutzwahrende Auslegung kann – jedenfalls im Fall der Vertretung durch einen Rechtskundigen – nicht so weit gehen, entgegen der begrenzten Zielrichtung eines Einspruches diesen auf weitere Festsetzungen in einem Sammelbescheid im Hinblick auf mögliche Wechselwirkungen zwischen den Bescheiden auszudehnen. Denn dies würde bedeuten, die rechtliche Prüfung in die Auslegung der Einspruchseinlegung und damit die Zulässigkeitsprüfung vorzuverlagern.
Die Klage gegen die Feststellung des Grundbesitzwertes ist unbegründet, weil die angegriffene Feststellung nicht rechtwidrig ist und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt ist (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO).
Die gesonderte Wertfeststellung des Wohnanteils ist bindend für die angegriffene Feststellung (§ 182 Satz 1 AO), da das Wohnhaus zwingend zu der wirtschaftlichen Einheit des vererbten Betriebes der Land- und Forstwirtschaft gehört (§ 158 Abs. 3 Nr. 6 BewG), mithin für diese Bewertung von Bedeutung ist (151 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz 2. Alternative BewG).
Die angegriffene Feststellung war daher bereits gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern.
Dies würde auch gelten, wenn die Feststellung von 21.12.2016 – wie die Klägerin vorträgt – bereits auch das Wohngebäude mit bewertet hätte. Das Gericht weist aber darauf hin, dass die Feststellung vom 21.12.2016 offenkundig und zweifelsfrei keine Bewertung des Wohngebäudes enthält. Das Fehlen der entsprechenden Bewertungsberechnungen steht in Einklang damit, dass – ebenso offenkundig und zweifelsfrei – der bewertete landwirtschaftliche Betrieb als im Ganzen verpachtet bewertet wurde. Die Bewertung entsprechend einer Eigennutzung wurde in den Erläuterungen auch verständlich dargelegt, indem darauf hingewiesen wurde, dass bei einer Betriebsverpachtung der Verpächter „so behandelt [wird], als würde er den Betrieb selbst fortführen“; eine Praxis in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BFH (seit Urteil vom 13.11.1963 GrS 1/63 S, BFHE 78, 315). Eine Aufgabeerklärung hat die Klägerin hingegen nicht abgegeben.
Die Befugnis zum Erlass des angegriffenen Änderungsbescheides folgt gemäß Vorstehendem auch aus § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Dem Finanzamt wurde erstmals mit dem Schriftsatz der Klägerin vom 04.09.2017 und damit nachträglich bekannt, dass der Betrieb im Gegensatz zu den Angaben der Klägerin in der Feststellungserklärung nicht im Ganzen verpachtet war. Damit war die Hofstelle zu Unrecht aus der wirtschaftlichen Einheit Land- und Forstwirtschaftlicher Betrieb ausgeschieden worden (§§ 158 Abs. 4 Nr. 1, 168 Abs. 1 Nr. 3 BewG) und der Fehler zu korrigieren.
Dass die Finanzbehörde nach Treu und Glauben wegen einer Verletzung ihrer Ermittlungspflicht daran gehindert wäre, die neue Tatsache „Fortbestand der Eigenbewirtschaftung“ zum Anlass für eine Änderung zu nehmen, scheitert schon daran, dass die Klägerin selbst die Betriebsverpachtung im Ganzen erklärt hat und sich deswegen die von der Klägerin in Anspruch genommene Ermittlungspflicht des Finanzamts gerade auf die Fehlerhaftigkeit der Erklärung stützen müsste. Der Erklärung eines Steuerpflichtigen nicht zu misstrauen, kann aber nicht als treuwidrig angesehen werden.
Darüber hinaus kann sich die angegriffene Änderung auch auf § 174 Abs. 4 AO stützen. Die Feststellung vom 12.06.2017, in der das Wohngebäude separat als Grund und Boden bewertet wurde, wurde aufgrund des Einspruches der Klägerin aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin auf § 176 AO ist unergiebig; keiner der dort genannten Fälle der Änderung einer Norm, Rechtsprechung oder Verwaltungsvorschrift ist einschlägig.
Der festgestellte Grundbesitzwert ist, soweit er nicht bindend in den nicht angegriffenen Feststellungsbescheiden vorweggenommen wurde, materiell richtig ermittelt; Fehler wurden aber auch bzgl. dieser bestandskräftigen Feststellungen nicht gerügt und ergeben sich für das Gericht auch nicht aus den Akten. Die Klägerin hat im Gegenteil in der mündlichen Verhandlung die erfolgte Wertermittlung ausdrücklich unstreitig gestellt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.


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