Steuerrecht

Fehlender Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Behörde

Aktenzeichen  M 10 S 19.4662

Datum:
10.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 7941
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 6

 

Leitsatz

Die Sonderregelung des § 80 Abs. 6 VwGO ist nicht nur eine bloße Sachentscheidungsvoraussetzung‚ die noch im Laufe des gerichtlichen Eilverfahrens verwirklicht werden könnte‚ sondern eine Zugangsvoraussetzung‚ die nicht nachgeholt werden kann und daher bereits im Zeitpunkt der Antragstellung erfüllt sein muss. Denn nur eine konsequente Handhabung des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO bewirkt‚ dass die Vorschrift ernst genommen wird und zu der beabsichtigten Entlastung der Gerichte führt (BayVGH B.v. 5.3.2015 – 6 CS 15.369, BeckRS 2015, 42877; B. v. 16.5.2000 – 6 ZS 00.1065, BeckRS 2000, 24994; vgl. auch VGH BW‚ B.v. 28.2.2011 – 2 S 107/11, BeckRS 2011, 49104). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 515,16 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer durch den Antragsgegner.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Einfamilienhauses im Gebiet des Antragsgegners. Aufgrund seiner Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer erhebt der Antragsgegner von denjenigen, die in seinem Gemeindegebiet eine Zweitwohnung innehaben, Zweitwohnungsteuer.
Mit Bescheid vom 8. August 2019 setzte der Antragsgegner für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis 31. Oktober 2017 gegenüber der Antragstellerin Zweitwohnungsteuer i.H.v. insgesamt 2.060,62 EUR fest.
Mit Schriftsatz vom 13. August 2019 erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 8. August 2019.
Mit Schriftsatz vom 12. September 2019 stellte der Bevollmächtigte der Antragstellerin bei dem Bayerischen Verwaltungsgericht München den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und beantragt (sinngemäß):
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 13. August 2019 gegen den Zweitwohnungsteuerbescheid des Antragsgegners vom 8. August 2019 wird angeordnet.
Auf die Begründung wird Bezug genommen.
In der Antragserwiderung vom 24. September 2019 führt der Vertreter des Antragsgegners aus, dass von der Antragstellerin bisher kein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt worden sei.
Unter dem 16. Oktober 2019 legte der Bevollmächtigte der Antragstellerin eine Ablichtung eines von ihm verfassten Schreibens an den Antragsgegner vom selben Tag vor, in dem er einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellte.
Auf telefonische Nachfrage des Gerichts gab der Vertreter des Antragsgegners an, dass eine Vollstreckung aus dem streitgegenständlichen Zweitwohnungsteuerbescheid nicht in die Wege geleitet wurde, auch nicht vor dem 12. September 2019.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag hat keinen Erfolg, da er mangels vorheriger Durchführung eines behördlichen Aussetzungsverfahrens nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO unzulässig ist.
Gemäß § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO − bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten − der Antrag nach Abs. 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt gemäß § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO nur dann nicht, wenn die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat (Nr. 1) oder eine Vollstreckung droht (Nr. 2).
Nach überwiegender Auffassung normiert die Sonderregelung des § 80 Abs. 6 VwGO dabei nicht nur eine bloße Sachentscheidungsvoraussetzung‚ die noch im Laufe des gerichtlichen Eilverfahrens verwirklicht werden könnte‚ sondern eine Zugangsvoraussetzung‚ die nicht nachgeholt werden kann und daher bereits im Zeitpunkt der Antragstellung erfüllt sein muss (BayVGH, B.v. 5.3.2015 – 6 CS 15.369 – juris Rn. 11 m.w.N.; B.v. 16.5.2000 – 6 ZS 00.1065 – juris Rn. 3). Dies wird damit begründet, dass die vom Gesetzgeber verfolgte Zielrichtung – einerseits Vorrang der verwaltungsinternen Kontrolle und andererseits Entlastung der Gerichte – nur zu verwirklichen ist‚ wenn § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO nicht lediglich als im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nachholbare Sachentscheidungsvoraussetzung interpretiert wird. Dagegen spricht auch nicht‚ dass ein gerichtlicher Eilantrag wegen Nichtvorliegens der behördlichen Entscheidung als unzulässig abgelehnt wird und es danach im Fall einer Ablehnung des Aussetzungsantrags durch die Behörde noch zu einem zweiten gerichtlichen Aussetzungsverfahren kommen kann. Denn nur eine konsequente Handhabung des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO bewirkt ‚ dass die Vorschrift ernst genommen wird und zu der beabsichtigten Entlastung der Gerichte führt (BayVGH, B.v. 5.3.2015, a.a.O.; vgl. VGH BW‚ B.v. 28.2.2011 – 2 S 107/11 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO nicht vor. Zwar hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt, allerdings erst mit Schreiben an den Antragsgegner vom 16. Oktober 2019. Am Tag der Antragstellung bei Gericht am 13. September 2019 lag noch kein Antrag vor. Dies geht zum einen aus den Schriftsätzen der Beteiligten hervor. Der Vertreter des Antragsgegners wies in seinem Schriftsatz vom 24. September 2019 auf das Fehlen eines Aussetzungsantrags hin, woraufhin der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit Schreiben vom 16. Oktober 2019 den Antrag stellte. Es ist davon auszugehen, dass der Bevollmächtigte der Antragstellerin dann, wenn bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei dem Antragsgegner gestellt worden wäre, auf diesen früheren Antrag verwiesen hätte oder diesen ausdrücklich nur wiederholt hätte. Stattdessen zeigt das Verhalten des Bevollmächtigten, dass er selbst davon ausging, dass noch kein Aussetzungsantrag gegenüber dem Antragsgegner gestellt worden war und er einen solchen noch für nötig erachtete. Zudem enthält die vorgelegte Behördenakte keinen Hinweis auf einen vor dem 13. September 2019 gestellten Aussetzungsantrag.
Eine Antragstellung nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO war auch nicht gemäß § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO entbehrlich. Gem. § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO ist ein behördliches Vorverfahren dann nicht erforderlich, wenn eine Vollstreckung droht.
Von einer drohenden Vollstreckung ist in diesem Zusammenhang auszugehen, wenn eine konkrete Vollstreckungsmaßnahme eingeleitet oder der Beginn der Vollstreckung behördlich angekündigt worden ist; wenigstens müssen aus der Sicht eines objektiven Betrachters konkrete Vorbereitungshandlungen der Behörde für eine alsbaldige Durchsetzung des Bescheids vorliegen (vgl. VGH BW, B.v. 28.2.2011, a.a.O. Rn. 5). Auch hier gilt, dass die Voraussetzung der Entbehrlichkeit des behördlichen Vorverfahrens bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht erfüllt gewesen sein muss, also nicht mehr nachgeholt werden kann (VGH BW, a.a.O. Rn. 6).
Eine Vollstreckung drohte im vorliegenden Fall nicht. Weder wurde es von der Antragstellerin vorgetragen, noch lässt es sich den Akten entnehmen, dass der Antragsgegner den Beginn der Vollstreckung für einen unmittelbar bevorstehenden Termin angekündigt bzw. konkrete Vorbereitungsmaßnahmen etwa in Form einer erneuten Zahlungsaufforderung mit Androhung der Zwangsvollstreckung getroffen hätte. Diese Annahme bestätigte auch die glaubhafte telefonische Aussage des Vertreters des Antragsgegners, nach der bisher keinerlei Maßnahmen zur Vollstreckung in die Wege geleitet wurden.
Der Antrag ist damit als unzulässig abzulehnen.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nummer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (1/4 der in der Hauptsache angegriffenen Steuerfestsetzung).


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