Steuerrecht

Erweiterte Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden

Aktenzeichen  Au 5 K 18.541

Datum:
19.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16650
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
GewO § 35 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 6
VwZVG Art. 31

 

Leitsatz

1 Eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit kann sich aus strafgerichtlichen Verurteilungen bei Straftaten von einigem Gewicht und Gewerbebezug, der Verletzung steuerlicher Zahlungs- und Erklärungspflichten sowie sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen ergeben. (Rn. 41 – 43) (redaktioneller Leitsatz)
2 Unter die sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen fallen nicht nur die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, sondern ebenso die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
3 Nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung im gerichtlichen Verfahren erfolgte oder lediglich zukünftig beabsichtigte Tilgungen von Schulden sind grundsätzlich unbeachtlich. Diese können lediglich in einem Verfahren auf Wiedergestattung gemäß § 35 Abs. 6 GewO Berücksichtigung finden. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
4 Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs muss von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Dieser Grund entfällt nur dann, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet (BVerwG BeckRS 9998, 44552). (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
5 Die erweiterte Gewerbeuntersagung setzt voraus, dass der Gewerbetreibende nicht nur für den bisherigen Gewerbebetrieb unzuverlässig ist, sondern auch in Bezug auf die anderen leitenden oder alle gewerblichen Tätigkeiten, die untersagt worden sind. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Kammer konnte über die Klage des Klägers verhandeln und entscheiden, ohne dass der Kläger an der mündlichen Verhandlung vom 19. Juli 2018 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Der Kläger ist zur mündlichen Verhandlung form- und fristgerecht geladen worden. Mit Schreiben vom 13. Juli 2018 hat der Kläger dem Gericht mitgeteilt, dass er den Verhandlungstermin voraussichtlich nicht wahrnehmen könne. Ein Verlegungsantrag wurde nicht gestellt.
Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet. Der Bescheid vom 1. März 2018 in der Fassung, den er in der mündlichen Verhandlung vom 19. Juli 2018 erhalten hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Klage ist zulässig. Die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach in Fällen, in denen ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich ist, die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben ist, ist vorliegend bereits durch das Schreiben des Klägers vom 19. März 2018, bei Gericht eingegangen am 22. März 2018, gewahrt. Diesem ist zu entnehmen, dass der Kläger um gerichtlichen Rechtsschutz gegen den Bescheid des Beklagten vom 1. März 2018 nachsucht. Die Mindestanforderungen des § 82 VwGO an eine Klageschrift sind gewahrt; der angegriffene Bescheid wurde dem Schreiben beigefügt. Die Falschbezeichnung als „Einspruch“ ist insoweit unschädlich (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Auflage 2018, § 74 Rn. 8). Daher ist es ebenfalls unschädlich, dass das klarstellende Schreiben des Klägers außerhalb der Klagefrist – diese lief am 6. April 2018 ab – am 9. April 2018 bei Gericht eingegangen ist.
2. Die Untersagung der Ausübung des Gewerbes „Friseur“ (Nr. 1 des Bescheides) ist rechtmäßig.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (stRspr. BVerwG, z.B. BVerwG, B.v. 19.2.1995 – 1 B 19/95 – GewArch 1995, 200).
Rechtsgrundlage für die Untersagung des vom Kläger ausgeübten Gewerbes ist § 35 Abs. 1 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO). Danach ist die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden dartun, sofern die Untersagung zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist.
a) Unzuverlässig ist ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamtbild seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich dabei insbesondere aus der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben (BVerwG, B.v. 16.2.1998 – 1 B 26/98 – juris; BVerwG, B.v. 5.3.1997 – 1 B 56/97 – juris; BVerwG, B.v. 11.11.1996 – 1 B 226/96 – juris; BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146/80 – juris). Der Begriff der Unzuverlässigkeit ist dabei ein unbestimmter Rechtsbegriff und vom Gericht vollumfänglich zu überprüfen. Es besteht kein Beurteilungsspielraum der Behörde (vgl. Ennuschat in Tettinger/Wank/Ennuschat, GewO, 8. Aufl. 2011, § 35 Rn. 27; BVerwG, U.v. 15. 11. 1967 – 1 C 43/67 – BVerwGE 28, 202 und U.v. 15. 7. 2004 – 3 C 33/03 – BVerwGE 121, 257).
Eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit kann sich aus strafgerichtlichen Verurteilungen dann ergeben, wenn die Straftat von einigem Gewicht ist und die Tathandlung einen Gewerbebezug aufweist. Sowohl eine einzelne Straftat ist dabei ausreichend, wenn sie schwerwiegend ist (vgl. VG Stuttgart, U.v. 22.10.1999 – 4 K 6116/98 – GewArch 2000, 25; NdsOVG, B.v. 8.6.2005 – 7 PA 88/05, GewArch 2005, 388), als auch eine Häufung kleinerer Verstöße (vgl. VGH BW, B.v. 20.7.1989 – 14 S 1564/89 – GewArch 1990, 253).
Zum ordnungsgemäßen Betrieb eines Gewerbes gehört unter anderem die Erfüllung der steuerlichen Zahlungs- und Erklärungspflichten (vgl. Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, Stand Oktober 2017, § 35 Rn. 49 ff.). Die nachhaltige Verletzung dieser Pflichten kann je nach den Umständen des Einzelfalles den Schluss auf die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit rechtfertigen (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1992 – 1 C 146/80 – BVerwGE 65, 1). Steuerrückstände sind dann geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig auszuweisen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind. Von Bedeutung ist dabei auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist (vgl. BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – GewArch 1995, 115). Eine Steuerfestsetzung auf der Grundlage einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abgabenordnung (AO) ist dabei nicht von minderer Qualität als eine Steuerfestsetzung aufgrund konkreter Besteuerungsangaben (vgl. BVerwG, B.v. 30.3.1992 – 1 B 42/92 – GewArch 1992, 298). Maßgeblich ist insoweit nur, ob die Steuern bestandskräftig oder vollziehbar festgesetzt worden sind und der Betroffene somit zur Entrichtung der Steuern verpflichtet ist.
Zu den Pflichten eines Gewerbetreibenden gehört zudem die Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen. Darunter fallen nicht nur die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, sondern ebenso die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, Stand Oktober 2017, § 35 Rn. 55 ff.). Da die gesetzliche Unfallversicherung ihrem Wesen nach eine solidarische Ablösung der zivilrechtlichen Haftpflicht der Unternehmer ist und Leistungen bei Eintritt eines Versicherungsfalles auch dann gewährt, wenn der betreffende Unternehmer seinen Beitragsverpflichtungen nicht nachgekommen ist, hat eine Verletzung der Beitragspflicht Vermögensschädigungen des Versicherungsträgers und eine Mehrbelastung der anderen Unternehmer zur Folge (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1973 – 1 C 36.71 – BVerwGE 42, 68).
b) Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich der Kläger als gewerberechtlich unzuverlässig.
Der Kläger hat sich im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses in mehrfacher Hinsicht als gewerberechtlich unzuverlässig gezeigt. Für eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit spricht insbesondere, dass im Vollstreckungsregister des Amtsgerichtes … zum Stand 14. Juni 2017 gegen den Kläger bereits fünf Mal ein Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft (§ 802g Zivilprozessordnung – ZPO) erlassen wurde. Mit Stand 27. Februar 2018 sind zu Lasten des Klägers im Vollstreckungsportal sechs Einträge betreffend die Jahre 2015 und 2016 enthalten. Hinzu kommen Steuerrückstände beim Finanzamt …-…. Auch seinen steuerrechtlichen Erklärungspflichten ist der Kläger für die Jahre 2012 bis 2016 nicht nachgekommen. In Folge der Nichtabgabe der entsprechenden Erklärungen mussten Schätzungen der Steuerschuld des Klägers vorgenommen werden. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit erstreckt sich dabei sowohl auf die vormalige gewerbliche Tätigkeit des Klägers in den Jahren 2009 bis 2014 als auch in Bezug auf die erneute gewerberechtliche Anmeldung des selbstständigen Gewerbes „Friseur“ ab dem 1. März 2017. Das Finanzamt …-… hat zu dieser erneuten gewerblichen Tätigkeit des Klägers mit Schreiben vom 21. Juni 2017 ausgeführt, dass keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben worden seien. Sämtliche Pfändungsversuche seien erfolglos geblieben.
Bei der AOK Bayern bestanden im Februar 2018 noch Rückstände für die gewerbliche Tätigkeit aus den Jahren 2012 bis 2014 in Höhe von 29.026,89 EUR. Auch für die erneute gewerbliche Tätigkeit ab dem Jahr 2017 sind innerhalb kurzer Zeit erneut Rückstände in Höhe von 3.220,78 EUR aufgelaufen. Zwar hat sich der Kläger mittlerweile rückwirkend bei der AOK abgemeldet und vorgetragen, keine Arbeitnehmer mehr zu beschäftigen, am Vorhandensein der in der Vergangenheit aufgelaufenen Rückstände ändert dies jedoch nichts. Eine Ratenzahlungsvereinbarung in Bezug auf die Rückstände bei der AOK … lag zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses nicht vor. Gegenüber der AOK … erfolgte die letzte freiwillige Zahlung des Klägers vielmehr bereits am 20. Oktober 2017 (220,00 EUR).
Schließlich lässt sich gegen eine gewerbliche Zuverlässigkeit des Klägers anführen, dass dieser mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichtes … vom 6. März 2015 wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 15 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 1.200,00 EUR verurteilt wurde.
Gesamtbetrachtend vermitteln die vielfachen Zahlungsrückstände des Klägers gegenüber öffentlichen und privaten Gläubigern den Gesamteindruck, dass der Kläger die mit der Führung eines selbstständigen Gewerbes verbundenen Pflichten in grober Weise vernachlässigt hat und als gewerberechtlich unzuverlässig zu gelten hat.
Gegen eine gewerberechtliche Zuverlässigkeit des Klägers spricht letztlich weiter, dass es während der vergleichsweise kurzen gewerblichen selbstständigen Tätigkeiten des Klägers zu einem beträchtlichen Schuldenstand bei den verschiedensten öffentlichen und privaten Gläubigern gekommen ist. Unmittelbar nach erneuter gewerblicher Anmeldung im Jahr 2017 ist es zum Entstehen nicht geringfügiger finanzieller Rückstände gekommen. Dies lässt darauf schließen, dass der Kläger auch aus seiner vormaligen gewerblichen Tätigkeit in den Jahren 2009 bis 2014 keinerlei Konsequenzen in Bezug auf die gebotene Betriebsführung gezogen hat. Die erneute gewerbliche Tätigkeit ab dem Jahr 2017 erscheint vielmehr gesamtbetrachtend als Fortführung des Fehlverhaltens bei der vormaligen gewerblichen Tätigkeit des Klägers in den Jahren 2009 bis 2014. Es bestehen daher keine Zweifel daran, dass die vom Beklagten im Rahmen des Bescheides angestellte negative Prognose hinsichtlich der zukünftigen Geschäftsführung des Klägers zu Recht erfolgte. Der Beklagte hat zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses zu Recht angenommen, dass eine künftige ordnungsgemäße Betriebsführung des Klägers – ausgehend von dessen gewerberechtlichem Verhalten in der Vergangenheit – nicht gewährleistet ist. Dies wird auch durch die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse gestützt. Danach bestehen die Vollstreckungsaufträge gegen den Kläger jedenfalls teilweise fort. Nach wie vor sind Steuerrückstände beim Finanzamt …-…, ausstehende Steuererklärungen, Beitragsrückstände bei der AOK Bayern (für die Jahre 2012 – 2014 im Umfang von 29.746,89 EUR) sowie offene Handwerkskammerbeiträge zu verzeichnen. Dies schließt eine positive Prognose zugunsten des Klägers hinsichtlich künftiger ordnungsgemäßer gewerblicher Betriebsführung aus.
Die mit Schreiben des Klägers vom 13. Juli 2018 nunmehr vorgelegte Tilgungsvereinbarung mit der AOK Bayern, beginnend ab dem 15. Juli 2018 (monatliche Teilzahlungen von Höhe von 250,00 EUR) vermag an dieser Einstufung nichts zu ändern. Nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung im gerichtlichen Verfahren sind nach diesem Zeitpunkt erfolgte bzw. lediglich zukünftig beabsichtigte Tilgungen grundsätzlich unbeachtlich. Diese können lediglich gegebenenfalls in einem Verfahren auf Wiedergestattung gemäß § 35 Abs. 6 GewO Berücksichtigung finden (vgl. BayVGH, B.v. 26.10.2015 – 22 ZB 15.2022 – juris Rn. 14). Überdies betrifft die vorgelegte Ratenzahlungsvereinbarung nur die seit der erneuten Gewerbeanmeldung im Jahr 2017 angefallenen Beitragsrückstände in Höhe von aktuell 3.062,54 EUR.
c) Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit setzt dabei kein subjektiv vorwerfbares Verhalten voraus, sondern knüpft nur an objektive Tatsachen an, die hinsichtlich der zukünftigen Tätigkeit des Gewerbetreibenden eine ungünstige Prognose rechtfertigen. Auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden oder seine innere Einstellung kommt es hingegen nicht an (BVerwG, B.v. 16.2.1998 – 1 B 26/98 – juris Rn. 4).
Dies gilt auch für Steuerrückstände und die Nichterfüllung steuerlicher Erklärungspflichten. Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs muss von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Dieser Grund entfällt nur dann, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146/80 – BVerwGE 65, 1). Es lagen zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses – wie bereits ausgeführt – keine Ratenzahlungs- oder Stundungsvereinbarungen oder ein Sanierungskonzept für den Betrieb des Klägers vor.
d) Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses lagen damit Tatsachen vor, die auf eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers schließen lassen. Die gewerbebezogene Verurteilung, Steuerschulden und erhebliche Rückstände bei Sozialversicherungsträgern, die wiederholte Verletzung steuerrechtlicher Mitwirkungspflichten und die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sowie die Handhabung des geführten Gewerbebetriebes zeigen deutlich, dass der Kläger nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe zukünftig ordnungsgemäß betreiben wird.
Die Untersagung des ausgeübten Betriebes war damit nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO zwingend geboten. Ein Ermessen ist der zuständigen Behörde hierbei nicht eingeräumt. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist nicht erkennbar, da mildere Mittel, die in gleicher Weise geeignet wären, die bislang nicht ordnungsgemäße Betriebsführung zu verhindern, nicht ersichtlich sind.
3. Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person in Nr. 2 des angefochtenen Bescheides ist ebenfalls rechtmäßig.
a) Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO kann die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragten Person sowie auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – BVerwGE 65, 9; BayVGH, U.v. 27.1.2014 – 22 BV 13/260 – juris Rn. 17).
Die erweiterte Gewerbeuntersagung, die vorliegend vom Beklagten nur auf eine anderweitige gewerbliche Tätigkeit des Klägers in leitender Funktion beschränkt wurde, setzt dabei voraus, dass der Gewerbetreibende nicht nur für den bisherigen Gewerbebetrieb unzuverlässig ist, sondern auch in Bezug auf die anderen leitenden oder alle gewerblichen Tätigkeiten, die untersagt worden sind (vgl. BVerwG, U.v. 12.1.1993 – 1 B 1/93 – GewArch 1993, 155). Die Verletzung von Verpflichtungen, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben, insbesondere die Verletzung von steuer- und abgabenrechtlichen Verpflichtungen, kann die erweiterte Gewerbeuntersagung rechtfertigen (vgl. BVerwG, B.v. 19.01.1994 – 1 B 5/94 – GewArch 1995, 115). Demzufolge sind die zum Zeitpunkt der Untersagung vorliegenden Steuerschulden, Rückstände bei Sozialversicherungsträgern und die vorliegende gewerbebezogene Verurteilung als ausreichender Grund für die Annahme einer gewerbeübergreifenden Unzuverlässigkeit zu werten.
Für die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer anderweitigen Gewerbeausübung in leitender Funktion ist es weiterhin nicht erforderlich, dass positive Anhaltspunkte hierfür gegeben sind. Vielmehr kann es bereits ausreichen, dass keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende zukünftig in leitender Funktion tätig ist. Die Wahrscheinlichkeit der anderweitigen leitenden gewerblichen Tätigkeit folgt dabei schon daraus, dass der Gewerbetreibende trotz Unzuverlässigkeit an seiner gewerblichen Tätigkeit festhält. Denn durch sein Festhalten an dem tatsächlich ausgeübten Gewerbe hat er regelmäßig seinen Willen bekundet, sich auf jeden Fall irgendwie gewerblich zu betätigen (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – BVerwGE 65, 9). Aufgrund des Festhaltens des Klägers an der Gewerbeausübung trotz anhaltender finanzieller Schwierigkeiten ist folglich davon auszugehen, dass er sich auf jeden Fall gewerblich betätigen wollte.
b) Bei der Untersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Der gerichtliche Prüfungsumfang ist hinsichtlich des Ermessens nach § 114 Satz 1 VwGO eingeschränkt. Die Notwendigkeit einer Ermessensbetätigung wurde vom Beklagten erkannt und das Ermessen ausgeübt. Es wurde ermessensfehlerfrei zur Begründung angeführt, dass den schutzwürdigen Belangen der Allgemeinheit nur durch eine Untersagung in dem bezeichneten Umfang Rechnung getragen werden könne. Ein milderes Mittel scheide aus. Das Interesse des Klägers als Gewerbetreibender an der Ausübung einer von der Gewerbeuntersagung umfassten Tätigkeit müsse hinter dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit zurücktreten. Die in die erforderliche Abwägung einzustellenden Interessen wurden damit vom Beklagten im Rahmen seiner Ermessensausübung ermittelt und das öffentliche Interesse dem Interesse des Klägers an der Gewerbeausübung ermessensfehlerfrei gegenüber gestellt.
4. Die in Nr. 3 des Bescheides angeordnete Verpflichtung zur Einstellung des Gewerbebetriebes innerhalb eines Monats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Gewerbeuntersagung (Nr. 1 des Bescheids) ist ebenfalls rechtmäßig. Die dem Kläger gesetzte Frist von einem Monat ist angemessen. Dieser Zeitraum ist im konkreten Fall für die Abwicklung eines Betriebs dieser Art ausreichend. Nach den Erkenntnissen des Gerichtes beschäftigt der Kläger mittlerweile auch keine Angestellten mehr im ausgeübten Friseurgewerbe.
5. Die in Nr. 4 des Bescheides in der Fassung, die er in der mündlichen Verhandlung vom 19. Juli 2018 gefunden hat, enthaltenen Zwangsgeldandrohungen für den Fall der Nichterfüllung der in den Ziffern 2 und 3 angeordneten Verpflichtungen genügen den rechtlichen Anforderungen der Art. 31 und 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG). Die Zwangsgeldandrohungen sind hinreichend bestimmt formuliert. Für den Kläger ist ersichtlich, dass Zuwiderhandlungen gegen die jeweiligen Verpflichtungen aus den Ziffern 2 und 3 mit einem Zwangsgeld in Höhe von jeweils 1.500,00 EUR bedroht sind. Die Höhe des jeweils angedrohten Zwangsgeldes hält sich in dem in Art. 31 Abs. 2 VwZVG eröffneten Rahmen und ist auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung der Verpflichtungen des Klägers angemessen.
6. Da sich der mit der Klage angegriffene Bescheid des Beklagten vom 1. März 2018 in seiner letzten Fassung mithin als rechtmäßig erweist, war die Klage vollumfänglich abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die in der mündlichen Verhandlung vom Beklagten vorgenommene Bescheidsänderung in Nr. 4 bleibt kostenrechtlich ohne Berücksichtigung, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Als im Verfahren größtenteils unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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